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Noch einmal Haiti

Ich war sehr überrascht, daß dieser für den modernen Menschen eher obskure Aspekt des Unglücks von Haiti durch einen Zeitungsautor thematisiert wird: Haitis Zuneigung zum Voodoo-Kult, also zu Zauberei und Magie. Doch dann las ich weiter, und mir wurde klar, der Autor nimmt dies nur als interessante Note, die ein Künstlerleben sogar bereichern kann.

Dabei sieht Harald Harzheim, besagter Autor, daß in den vergangenen Jahren nicht allein Haiti getroffen hat, nachdem dort Voodoo 2003 zur staatlich anerkannten Religion neben dem Katholizismus erhoben wurde, sondern 2005 auch New Orleans, ein Zentrum desselben widergöttlichen Kultes.

Gegen magische Praktiken, die versuchen, geistige Mächte in den Dienst des Menschen zu stellen, wendet sich das 2. Gebot, insbesondere wenn es dabei direkt um Gott geht („Mißbrauch des Namens“). Mag der moderne Mensch dies auch nicht ernst nehmen – Ich denke, wer mit dem Feuer spielt, dem mag es ergehen wie Paulinchen im Struwwelpeter.

Daß magische Praktiken aber Unglück geradezu herabziehen, setzt das Alte Testament voraus, wenn es heißt: „Die Zauberer sollen nicht am Leben bleiben.“ (Der hebräische Text liest gegen griech. Septuaginta und latein. Vulgata statt des Plurals Fem. Sing., also „Die Hexe“, was aber angesichts der festen Verankerung des Plurals in der handschriftl. Überlieferung nicht ursprünglich sein dürfte.) Dies ist eine sehr radikale Lösung, die keinesfalls befolgt werden sollte, aber sie läßt noch erkennen, wie man damals mit Leuten verfuhr, die ein Unglück herabrufen, das auch Unschuldige mit in den Tod reißen kann.

Natürlich trifft ein Unglück wie das von New Orleans und das von Haiti auch immer Unschuldige. Darum heißt es im Neuen Testament: „Oder jene achtzehn, auf die der [zusammenstürzende] Turm von Siloah fiel und sie erschlug, meint ihr, sie seien schuldiger gewesen als die anderen Bewohner Jerusalems?“ (Luk. 13, 4) Es bleibt nur, ständig darauf vorbereitet zu sein, daß man abberufen wird in die Ewigkeit.

17 Kommentare zu „Noch einmal Haiti“

  • Warum ist der Erzbischof unschuldig? Per definitionem, weil er Erzbischof ist? Hat er irgendeinen der Voodoo-Praktiker, die ja zumeist gute Katholiken sind, excommuniziert? Ist Voodoo überhaupt denkbar ohne Katholizismus, der ja wesentlicher Bestandteil desselben ist? Hat der Katholizismus nicht ein paar Jahre früher den Mithras-Kult und überhaupt das ganze römische Heidentum genauso integriert, wie er heute Voodoo integriert? Ist Voodoo damit nicht die konsequente Fortschreibung des katholischen Prinzips, Heidentum zu integrieren statt hinwegzutun?

  • @ Geier
    Das einzig Hinnehmbare ist aus meiner Sicht das Fragezeichen am Ende jedes Ihrer Sätze.

  • Das dachte ich mir. Auch deshalb stehen die ja da. Ich wollte das Gastrecht nicht überstrapazieren.
    Unabhängig davon habe ich aber wirklich und ehrlich nicht verstanden, wie jemand diese Fragen, die sich mir aufdrängen, vor sich selbst beantwortet, der erstens katholisch ist und zweitens in dem Erdbeben ein Gericht wegen des Voodoo-Kultes sieht. Wenn tatsächlich 80% der Haitianer Katholiken und 75% Voodoo-Anhänger sind, muß die Schnittmenge beträchtlich sein. Insofern bin ich auch für Antworten außerhalb dieses Kommentarbereiches dankbar.

