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Gedankensplitter (19. Nov. 2015)

Anschläge in Paris, ein anscheinend vereitelter Anschlag in Hannover. Man wollte in Niedersachsens Hauptstadt zeigen, daß man dem Terror trotzt, mit einer Lichterkette. Eine solche mag geeignet sein, um eine politisch unerwünschte Meinung zu diffamieren und deren Vertreter auszugrenzen, da sie keinen militanten Widerstand leisten. Doch angesichts rücksichtslosen Mordens erscheint die Lichterkette „wenig hilfreich“*. Dem entsprechend wurden die Kerzen gelöscht, und still trat man den Heimweg an.

* Als „wenig hilfreich“ bezeichnete Kanzlerin Merkel Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab (2010)“, das sie nicht gelesen hatte.

Fragt man danach, wem der Terror nützt, so sind es zuerst die Terroristen selbst, die ihre falsche Religion – ohne Rücksicht auf die eigene Person – verbreiten wollen. – Der Ausdruck „religio falsa“ geht auf St. Augustin* zurück.** Die religio erschöpft sich nach Augustins Verständnis nicht in der inneren Haltung, im Glauben; ebenso gehört die kultische Verehrung der Gottheit dazu, ja letztlich alles, was aus der Gotteserkenntnis heraus in die Tat umgesetzt wird. Somit kann ein Aberglaube, superstitio, auch zu Raub [und Mord] sowie Betrug und Unzucht verleiten, wie Atto von Vercelli*** feststellt. – Freilich erschöpft sich der Nutzen des Terrors nicht darin, sondern er spielt auch all denen in die Hände, die eine totalitäre Herrschaft durchsetzen wollen; Bürgerrechte werden außer Kraft gesetzt, zuerst vorübergehend, später dauernd, wenn der Terror anhält.

* geb. 354, gest. 430

** s. z.B. Civ. Dei IV, 29

*** gest. 961; hier: PL 134, 837 – Der von Atto für Raub verwendete Begriff, rapina, schließt das Morden um der Beute willen gewiß nicht aus.

Natürlich kann man auf den Islam verweisen, der stets Gewalttätigkeit hervorbringe. Doch darin erschöpft sich das Problem nicht. Man denke nur an den Piloten, der im März dieses Jahres ohne Rücksicht auf das eigene Leben alle Menschen in dem Flugzeug, das er lenkte, umbrachte; er diente nicht einmal einer Religion oder saecularen Ideologie, sondern befriedigte offenbar nur seinen eigenen Haß auf Menschen. – Es sei in diesem Zusammenhang auch auf die Amokläufer verwiesen, die besonders häufig in den USA auftreten, aber längst nicht nur dort.

Gewiß begünstigt die globale Massengesellschaft solche Phänomene, da die nahezu unbegrenzte Mobilität alle vertrauten Verhältnisse zerstört: Manchem mag es leichter fallen, ihm persönlich nicht bekannte Menschen zu töten. Doch dies trifft nicht auf sämtliche Täter zu; es sei wieder auf die Amokläufer verwiesen, von denen manche gerade ihre Mitschüler o.ä. umbringen. – Selbst wenn es Mohammedaner nur in fernen Ländern gäbe, bestünde offenbar das Problem des Menschenhasses, der sich in Morden austobt; Tötungswerkzeuge dafür finden sich stets, auch wenn der Erwerb von Schußwaffen verboten ist.

Wo etwas weicht, so daß ein Vakuum entsteht, sucht anderes einzudringen, um den Hohlraum zu füllen: So scheint es sich auch im Bereich der Kultur zu verhalten. Wo das Christentum in der Gesellschaft verdunstet, breitet sich Irrtum aus, nicht allein harmlose Spinnerei, sondern auch diabolischer Haß. Besiegt würde er letztlich nur durch die Wiederherstellung der christlichen Gesellschaft, vereint in der Bejahung der religio vera.

