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Grundrechte in Köln

Die nachfolgende Chronologie erschien in der gedruckten Ausgabe der Sezession, Ausgabe 26, Oktober 2008,  „Europa“ und stellt die Ereignisse vor, während und nach dem Kölner Anti-Islamisierungskongress dar.

Vorspiel

Die Bürgerbewegung ProKöln meldet für das Wochenende von 19. bis 21. September einen „Anti-Islamisierungs-Kongress“ und eine Kundgebung auf dem „Heumarkt“ an. Im Verlauf der nächsten Monate sagen Jean-Marie Le Pen [Frankreich], Henry Nitzsche [Sachsen], Andreas Mölzer, Harald Vilimsky, Hans-Christian Strache [alle Österreich], Filip Dewinter [Belgien] ihre Teilnahme zu. Le Pen und Strache ziehen ihre Zusage kurz vor Kongressbeginn zurück

21.05.08: Erstes Kooperationsgespräch mit der Polizei

24.06.08: In einer Ratssitzung bezeichnet der Kölner SPD-Chef Jochen Ott die Kongressteilnehmer als „Nazi-Dreck“. Der Geschäftsführer der FDP-Ratsfraktion, Ulrich Breite, sagt: „Mit diesem Kongress stinkt ProKöln nach braunem Exkrement, und ihre Politiker stinken mit. Pfui Teufel, meine sehr verehrten Damen und Herren!“.

13.08.08: In der Nacht verüben unbekannte einen Anschlag auf die Fraktionsräumlichkeiten von ProKöln. Fensterscheiben werden eingeworfen und Wände mit Farbe beschmiert. +++ Kooperationsgespräch mit der Polizei, die nun den Sammelpunkt Flughafen vorschlägt. Von dort soll es per S-Bahn zum Hauptbahnhof und über den rückwärtigen Ausgang „Breslauer Platz“ durch den gesperrten „Rheinufertunnel“ auf den „Heumarkt“ gehen.

10.09.08: Der Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Jürgen Wilhelm, sagt über die Kongressteilnehmer: „Diese Typen sind die Pest der deutschen und europäischen Politik, und wir werden sie als solche therapieren.“

17.09.08: Die Polizei gibt auf einer Pressekonferenz bekannt, dass sie ein Rechtsgutachten für ein Verbot der Veranstaltung in Auftrag gegeben habe. Ein Verbot sei jedoch „nicht ansatzweise“ begründbar. Polizeipräsident Klaus Steffenhagen bedauert, die Veranstaltung stattfinden lassen zu müssen.

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Freitag, 19 September

Das Rechts- und Versicherungsamt der Stadt Köln benachrichtigt Manfred Rouhs und Markus Wiener von ProKöln im Auftrag von Oberbürgermeister Fritz Schramma [CDU], dass die geplante Pressekonferenz im Rathaus Köln-Rodenkirchen verboten sei. ProKöln hat vorausschauend einen Rheindampfer unter falschem Namen angemietet. Der Anleger befindet sich auf der Rückseite des Bezirksrathauses und soll die Politiker und Journalisten aufnehmen.

10.45 Uhr: Als ProKöln-Vorstandsmitglied Bernd Schöppe die Presse  am Bezirksrathaus über den neuen Ort informieren will, wird er angegriffen und muss von der Polizei geschützt werden.

11.00 Uhr: Als Michael Kucherov, Vorstandsmitglied von ProDeutschland, am Bezirksrathaus ankommt, wird er angegriffen und muss sich zur Polizei flüchten. Diese schützt ihn erst nach mehrmaliger Aufforderung. Unter den Augen der Polizei wird Kucherov nochmals attackiert.

11.00 Uhr: Als die Kongressteilnehmer [Vilimisky, DeWinter, Neubauer, Nitzsche, Beisicht und andere] den Dampfer bestiegen haben und die ersten Journalisten eintreffen, beginnen Autonome, das Schiff mit Steinen, Flaschen und Farbbeuteln zu bewerfen. Da die nur schwach vorhandene Polizei nicht einschreitet, stürmen einzelne Steinewerfer bis auf den Steg, zerstören zwei Fensterscheiben des Schiffs. Der Kapitän legt aus Angst überhastet ab. Der Großteil der Presse bleibt an Land.

11.20 Uhr: Die Polizei übernimmt das Kommando über das Schiff und untersagt die Weiterfahrt. +++ Das Schiff soll in den Niehler Hafen. Da die dortige „Fußgängerbrücke am Molenkopf“ von etwa 50 Demonstranten besetzt ist, entscheidet die Polizei, dass eine Unterquerung zu gefährlich ist. Die Polizei macht keine Anstalten, die Brücke zu räumen. Stundenlanges Warten auf dem Rhein. +++ Der Bezirksbürgermeister von Köln-Ehrenfeld, Josef Wirges [SPD] begrüßt, dass die Kongressteilnehmer auf dem Rhein mit dem angegriffenen Schiff festsitzen und sagt zu Spiegel-TV: „Soll die braune Soße doch im Rhein versinken“.