  • Freidenker:

    Ein Blick in die Geschichte, und hier meine ich in die wie sie sich wirklich zugetragen hat, hilft oft weiter.
    Den Ureinwohnern Haitis ereilte ein ähnliches Schiksal wie den Indianen, die heutige Bevölkerung besteht aus sich selbt überlassenen Sklaven welche aus Afrika dorthin verschleppt wurden.
    Sogesehen ist Haiti ein weiteres Beispiel wie ein Land ohne eigene Geschichte, Kultur, Traditionen und Werte nach und nach im Chaos versinkt.
    Das Erdbeben ist hierbei nur Brandbeschleuniger, das Feuer hat vor zig Jahren der „zivilisierte weisse Mann“ gelegt, und es sich dann selbst überlassen.

  • virOblationis:

    @ Geier
    Nominell zur Kirche zu gehören macht noch nicht wirklich katholisch. – Ein Priester ist Mittler sakramentaler Gnaden, ein Bischof darüber hinaus Nachfolger der Apostel; dem mag er mehr oder weniger gerecht werden.

    @ Freidenker
    Vor 200 Jahren hat man auf Haiti die Fremdherrschaft abgeschüttelt. Wann soll man denn dort bereit sein, endlich Verantwortung für sich selbst zu übernehmen?

  • Freidenker:

    @ virOblations

    Der Fremdherrschaft ging aber in dieser Konstellation nie eine Eigenherrschaft voraus, außerdem sind Neger nicht dafür bekannt einen eigenen funktionierenden Staat aufzubauen. (das ist kein Rassismus, das sind Tatsachen)
    Das Sklavendasein über Generationen führt zur Unselbstständigkeit und fehlendem Verantwortungsbewusstsein, Fremdherrschaft abschütteln und eigenen Staat aufbauen sind halt zweierlei.
    Das ist keine Rechtfertigung für die Zustände, wohl aber eine Erklärung.
    Aber mein Gefühl sagt mir die USA werden sich der Sache annehmen, ganz uneigennützig wie immer, gibt es in Haiti eigentlich Öl ??? 😉

  • Nominell zur Kirche zu gehören macht noch nicht wirklich katholisch.

    Aber ein Erzbischofsamt macht wirklich unschuldig?

    … das Feuer hat vor zig Jahren der “zivilisierte weisse Mann” gelegt, und es sich dann selbst überlassen.

    Das kann man auch anders sehen. Einige sehen gerade in einer Rekolonisierung durch den »weißen Mann« die einzige Rettung für solche Staaten. Das ist nur politisch halt nicht durchsetzbar.

  • virOblationis:

    @ Geier
    Ich habe in bezug auf den Erzbischof nicht von Schuld oder Unschuld gesprochen, sondern wollte auf die hohe Würde des Amtes in der apostolischen Sukzession hinweisen. Nach katholischer Auffassung ist das dem Bischof vorbehaltene Sakrament der Weihe zum Priester notwendig zur Erlangung des Heils, da dieser die sakramentalen Gnaden vermittelt (wenn nicht in einem Ausnahmefall die hl. Taufe auf andere Weise gespendet wird).

  • Freidenker:

    Irgendeine französische Insel ist freiwilig zurück zu Frankreich, heute geht es ihr einigermasen, in ihrer noch unabhängigen Schwesterinsel herrscht dagegen das Chaos.
    Der Kolonialismus hatte bei allen negativen Seiten auch den Anspruch sich um die Menschen zu kümmern „am deutschen Wesen sollt ihr genesen“ wird durchaus auch zu unrecht in den Dreck gezogen. Trotzdem war er insgesamt gesehen ein Verbrechen.
    In wieweit Haiti von anderen Interessensgruppen früher schon vorsätzlich destabilisiert wurde vermag ich nicht zu beurteilen,
    aber ausschliesen würde ich es mal nicht, insbesonders deshalb weil es ein Spezialität der USA ist, und die hat schon den Fuss in der Tür.
    Sollte es wirklich so sein werden wir in ca. 5 Jahren erfahren was dieses Land so wertvoll macht.

