Inhaltsverzeichnis

Gewaltbereit

Mehr als 1000 Mal registrierte der Verfassungsschutz im Jahr 2008 Gewalttaten, die von Rechtsextremisten verübt wurden. Das ist ein rasanter Anstieg im Vergleich zum Vorjahr. Vor allem sogenannte autonome Nationalisten hätten ein „hohes Gewaltpotenzial“, sagt Innenminister Wolfgang Schäuble.  [Meldung aus WeltOnline, heute]

Anläßlich dieser Meldung über die AN stelle ich  eine Abhandlung der Gegenseite ein: Johannes Nagel publiziert u.a. bei der radikal rechten [Eigenattribution] Zeitschrift Hier&Jetzt und dieser Artikel erschien in Ausgabe 12/Winter 2008 der Sachsenpublizistik. Vorweg: Sind die autonomen Nationalisten tatsächlich gewaltbereit? Definitiv ja – genauso gewaltbereit wie ihr linkes Pendant.

„Die schwarze Herausforderung“

Tarnkappen-Nazis, so nennt Phillip Wittrock jene jungen Männer, die mit Sonnenbrille, schwarzer Outdoorjacke und Vermummung seit einigen Jahren ein neuartiges Phänomen innerhalb der an Kuriositäten nicht armen rechten Szene begründen  (SPIEGEL-Online, 15.Mai 2008). Autonome Nationalisten (AN) nennen sich die Schwarzberockten selbst, und tatsächlich, auf den ersten Blick erinnert vieles an das linksradikale Pendant.

Ihr gemeinschaftliches Auftreten sorgte zuletzt auf einer Demonstration in Hamburg/Barmbeck zum 1. Mai für weitgehende Beachtung. Im Verlauf jenes Tages herrschte in jenem Stadtteil der Ausnahmezustand, linke Autonome hatten mit ihrer Mobilisierung Erfolg und nutzten das Potential zum üblichen Krawall. Neu jedoch war, daß sich die Polizei nun auch mit einer zahlenmäßig nicht unbedeutenden Teilnehmerzahl der rechten Veranstaltung konfrontiert sah, die entschlossen schien, ihr Anliegen, hier die Durchführung der Demonstration, gegen Antifa, Polizei und Behörde notfalls auch gewalttätig durchzusetzen. Dazu bildeten sie einen sogenannten Schwarzen Block.

Das Konzept ist eine Kopie, was die Autonomen Nationalisten aus Mittelhessen auf ihrer Netzseite (ab-mittelhessen.de) veranlaßt, ein Bekenntnis zum Plagiat abzugeben. Nach einem Exkurs zur Geschichte des Schwarzen Blocks wird dort versucht, seine Notwendigkeit herauszustellen. Ziel und Vorbild sei es nicht, „linke Methoden zu übernehmen oder zu kopieren sondern entschlossenen Widerstand durch Auftreten zu vermitteln und umzusetzen. Sollten Verhandlungen von gemäßigten Nationalen Kräften scheitern, werden die Teilnehmer des Nationalen schwarzen Blockes ihr Wunsch nach Durchsetzung der Ziele vortragen und energisch durchfechten, falls dieses nötig werden sollte“.

Stellt man in Rechnung, daß in der Vergangenheit tatsächlich ein unerträglicher Zustand bei der Durchführung von Veranstaltungen und Demonstrationen zur Regel geworden ist, wird die Bereitschaft, eigene Aktionen konkret auch mit Gewalt durchzusetzen, verständlich. Konzerte und politische Versammlungen können quasi nur noch unter absurden Bedingungen durchgeführt werden. Auf nationalistischen Demonstrationen gängeln Polizei und Ordnungsamt durch Auflagen, Kontrollen und ähnliches unter dem Beifall der Medien die Teilnehmer in einem Maße, das längst nicht mehr hinnehmbar scheint. Insofern war die Entscheidung, das nicht länger zu dulden, durchaus verständlich.

