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Archiv für Juni 2016

Gedankensplitter (30. Juni 2016)

Ja, die Wahlbürger Großbritanniens haben mehrheitlich für einen Brexit gestimmt, doch ob der jemals Realität wird? Zumindest in Brüssel denkt man es sich anscheinend folgendermaßen: Einige Monate verstreichen, dann beginnen mehrjährige Austrittsverhandlungen – und zu ergänzen wäre: Über das Ergebnis könnte dann ja wieder abgestimmt werden, und sollte es keine Zustimmung geben, wären die vorangegangenen Austrittsverhandlungen zu annullieren. Diesen Beitrag weiterlesen »

Die Entstehung der anti-racistischen Ideologie (12)

Fanons erstes Buch reißt einen unüberbrückbaren Graben zwischen Schwarz und Weiß auf. Daran knüpft sein letztes und bekanntestes Werk, „Die Verdammten dieser Erde (1961)“* an. Kolonialherr und Kolonisierter samt deren Lebenswelten werden als vollkommene Gegensätze dargestellt [und diese racisch verstanden]. Fanon selbst gebraucht dazu das Subjekt Manichäismus und auch das Adjektiv manichäisch, „manichéisme“ und „manichéiste“,** und zwar in primär racischem Sinne, der danach auf die Kultur ausgedehnt wird. Die [weißen] Siedler seien solchem Manichäismus von Beginn an gefolgt, mit dem Aufstand jedoch sei er auch der Gegenseite bewußt geworden: „Le peuple, qui au début de la lutte avait adopté le manichéisme primitif du colon: les Blancs et les Noirs, les Arabes et les Roumis, …“*** Das [nicht-weiße] Volk, das zu Beginn des Kampfes den vom Siedler ursprünglich[ vertreten]en Manichäismus angenommen hat: die Weißen und die Schwarzen, die Araber und die Christen… – Das Christentum ist eine Religion ausschließlich der Weißen, also der Kolonialherren. Der Kontakt zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten besteht einzig in Gewalt (durch Polizei und Militär). Die überbordende Aggressivität und Kriminalität der Kolonisierten ist allein Folge der Kolonialisierung. Denn die Kolonisierung war immer ein gewaltsamer Vorgang, und so ist es die Dekolonialisierung ebenfalls; eigentlich schlußfolgert Fanon, daß die Kolonisierung ein gewaltsamer Vorgang gewesen ist, denn die Dekolonialisierung sei es ja schließlich auch, und sie müsse doch eine gleichförmige Reaktion auf das zuvor Geschehene sein. Statt Politik und damit in der Konsequenz auch den Krieg als Durchsetzung von Interessen zu begreifen, verstrickt sich Fanon in den Schlingen seines eigenen Ressentiments.

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Gedankensplitter (23. Juni 2016)

Die Wahlbürger Großbritanniens erhalten heute die einzigartige Gelegenheit, ihr Land aus der EU herauszulösen. Was für ein Elend die EU bildet, läßt sich m.E. gut veranschaulichen durch die Aufzählung einiger Geschehnisse, die sich während der letzten drei Monate in und rund um die Türkei ereignet haben. Ihren eigenen Ansprüchen gemäß hätte die EU den türkischen Staat als einen Beitrittskandidaten mit den schärfsten Sanktionen überziehen müssen; doch außer einigen mahnenden Worten war nichts zu vernehmen, und die wurden von Präsident Erdogan u.a. als unerwünschte Demokratie-Lektionen des Westens verhöhnt. Diesen Beitrag weiterlesen »

Die Entstehung der anti-racistischen Ideologie (11)

Nachdem der Roman „Uncle Tom‘s Cabin“ 1852 erschienen war, vergingen nur siebzehn Jahre, bis die schwarzen Männer in den USA nach dem Ende des Bürgerkrieges das Wahlrecht erhielten (1869). Angesichts der Realität erwies sich die Zukunftshoffnung der Autorin als Luftschloß, denn die schwarzen Männer dachten im allgemeinen kaum daran, die weiße us-amerikanische Frauenbewegung zu unterstützen, und es entwickelte sich keine schwarze Kultur, die die weiße überflügelnd weiße Frauen von der Vorherrschaft ihrer Ehemänner und Väter befreit hätte. – Es wurden 1869 die New Yorker National Woman Suffrage Association und die Bostoner American Woman Suffrage Association gegründet, die sich 1890 zusammenschlossen. Die us-amerikanische Frauenbewegung verlor den anti-racistischen Aspekt und beschränkte sich notgedrungen auf den anti-sexistischen, indem sie sich vorerst auf die Forderung nach dem Frauenwahlrecht konzentrierte und, unterstützt – ins Besondere von erweckten – kirchlichen Kreisen, für ein Alkoholverbot stritt. Diesen Beitrag weiterlesen »

