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"Ein epochales Urteil"

Der Staatsrechtler Prof. Murswiek [Bild li.], der als Prozessvertreter des CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler die spektakuläre Lissabon-Entscheidung erfochten hat, erklärt im Interview  mit der Jungen Freiheit, warum das Urteil so bedeutend ist.

Zum einen habe das Urteil Leitfunktion, zum anderen habe es klargemacht, dass es sowas wie ein „europäisches Volk“ nicht gibt. Murswiek erläutert die Formulierung  der umgetauften EU-Verfassung,  nach der das  Europäische Parlament „die Bürgerinnen und Bürger der EU“ repräsentiere. Und was es impliziert hätte, wäre unseren Polit-Eliten nicht via Karlsruhe auf die Finger geklopft worden. Murswiek:

Die neue Formulierung hätte also klammheimlich die Legitimitätssubjekte ausgetauscht und die europäische Demokratie auf ein europäisches „Unionsvolk“ gestützt. Das wäre ein fundamentaler Paradigmenwechsel gewesen – zu Lasten der nationalen Selbstbestimmung der europäischen Völker. Das Gericht sagt, daß dieser Austausch des Subjekts verfassungswidrig wäre; es müsse dabei bleiben, daß allein die Völker der Mitgliedstaaten die demokratischen Subjekte sind.

Gefragt, ob damit der „Superstaat, Vereinigte Staaten von Europa“ vom Tisch sei, antwortet Murswiek eindeutig mit „Ja“.  Mit diesem Urteil sei klar, dass unser GG einen europäischen Bundesstaat nicht zulässt.

Also Vorsicht, wenn unsere Polit-Eliten nun angedackelt kommen und auf einmal – 20 Jahre nach dem Mauerfall – eine gesamtdeutsche Verfassung vorschlagen. Glaubt mir, das wäre nicht zu unserem Vorteil. 

[1] Das ganze Interview in der JF: „Das ist ein epochales Urteil„.

6 Kommentare zu „"Ein epochales Urteil"“

  • gast:

    Erst einmal einen großen Dank an Murswiek und Gauweiler. Bleibt die Frage, die ich in unterschiedlichen Foren schon häufiger gestellt habe. Wieso werden die Politiker, die dieses Phamplet durchzwingen wollten, nicht spätestens jetzt vom Verfassungsschutz beobachtet.

    Das war nichts weniger als ein versuchter kalter Staatsstreich gegen das Grundgesetz.  Selbst wenn einige Abgeordnete das nicht gerafft haben, weil sie das Schriftstück gar nicht durchgelesen, oder es nicht verstanden haben, Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.

    Wo bleibt der Verfassungsschutz.

  • Judith:

    @ gast

    Der Inlandsgeheimdienst, namentlich veredelt als Verfassungsschutz, ist keine neutrale, parteipolitisch unabhängige Institution, sondern untersteht den jeweils amtierenden Innenministern.

    Alle Innenminister werden von den etablierten Parteien gestellt. Der Inlandsgeheimdienst wird nicht gegen die eigenen Dienstherren aktiv werden – das wäre das Ende unzähliger VS-Karrieren. Man möge sich darüber keinen Illusionen hingeben.

    Gott sei Dank gibt es noch Abgeordnete wie Gauweiler, Staatsrechtler wie Murswiek und Schachtschneider und die Institution Bundesverfassungsgericht.

    Ich muss los, die Arbeit ruft.

  • Wahnfried:

    Hachja… Wenn wir jetzt eine neue Verfassung bekämen, wäre wohl vom Tierschutz, über die Homosexuellen, den Naturschutz und Freiheit für Tibet wirklich alles drin.

  • Nick Naylor:

