Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen (1927)
In einer Zeit, da so viele Traditionen zerbrochen, so viele Gewißheiten verloren sind, da die linksliberale Moderne weitgehend dominiert und abweichende Positionen an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, fällt es Unangepaßten schwer, sich politisch zu behaupten und erfolgversprechende Strategieen zu entwickeln. Zweifel an der eigenen Position statt Selbstverständlichkeiten, auf die man sich stützen könnte: Was ist die Rechte? Was ist Konservatismus? Frühere Programme sind gescheitert und ihre geistigen Grundlagen tw. obsolet geworden. Um wieder Fuß zu fassen, scheint es geboten, sich auf die Grundlagen zurückzubesinnen. Wenn eine verläßliche Vorstellung davon wiedergewonnen ist, was man unter Politik, Staat und Gesellschaft zu verstehen hat, wird die politische Aktion zur Gewinnung der Vormacht in Staat und Gesellschaft um so zielgenauer wirken können. Aber wodurch wäre sie gerechtfertigt?- Zur Rückbesinnung soll die folgende Buchbetrachtung einen Beitrag leisten.
Carl Schmitt, „Der Begriff des Politischen (1927)“
Seitenangaben nach dem Text der Ausgabe von 1932 (in der 3. Aufl. Berlin 1991)
[kursive Überschriften von mir, vO]
1. Der Krieg als Vater zwar nicht aller Dinge, doch immerhin des Staates
Schmitt bezeichnet mit dem Begriff Staat den „politische[n] Status eines in territorialer Geschlossenheit organisierten Volkes.“ (1., S. 20) Der politische Status [bzw.] „Staat“ ist ein bestimmter, „besonders gearteter Zustand eines Volkes“ (ebd.). – Zu fragen wäre immerhin, warum stets ein Volk einem Staat entsprechen soll, gibt es doch auch von nur einem Volksteil, einem Stamm o.ä., getragene Staatswesen, z.B. (Deutsch-)Österreich, oder auch Staaten, die verschiedene Volksgruppen umgreifen, z.B. die Schweiz. – Eine vergleichbare Ineinssetzung von Staat und Volk nimmt auch Cicero vor, wozu er jedoch die Frage einer gemeinsamen ethnischen Herkunft des Volkes, latein. populus, seiner Geschichte, übergeht. Danach ist das in Gesetzen zum Ausdruck gebrachte Recht sowie das Gemeinwohl für den Begriff des Volkes und damit des Staates von konstitutiver Bedeutung. Im Anschluß an Panaitios1, den Gründer der mittleren Stoa, läßt Cicero2 den jüngeren Scipio3 sagen: „…die Sache des Staatswesens (res publica) ist eine Sache des Volkes; Volk aber [ist] nicht jede Vereinigung von Menschen [innerhalb eines Territoriums], auf welche Weise [auch immer sie dort] versammelt worden [ist], sondern die Vereinigung einer Menge in Zustimmung zu einem [gemeinsamen] Recht und die Verbindung [einer Menge] in der Teilhabe am [gemeinsamen] Nutzen.“4 Damit macht Cicero auf die konstitutive Bedeutung des Rechts für den Staat aufmerksam, die bei Schmitt im Folgenden zu kurz kommt. Zugleich weist er auf das Gemeinwohl hin: Letzteres kommt bei Schmitt nur in modifizierter Form zum Ausdruck, indem er alle, d.h. das Volk, an der Existenzsicherung des Staates und damit am Dasein als Staatsvolk beteiligt sieht.
Die politische Grundunterscheidung von Freund und (öffentlichem, nicht privatem) Feind (latein. hostis, nicht inimicus; griech. polemios, nicht echthros) stammt aus den Beziehungen eines Volkes nach außen. „Krieg ist nur die äußerste Realisierung der Feindschaft.“ (S3., S. 33) Auf das Innere des Gemeinwesens wird die Unterscheidung demnach erst nachträglich angewandt. Bei der Unterscheidung „Freund-Feind“ geht es um die Frage, was mit dem Dasein eines Gemeinwesens grundsätzlich vereinbar und was unvereinbar ist (vgl. Gemeinwohl): Dies mögen äußere oder innere Fragen sein. Es läßt sich beim zeitlichen Vorangehen der Freund-Feind-Unterscheidungen in den Außenbeziehungen darauf hinweisen, daß eine neolithische, egalitäre Gesellschaft noch nicht durch innere soziale Probleme vor die Frage Freund-Feind gestellt werden konnte, sondern erst eine ausdifferenzierte (wenn z.B. Großgrundbesitzer die freien Bauern in ihre Abhängigkeit bringen), daß aber bereits eine neolithisch-egalitäre Gemeinschaft durch eine andere in eine existentielle Notlage gebracht werden konnte: Man denke beispielsweise an indoeuropäische Vorstöße (im Verlauf von Handelsstraßen) gegen Standorte der bäuerlichen Donaukultur oder auch an Naturkatastrophen, die die Gemeinschaft als Ganzes betreffen ist und z.B. einen Wohnsitzwechsel erzwingen, der angesichts solch feindlicher Herausforderung eine bisher nicht vorhandene Leitung der gesamten Gemeinschaft um ihres Überlebens willen erforderlich macht.
