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Aktion Ungeziefer

lautete das Codewort der SED-Diktatur für die Zwangsaussiedlung und Deportation entlang der innerdeutschen Grenze. Ca. 30 Ortschaften und über 200 Einzelgebäude wurden auf diese Weise geschleift, heißt: dem Erdboden gleichgemacht, um eine fünf Kilometer breite Sperrzone zu errichten. Wortwahl und  Aktion zeigen, wie Recht Kurt Schuhmacher mit seiner lapidaren Feststellung hatte, Kommunisten seien rot lackierte Nazis.

Juni 1952: 11000 Menschen – von den DDR-Behörden als „feindliche, verdächtige und kriminelle Elemente“ bezeichnet – müssen ihre Dörfer verlassen. Die Einschätzung der „politischen Unzuverlässigkeit“ erfolgt teilweise willkürlich [z.T. auch durch Denunziationen von Nachbarn], so dass von der Zwangsumsiedlung Menschen mit Westkontakten erfasst werden, Kirchgänger, Bauern, die ihr Ablieferungssoll an den Staat angeblich nicht erfüllt haben und Menschen, die sich in irgendeiner Form negativ über den Staat äußerten.

Betroffene erzählen, dass sie samt Hab und Gut auf einen Güterwagen der Bahn regelrecht verladen wurden,  dass sie losfuhren, ohne ein Ziel zu kennen. Angekommen, wies man ihnen eine Wohnung oder ein Haus zu, das keineswegs wertmäßig dem entsprach, um das man sie gebracht hatte.

„Sie müssen sich vorstellen, frühmorgens halb sechs klopft es an Ihre Wohnungstür und ein Polizist fordert Sie auf, ihm die Personalausweise zu übergeben und behält diese ein. In dem Befehl, der anschließend verlesen wurde, stand der Zielort der Umsiedlung („ein uns völlig unbekanntes Dorf“) ebenso wie die Aufforderung, die Wohnung bis zwölf Uhr leerzuräumen. Eine Fahrt in eine ungewisse Zukunft ohne Rückfahrkarte. Unsere Heimat lag jetzt im Sperrgebiet. Wer sich widersetzte, beging eine strafbare Handlung.“

schreibt der Regionalhistoriker Manfred Wagner aus Thüringen  in seiner Studie „Beseitigung des Ungeziefers“ – Zwangsaussiedlung in den thüringischen Landkreisen Saalfeld, Schleiz und Lobenstein. Eine andere Zeitzeugin berichtet:

Am Morgen des 6. Juni stand ein LKW vor unserem Haus und wir erhielten den Befehl, Möbel und persönliche Sachen aufzuladen und dann selbst auf die Ladefläche des LKW zusteigen, um abtransportiert zu werden. Immernoch wußte niemand, wohin wir gebracht werden. Gerüchte und Vermutungen jagten uns Angst ein. Ist es vielleicht Buchenwald oder etwa ein anderes Internierungslager jenseits der Oder/Neiße Grenze? Wieder konnten wir keine Hand rühren, wir standen davor und Nachbarn luden unsere Möbel auf. Wieder war es Edelgard, die bestimmte, was mitgenommen werden soll, was eine Familie ungedingt brauchte.

Verwandte und Nachbarn standen um uns herum, die blanke Angst in den Augen, daran denkend, wie es weitergehen sollte, ob sie auch abgeholt würden. Als wir auf den LKW aufgestiegen und zwischen vier Bettgestellen, einem Tisch und vier Stühlen, einem Kleiderschrank, der Nähmaschine und dem Küchenschrank einen Platz zum Sitzen gesucht hatten, weinten alle Leute auf der Straße und wir auch. Nachdem sich der LKW in Bewegung gesetzt hatte, winkte niemand. Alle verzogen sich in ihre Häuser und machten die Tür fest hinter sich zu.

Weitere Berichte von Betroffenen kann man hier und hier lesen. Schade, dass darüber nie ein Fernseh-Film gedreht wurde, die Opfer dieser Aktion hätten es verdient, dass man ihr Leid entsprechend würdigt. Statt dessen malträtiert man uns mit Germans Next Topmodell und der x-ten Wiederholung alter Tatort-Krimis.

[Das Bild oben zeigt den Gedenkstein für das Dorf Liebau und seine Bewohner, ebenfalls Opfer der SED-Aktion „Ungeziefer“. Bildquelle: grenzerinnerungen.de]

5 Kommentare zu „Aktion Ungeziefer“

  • Sir Toby:

    Ich habe versucht allein das Beispiel ‚Liebau‘ einfach mal auf mich wirken zu lassen. Als ich den Kloß spürte, habe ich es abgebrochen. Man ermißt es einfach nicht, was die da getrieben haben. Sie selbst ohnehin nicht.

  • OT
     
    Leider nicht online, sondern nur in der Printausgabe: Daniel Koerfer, Freie Universität Berlin, »Die deutsch-sowjetische Beutepartnerschaft«
    Ribbentrop im Kreml: »Wie unter Parteigenossen«. Kreml nach Berlin am 9. September nach der Eroberung Warschaus: »Übermitteln Sie der Reichsregierung meine Glückwünsche und Grüße.
    »In unserem Land darf man nicht wie François Furet in Frankreich feststellen: ›Hitler und Stalin haben den Krieg gemeinsam begonnen.‹«
     
    Heute in der F.A.Z., Feuilleton, S. 33

  • BuergeJoerg:

    OT

    lief gerade über den Ticker bei Phoenix:

    „Rüttgers rügt Bundesverfassungsgericht. Die Richter hätten ein überholtes Staatsverständnis. Es sei zu sehr auf Einheit, Volk und Staat fixiert“.

    Ähnlich hatte sich bereits der MdB Roth (SPD) in der Debatte zu den Begleitgesetzen geäußert. Aus der linken Ecke verwundert eine solche Aussage nicht – daß der Rüttgers ein Vollpfosten ist – wissen wir auch –
    daß er es jetzt aber anscheinend nötig hat, den EU-Musterschüler und Vaterlandsverräter zu geben, erstaunt mich dann aber doch.

  • Von der gleichen Mentalität stammt die Umkehrung dieser Ereignisse, getragen wie auch damals von extremen, undemokratischen Kräften denen es ausschließlich nur um deren geliebten Ideologien geht.
    Brutal, unmenschlich und willig alles zu zerstören was in den Weg kommt.
    Von was rede ich?
    von der heutigen Situation der erzwungenen Völkerwanderungen!
    Dies sind keine gelegentlichen Weltenbummler oder Individualisten mit dem Drang nach Neuem.
    Hier wird was durchgesetzt(von wem?mit welchem Recht?mit welchen Motiven?), was nicht mehr mit friedlichen Mitteln beseitigt werden kann und nur mit brutaler Gewalt  den einen oder anderen Weg als Folge haben werden!

  • Wolfgang Gerhardt:

    Und da gibt es noch immer Iioten,die der Nachfolgepartei dieser SED-Verbrecher wieder auf dem Leim gehen. Es wurde leider1989 versäumt das SED-Problem auf die rumänische Art zu lösen!

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