14.00 Uhr: Die Busfahrer der von ProKöln angemieteten Busse verschwinden. Die Unternehmer haben gekündigt.

14.30 Uhr: Nachdem sich Nitzsche beim Einsatzleiter der Polizei telefonisch beschwert hat, kann das Schiff weiterfahren. Doch nur bis zur „Müllheimer Brücke“. Dort verweigert der Kapitän die Weiterfahrt, weil Demonstranten die Brücke besetzt halten. Journalisten an Bord hatten per Handy die geänderte Fahrtroute an die Demonstranten weitergegeben.

15.30 Uhr: Die Polizei überreicht Beisicht auf dem Schiff eine Verfügung, nach der die geplante Busfahrt zur Baustelle der Ehrenfelder Moschee verboten ist. Die Bustour ist laut Polizei „eine öffentliche Vorführung bestimmter Bevölkerungsgruppen und damit eine nicht hinzunehmende Provokation, wodurch deren Menschenwürde verletzt wird“.

15.45 Uhr: Das Schiff legt am Anleger „Zoobrücke“ an. Dutzende Journalisten blockieren den Landungssteg und stellen Fragen: Warum sind Sie ein Nazi?“, „Warum sind Sie Rechtsextremist?“, „Warum wollen Sie nicht mit Moslems reden?“. Zahlreiche Demonstranten haben sich am Ufer eingefunden und müssen von der Polizei auf Abstand gehalten werden. +++ Auf die Frage, wie man nun von hier fortkomme, lautet die Antwort der Polizei: „Rufen Sie sich doch ein Taxi“. Laut Kölner-Stadt-Anzeiger läuft zu diesem Zeitpunkt über die Displays der Kölner Taxifahrer ein Rundruf, dass der Bereich Zoobrücke/Konrad-Adenauer-Ufer weiträumig zu meiden sei.

16.00 Uhr: Manfred Rouhs treibt ein Großraumtaxi auf. Als er sich dem Ufer nähert, wird das Taxi angegriffen. Rouhs muss sich in einen Streifenwagen flüchten, das Taxi fährt davon. +++ Nitzsche und Vilimsky verweisen auf ihren diplomatischen Status und die sich daraus für die Polizei ergebenden Pflichten. Die Einsatzleiter vor Ort, Polizeioberrat Michael Tiemann und Polizeioberrat Wolfgang Elbracht, erklären ihre Pflicht dadurch für erfüllt, dass die Politiker in Sicherheit seien. Polizeioberrat sagt zu Nitzsche: „Sie wollten doch Aufmerksamkeit. Das haben Sie ja nun“. Gleichzeitig hindert die Polizei die Politiker daran, einfach zur nächsten S-Bahn-Station aufzubrechen. +++ Polizeioberrat Elbracht fragt Beisicht, wie er sich die morgige Veranstaltung vorstelle. Er habe die Situation ja heute schon nicht im Griff.

18.00 Uhr: Die Polizei stellt zwei kleine Zivilbusse zur Verfügung. Für die Hälfte der Politiker stehen Sitzplätze zur Verfügung. Nachdem sich die Presse um die Busse postieren konnte, dürfen sich die Kongressteilnehmer hineinzwängen. Die Busse fahren zum Hotel.

19.15 Uhr: Das Holiday Inn kündigt den Kongressteilnehmern. Laut Kölner-Stadt-Anzeiger wurde das Hotel in der Nacht auf Freitag von der Bundespolizei darüber informiert, dass es Kongressteilnehmer beherberge. +++ Mit Privat-Pkw fahren die Kongressteilnehmer zu einem Ersatzhotel in Leverkusens.

19.30 Uhr: Eine weitere, für den Abend gebuchte Bootsfahrt muss abgesagt werden. Die Reederei hat gekündigt. 50 Kongressteilnehmer, die sich am Anleger eingefunden hatten, gehen in das nahe gelegene Porzer Restaurant „Yachthafen“. Auch wenn dort Tische auf falschen Namen reserviert sind, weiß der Wirt, wen er bedient. Ein Journalist taucht mit Fotografen auf und fragt den Wirt, ob er wisse, dass er Nazis bewirte. Die Fotografen beginnen zu fotografieren. Der Wirt setzt die Kongressteilnehmer vor die Tür.

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Samstag, 20 September

In der Nacht haben Linksextremisten einen Brandanschlag auf eine Zug-Signalanlage in der Nähe der S-Bahnstation Porz-Wahn verübt. Der S-Bahnverkehr zwischen Flughafen und Hauptbahnhof wird dadurch für den ganzen Tag unterbrochen.