2. Die Übertragung des Krieges auf das Innere des Staates: Der Bürgerkrieg
Wenn die Freund-Feind-Unterscheidung auf das Innere des Staates übertragen wird, indem eine Person oder eine Gruppe von Personen zum Feind (hostis, polemios) erklärt wird (durch Proscriptionen oder Acht und Bann [weniger letzteres]), bedeutet dies, daß der Staat seine Einheit verloren hat und in einen Bürgerkrieg eintritt. Die [grundsätzliche] Aufgabe des Staates im Innern besteht darin, Frieden im Innern herzustellen, um [Straf-]Rechtsnormen Geltung zu verschaffen (5., S. 46). – Dazu ist anzumerken, daß die Normen des Strafrechts angesichts vollkommenen inneren Friedens gar nicht gebraucht würden. Insofern dient ihre Anwendung der Wiederherstellung des durch Straftat beeinträchtigten inneren Friedens. Das Strafrecht ist aus meiner Sicht dem entsprechend als Freund-Feind-Unterscheidung im Innern aufzufassen: Jeder Straftäter ist ein Feind des Gemeinwesens und seine Bestrafung, sein Sühneleiden, dient der Pazifikation; man stelle sich vor, Gewalttäter würden nicht mehr abgestraft: das Gemeinwesen würde in Anarchie, im Bürgerkrieg versinken. Proscriptionen und Reichsacht sind nur äußerste Mittel, um den inneren Frieden wiederherzustellen, sie unterscheiden sich m.E. jedoch nicht grundsätzlich vom alltäglichen Strafrecht.
Schließlich, so Schmitt, wäre der Weltstaat ein Widerspruch in sich selbst, da er das, was den Staat ausmacht, eben ius belli, das Recht einen Krieg zu führen, und damit die Freund-Feind-Unterscheidung nicht mehr verwirklichen kann (s. 6., S. 58). So würde ein solches [planetarisches] Gemeinwesen zur unpolitischen Organisation. – Doch dem gegenüber ist auf die Übertragung der Freund-Feind-Unterscheidung auf das Innere des Staates zu verweisen, die weiterhin möglich ist. Schmitt sieht sie offenbar als etwas Uneigentliches an, so daß er Politik und Staat nur mit dem Krieg im Äußern verbindet: Dies wird tatsächlich das Ursprüngliche (wenn auch nicht in jedem konkreten Falle Notwendige) bei der Entstehung des Staates gewesen sein, doch scheint es willkürlich, den folgenden Schritt, die Übertragung der Freund-Feind-Unterscheidung auf das Innere des Gemeinwesens davon abzutrennen, denn der Staat befindet sich ja keineswegs ständig im latenten Kriegszustand und wird dennoch aufrecht erhalten, eben durch die Wirksamkeit des Strafrechts im Innern. (Unsere Gegenwart kennt leider allzu zahlreiche Gegenbeispiele, die die Auflösung der Staatlichkeit veranschaulichen: Wenn Mörder und Totschläger nicht bestraft werden, droht das Absinken in Anarchie.)
3. Das Zeitalter des Liberalismus, das (bis ins 20. Jahrhundert wirkende) 19. Jahrhundert
Alle politischen Denker [bzw. Staatstheoretiker] sehen den Menschen als [potentiell gefährliches] Wesen an [und bejahen Staat und Strafrecht]. (Dabei setzen die Bolschewisten eine bestimmte Klasse an die Stelle des Feindes, 7., S. 62; vgl. den Klassengegensatz nach Marx, 8., S. 73)
Der Liberalismus möchte hingegen Staatskompetenzen zurückdrängen. Dabei stützt er sich auf seine positive Anthropologie: Der Mensch bräuchte nur gute Erziehung, [dann wäre das Strafrecht überflüssig] (vgl. 7, S. 64).