Aber auch ideologisch gibt es erstaunliche Anleihen beim Original. So schreiben die Mittelhessen: „Jeder Mensch sucht nach ihr: Die Unabhängigkeit! Der Mensch will ohne Zwänge oder Pflichten leben. Leichter gesagt als getan. Er muß sich an Gesetze halten, Pflichten erfüllen usw. doch dies bedeutet nicht, daß er nicht Unabhängig ist. Er sucht Mittel diese Zwänge zu umgehen und scheitert sehr früh an seiner eigenen Überzeugung. Er wurde erzogen nach einem Schema, nach einem Gefühl. Er kann und darf bei diesem Schema nicht ‚aus der Reihe tanzen‘ sonst lernt er schnell die Fessel dieses Systems. Bedenkt: Wer sich nicht rührt spürt auch seine Fesseln nicht!“ (Fehler im Original) Beiträge von ANs in einschlägigen Foren gehen ebenfalls in diese Richtung, untermauert mit typisch linksradikaler Wortsymbolik wie „enough is enough“ oder „Für den Sozialismus“.

Auffällig hierbei ist insbesondere, daß eine theoretische Basis weitgehend fehlt. Einerseits bekennen sie sich zur Nation und agieren in diesem Kontext (Bezugnahme auf spezifische Termine wie 8. Mai oder 13. Februar, Ausländerproblematik, etc.), lösen sich aber andererseits von jedweder autoritären Struktur, fordern ein Recht auf selbstbestimmtes Leben (autonom) und formulieren mitunter sogar linke Programmatik (Gleichheit, soziale Gerechtigkeit, etc.). Kritisiert wird die Rechte von den AN`s für ihren reaktionären Habitus, wobei in der Regel kaum zwischen Konservativen, Hitleristen, Nationalliberalen oder Parteikadern der NPD unterschieden wird.

Ein politischer Ansatz fehlt jedoch augenfällig oder wird bestenfalls nur verkürzt wiedergegeben, worüber auch vorgebliche Prädikate wie „nationalrevolutionär“ und „sozialistisch“ nicht hinwegtäuschen. Vielmehr beschränken sich die Ausdrucksformen auf einen aktionistischen Kern, wie Demos, Graffitis und Plakatieraktionen. Dabei allerdings wird inhaltlich auf Thesen der Globalisierungskritik, des Antiimperialismus sowie zu sozialen Forderungen bezug genommen, diese werden aber eben nicht – oder nur unzureichend – theoretisch reflektiert.

Wie sich die Gruppe um die ANs entwickeln werden, ist nicht absehbar. Die Einschätzung des aktuellen VS-Berichtes, daß sich damit eine gefährliche Spielart des Rechtsextremismus entwickle, ist so nicht nachvollziehbar, wenngleich klar ist, welche Rolle AN`s dort künftig spielen werden. Auch ist nicht absehbar, daß sich ähnliche Strukturen herausbilden können wie bei den Linksautonomen, weil ihnen hierfür praktisch die Grundlagen wie Rückzugsräume in den Ballungszentren und der dort seit Jahrzehnten etablierte linksradikale Lifestyle fehlen. Sehr wahrscheinlich werden sich die politischen Kräfte, die im öffentlichen Raum präsent sind, überlegen müssen, zu welchen Zugeständnissen sie gegenüber den nationalen Autonomen bereit sind.

Aber möglicherweise bieten solche Ereignisse wie die Demo in Hamburg und die Herausforderung der Autonomen Nationalisten eine günstige Gelegenheit, das eigene Verhältnis zu politischer Verantwortung, inhaltlicher Programmatik und Außenwirkung gründlich einer Revision zu unterziehen. Zu erörtern ist auch die Frage, ob Demonstrationen heute noch ihren Sinn, nämlich das Bewerben und Kommunizieren von Inhalten, erfüllen können oder ob nicht dezentrale, vor allem regionale Aktionen wesentlich effektiver sind, die sich zudem der Manipulation von außen weitgehend entziehen.

Die Adaption linksradikaler Methoden, die Organisation des Mobs und die Interaktion auf diesem Niveau scheinen jedenfalls ungeeignete Mittel dafür zu sein, wenngleich sich das Konzept direkter Aktionen ungleich erfolgversprechender erweist als Hinterzimmerveranstaltungen und ewiggleiche Aufmärsche zum Stellvertretergedenken. 

Die radikale Rechte als Ganzes trägt den Anspruch, eine Alternative zum bestehenden System zu sein. Sie verkörpert das Bekenntnis zum Staat als ideale Organisationsform der Nation. Sie wird sich sehr bemühen müssen, dem präzise gerecht zu werden.

