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Elfenbeinturm

Der Fernsehsender des RBB sendete einen kurzen Beitrag zum „zwischentag“ in Berlin, der so ausfiel, wie man es erwarten konnte: Es habe sich die Neue Rechte versammelt, die den „intellektuellen Nährboden“ bilde, von dem dann die Ideen gepflückt würden, die Schläger und Mörderbanden, Stichwort NSU, zu ihren Taten inspirieren. – Man sieht an diesem Beispiel, daß eine halbe Wahrheit eine glatte Lüge sein kann, weil Wahrheit unteilbar ist: Natürlich will der Rechtsintellektuelle inspirieren, einen geistigen Nährboden schaffen, aber eben nicht für Schläger und Mörderbanden, sondern für politische Aktivisten, letztlich für eine oder mehrere politische Parteien.

Zum „zwischentag“ gehörte ein Streitgespräch zwischen Karlheinz Weißmann und Michael Stürzenberger. Es war hinterher im Netz zu lesen, es hätte ein Parteipolitiker mit einem Intellektuellen diskutiert, wobei dieser in einem Elfenbeinturm lebe und jener vielleicht ein wenig simplifiziere, doch immerhin aktiv sei; auch auf PI, der Hauspostille Stürzenbergers, wurde Entsprendes verbreitet. – Tatsächlich ist der Kern der Botschaft Stürzenbergers, Islam sei gleich Nationalsozialismus [und letzterer das Böse schlechthin], von geradezu ergreifender Schlichtheit, so ungeschichtlich wie die Wahrheit selbst. Da aber die meisten Zeitgenossen mit gesundem Menschenverstand politische Botschaften ohnehin bloß cum grano salis aufnehmen, kann auch eine solche wie die Stürzenbergers, nur hartnäckig genug vorgetragen, eine durchaus positive Wirkung erzielen, indem sie einen ersten Denkanstoß gibt, der aus der stets wiederholten Wahl etablierter Parteien hinausführt.

Was hat es eigentlich mit der Rede vom Elfenbeinturm auf sich? – Im Hohenlied wird die Schönheit der Geliebten gepriesen und dabei u.a. ihr Hals mit einem elfenbeinernen Turm verglichen (Cant. 7, 5 [Vulg. 7, 4]), mit einer Elfenbeinschnitzerei, wie sie im Alten Orient seit frühesten Zeiten geschätzt wurde; durch die Canonisierung wurde das ursprünglich profane Liebeslied in den religiösen Bereich erhoben, wo es das Verhältnis von Gott zu seinem Volk besingt, im Neuen Bund danach auch Maria als Mutter jedes Gläubigen. Dies läßt sich mit der modernen Rede vom Elfenbeinturm zwar nicht in Zusammenhang bringen, doch wurde der Vergleich mit einem elfenbeinernen Turm, lateinisch turris eburnea, unter die Anrufungen der Muttergottes in der Lauretanischen Litanei aufgenommen. Dort steht die turris eburnea zwischen „turris davidica“ und „domus aurea“, Davidsturm und Goldenem Haus; ersterer ist das stärkste Bollwerk in der Stadtmauer Jerusalems, letzterer der prachtvolle römische Kaiserpalast ([ausgerechnet] Neros[!]); demnach ist die turris eburnea hier als ein Gebäude gedacht, das ganz von Elfenbein gemacht ist, ein Gebäude von unvorstellbarem Wert und Schönheit: die Kirche als Symbol Mariens, deren Fürsprache die Gläubigen – nie umsonst – erflehen. Im 19. Jahrhundert faßte der französische Literaturkritiker Charles-Augustin Sainte-Beuve (geb. 1804, gest. 1869) den elfenbeinernen Turm der Lauretanischen Litanei als ein Gebäude auf, in dem wie Maria in glückseliger Anschauung Gottes so im übertragenen Sinne weltentrückte Gelehrte zu Hause sind. Er wendete dieses Bild auf den Romatiker Alfred de Vigny (geb. 1797, gest. 1863) an, der sich bereits mit dreißig Jahren vom aktiven Dienst verabschiedete, was ihm der Reichtum seiner Ehefrau ermöglicht hatte; ihn charakterisierte Sainte-Beuve mit den folgenden Worten: „et Vigny plus secret, comme en sa tour d’ivoire, avant midi rentrait.“, und Vigny, geheimnisvoller [als die zuvoor genannten Dichter], möchte noch vor Mittag zurückkehren in [so etwas] wie seinen Elfenbeinturm.