Wenn der Liberalismus herrscht, tritt die Gesellschaft an die Stelle des Staates. Gesellschaftliche Bereiche wie Kunst, Religion etc. werden vom Liberalismus vollkommen isoliert voneinander betrachtet, vor allem die Ökonomie. Der Staat [bzw. das Politische] soll der Ökonomie unterworfen werden. – Der Staat soll zu Gunsten von individueller Freiheit und Privateigentum zurückgedrängt werden. (Marx übernahm die Sicht der absolut gesetzten Ökonomie, setzte aber den [sozialistischen] Proletarier gegen den [liberalen] Bourgeois, s. 8., S. 73.)
An die Stelle des humanitär-moralischen Fortschrittsglaubens der Aufklärung [im 18. Jahrhundert] ist im 19. Jahrhundert der [Glaube] des Liberalismus [an den unbegrenzten] wirtschaftlichen Fortschritt getreten.
Der Liberalismus hat keine eigene [echte] Staatslehre; Anarchismus liegt [in der Konsequenz] des Liberalismus.
Schmitt weist auf [liberale] Staatstheorien hin:
a) Französische Syndikalisten proklamierten 1906/1907 das Ende des Staates (E. Berth, dessen Ideen von Georges Sorel stammten; in dieselbe Richtuung dachte Léon Duguit).
b) Angelsächsische pluralistische Staatstheorie, wonach der Staat anderen [gesellschaftlichen] Verbänden (associations) wesensgleich sei, wodurch der individuelle Mensch mehreren Verbänden angehört, ohne daß einem eine unbedingte Priorität zukomme (G. D. H. Cole und Harold Laski; theoretische Voraussetzungen: [Otto von] Gierke, Deutsches Genossenschaftsrecht (1868 – [1913]) und J. Neville Figgis, Churches in modern State (London 1913)).
Im Mittelpunkt der liberalen Weltsicht steht das Privateigentum, und zwar zwischen den beiden Polen der Ethik und der Ökonomie. Daher tritt an die Stelle von Krieg und Kampfes einerseits die Diskussion und andererseits die wirtschaftliche Konkurrenz (8., S. 70f.).
Der Liberalismus ist individualistisch und widerspricht (nicht nur der Demokratie mit ihrer notwendigen Politisierung aller gesellschaftlichen Bereiche, vgl.u. 4., sondern) jeder politischen Idee. Der einzelne hat keinen Feind [im Sinne von hostis und polemios], und wenn er das Maß ist, gibt es weder Krieg noch Politik.
Der Liberalismus propagiert eine Welt ohne Krieg, wobei er die politische Unterscheidung von Freund und Feind in die Ökonomie hineinträgt und so – neben wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen – zu weit grausameren Maßnahmen gelangt als sie der Krieg sonst mit sich bringt; vgl. die gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichtete Hungerblockade nach Maßgabe des Völkerbundes (8., S. 77).
Der Krieg kann nicht international abgeschafft, geächtet, werden, denn bei einem solchen Unternehmen würde die Erklärung zum [inneren] Feind auf [Staaten übertragen], m.a.W. der Krieg würde nicht als solcher verschwinden, sondern unter anderer Bezeichnung geführt werden. Das besonders Gefährliche erblickt Schmitt darin, daß der Völkerbund dabei „eine Reihe von Hemmungen des Krieges dadurch [beseitigt], daß er gewisse Kriege legitimiert und sanktioniert.“ (6., S. 57)
Im Kellogg-Pakt (1928) erklärten die Unterzeichnerstaaten, „den Krieg als Mittel zur Lösung internationaler Streitfälle [zu] verurteilen“ (engl. condemn, franz. condamner), doch behielten sich die Unterzeichner vor, im Falle u.a. der Selbstverteidigung Krieg zu führen (6., S. 51 Anm. 17). – Diesem Standpunkt steht Schmitt sehr nahe, denn aus seiner Sicht gehört das ius belli zwar konstitutiv zum Dasein des Staates, so daß ein Staat, der darauf verzichtet, unter die Vorherrschaft eines anderen gerät (s. 6., S. 53). Zugleich sieht Schmitt aber einen Krieg nur darin gerechtfertigt, daß er als Überlebenskampf geführt wird (s. 6., S. 49f.). Dabei schreibt Schmitt den zum Kriege notwendigen Kampf dem Volke zu, dessen Soldaten damit verpflichtet werden, den Feind [notfalls] zu töten. So sei das dem mit dem ius belli ausgerüsteten Staat entsprechende Volk, das politisch geeinte und für den Krieg bereite (s. 6., S. 45f.). – Dies ist eine moderne Sicht, der gegenüber darauf hinzuweisen ist, daß im Laufe der Geschichte auch Söldnerarmeen ohne Beteiligung des Volkes für Staaten kämpften, und die neueste Entwicklung wendet sich auch wieder von der Wehrpflicht ab. Es wurden auch zahllose Kriege geführt, die keineswegs für das Überleben eines Volkes notwendig erschienen, sondern in denen man auf Kosten eines Nachbarn (ohne Rücksicht auf Volkstumsgrenzen) zu expandieren gedachte; dem entspricht in der jüngeren Vergangenheit, die ethnisch homogene Staatsgebilde zu erhalten suchte, die ethnische Säuberung nach der Eroberung.