 

5 Kommentare zu „Gedankensplitter (19. Nov. 2015)“

  • ingres:

    Also ich wußte mit 13 vor der Kommunikation, dass ich nicht glaube. Die Frage, warum glaube ich mußten wir kurz vor der Kommunikation anonym beantworten.
    Ich schrieb salomonisch: Ich glaube weil ich mir nicht vorstellen kann, dass das was in der Bibel steht, erfunden ist. Ich log also; denn ich hatte nicht den Mut nicht nicht konfirmiert zu werden.
    Später hat sich der Unglaube dann natürlich rational weiter verstärkt, obwohl es dürfte gelten: entweder man glaubt oder glaubt nicht. Es gibt dann keine weitere Spezifikation mehr.
    Nun wurde mir spätestens um die Jahrtausendwende zunehmend klar, dass sich in der Gesellscahft die Werte aufgelöst hatten. ich führte das auf den Verlust des Glaubens zurück.
    Ich fan das nicht gut, dass sich die Werte aufgelöst hatten und war für die Werte. Aber ich meine (ich bin allerdings nicht sicher) ich kam nicht auf die Idee, dass das gravierende Folgen haben könne.
    Ich weiß, dass ich dachte; ich habe ja meine Werte, von denen ich wußte, dass sie mir auch mit der Religion vermittelt worden waren. Es kann mir also nichts anhaben, dass die Anderen keine Werte haben. Sicher dachte ich im Unterbewußtsein, dass Recht und Gesetz vom Werteverlust unabhängig sind und die existierten ja noch, dachte ich wohl.
    Heute weiß ich, dass das nicht ganz so einfach ist, bzw. eben eventuell falsch. Ich hatte noch meine Werte, aber ich war auch durch den normalen Religionsunterricht gegangen, der mir mittlerweile egal war. (ich schrieb damals auch Leserbriefe an die FAZ in denen ich mich darüber beklagt, dass ein Lehrer wegen mangelnder religiöser Einstellung Schwierigkeiten mit der Einstellung bekommen hatte. Aber gleichzeitig wandte ich mich dagegen, dass die Kruzifixe als Zeichen der Kultur (meiner Kultur>) abgehängt werden sollten.
    Und nun nachdem ich erkannt habe was daraus wurde, dass es keine Religion mehr gibt?
    Für mich ändert sich privat nichts. Ich habe immer noch meine Werte. Und sie müssen durch Änderung der Machtverhältnisse wieder in geeigneter Form vermittelt werden.
    Würde das ohne Religion gehen? Die Vermittlung von Werten übe Religion war schließlich ein über Jahrtausende eingeübtest „Verfahren“. Es mag zwar alternativ gehen. aber man kann es nicht theoretisch aufdröseln. So müßte also die Alternative ohne Wissen darüber ob sie funktioniert ausprobiert werden. Geht es schief, bekommt man wahrscheinlich weitgehend neue Menschen ohne Werte. Vielleicht ist das schon passiert.
    Ja und natrülich stößt etwas in dieses Vakuum. Nur eins kann ich deshalb nun nicht, glauben.Das kann ja nicht auf Befehl gehen. Ich denke, dass der Glaube auch für schlichter Gemüter wir Kirchenleute etc. nicht mehr zugänglich ist. Entweder man glaubt oder man gleubt nicht.
    Es gibt also nur zwei Möglichkeiten. Entweder wir wenden das Blatt ohne eigenen Glauben. Ich bin in meinem Einsatz dafür nicht behindert. Oder man zwingt den Glauben wieder mit Gewalt auf. Alles rund um diese Alternative will ich nicht mehr diskutieren, das wird zu lang und führt nicht weiter. Ich kann das Aufzwingen nicht nur für mich nicht wollen. Ich denke wir können nicht mehr zurück. Wir müssen also entweder im Kampf gegen die Abschaffer und den Islam siegen und dann mit einem funktionierenden Rechtsstaat einen Neuanfang machen. Sonst ist es halt vorbei. Aber wer glaubt kann auch versuchen seinen Glauben gewaltfrei zu verbreiten.

  • Christoph Klein:

    „Verdunstung“, „Vakuum“ – das hat nicht nur mit Verflüchtigung von „Glauben“ zu tun, sondern auch und zwar ganz stark mit dem Verlust an Kenntnissen, an Wissen.

    Lesen Sie, Ingres.

    Sie werden z.B. merken, daß es nicht um „Werte“ geht, sondern um viel mehr und ganz anderes. Und es wird Ihnen auffallen, daß es nicht um „Glauben“ im Sinne des „Fürwahrhaltens von Unbewiesenem“ geht (so sehen Sie es wohl). Glauben derart aufzufassen, ist so verkürzt und dürr wie der Bezug auf die berühmten Werte.