In einem Elfenbeinturm gleich dem de Vignys samt seiner Geliebten sollen also Rechtsintellektuelle, allen voran Karlheinz Weißmann, ihr irdisches Dasein in weltentrückter Glückseligkeit verbringen! – Nun lese ich aber, daß Karlheinz Weißmann an einer Schule unterrichtet. Man führe sich diese Situation einmal vor Augen: Nach staatlichen Vorgaben ist zu lehren, die den eigenen Auffassungen gewiß in weiten Teilen nicht entsprechen. Dazu die Schüler, die Worte – absichtlich oder nicht – mißverstehen können, so daß sich deren Eltern damit an die Schulleitung wenden, die wahrscheinlich nur auf einen Anlaß wartet, um gegen den Mißliebigen disziplinierend einzuschreiten; hinzu die Kollegen, unter denen auch kaum Gesinnungsgefährten zu finden sein werden. Kein Fehler darf dem Belauerten unterlaufen, den man nutzen könnte, um ihn zu Fall zu bringen. All dies zusammen verursacht eine ständige Anspannung, die nicht einmal in längeren Ferien weicht.  – Ich weiß nicht, inwieweit die eben skizzierte Situation auf Karlheinz Weißmann zutrifft, aber es würde mich eher wundern, wenn er nicht darunter zu leiden hätte. Wie grotesk wirkt dann aber die Rede vom Elfenbeinturm und davon, daß nur der Parteipolitiker aktiv sei!

 

3 Kommentare zu „Elfenbeinturm“

  • Zugegeben, manches von Weißmann erscheint mir abgehoben-artifiziell, wenig zielführend.

    Da er aber (ich bin nur Privatlehrer, aber das schon lange, zudem Vater zweier schulpflichtiger Söhne) an einem deutschen Gymnasium unter dem sicher vorhandenen beschriebenen Druck beharrlich unterrichtet, halte ich den Vorwurf, der Mann säße halt eben so gemütlich in seinem Elfenbeinturme, für absurd, wenn nicht perfid, allemal wenigstens dumm.

    Der Mann muss jeden Tag, wie viele von uns Privatlehrern es zu nennen pflegen, „an die Front“, und das noch unter zweifellos sehr erschwerten Bedingungen.

    Dafür gebührt ihm, ohngeachtet mancher persönlichen Differenz was die Sinnfälligkeit seiner politisch-diskursiven Ausführungen und Vorstellungen anlangt, mein uneingeschränkter Respekt.

    DAS, so bekannt, berüchtigt, verleumdet, immer auf der Liste, zu leisten, dafür bedarf es großer Nehmerqualitäten, einer enormen Selbstbeherrschung, einer praktischen Lebensweisheit, die nicht hinterm Bollerofen eines Elfenbeinturmes dauergewärmt.

    Das muss einer erstmal können.

  • virOblationis:

    @ Magnus Göller
    Ich stimme Ihnen zu: Auch mein tiefster Respekt gilt Karlheinz Weißmann, der sich als so weithin bekannter Exponent des Konservatismus in seiner beruflichen Stellung als Lehrer tagtäglich zu behaupten hat. – Vielleicht bildet aber gerade diese Situation auch eine Ursache dafür, daß er manchmal Positionen vertritt, die nicht ohne weiteres nachvollziehbar erscheinen; vielleicht nötigt ihn seine berufliche Stellung dazu, manche Gedanken von vornherein auszuschließen.

  • @ virOblationis

    Es mag durchaus so liegen, wie Sie es sagen; es ist durchaus wahrscheinlich, mag aber auch auch zusätzlich noch andere Gründe haben.

    Was ich von Weißmann seit zwanzig Jahren immer wieder vernommen (ich bin nicht nur Dauerpatriot, habe nunmal auch noch anderes zu tun), störte mich regelmäßig im Sinne einer kaum vorhandenen wirklichen Griffigkeit; hier verschanzt sich, so mein Eindruck, das wissenschaftlich Angestrichene zu sehr im Ohngefähren.

    Zur patriotischen Ikone jedenfalls, wie teils hingestellt, taugt mir der Mann deshalb, auch wenn ich ihn hier klar vor dem Elfenbeinturmvorwurfe in Schutz genommen habe, wovon nichts zurückzunehmen, keineswegs.

    Alles bleibt zu sehr im Relativen.

    Verkürzt: Lichtmesz mag nicht so „cool“ sein, aber er sagt wenigstens was.

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