  • Anna Luehse:

    Nur die Hälfte der Kinder kann eine Schule besuchen, 90 Prozent von ihnen müssen dafür zahlen, da der Staat praktisch kein Geld für Bildung aufbringen kann. Von den 9,4 Millionen Einwohnern Haitis sind 1,9 Millionen unterernährt. Die Lebenserwartung liegt bei durchschnittlich 50 Jahren. Die Säuglingssterblichkeit betrug 1997 mehr als neun Prozent, die Kindersterblichkeit 13 Prozent. Etwa die Hälfte der Bevölkerung sind Analphabeten
    Von 1915 bis 1934 war Haiti von US-Marineinfanteristen besetzt, die nach ihrem Abzug die Kontrolle über die Finanzen bis 1947 behielten. 1937 wurden auf Befehl des dominikanischen Diktators Rafael Trujillo an der Grenze rund 18.000 Haitianer niedergemetzelt. 1957 kam Francois („Papa Doc“) Duvalier an die Macht und begründete eine Dynastie des Terrors, die 29 Jahre währen sollte. Mit Hilfe seiner Schlägertrupps, den „Tontons Macoutes“, terrorisierte er das Land, beutete es aus und stabilisierte seine Herrschaft. Unter seiner Schreckensherrschaft und der seines Sohnes Jean-Claude („Baby Doc“) Duvalier wurden Zehntausende getötet. Erst 1990 bekam Haiti mit dem Armenpriester Jean-Bertrand Aristide den ersten demokratisch gewählten Präsidenten. Doch schon 1991 wurde Aristide gestürzt, und tausende Haitianer suchten ihr Heil in der Flucht übers Meer nach Florida. US-Präsident Bill Clinton entsandte 1994 rund 20.000 Soldaten, um Aristide wieder einzusetzen. Nach dessen Wiederwahl 2000 wurden die Hoffnungen bald enttäuscht. Vorwürfe, seine Partei habe Wahlen gefälscht, Millionen Dollar Hilfsgelder eingesackt und politischen Gegnern Gangster auf den Hals gehetzt, führten zu einem blutigen Aufstand und dem Sturz Aristides 2004. 2005 wurde Aristides einstiger Weggefährte René Préval, der sich mit einer eigenen Partei „Die Hoffnung“ abgespalten hatte, zum Präsidenten gewählt. Doch auch er hat die Elendsinsel nur wenig stabilisieren können. Wie schon in den vergangenen 20 Jahren herrschen Korruption, Gewalt, Drogenhandel, Prostitution, Umweltzerstörung, Menschenrechtsverletzungen, soziales Elend und ökonomische Misswirtschaft. Wegen mangelnder Infrastruktur ist beispielsweise ein Transport von Ernteerträgen aus dem Hinterland in die Hauptstadt Port-au-Prince nicht ohne Weiteres möglich, doch nur von dort könnten sie ins Ausland verschifft werden. Die Armen schlagen jeden Baum, jeden Strauch, um Holzkohle zu verkaufen. Deshalb ist die Insel kahl, die Böden sind von Erosion zerstört.
    Quelle: National-Zeitung 22.01.2010

  • Ich habe in bezug auf den Erzbischof nicht von Schuld oder Unschuld gesprochen …

    Irgendwie war halt der Eindruck entstanden durch die Verlinkung des Wortes »Unschuldige« auf die Meldung vom Tod des haitianischen Erzbischofs. So als wäre das eine Art »Kollateralschaden«. Und das ist für mich eben schwierig zu verstehen, weil für mich alle, die mit religiösen Bildwerken umgehen — ob nun Voodoopriester oder andere — gleichermaßen Götzendienst verfallen sind.

  • virOblationis:

    @ Geier
    Die Verehrung, nicht Anbetung, von Bildern hat ihren Grund in der Menschwerdung Gottes. So konnte er angeschaut, berührt werden, wie St. Johannes betont (Joh. 1, 14; 1. Joh. 1, 1f.). Das erste Bildnis hat der Heiland anscheinend selbst hergestellt, das Abbild seines hl. Leichnams im „Turiner Grabtuch“. Die Verehrung seiner Bildnisse richten sich nur deshalb auf das sichtbare Abbild, weil sie auf das nicht sichtbare Urbild abzielt.
    Das atl. Bilderverbot soll verhindern, daß Sichtbares, also Geschöpfliches, angebetet wird. Die kirchliche Bilderverehrung ist davon nicht betroffen.
    (Jüdisch-mohammendanisch inspirierter?) religiöser Eifer suchte in dem mehr als hundertjährigen Streit um die Ikonen die Bilderverehrung zu beseitigen, wurde aber durch das 7. ökumenische Konzil (787) sowie durch ein weiteres Konzil zu Konstantinopel (843) überwunden.