    Ich kritisiere Sie nicht. Mir ist völlig klar: Es hat schon seinen Grund, daß Ihre Ausführungen sehr, sehr lang geraten sind.

    Gomez Davila sagt in einem Aphorismus über Nieztzsche (sinngemäß): „Er war ein Saulus, der kurz vor Damaskus tot zusammengebrochen ist.“

    Vielleicht erreichen Sie Damaskus? Ich wünsche es Ihnen! „Glauben aufzwingen“? Nein, man muß sich schon selber auf den Weg machen. Daß dieser eventuell nach Damaskus führt, muß nicht beabsichtigt sein. Offenheit allerdings ist unabdingbar.

    Es geht Ihnen einerseits um sich selbst, andererseits um unsere politisch-kulturelle Situation. Was diese betrifft, da gibt es sicherlich mehr als die zuletzt von Ihnen genannten zwei Möglichkeiten. Das scheint mir zu sehr von Ihrer (momentanen) persönlichen Position her gedacht zu sein (mit der Sie, so scheint’s mir als Leser, aber doch keineswegs so recht zufrieden sind).

  • ingres:

    Lesen? wenn es denn so gemeint war. Nun ich habe hier 6 Bücher parallel liegen. Natürlich wie immer Sachliteratur. Belletristik lese ich nicht. Kann man an einer Hand abzählen was ich da gelesen habe, hat mich aber alles beeindruckt. Und habe von allem was behalten. Man kann auch da aus allem was lernen.
    Aber es mag vielleicht ganz interessant sein was ich gelesen habe, lese únd wozu ich mich nicht entschließen kann es zu kaufen um es zu lesen, obwohl ich es wohl doch tun werde.

    Gelesen habe ich die „Neue Weltordnung“. Nach 4 Jahren war ich reif dafür. Es hatten sich so viele Erkenntnissse aufgebaut, dass ich sie jetzt zusammengefaßt nachlesen wollte.

    Parallel angelesen habe ich „Das mathematische Universum“. Das ist für mich sozusagen meine persönliche Suche nach „meinem Gott“. Und ja, es ist vieles so, wie ich es mir immer vorgestellt habe und ich habe das Gefühl wir sind einer kohärenten Interpretation der „Realität“ sehr nahe. Wir werden damit Dinge erklären können, wie wir es uns heute noch nicht träumen lassen, das prophezeihe ich mal Ob das dann allerdings auch Gläubige befriedigen wird, weiß ich nicht.

    Wozu ich mich (noch) nicht entschließen konnte ist klar: Martin Lichtmesz: Kann nur ein Gptt uns retten. Ich wollte dazu damals kommentieren. Wenn es ihn geben würde (im Sinne von wie wir „geben würde“ nur verwenden können) vielleicht, aber so müssen wir uns halt selber helfen und retten. Habe ich aber unterlassen. Jedoch bevor ich das Buch lesen kann müßte ich es kaufen. Ist nur 5/6 Klicks entfernt. Aber ich kaufe immer nur etwas von dem ich sicher bin, dass es mich weiter bringt. Der Preis ist dann nicht so wichtig.
    Nun weiß ich aus Erfahrung, dass jedes gute Buch einen weiter bringt. Und Martin Lichtmesz ist sicher rein gedanklich, formulierungsmäßig und ästhetisch ein Genuß. Also da sind sicher neue Erkenntnisse für mich drin. Aber zum Glauben wird mich das nicht bringen. Deshalb ist das Buch auch noch nicht bestellt. Aber irgendwann werde ich zu neugierig sein und nicht widerstehen können. Soviel zu einer vielleicht sehr speziellen individuellen Situation gegenüber den Problemen, denen wir uns gegenüber sehen.

  • Christoph Klein:

    @Ingres

    Lektüre von sechs Büchern parallel? Wenn ich schrieb: „Lesen Sie“, so habe ich Ihnen damit gewiß nicht unterstellen wollen, daß Sie kein Bücherleser sind.