Notizen zur Utopie (2)

Als Renaissancehumanist schuf Thomas Morus an die klassische Antike anknüpfend eine erste neuzeitliche Utopie, indem er den platonischen Idealstaat zum lebensfernen Wunschbild überhöhte, das er notgedrungen in eine entlegene Weltgegend entrückte, während Platon sein als Modell der am vortrefflichsten geordneten Polis gedanklich irgendwo innerhalb des griechischen Siedlungsraumes angesiedelt hatte.  Dazu sei angemerkt, daß Utopia die latinisierte Wiedergabe des griechisch konstruierten Kunstwortes ou-topos, Nicht[-auf Erden zu findender]-Ort, ist; Thomas Morus hätte angesichts des masculinen „topos“ eigentlich von einem Utopius sprechen müssen, doch da er den Nicht-Ort auf einer Insel, insula, lokalisierte, nannte er diese Utopia. – Wie Platon in seinem letzten Werk, den „Gesetzen“ eine der Lebenswirklichkeit noch nähere Staatsverfassung entwarf, so spricht auch Thomas Morus von den den Utopiern benachbarten Makariern; bei letzteren ist das Privateigentum nicht abgeschafft, doch man begrenzt es, indem das Gesetz es dem König verbietet, daß sein Staatsschatz mehr als eintausend Pfund in Gold oder eine entsprechende Summe in Silber umfaßt, wobei stillschweigend vorausgesetzt sein dürfte, daß jedes Privatvermögen weit niedriger ist. Doch während die „Gesetze“ das umfangreichste Werk Platons bilden, werden die Makarier an nur einer einzigen Stelle der „Utopia“ erwähnt.* Diesen Beitrag weiterlesen »

Notizen zur Utopie (1)

Verschiedentlich thematisiert Manfred Kleine-Hartlage in seinen Veröffentlichungen die Gründung linker Ideologien auf Utopien,  auf Voraussetzungen, die sich rational kaum plausibel machen lassen, sondern die als Grundannahmen gläubig anzunehmen sind, um von ihnen her die Wirklichkeit zu deuten, obwohl sie der alltäglichen Erfahrung widersprechen. – Diese Auffassung linker Ideologie steht im Kontrast zu deren Selbstverständnis, denn ins Besondere der Marxismus-Leninismus, versteht sich als Wissenschaft; doch setzt die Wissenschaftlichkeit eben erst ein, nachdem man die Grundannahmen akzeptiert hat. Ein von Manfred Kleine-Hartlage öfter gebrauchtes Bild veranschaulicht dieses Problem folgendermaßen: Erst wenn ich grundsätzlich akzeptiert habe, daß der Regen – entgegen meiner alltäglichen Erfahrung – nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben fällt, dann kann ich in einem zweiten Schritt daran gehen, dies wissenschaftlich zu begründen. Diesen Beitrag weiterlesen »

Die Entstehung der anti-racistischen Ideologie (10)

Der eigentliche Protagonist des Romans „Uncle Tom‘s Cabin“ ist eben jener im Titel genannte Tom, eine anerkannte Persönlichkeit und daher allgemein respektvoll mit „Onkel“ angeredet, ein schwarzer Sklave in Kentucky, der zusammen mit Frau und Kindern ein Blockhaus, „log building“, nahe dem Wohnhaus der weißen Herrschaft, einer Familie Shelby, bewohnt. Vier Jahre vor dem Beginn des im Roman Erzählten hat sich Tom, dessen Nachname nicht erwähnt wird, während eines „camp-meetings“ zum protestantischen Christentum erwecken lassen, und die von ihm bevorzugten Lieder lassen darauf schließen, daß er ein Methodist geworden ist. Tom gilt inzwischen unter den Sklaven der Shelbys als religiöse Autorität, „a sort of patriarch in religious matters“*. Schon vor seiner Erweckung wird Tom ein tüchtiger und zuverlässiger Arbeiter gewesen sein, aber nun ist er de facto der Verwalter des Shelby‘schen Besitztums, während Toms Herr, Mr. Arthur Shelby, eher unglücklich agiert** und sich durch Fehlspekulationen verschuldet; seine Wechsel hat ein Sklavenhändler aufgekauft, der ihn dazu zwingt, ihm Tom zu überlassen. Damit hebt Toms Passion an: er wird von Kentucky weggeführt und in den Süden verkauft. Diesen Beitrag weiterlesen »