…..
Johannes Nagel in Sachsenpublizistik

13 Kommentare zu „Gewaltbereit“

  • AvK:

    Bei 82,6 Prozent aller politisch rechts motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund handelte es sich den Angaben zufolge um sogenannte Propagandadelikte (14.262 Taten gegenüber 11.935 Taten im Jahr 2007). Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm verwies mit Blick auf den Anstieg der Propagandadelikte darauf, daß die Behörden im vergangenen Jahr ihre Zählweise umgestellt haben, was zu dem Anstieg beigetragen habe.

    Junge Freiheit

    Bei Welt ist ein  großer Teil der Foristen statistikskeptisch, die neue Zählweise und ihre Auswirkungen scheinen sich ebenfalls herumzusprechen.

  • Wahr-Sager:

    Solange mit zweierlei Maß gemessen wird und Rechte als Extremisten und (Neo-)Nazis verunglimpft werden, solange sollte man jenen Heuchlern kein Wort glauben.

  • gast:

    Solange mit zweierlei Maß gemessen wird und Rechte als Extremisten und (Neo-)Nazis verunglimpft werden, solange sollte man jenen Heuchlern kein Wort glauben
    ——————–
    „Kampf gegen Rechts“: Familienministerium stellt zusätzlich fünf Millionen Euro zur Verfügung / Mehrfach wurden auch linksextremistische Organisationen gefördert (Geldsegen für die Falschen)

    Auf die Tatsache hingewiesen, daß DKP, MLPD und VVN-BdA allesamt im aktuellen Verfassungsschutzbericht von Baden-Württemberg unter der Rubrik Linksextremismus geführt werden, gab sich Kienle betont gelassen. Solange man dort selbst nicht auftauche, sei doch alles in Ordnung. („Kampf gegen Rechts“: CDU paktiert mit Linksextremisten)

    In ihrem Kampf gegen den Rechtsextremismus in Hamburg hat sich die Gewerkschaft Ver.di jetzt einen Partner ausgesucht und mit ihm eine Broschüre herausgegeben, der selbst vom Verfassungsschutz beobachtet wird: die Organisation Avanti

    Jetzt sagt Ver.di-Chef und SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Wolfgang Rose, er habe nicht gewusst, dass „Avanti“ vom Verfassungsschutz beobachtet werde.

    Er rechtfertigt aber die Zusammenarbeit: „Dort ist das profunde Wissen über die Strukturen der NPD und der rechten Szene vorhanden. Ich kenne keine andere Organisation, die in diesem Bereich gründlicher recherchiert hätte.“ (Ver.di kooperiert mit Linksextremen)
    ———————–
    Vor allem die letzte Meldung zeigt, wie in der Bunten Republik Deutschland die Uhren gehen: Linksextremisten als Kronzeugen. 

  • virOblationis:

    „Jeder Mensch sucht nach ihr: Die Unabhängigkeit! Der Mensch will ohne Zwänge oder Pflichten leben. …Er wurde erzogen nach einem Schema, nach einem Gefühl. Er kann und darf bei diesem Schema nicht ‚aus der Reihe tanzen‘ sonst lernt er schnell die Fessel dieses Systems. …“

    … [sie] fordern ein Recht auf selbstbestimmtes Leben (autonom) und formulieren mitunter sogar linke Programmatik (Gleichheit, soziale Gerechtigkeit, etc.)…

    Wer in diesem Sinne autonom sein will, wird kaum über barbarisches Niveau hinausgelangen, denn Voraussetzung dafür wäre der Sieg über sich selbst, die Selbstbeherrschung, als tiefster Gegensatz zur Anarchie. Was wahrhaft rechts ist, muß doch, so denke ich, vom Streben nach Ordnung, nach Recht erfüllt sein.

  • karl-friedrich:

    Ich finde diesen Kommentar von einem User bei Welt-Online bemerkenswert:

    „19.05.2009,
    14:20 Uhr Rulp sagt:
    Ich habe über 30 Jahre als Polizist gearbeitet. Wissen Sie von der Welt überhaupt wann eine Straftat als “rechtsextremistisch” eingestuft wird? Wenn zB der Beschuldigte eines Diebstahls einen Deutschlandaufnäher getragen hat, wird er bereits in die Kartei der Rechtsextremen aufgenommen, ebenso seine Straftat! Was für eine Recherche!!!
    Und nachdem dieser Kommentar keinen Straftatbestand erfüllt, haben Sie nicht das Recht ihn zu löschen!“

    Ich denke, daran kann man erkennen, was dieses Statistiken in Wirklichkeit aussagen.

