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Kurzschluß

von virOblationis

Zwischendurch etwas ganz anderes, einmal nicht „Frankfurter Schule“. – Ein Artikel auf Seit 18 der JF 29 dieses Jahres, ein Auszug aus einem im vergangenen Jahr erschienenen Buch, zeigt beispielhaft, wie zutreffende Beobachtungen angestellt und unzutreffende Schlußfolgerungen daraus gezogen werden können.

Robert Grözinger, der Autor des Buches, aus dem der Artikel entnommen ist,, identifiziert wirtschaftliche Freiheit mit Kapitalismus und umgekehrt ökonomischen Dirigismus – fast – mit Sozialismus. Letzterer ist zwar in seiner sowjetischen Spielart verschwunden, doch habe dennoch der Kapitalismus nicht gesiegt. Vielmehr herrsche inzwischen ein antikapitalistisches System, das der Autor zwar nicht mit dem Sozialismus identifiziert, aber nah damit verwandt wähnt.

Vollkommen zu recht verweist der Autor darauf, daß die meisten der zehn programmatischen Forderungen, die am Ende von Teil II des „Kommunistischen Manifest[s] (1848)“ erhoben werden, inzwischen weitgehend durchgesetzt worden sind. Grözinger faßt sie den Text von Marx und Engels zitierend folgendermaßen zusammen:

1. Expropriation des Grundeigentums und Verwendung der Grundrente zu Staatsausgaben. 2. Starke Progressivsteuer. 3. Abschaffung des Erbrechts. 4. Konfiskation des Eigentums aller Emigranten und Rebellen. 5. Zentralisation des Kredits in den Händen des Staats durch eine Nationalbank mit Staatskapital und ausschließlichem Monopol. 6. Zentralisation des Transportwesens in den Händen des Staats. 7. Vermehrung der Nationalfabriken, Produktionsinstrumente, Urbarmachung und Verbesserung aller Ländereien nach einem gemeinschaftlichen Plan. 8. Gleicher Arbeitszwang für alle, Errichtung industrieller Armeen, besonders für den Ackerbau. 9. Vereinigung des Betriebs von Ackerbau und Industrie, Hinwirken auf die allmähliche Beseitigung des Unterschieds von Stadt und Land. 10. Öffentliche und unentgeltliche Erziehung aller Kinder. Beseitigung der Fabrikarbeit der Kinder in ihrer heutigen Form. Vereinigung der Erziehung mit der materiellen Produktion.“

Grözinger stellt zu recht fest, daß diese „Forderungen…bereits größtenteils umgesetzt wurden.“ Ein erster Fehler in der Schlußfolgerung daraus besteht jedoch darin, daß er auch der Analyse der geschichtlichen Situation durch das „Kommunistische Manifest“ folgt. Marx und Engels sind nämlich der Ansicht, daß sich im Grunde nur noch zwei Klassen innerhalb der Gesellschaft in unüberwindbarer Feindschaft gegenüberstehen; entweder herrschen die Industriekapitalisten, die Bourgeoisie, oder das Proletariat. „Die übrigen Klassen verkommen und gehen unter mit der großen Industrie…“, sie sind nur noch insofern von Belang, als sie sich dem Proletariat oder – wie das Lumpenproletariat – der Bourgeoisie anschließen können. (Wie es im Liede heißt: „Zwischentöne sind nur Krampf – im Klassenkampf!“)

Die Geschichte der letzten einhundertfünfzig Jahre hat aber gezeigt, daß ein solcher Kampf zwischen Licht und Finsternis auf dem politisch-ökonomischen Gebiet nicht stattfindet. Marx hat allzu sehr vereinfacht. Den ersten Stand (Priester, Gelehrte) hielt er für ein Überbauphänomen, den zweiten (Militär) für einen Teil des Staatsapparates, innerhalb des dritten Standes konzentrierte er sich allein auf die Unternehmerschaft und den vierten sah er als deren revolutionäres Gegenstück an; schon in dem Artikel über das „Wesen des Finanzkapitalismus“ habe ich darauf verwiesen, daß Marx zwar gelegentlich anmerkte, der dritte Stand umfasse viel mehr als die Industriekapitalisten, aber er schenkte dem keine weitere Beachtung. – Gerade darin folgt ihm Grözinger, wenn er nur zwischen kapitalistisch und antikapitalistisch, zwischen wirtschaftlicher Freiheit und ökonomischem Dirigismus unterscheidet. Er setzt den Industriekapitalismus mit dem Kapitalismus gleich, konstatiert das Zurücktreten des ersteren und schaut auf den untergegangenen Sozialismus, der einen ebenso antikapitalistischen Nachfolger gefunden haben müsse.

