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Deutschland 1960 – 1963

Im Dezember 1960 war der Vertreter der türkischen Botschaft in Bonn vorstellig geworden und hatte erklärt, die Türkei wolle als NATO-Partner gegenüber Griechenland nicht diskriminiert werden – das deutsch-griechische Abkommen war im März 1960 vereinbart worden. Der Vorläufer der heutigen Bundesagentur für Arbeit richtete in Istanbul eine Verbindungsstelle ein, die binnen kurzem von Auswanderungswilligen regelrecht gestürmt wurde.

Dennoch hatte die deutsche Seite zumindest zunächst einen kleinen Sicherheitsriegel in das Abkommen von 1961 eingebaut: Die Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis war auf nur zwei Jahre befristet, und von einem »Familiennachzug« war nicht die Rede.

Im Dezember 1962 forderte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände das Bundesarbeitsministerium schriftlich auf, die Befristung aufzuheben. Auch aus der Türkei wurde der Druck in diese Richtung verstärkt und die deutsche Regierung somit regelrecht in die Zange genommen.

Im September 1964 trat eine Neufassung des deutsch-türkischen Abkommens in Kraft, das keine Befristung mehr enthielt. Für die Türkei und das deutsche Kapital war das ein Sieg auf der ganzen Linie. Erst jetzt waren »die Weichen für eine dauerhafte Zuwanderung nach Deutschland gestellt.

Quelle: Großer Wendig Band 3

Lesenswert: Rede von Walter Hallstein anlässlich der Unterzeichnung des Assoziationsabkommens zwischen der EWG und der Türkei  [Ankara, 12. September 1963]

[Dank an Anna Luehse für den Linkhinweis]

15 Kommentare zu „Deutschland 1960 – 1963“

  • Freidenker:

    Fassen wir zusammen, die Arbeiter und Angestellen wurden nicht gefragt,
    sie haben über die Lohndrückung durch die Ausländer die Zeche bezahlt,
    heute zahlen sie die Zeche ein zweites mal über die Sozialversicherungen,(Transferleistungn), ein drittes mal durch Vertreibung aus den angestammten Wohngebiete, ein viertes mal über Gewalt und sinkendes Niveau in den Schulen.
    Die welche den Scheiß verbockt haben bekommen heute eine üppige Staatspension, schicke ihre Kinder in Privatschulen, und die Gewinne der Großindustrie stiegen in den letzten Jahre in schwindelnde Höhen.
    Und die SPD wundert sich warum sie keiner mehr wählt.

  • Sir Toby:

    # Anna

    Der Vorläufer der heutigen Bundesagentur für Arbeit richtete in Istanbul eine Verbindungsstelle ein, die binnen kurzem von Auswanderungswilligen regelrecht gestürmt wurde.
    Also ich glaube, da müßten die Redakteure noch mal nacharbeiten, denn gerade der Terminus, den ich gesperrt geschrieben habe, kann so nicht stimmen. Ich hab zwar gesoffen in meiner Jugend – aber sonst hab ich keine Drogen genommen. Und ich war auch nicht nur besoffen, und von daher hab ich schon noch mitgekriegt, daß niemand in den siebziger Jahren die Türken (und die anderen ebensowenig) als Einwanderer begriffen hat! Es kann sich bestenfalls um Arbeitswillige gehandelt haben, aber ganz bestimmt nicht um Auswanderungswillige. Es sei denn, der Terminus wird benutzt, um einmal mehr Geschichte zu fälschen und den Nachgeborenen mit gefälschten Dokumenten, Verträgen und vor allem BEGRIFFEN eine Verantwortung aufzuladen, die sie in Wirklichkeit gar nicht haben.

  • Sir Toby:

    # Freidenker

    Ja – so entstehen falsche Bilder. Es gab damals zwar viele Lieder über die ausgebeuteten Arbeiter, aber die wurden nicht von den ausgebeuteten Arbeitern gehört, weil die Catharina Valente oder Chris Howland oder den Schneewalzer hörten und im Urlaub an die Adria oder nach Spanien fuhren bzw. die ersten wohl auch schon flogen. Schöne Welt des Scheins; ach, was gab es nicht alles zu erkunden. Und für Lohnsteigerungen sorgten schon die Gewerkschaften: 1972 fordert die ÖTV 12% mehr Lohn … und so etwa in der Gegend hat sie ihn auch durchgesetzt. Und das war keine Ausnahme; in der ersten Hälfte der sozialliberalen Koalition ging es richtig zur Sache. Die Wirtschaftsfachleute, die die SPD damals hatte, haben erst getrieben – dann gewarnt und dann versucht zu bremsen (Schiller: Genossen, laßt die Tassen im Schrank). Aber die Genossen wollten nicht. Stattdessen wollten sie endlich mal ‚Gerechtigkeit‘ … oder zumindest das was sie darunter verstanden. Und so wurde erst der Staatssektor (Beamte) aufgebläht wie der Wanst von ÖTV-Boss Kluncker (ich glaube, für den haben sie wahrscheinlich überall neue Türen einbauen müssen – durch ne normale Tür ist der nicht mehr durch gekommen).