  • @ AvK

    Ich habe mir den Artikel und die dazugehörige Grafik auf Welt sorgfältig durchgelesen und angeschaut. Beides zeigt gut, wie man mit reißerischen Überschriften ein vollkommen anderes Bild erzeugt- und das funktioniert, weil die Leser häufig nicht mehr, als eben diese Überschriften lesen.

    Gesunken sind nämlich – und das zeigt die Grafik deutlich – sowohl „fremdenfeindliche Gewalttaten“ [414 in 2007/395 in 2008] als auch „Antisemitischen Gewalttaten“ [59 in 2007/44 in 2008].

    Was hingegen gestiegen ist, sind die „Gewalttaten gegen Links“: von 294 in 2007 auf 358 in 2008 = + 64

    Und das ist auch fast exakt die Zahl,  um die Statistik sich erhöht hat: Von 980 in 2007 auf 1.042 in 2008 = + 62

    Auf den Punkt: Die höhere Anzahl der Gewaltaten resultiert ausschließlich darauf, dass Rechte vermehrt Linke angreifen.

  • Wahr-Sager:

    @karl-friedrich:
    So krass das auch klingt, aber wundern tut es mich überhaupt gar nicht.

  • virOblationis:

    @ Judith
    Diese Reaktion von rechts finde ich auch naheliegend. Was mich nur wundert, ist die inhaltliche Übereinstimmung mit den Vertretern der Linken. Obwohl es heißt, „Ziel und Vorbild sei es nicht, ‚linke Methoden zu übernehmen oder zu kopieren…'“, scheint genau dies der Fall zu sein, wenn man – wie weiter oben von mir beschrieben –  „autonom“ leben will.

  • @vir Oblationis

    Wie Nagel richtig anmerkt, haben die AN kein geschlossenes Weltbild, sie gründeten sich aus der Frustration, dass ihre Aktivitäten [Jugendcamps, Demos, Treffen etc.] von Linksradikalen – unter Beifall der linksverseuchten Medien – mit brachialer Gewalt verhindert bzw. zerstört wurden.

    Mithin bildeten sich die AN als Reaktion auf diesen linken Totalitarismus. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sie die gleichen Methoden und Parolen benutzen – inwieweit sie in rechte Strukturen eingebunden werden können, wird die Zeit weisen.

  • virOblationis:

    An mir zog einmal eine schwarze Abteilung vorüber, offenbar auf dem Weg zu einem Treffpunkt. Sie bewegte sich still und rasch voran und erweckte dadurch einen günstigen Eindruck. – Daher wäre es schon ein großer Widerspruch, wenn man sich zugleich geistig in „anarchischer“ Verfassung befinden sollte.

  • Sir Toby:

    # vir Oblationis

    „An mir zog einmal eine schwarze Abteilung vorüber, offenbar auf dem Weg zu einem Treffpunkt.“

    Beim Lesen des Teils  ‚auf dem Weg zu einem Treffpunkt‘  waren meine Gedanken wieder schneller und erst als ich es schon gedacht hatte, merkt ich, dass ich gedanklich ‚… auf dem Weg zur Arbeit‘ gelesen hatte. Schon das zweitemal nach dem Mannichl-Artikel, bei dem ich statt ‚Innenministerium‘ gedanklich vorauseilend ‚Irrenhaus‘ gelesen hatte. Ich befürchte, ich passe mich der Zeit an, in der ich lebe: Ich werde verrückt!

  • virOblationis:

    @ Sir Toby

    Ach, so lange man es noch schafft, sich zu korrigieren, ist doch alles halb so schlimm.

    Übrigens verlese ich mich auch öfter, da die bei mir seiner Zeit angewandte Ganzwortmethode noch immer nachwirkt. Und dabei kann durchaus auch so etwas vorkommen, das man „Freud’sche Versehen“ nennen mag (wie bei besagtem „Irrenhaus“).

  • Wahr-Sager:

    Aktuell: Luckenwalde: Mit dem Besen gegen den „braunen Müll“
    Was für Helden! Diese „feinen Demokraten“ fühlen sich bestimmt gaaanz toll, ein „Zeichen gegen rechts“ gesetzt zu haben.

Kommentieren