Die Lösung besteht darin, daß die programmatischen Forderungen des Kommunistischen Manifests eben nicht nur die Herrschaft im Sinne einer Diktatur des Proletariats zu befördern vermögen, sie können auch ganz anderen Interessen dienen.

Der zweite Fehler Grözingers geht auf sein Verständnis des Staates zurück; an dieser Stelle verhilft Marx tatsächlich zu vertiefter Einsicht. Der Staat steht nicht für sich allein; er ist ein Instrument derer, die herrschen. So konstatiert Grözinger das Eingreifen des Staates in die Ökonomie, aber er fragt nicht, welchen Interessen der Staat damit dient, weil er den Staat eben nicht als Mittel, sondern als Zweck versteht. Wer beauftragt den Staat mit dem Eingriff in die Wirtschaft? Etwa die Wähler einer parlamentarischen Demokratie? Wurden sie gefragt, ob der „Staat“ Banken retten solle?

Grözinger stellt fest: „Gerade Bankiers leben von der engen, ja engsten Verknüpfung mit dem Staat. … Sie (sc. die Bankiers; besser wäre: die Banken) sind es, die hohe Risiken im Wissen eingehen, daß nicht sie, sondern die Steuerzahler die Verluste tragen werden, da der Staat es sich nicht leisten kann, seine Geldbeschaffungsagenturen scheitern zu lassen.“ Sind es wirklich seine, des Staates Banken, die ihn veranlassen, sie ggf. mit Hilfe von Steuergeldern vor dem Bankrott zu retten?

„Man kann ein System nicht kapitalistisch nennen, wenn sein Geld zentralplanerisch verwaltet wird. Genau das aber machen unsere Zentralbanken, jene staatlich geschützten Monopole der Geldproduktion, und zwar ohne Ausnahme weltweit.“ Staatlich geschützt, das trifft zu; aber – wie man am Beispiel der EZB sieht – dem Staat nicht unterworfen. Der Staat verwendet die Steuergelder des Fußvolkes im Dienste des von den großen Banken beherrschten finanzkapitalistischen Systems. Auf eine arg verkürzte Formel gebracht: Nicht die Banken gehören dem Staat, sondern der Staat gehört den Banken. Darum wird auch die fünfte Forderung des „Kommunitischen Manifests“ so lange nicht umgesetzt werden, wie sich die Banken nicht zu einer einzigen zusammenschließen: „Zentralisation des Kredits in den Händen des Staats durch eine Nationalbank mit Staatskapital und ausschließlichem Monopol.“

 

 

5 Kommentare zu „Kurzschluß“

  • Unke:

    Letztlich ist Marx konstruktivistischer Bockmist, genauso wie der Seich seines Bruders im Geiste, Freud.
    Kommt alles aus derselben Ecke.
    (In dem Moment wo man auf deren „Argumente“ eingeht hat man schon verloren. Ich möchte vielmehr, dass sich solche Figuren (und deren Apologeten) auf MEINEM Feld verteidigen!)
    Diese Ecke verfügt über eine enorme publizistische Power. Will sagen: man nimmt etwas Triviales, intellektualisiere es, mache ein großes Bruhaha und geriert als der (die) große(n) Verkünder. Baue ein Imperium aus Medien, Instituten, Universitäten etc. darum auf. Um eine Matrix (altdeutsch: Potemkinsches Dorf) einzurichten. Und Leute, die halbwegs intellegent sind, mit der Widerlegung dieses Unsinns von produktiver (und gewinnbringender) Tätigkeit abzuhalten.