    In dem Interview hat Herr Prof. Murswiek einige wichtige Aussagen getroffen, die allseits kaum beachtet werden:
    Das Bundesverfassungsgericht hätte das Zustimmungsgesetz zum Lissabon-Vertrag, und damit der Ratifizierung durch die Ausfertigung des Bundespräsidenten und die Hinterlegung des Vertrages in Rom, nur unter Auflagen als verfassungsmäßig zulassen dürfen.
    Die Hinteregung des Vertragstextes in Rom hätte durch eine völkerrechtlich verbindliche Erklärung („declaration“) begleitet werden müssen, in der der Souveränitätsvorbehlt des Deutschen Volkes und damit der Bundesrepublik Deutschland ausgesprochen würde. Nur so hätte man die völkerrechtliche Verbindlichkeit der in Fage stehenden Artikel im Lissabonvertrag für Deutschland verhindern können.
    Einmal in Kraft gesetzt, wird der Vertrag dennoch seine volle Wirkung auf das innerstaatliche Recht auch in deutschland entfalten. Dies alleine durch die von Murswiek selbst aufgestellte, und vom BVerfG bestätigte, Theorie der „Europarechtsfreundlichkeit“ des Grundgesetzes. Über dieses Rechtsinstitut erhalten alle Rechtsakte der EU/EG direkte Wirkung in der Bundesrepublik. Eine Überprüfung sogenannter „überschießender Rechtsakte“ war nach ständiger rechtsprechung des BVerfG schon immer möglich und ist nie zur Anwendung gelangt. Ein entsprechendes Verfahren ist weder im grundgesetz noch im BVerfG-Gesetz zu finden und wird auch nicht eingeführt werden.
    Damit ist das Urteil durch die Inkonsequenz des erkennenden Senats selbst obsolet geworden, nachdem der Lissabonvertrag in Kraft getreten ist.
    Die im Urteil geäußerten Rechtsansichten(!) werden von Kritikern des Staatswerdungsprozesses der EU gelobt. Hingegen wird der Tenor, also die Feststellung, der Lissabonvertrag sei UNEINGESCHRÄNKT verfassungsgemäß, von den Befürwortern einer immer weitergehenden Verfassungsvertiefung (Integration) der EU.
    Kurz: die vom BVerfG geäußerten Rechtsansichten schlagen sich nicht im eigentlichen Urteil nieder.

    Herr Murswiek wirft allen beiteiligten „Fahrlässigkeit“ im Umgang mit dem Grundgesetz vor. Indirekt unterstellt er dies auch dem BVerfG in seinem Urteil, weil es „versäumt“ wurde dem Gesetzgeber und dem Bundespräsidenten aufzuerlegen, einen völkerrechtlich verbindlichen Souveränitätsvorbehalt zu erklären.

    Murswieks Annahme, es handele sich nur um „Fahrlässigkeit“ ist nicht glaubwürdig. Auch nicht in Bezug auf den 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts. Hier sitzen angeblich die Spitzenjuristen Deutschlands.

    Es handelt sich nicht um Fahrlässigkeit, sondern um direkten Vorsatz.
    Es handelt sich um einen Putschversuch, dessen Auswirkungen dem „Ermächtigungsgesetz“ von 1933 entsprochen hätten.
    Um ein solches „Ermächtigungsgesetz“ für die Zukunft verhindern zu können, haben die Gewerkschaften den Zusatz zum Artikel 20 GG durchgesetzt. Danach steht im vierten Absatz, daß das das Recht zum Widerstande gegeben sei, wenn jemand versuche, die verfassungsrechtliche Ordnung zu beseitigen.
    Ob es dem BVerfG gelungen ist, diese Bestrebungen durch seine Souveränitätsfreundliche Argumentation (aber souveränitätsfeindlichen Urteilstenor) einzubremsen, bleibt abzuwarten. Ansonsten erwächst uns das Recht zum Widerstand.

    Unter diesen Bedingungen sollte man mal die behauptete (und vom BVerfG nicht festgestellten) Verfassungsfeindlichkeit der NPD  in Bezug zur tatsächlichen und offensichtlichen Verfassungs- und Staatsfeindlichkeit der sechs im Bundestag vertretenen Parteien stellen.

    Es bleibt, Wachsamkeit zu zeigen und sich geistig auf  alles, was da noch kommen möge, einzustellen. Widerstand nach Art. 20 Abs. 4 GG zu leisten, zeigt erst, wie treu jemand zu dieser staatlichen Grundordnung steht.
    Widerstand, resistance, resistenza. Hier kann man erkennen, wer tatsächlich zum Wiederstand gegen die Diktatur charakterlich geeignet ist. Wohl kaum einer, der von sich annimmt, er wäre 1933 Widerständler geworden.

  • virOblationis:

    Wenn es der Politik nicht etwa gelingen sollte, die Bestimmungen des Urteils zu umgehen, dann wird die EU eine Gestalt gewinnen, die dem Reich zwischen 1648 und 1806 ähnlich sein dürfte,
    negativ ausgedrückt: ein handlungsunfähiges Gebilde, ein Flickenteppich von einzelnen Territorien ganz unterschiedlicher Größe und Machtfülle,
    positiv ausgedrückt: ein gemeinsamer Raum, der auch den Kleinsten ihre Existenz sichert und damit Vielfalt ermöglicht, die sonst kaum zu erreichen wäre.
     

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