4. Die [antiliberale] Politisierung aller Bereiche der Gesellschaft im 20. Jahrhundert
Der europäische Geist hat sich
vom Theologischen (des 16. Jh‘s) zum Metaphysischen (des 17. Jh‘s) entwickelt
und weiter vom Metaphysischen zum Humanitär-Moralischen (des 18. Jh‘s)
und vom Humanitär-Moralischen – über das Äthetische (Romantik)- zum Ökonomischen (des 19. Jh‘s)
und vom Ökonomischen – über die Technizität – [zur, so ist zu ergänzen, Erneuerung des Staatlichen (im 20. Jh), das alle Bereiche der Gesellschaft politisiert]. (s. S. 80 – 95) – In diesem Zusammenhang weist Schmitt auf die Etablierung des Sozialismus in Rußland hin; [die Sowjetunion war tatsächlich ein total[itär]er Staat, also in Schmitts Sinne ein Staat des 20. Jahrhunderts.]
Schmitt erkennt die Unterschiede zwischen Staat (politisch) und Gesellschaft (sozial) an. – Seine Freund-Feind-Unterscheidung entspricht [in den gesellschaftlichen, nicht-politischen] Bereichen: gut und böse (Moral), schön und häßlich (Kunst), schädlich [und nützlich (Ökonomie), wahr und unwahr (Wissenschaft) sowie heilig und frevlerisch (Religion); damit zeigt sich zugleich, daß diese Bereiche nicht genuin politisch sind. Dem entsprechend] fordert Schmitt für das Politische, es „von anderen (sc. den o.g.) Unterscheidungen zu trennen und als etwas Selbständiges zu begreifen.“ (2., S. 28) Dies hätte dann natürlich umgekehrt ebenso für die übrigen von ihm angeführten, nicht-politischen Bereiche (Kunst etc.) gegenüber dem Politischen zu gelten.
Schmitt sieht die Unterschiede zwischen Staat und Gesellschaft, die er zur Definierung des Politischen vorausgesetzt hatte, als im 20. Jh vergangen an und setzt stillschweigend voraus, daß die sekundäre Politisierung von genuin nicht-politischen Bereichen durch den „total[itär]e[n] Staat“ (1., S. 24) diese zu ebenso politischen Bereichen mache wie das eigentlich Politische. Dies wird offenbar dadurch gerechtfertigt, daß die Freund-Feind-Unterscheidung für die Gesellschaft von so grundsätzlicher Bedeutung ist, daß ihre Bereiche dem gegenüber keine Selbständigkeit bewahren können; in der Demokratie geschehe dies notwendig (1., S. 24 [ohne nähere Begründung an dieser Stelle (nur Verweis)]). So gelangt Schmitt zu seiner Definition des „Staates … [als des] politische[n] Status eines…Volkes.“ (1., S. 20) Sie bezieht das Volk als Ganzes mit seinen nicht genuin politischen bzw. gesellschaftlichen Bereichen in den Staat ein. Dies scheint einerseits im Begriff des Politischen mit seiner Freund-Feind-Unterscheidung grundgelegt, andererseits aber erst verwirklicht durch den Staat des 20. Jahrhunderts, den Schmitt als den total[itär]en charakterisiert. – Es ist aber zu fragen, ob denn die genuin nicht-politischen Bereiche wirklich durch die sekundäre Politisierung ihren ursprünglichen Charakter verlieren: Gilt die Unterscheidung von schön und häßlich im Gebiet der Kunst nicht mehr, nur weil Krieg herrscht? Keineswegs!