    Und so hat erst Möller (Wirtschaftsminister unter Brandt, wenn ich mich recht entsinne) und schließlich auch Schiller das Handtuch geworfen, weil die Repräsentanten des ‚kleinen Mannes‘ leider größenwahnsinnig geworden waren – und der ‚kleine Mann‘ hat es gerne mitgemacht: Es gab ja mehr! Und das war leider das einzige was ihn interessierte. Ich weiß, Judith mag es nicht, wenn man auf ‚das Volk‘ schimpft, aber so wie ich ‚das Volk‘ kennengelernt habe, muß ich leider sagen: Sie verdienen, was sie bekommen!

    Ich hab sie doch auf jeder Geburtstagsfeier (meine Mutter kam vom Dorf, und damals wurde man praktisch noch überall zu diesen Familienfesten eingeladen – manche Monate 4, 5 Geburtstage – ein Wunder, daß ich damals nicht geplatzt bin) kennengelernt … die Abgreifermentalität: Was, Du warst nur einmal in Kur?? Du bist doch ein Idiot … die Kasse zahlts doch!! Und das war die Einstellung quer durch alle Schichten – da war nix mit ‚preußischer Bescheidenheit‘; Daseinsvorsorge? Bahh – Idiot!!! Und in den sechziger Jahren, als die Kameltreiber ihre Bereicherung begannen (die Betonung liegt auf ihre – nicht unsere) da sind die Löhne zwar noch nicht so explodiert wie in der ersten Hälfte der siebziger Jahre, aber gestiegen sind sie allemal – und anders als heute. Nee, die wurden dann tatsächlich eine Zeitlang geholt, weil bei Ford in Köln am Band einfach die Ungelernten ausgegangen waren.

    Die Wahrheit ist wohl, das wir es mit desinteressierten, verantwortungslosen (allem gegenüber, was über ihren mehr oder weniger privaten Rahmen hinausgeht), fantasielosen, feigen Abgreifern zu tun hatten und haben. Und der Sammelbegriff für diese Spezies lautet: das Volk. Und ich will das nicht mal besonders kritisieren, denn: Der Mensch lernt, wenn er überhaupt lernt, nur durch Erfahrung. Und hier eben ganz speziell: durch Schmerzerfahrung! Er schafft es einfach nicht, die Finger nur über die glühende Herdplatte zu halten und da schon zu begreifen „Oh, das könnte jetzt sehr, sehr weh tun, wenn ich da jetzt so einfach draufpatsche!?“ …… sondern er muß einfach draufpatschen – und dann die Hand so lange drauf lassen bis der Knochen freigelegt ist. Das ist einfach diese Herdenmentalität, die ihn sich nicht trauen läßt seiner eigenen Einsicht mehr zu trauen als dem, was alle anderen auch machen. Die Wahrheit ist doch: Wir wissen (als Masse) weder was ein Volk ist noch was eine Nation ist, noch was ein Staat ist – und was das eigentlich soll und wozu man es braucht. Also müssen wir all das, was andere vor uns erkämpft haben, erstmal wieder verlieren und eine gute Weile als Sklaven in unserem ehemligen Land leben bis sich vielleicht mal wieder eine Elite herangebildet hat und auch die ‚Masse Mensch‘ durch das bis dahin erfahrene Leid wieder ein winziges Quentchen Bewußtsein, das nicht wieder sofort vom nächsten Sonderangebot weggeweht werden kann, generiert hat, die dann vielleicht auch mal wieder sowas  wie eine Befreiung und einen Aufschwung hinkriegen. Aber bis dahin muß es halt abwärts gehen. Aber soweit dieses Abwärts mit vielleicht sinkenden Löhnen zu tun hat, war es letztlich nicht die Großindustrie der sechziger Jahre, die dafür verantwortlich zu machen wäre, sondern am Ende immer nur unsere eigene Einstellung – nicht als Privatpersonen, sondern als ‚Masse‘. 

  • Sir Toby:

    # Freidenker

    Es soll wohl auch mal Arbeiter einer Arbeiterbewegung gegeben haben, die gelesen haben; richtig dicke Bücher mit der Absicht etwas zu verstehen von der Welt und ihrer Situation. Aber das war vor dem I. Weltkrieg und allerspätestens seit dem II. Weltkrieg ist das absolut passe.

  • @ Sir Toby

    Absolute Zustimmung.  Die deutsche Nachkriegsgesellschaft, vor allem die nach dem Krieg geborene, hat sich eingebildet,  mit sinkender Leistungsbereitschaft, sinkender Kinderzahl, sinkender Bildung und immer weiter ausuferndem Sozialstaat würde der Wohlstand auf ewig so bleiben.