  • Unke:

    Kaufe ein i (wie in intelligent), ebenso ist mir ein „sich“ (wie in geriert sich als) durchgerutscht…

  • Kint:

    Danke für den Artikel.

    Und auch der Kommentar sagt mir zu.
    Zu Marx allemal. Allein dessen Logik und des seltsamen Menschenbildes wegen.
    (Bei Freud seh ich schon einen richtigen Ansatz, will ich hier aber nicht vertiefen, im übrigen müsste ich Ihnen vllt. auch hier recht geben: Auch dieser Ansatz mag „falsch verbogen“ worden sein).

    Gerade weil der Irrsinn – oder „Bockmist“ – so um sich greift, wird man kaum umhinkommen, seine Fehler aufzudecken.
    Daher Dank der beispielhaften Aufmerksamkeit und Mühe des Artikels / Autors.

    Fällt mir die gute alte „Pardon“ ein:
    Die Römer essen Bananen. Affen essen auch Bananen. Also sind die Römer Affen.
    Oder umgekehrt?)
    Auch die Vielfalt politisch korrekter (=gewünschter) Verrücktheiten ist durchaus logisch zu widerlegen. Leider wird den Menschen eingebleut, was sie korrekterweise zu meinen haben. Das logische Denken wird systematisch ausgetrieben. Wie´s geht, weiß kaum noch jemand. Und aus der Presse schallt heute der Schwachsinn.
    Schade, dass wir es soweit haben kommen lassen.
    Wer Kinder hat, sollte ihnen das beibringen…

    Im übrigen, Unke, meinten Sie in diesem Sinne, dass es aus einer bestimmten Ecke typischerweise unlogisch klingt?
    Nein, war nicht ernst gemeint, um Himmels Willen keine Antwort, bitte. Schon gar keine Erklärung…
    Höchstens den einen oder anderen Witz aus einer „Ecke“, die Sie vllt meinen. Könnt sein, dass ich die wirklich klasse finde – oft so schön absurd.
    🙂

    In diesem Sinne – allseits ein gutes WE.

  • Unke:

    Es ist ja nun nicht etwa so, als finde über all das eine offene Diskussion statt. Nein, die inhaltliche Auseinandersetzung habe sich gefälligst innerhalb des (von der -nennen wir sie:- ‚NWO‘ vorgegebenen) Analyserahmens zu halten – wer dagegen verstößt ist „rechts“, „Nahtzie“ oder, ganz besonders schlümm, Rassist (warum auch immer, aber „Rassist“ scheint ein intellektuelles, pejoratives Passpartout zu sein).
    So werden wir z.B. aus dieser Ecke (aus einer bestimmten Ecke in der gewissen Ecke, sozusagen) auch mit antikommunistischer Rhetorik versorgt. Allerdings: glaube der Leser solcher Traktätchen nur nicht er könne mitreden! Seine Aufgabe -als Nutz- oder auch Klatschvieh- ist es, atemlos dem „Diskurs“ unserer medialen Elite zu lauschen und das Ping-Pong zwischen den verschiedenen Meinungsführern und ihren Speichelleckern als echte Auseinandersetzung anzusehen. Speichellecker bedeutet, dass man sich entweder der Denkweise der Taktgeber untergeordnet hat oder gleich aus deren Ecke kommt, sozusagen dem Intelligenzzuchtprogramm, Kollateralschaden: neurotisches Aufmerksamkeitsdefizit und Großmäuligkeit, entstammt.
    Letztlich geht es ‚ihnen‘ darum, dass wir (also JEDER) uns nicht nur so äußern wie vorgekaut, sondern auch so DENKEN, d.h.: wir internalisieren das, was sich irgendjemand in seinem Kopf so AUSDENKT und nehmen das als bare Münze, d.h. wir glauben, dass diese Welt auch so IST. Dann ist die (übrigens schon weit fortgeschrittene) physische Auslöschung der Identität nur noch eine Formalität.

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