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Reichtum und Umverteilung – zwei Seiten einer Medaille

Wenn ich früher von den übermäßigen Gehältern der Führungskräfte großer Aktiengesellschaften las, dachte ich: Sie bleiben dabei aber doch abhängig Beschäftigte; ihnen persönlich gehört das Unternehmen ja nicht. Sie bleiben Angehörige des Vierten Standes, auch wenn sie noch so reich durch ihre Tätigkeit werden. Dabei beachtete ich zu wenig, daß die Eigentümer einer Aktiengesellschaft, die Aktionäre, das Unternehmen auch nicht selbst leiten; sie können diese Aufgabe ohne weiteres delegieren, weil sie alle nur ein Ziel verbindet, nämlich möglichst viel Gewinn aus ihrem Aktienbesitz zu erzielen, d.h. aus einem ehemals von einer individuellen Persönlichkeit geleiteten Unternehmen ist eine Profitmehrungsmaschine geworden. Dies beachtete ich zu wenig. Außerdem war mein Verständnis des dritten Standes noch immer von der marx’schen Sichtweise geprägt, wonach es sich bei der „Bourgeoisie“ unseres Zeitalters im wesentlichen um materielle Güter produzierende Unternehmer handele; deren Gegenüber bilden die Proletarier als Angehörige des Vierten Standes. Tatsächlich mochte dies lange Zeit so scheinen, doch stellte bereits Marx selbst fest, daß es auch ganz andere Angehörige des Dritten Standes gibt; allerdings ging er nicht weiter darauf ein, weil ihn dies von seiner Konzentration auf den vermeintlich unauflöslichen Gegensatz von Unternehmern und abhängig Beschäftigten abgelenkt hätte.

Seit den neunziger Jahren stiegen hierzulande die Gehälter der Führungskräfte großer Aktiengesellschaften (einschließlich Banken) nach angelsächsischem Vorbild steil an; die Zeit des von de Benoist fordistisch genannten Kapitalismus war vorüber. Der globale Finanzkapitalismus trat an seine Stelle. Da die Führungskräfte großer Aktiengesellschaften seit den neunziger Jahre übermäßig entlohnt wurden, konnten sie zu Akteuren des Finanzkapitalismus werden; Marx hätte zufrieden konstatieren können, daß dabei (sc. beim Übergang vom Vierten in den Dritten Stand durch die Höhe der Entlohnung) endlich einmal Quantität in Qualität umschlägt. – Alleiniges Ziel des Finanzkapitals ist es, sich zu vermehren, und wer als Akteur daran teilnehmen will, muß ein großes Vermögen besitzen. Die Sammelpunkte des Finanzkapitals bilden die Banken, und nur die größten unter ihnen sind in der Lage, das Geschehen so zu beeinflussen, daß es ihren Gewinn steigert, z.B. indem sie Kurse manipulieren oder Einfluß auf eine Regierung besitzen.

Es ist offensichtlich, daß Regierungen, die „systemrelevante“ Banken mit Steuergeldern retten, damit diese ihr Geschäft auch weiterhin betreiben können wie zuvor, sich aus einer politischen Klasse rekrutieren, die die Interessen des Finanzkapitals vertritt. Dessen Anhängerschaft plädiert im allgemeinen für einen „schlanken Staat“, freilich nicht so schlank, daß er sie nicht gegen die mittels Faustrecht vertretenenen Ansprüche ihrer Beschäftigten verteidigen könnte, wenn diese z.B. nicht einsehehen, warum die Führungskräfte einer Aktiengesellschaft hundert und aberhundert mal so viel verdienen wie sie selbst.

Neben den „rechten“ Globalisten gibt es in der politischen Klasse unseres Landes aber auch noch die Vertreter der „Linken“, hier nicht exklusiv verstanden im Sinne der unter diesem Namen auftretenden Partei. Linke fordern hohe Steuern für Reiche, um einen Teil von deren Geld unter den Gesichtspunkten der von ihnen propagierten Ideologie zu verteilen, um also die soziale Gerechtigkeit, wie sie sie verstehen, dadurch voranzutreiben. Ein Unternehmer z.B., der es mit seiner Geschäftstüchtigkeit und viel Leistungsbereitschaft zu größerem Wohlstand gebracht hat, würde davon erfaßt – nicht aber die wirklich Reichen, die im System des Finanzkapitalismus agieren. Diese nämlich verstehen es, ihr Geld so zu transferieren, daß keine deutsche Steuerbehörde es antasten kann, auch nicht durch Schweizer Steuer-CD’s: Dazu werden – häufig in den Überresten des britischen Kolonialimperiums beheimatete – Steueroasen benutzt, in denen man z.B. Firmen erwirbt, an die man für vorgebliche Leistungen bezahlt; sachkundig erklärt dies der Clown im DCU-Radio Folge V (Min. 11 – 15). So ist das Geld erst einmal in Sicherheit gebracht; doch dort lagert es nicht einfach, sondern wird benutzt, um als Finanzkapital sich weiter zu vermehren.

Das Wahlvolk des Landes hat also zwei Möglichkeiten: Entweder es unterstützt die Regierungsparteien, die – grob vereinfachend gesagt – die gegenwärtige Situation beibehalten wollen, oder die Oppositionsparteien, die das Geld der Wohlhabenden so verteilen würden, daß die Gesellschaft nach ihrer Vorstellung „gerechter“ wird; Zuwanderung und Sozialindustrie können damit weiter in vollem Umfang betrieben oder noch ausgebaut werden. Die Akteure des Finanzkapitalismus werden sie dabei zu schonen wissen, und so stören sie das Geschäft der Regierungsparteien mit ihren Forderungen nicht; im Gegenteil, unterstützen sie doch mit ihrer Ideologie zugleich auch den Zustrom lohnsenkender Fachkräfte, die „Deutschland“ konkurrenzfähiger auf dem globalen Markt machen. Reichtum und Umverteilung schließen sich nicht aus; vielmehr ergänzen sie einander im Sinne der Parteien, die die Regierung tragen und die Opposition bilden.

 

1 Kommentar zu „Reichtum und Umverteilung – zwei Seiten einer Medaille“

  • Plikiplok:

    Aus längst vergangener Zeit ein kleiner Trost für all die vielen, die mit ihrem Schicksal hadern:

    Manche Dinge muß man nicht eigentümlich besitzen

    Man genießt solche besser als fremde, denn als eigene: ihr Gutes ist den ersten Tag für den Besitzer, alle folgenden für die Andern.

    Fremde Sachen genießt man doppelt, nämlich ohne die Sorge wegen der Beschädigung, und dann mit dem Reiz der Neuheit.
    Alles schmeckt besser nach dem Entbehren: sogar das fremde Wasser scheint Nektar.

    Der Besitz der Dinge vermindert nicht nur unsern Genuß, sondern er vermehrt auch unsern Verdruß, sowohl beim Ausleihen, als beim Nichtausleihen: man hat nichts davon, als daß man die Sachen für Andre unterhält, wobei man sich mehr Feinde macht, als Erkenntliche.

    zu finden bei:
    Balthasar Gracian: Hand-Orakel und Kunst der Weltklugheit – übertragen von Arthur Schopenhauer
    http://www.handorakel.de/263

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