Nach Schmitt hat die Übertragung des Politischen auf genuin nicht-politische Bereiche vor dem 20. Jahrhundert schon dazu führen können, daß der Staat im Extremfall die innere Einheit des Staates vollkommen einbüßte, also in den Bürgerkrieg [aus z.B. religiösen Gründen] geriet. (3., S. 32), denn das Politische verliere nie gänzlich sein Grundkriterium der Unterscheidung von Freund und Feind. – Dieser Gedankengang scheint verfehlt: Hier nimmt nicht das Politische religiöse Kriterien auf, sondern das Religiöse wird dem Politischen übergeordnet, so daß ein religiöses Kriterium (Rechtgläubiger versus Nicht-Rechtgläubiger) die Unterscheidung von Freund und Feind bestimmt; vgl. z.B. Englischen Bürgerkrieg des 17. Jh‘s, (und] s. dazu auch S. 67).
Schmitt neigt dazu, Staat und Volk gleichzusetzen, weil nach seiner Auffassung nur das zum Krieg bereite Volk die Gesellschaft (sozial) zum Staat (politisch) wandelt, den ja das ius belli auszeichnet. – Vom Äußeren, von den Beziehungen eines Volkes nach außen, wirkt dessen Unterscheidung von Freund und Feind auf das unterscheidende Volk zurück (vgl. 3., S. 32). „Die reale Möglichkeit der Gruppierung von Freund und Feind genügt, um über das bloß Gesellschaftlich-Assoziative [z.B. verwandtschaftlicher Beziehungen] hinaus eine maßgebende Einheit zu schaffen, die etwas spezifisch anderes und gegenüber den übrigen Assoziationen etwas Entscheidendes ist.“ (4., S. 45)
Nur das zum Krieg bereite Volk schenkt dem Staat die (politische) Einheit. Das Strafrecht ist dazu nicht in der Lage, da jede Rechtssetzung Ausdruck des Anspruches einer Gruppierung innerhalb des Volkes auf Herrschaft ist (7., S. 66f.). So ist es nur die Frage, wessen Recht herrscht. – Die Sicht auf das (vom Naturrecht getragene) Strafrecht als Bekämpfung des Feindes im Innern bleibt Schmitt versperrt, da er das Naturrecht als entkräftet ansieht durch die jeweilige Gruppierung, die bestimmt, „was sein Inhalt ist und wie und von wem es angewandt werden soll.“ (S. 67) Erst wenn die Dimension des Bürgerkrieges erreicht ist, erkennt Schmitt den Krieg im Innern.
Schmitt schreibt jedem nicht-politischen Bereich der Gesellschaft einerseits ein zeitloses und daher selbständiges Wesen zu, wodurch sich das des einen mit dem des anderen vergleichen läßt. Doch um seiner Definition des Politischen willen, muß Schmitt sämtlichen nicht-politischen Bereichen ihre Selbständigkeit andererseits wieder absprechen, so daß der Staat und damit das Politische alles, also auch sie, erfassen und politisieren kann, ohne daß Schmitt dies zu einer nicht-wesenhaften Erscheinung erklärt. – Es zeigt sich eine Inkongruenz in der gedanklichen Grundlage Schmitts: Entweder orientiert man sich ausschließlich an der – jeweils gegenwärtigen – Erscheinung der Dinge, dann darf man nicht mit deren eigentlich andersartiger Beschaffenheit argumentieren (sondern nur auf ihre frühere Andersartigkeit hinweisen), oder man differenziert (ganz unmodern) zwischen wesentlichen (substantiellen) und nicht-wesentlichen (accidentiellen) Merkmalen, dann darf man uneigentliche Erscheinungen der Gegenwart nicht an die Stelle der Dinge selbst setzen.
Anmerkungen
1 geb. ca. 185, gest. nach 100 v. Chr.
2 Marcus Tullius Cicero, geb. 106, gest 43 v. Chr.
3 Publius Cornelius Aemilianus Scipio Africanus [minor] Numantinus; geb. wohl 185, gest. 129 v. Chr.
4 Est…res publica res populi; populus autem non omnis hominum coetus quoquo modo congregatus, sed coetus multitudinis juris consensu et utilitatis communione sociatus, De re publica I, 39
„Haben sie immer noch nicht begriffen, daß ein Grundgesetz in sich selbst heute etwas viel Scheußlicheres ist als ein Organisationsstatut.“
Carl Schmitt am 25.4. 1949
(„Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1949-1951; GL 233)
„Bei der Lektüre des Bonner Grundgesetzes befällt mich die Heiterkeit eines allwissenden Greises.“
Carl Schmitt am 20.7. 1949
(GL 259)