    Mit meiner Empfehlung meinte ich natürlich: Bücher zur Sache. Um welche Sache ging’s? Es ging ums Christentum, um seine Verdunstung, um das zurückbleibende Vakuum, um spirituelle Leere. Es ging um die vielbemühten sogenannten „Werte“, zwar christlicher Provenienz, aber davon abgekoppelt und heute oft nur noch dürftige Floskel in Politikermund; weiterhin ging’s um die heute allgemein verbreitete dürftige Vorstellung von dem, was „Glaube“ ist.

    Apropos „Glaube“: Ist das wirklich der Gegensatz zu mathematisch beweisbaren Gewißheiten der Naturwissenschaften, die unser Weltbild prägen? Scheint mir gar nicht so. Manche dieser Gewißheiten verfallen mit geringer Halbwertzeit. Weiterhin, was skeptisch macht: Die Etablierung von naturwissenschaftlichen Theorien geschieht oft unter Hauen und Stechen. Neid und Konkurrenzkampf (auch Verschweigen und Fälschen) gehören zum Betrieb der „exakten“ Wissenschaften – schön dargelegt in Thomas S. Kuhns bekanntem Buch aus den 60er Jahren „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“. Weiterhin: Zu Ihrem zitierten Buchtitel „Mathematisches Universum“ (ich kenne das Buch nicht) fällt mir ein: Die Lichtgeschwindigkeit beispielsweise gilt oder galt seit Einstein als nicht überschreitbar. Das schien auch mir ein Faktum zu sein. Der offenbar nicht unbedeutende Physiker Joao Magueijo hielt 2003 dagegen; Buchtitel: „Schneller als die Lichtgeschwindigkeit. Der Entwurf einer neuen Kosmologie.“ Folge ich ihm, dann ist die Absolutheit der Lichtgeschwindigkeit eben kein Faktum, sie wurde und wird nach Etablierung von Einsteins Theoriegebäude zwar als festes Wissen angesehen, tatsächlich aber nur allgemein „geglaubt“. Weitere Beispiele erspare ich mir hier.

    Zum Bereich des Wissens gehört also viel Glauben. Das gilt auch umgekehrt: Zum Bereich des Glaubens gehört viel Wissen.

    Wenn ich schrieb: „Lesen Sie“, dann hatte ich keine Bücher vor Augen wie das von Ihnen zitierte „Mathematische Universum“, sondern andere (vorderhand gar nicht mal Bücher explizit zum Thema Christentum). Sie, Ingres, sind, wie Sie erkennen lassen, Atheist. Wenn Sie natürlich nur Bücher lesen, die mit Ihren Grundüberzeugungen konform sind und diese festigen und erweitern – deshalb etwa die Ablehnung von Lichtmesz –, dann bleiben Sie natürlich beim status quo. An diesem haben Sie aber doch ein mit Händen greifbares Ungenügen bzw. Mißvergnügen (Sie schreiben bemerkenswerterweise als Atheist in einem christlichen Blog).

    Wir haben es seit dem 17. Jh. weit gebracht: Wir haben die Welt als Maschine umgedeutet, die allein nach dem Kausalitätsprinzip funktioniert (und einen Gott überflüssig macht), haben den Glauben an den Fortschritt installiert, glückspendend bis in alle Ewigkeit, den Glauben an Emanzipation und Selbstbefreiung des Menschen von immer mehr, in letzter Konsequenz Emanzipation von allem und jedem. Ganze Generationen von Philosophen haben das ihre dazu beigetragen, mit Scharfsinn und dem allerbesten Willen. All das blieb nicht in der Gelehrtenstube, es strukturiert unsere derzeitige Welt – mit allen Folgen. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, daß all dies erkauft worden ist durch rigorose Abstriche und außerordentliche Verengungen. Wir haben in der Neuzeit einen höchst gefährlichen Tunnelblick entwickelt. Viele unserer Probleme, die gravierendsten zumal, hängen sichtlich damit zusammen.

    Es gibt kluge Köpfe, die genau hierüber nachdenken und schreiben. Wenn ich schrieb: „Lesen Sie“, dann meinte ich (zunächst) Bücher, in denen der Schutt von Jahrhunderten als solcher sichtbar gemacht und manchmal auch ein Stückweit abgeräumt wird (auch das Buch von Lichtmesz gehört dazu). Vieles Verschüttete, vieles Aufgegebene wird plötzlich wieder sichtbar, oft in überraschend neuem Licht, und damit wieder diskutabel.

    Keine Scheu – gehen Sie auf Entdeckungsreise.

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