06.00 Uhr: Manfred Rouhs ist mit einem Vorauskommando auf dem von der Polizei abgesperrten Heumarkt eingetroffen und baut dort die vom VlaamsBelang mitgebrachte Bühne auf.

08.45 Uhr: Die Anreise zum Sammelpunkt am Flughafen Köln-Bonn läuft an.

09.30 Uhr: Die Gegenveranstaltung wird eröffnet. Oberbürgermeister Schramma ruft der „verfaulten Clique des Eurofaschismus“ zu, dass sie in Köln unerwünscht sei. „Das Braune gehört in die Kloschüssel.“

10.30 Uhr: Demonstranten beginnen den Heumarkt zu blockieren um die Wege abzuriegeln. Ein Durchkommen ist nicht mehr möglich.
 
11.00 Uhr: Rund 300 Kongressteilnehmer haben sich am Flughafen gesammelt und warten darauf, von der Polizei mit der Regionalbahn zum Hauptbahnhof gebracht zu werden.
11.00 Uhr: In der Innenstadt kommt es zu ersten Auseinandersetzungen zwischen Linksextremisten und der Polizei. +++ Die Einsatzführung der Polizei fordert Beisicht telefonisch auf, die Kongressteilnehmer mit der bereitstehenden Regionalbahn nach Köln-Deutz fahren zu lassen. Von dort werde man sie zum Heumarkt bringen. Als die Konferenzteilnehmer den Zug besteigen wollen, rät der Einsatzleiter vor Ort ab. Der vorausgegangene Zug nach Deutz stecke nur einen Kilometer weiter fest.

11.15 Uhr: In Köln-Deutz kommt es zu heftigen Schlachten zwischen Autonomen und Polizei. Die Autonomen erwarten die ProKöln-Leute in der Regionalbahn und haben Pflastersteine aufgenommen. Einzelne versuchen, der Polizei Waffen zu entreißen. Die Polizei setzt Schlagstöcke und Reiterstaffel ein. Mehrere Polizisten werden verletzt.

12.00 Uhr: Beisicht fragt bei der Einsatzleitung der Polizei nach, wie es weitergehen soll. Die Polizei rät ihm davon ab, in die Innenstadt zu kommen. Als Beisicht auf seinem Demonstrationsrecht besteht, erhält er zur Antwort: „Sie müssen wissen, ob Sie es verantworten können, dass Leben ihrer Leute zu gefährden.“

12.10 Uhr: Die Polizei verbietet die Veranstaltung, „denn die Sicherheit der Kölnerinnen und Kölner hat oberste Priorität.“

12.15 Uhr: Lenz Jacobsen, der für Spiegel-Online berichtet, fragt Beisicht grinsend am Flughafen, ob er schon von dem Verbot seiner Veranstaltung wisse. Beisicht verneint und sagt: „Ich gehe davon aus, dass man mir das mitgeteilt hätte.“ Nitzsche ruft Thomas Worringer vom ständigen Stab der Polizei Köln an und erkundigt sich nach einem Verbot der Veranstaltung. Dort versichert man, es gebe kein Verbot. Die Veranstaltung könne stattfinden. Ein WDR-Redakteur weist Nitzsche auf die gegenteilig lautende Pressemitteilung der Polizei hin.

12.25 Uhr: Manfred Rouhs ruft Beisicht an und teilt ihm mit, dass ihn die Polizei auf dem Heumarkt über das Verbot der Veranstaltung informiert habe.

12.40 Uhr: Improvisierte PK auf dem Flughafen von Beisicht, Mölzer, Nitzsche, Dewinter. Nach der Beendigung der PK erteilt der Flughafen laut Kölner-Stadt-Anzeiger den Kongressteilnehmern Hausverbot.

18.00 Uhr: Bürgermeister Schramma spricht von einem Sieg der Demokratie in Köln.

 

 

Nachspiel

22 September: Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse [SPD] würdigt die Proteste vom Wochenende. Er findet die Vorgänge von Köln sympathisch, weil dadurch sichtbar geworden sei, dass die Demokratie nicht nur von Politik, Polizei und Justiz sondern auch von den Bürgern selbst verteidigt werden müsse, sagte der dem Deutschlandfunk. Auf die Frage, ob er genau so begeistert gewesen wäre, wenn die Befürworter einer multikulturellen Gesellschaft von einer Mehrheit der Bürger am Demonstrieren gehindert worden wäre, was juristisch gesehen doch das Gleiche sei, antwortete Bundesvizepräsident Wolfgang Thierse, man könne in Politik und Demokratie eben nicht formaljuristisch argumentieren. „Es geht schon darum, welches Anliegen welche Gruppierung vertritt“. +++ Der Bonner Staatsrechtler Josef Isensee sieht das anders: Die Polizei habe vor den linksradikalen Gewalttätern kapituliert, es handele sich also um einen Akt der Schwäche der Staatsgewalt, und dies sei seine „Blamage des Rechtstaates“.

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