  • Die Unterscheidung von Verehrung und Anbetung ist ein durch und durch künstliches theologisches Construct, mit dem niemand im Gericht bestehen wird. Anhand dieses mittlalterlichen Tuches zu behaupten, daß Jesus selbst in Bilderdienst verstrickt wäre, ist schlicht lästerlich:
    »Solches hast du getan, und ich schwieg; da dachtest du, auch ich sei so wie du. Ich werde dich richten und es dir vor Augen stellen.« (Ps. 50, 21)
    Kurz: Die Tatsache, daß nicht immer und überall gleich Feuer vom Himmel fällt, sollte niemand als wohlwollende Bestätigung seines Tuns mißverstehen.

  • virOblationis:

    @ Anna Luehse
    Zwei Fragen hätte ich. Vielleicht können Sie sie beantworten:
    1. Ob es den Menschen unter den Duvaliers wohl schlechter ging als in dem anschließenden Chaos? Oder wurden tatsächlich „Zehntausende“ getötet?
    2. War Aristide schon zu Beginn der Kandidat der USA, die ihn ja schließlich ganz offen unterstützten? War den USA die Duvalier-Diktatur vielleicht lästig geworden?

  • virOblationis:

    Geier schrieb:
    „Irgendwie war halt der Eindruck entstanden durch die Verlinkung des Wortes »Unschuldige« auf die Meldung vom Tod des haitianischen Erzbischofs. So als wäre das eine Art ‚Kollateralschaden‘. Und das ist für mich eben schwierig zu verstehen, weil für mich alle, die mit religiösen Bildwerken umgehen — ob nun Voodoopriester oder andere — gleichermaßen Götzendienst verfallen sind.“

    Natürlich handelt es sich beim Tod des Erzbischofs und zahlreicher seiner Kleriker um einen „Kollateralschaden“.
    Die Gleichsetzung aller Christen, die in ihrer Vehrung religiöser Bilder nicht mit Ihrer Interpretation bestimmter Aussagen der Hl. Schrift übereinstimmen, mit Magiern des Voodoo-Kultes finde ich infam.

  • Also irgendwie finde ich den Gedanken, daß Gott Kollateralschäden produzieren würde, ja viel infamer.
    Abgesehen davon geht es natürlich auch nicht um meine subjektive Interpretation, sondern um den objektiven Gehalt bestimmter Aussagen der Schrift, aber das werden wir an dieser Stelle wohl nicht klären können. Denn die Frage ist gar nicht, wie bestimmte Aussagen zu verstehen seien, sondern wieviel Autorität man ihnen überhaupt zubilligt. Entweder hundert Prozent (sola scriptura) oder nur ca. null (Bibel plus »Lehramt der Kirche«). Im zweiten Fall hat nämlich das Lehramt hundert Prozent der Autorität, da es sich die Deutungshoheit über die Schrift gönnt und mit so schönen Differenzierungen wie »Verehrung vs. Anbetung« den Gehalt jeder Aussage bis zur völligen Bedeutugslosigkeit hinweginterpretieren kann.

  • Anna Luehse:

    # virOblationis 14

    Über die gestellten Fragen kann ich auch nur Rückschlüsse oder Vermutungen äußern, da ich noch nie in Haiti gewesen bin und mich auch nicht mit der Geschichte im Detail intensiv befaßt habe. Aber sicher dürfte eines wohl sein, daß in totalitären Strukturen Menschenleben nicht sehr viel zählen . Wenn man ein Land stabilisieren will, muß man die Leute in Schulen schicken und sie ausbilden. Bisher scheint kein Machthaber daran Interesse gehabt zu haben.

    Die Politik der US-Administration ist immer nur an eigenen Interessen ausgerichtet. Wer heute Freund ist, ist morgen Feind. Deshalb spielt die Reihenfolge ob und wer unterstützt wird, für das jeweilige Land nur punktuell eine Rolle – so meine Meinung.

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