    Die langfristigen Auswirkungen waren sie gar nicht fähig in Betracht zu ziehen – sie waren nicht einmal bereit, mahnenden Stimmen zuzuhören. Statt dessen honorierten sie Gewerkschaften und linke Politik.

    Jetzt ist das Geschrei groß und es wird DER eine Sündenbock gesucht – dass sie selbst dafür mitverantwortlich waren, das wollen sie auch heute noch nicht hören.

    Nur ein Widerspruch: Diese Nachkriegsgesellschaft bekommt nicht, was sie verdient, denn sie hat sich in die Rente gerettet [und damit sind nicht die heutigen 70/80jährigen gemeint], bzw. ist nahe dran und betreibt Besitzstandswahrung. Allerhöchstens heult sie noch, dass sie doch vier, fünf Jahre wird länger arbeiten müssen, als sie das geplant hat. Den Preis bezahlt die deutsche Jugend und die deutschen jungen Erwachsenen.

  • Freidenker:

    @ Sir  Toby

    Nun denn, ich kann Dir leider nicht wiedersprechen. *seufz*

  • Sir Toby:

    # Judith

    Nur ein Widerspruch: …

    Ja, das hätte ich ergänzen sollen. Aber ich hab heut schon auf verschiedenen Seiten geschrieben … und irgendwann wollen die Fingerchen nicht mehr so wie der Wille will … dann läßt man schon mal was weg, wo man meint, daß die Angesprochenen/Gemeinten das schon selber werden ergänzen können.      

  • Freidenker:

    In den Sorglosjahren der BRD so von ca. 1960 bis 1980 wurde für manche Fehlentwicklung der Grundstein gelegt, aber nicht nur von Arbeitnehmerseite.

  • Markus:

    Jetzt macht Ihr das Volk zum Sündenbock, aber welches Volk folgt denn bitte seinen geistigen und politischen Führern so treu und ergeben wie das deutsche? Ihr schaut zurück auf die 60er und 70er Jahre, als in England radikalsozialistische Politik gemacht wurde, was könnt Ihr den Deutschen da vorwerfen, was Ihr anderen Völkern nicht noch viel mehr vorwerfen müsstet? Auch im Jahre 2009 wählen die Deutschen wieder einmal folgsam mehrheitlich konservativ oder liberal, aber nicht „rechtsradikal“ – also genau so, wie die geistigen und politischen Führer es ihm eingeben, und nun soll schon wieder das Volk an allem schuld sein!?

    Ihr verlangt vom Volk Unmögliches: Langfristig angelegte, weise politische Entscheidungen zu treffen erfordert ein enormes Wissen über Geschichte und politische Zusammenhänge, es gibt nur ganz wenige Menschen, die überhaupt dazu in der Lage sind. Es gibt auf der ganzen Welt kein Volk, das diesen absurd hohen Anforderungen genügt, die die demokratische Ideologie an den Staatsbürger stellt. Nie haben die Deutschen nach der Demokratie verlangt, sie wurde ihnen zwei mal von den Westmächten aufgezwungen, jetzt tut er, wie ihm geheissen und wählt zuverlässig so, wie man es von ihm wünscht. Der Franzose revoltiert gerne mal, der Deutsche spürt instinktiv, daß es am besten für ihn ist, wenn er folgsam tut, was seine Führer ihm befehlen bzw. raten. Wer von beiden verhält sich wohl verantwortungsbewußter? Und in der Vergangenheit war es genau diese Eigenschaft, die Deutschland stark gemacht hat. Nein, die Deutschen sind unschuldig, sie haben wie immer nur das getan, was von ihnen verlangt wurde, es sind seine Führer, die versagt oder das Volk verraten haben.

  • ThePassenger:

    @Markus

    Was unterscheidet das deutsche Volk von anderen?

    Sind es nicht die klischeehaften deutschen Tugenden wie Sparsamkeit, Ordnung, Fleiß usw.?

    Wenn dem so wäre, wäre dann nicht der Austausch von Fleiß durch Opportunismus, Sparsamkeit durch Gier und Ordnung durch Laissez-faire die Wurzeln des Übels? Wäre in dem Fall nicht das Volk selbst schuld, wenn es sich von diesen Götzen verführen und ins Elend stürzen liesse?

    Es gibt nicht die eine Ursache für die Installation der neuen Götzen, es ist das Ergbnis eines Zusammentreffens von versch. Interessensgruppen. Der Wirtschaft, die billige Arbeitkräfte und Druck auf die Löhne ausüben wollte oder die Gutmenschen, die sich vor lauter Schuldbewußtsein die „edlen Wilden“ herbeigewünscht haben, um sie zu verhätscheln und in den Himmel zu loben oder die klassischen Linken, die sich nach dem Wirtschaftswunder ein neues Proletariat herbeigewünscht haben.

    Der alte Gesellschaftsvertrag wurde einfach von diesen Gruppen aufgekündigt, man war sich einig die über hunderte von Jahren gewachsene Struktur über Bord zu werfen und es so zu machen, wie man meinte das es gut wäre. Das Volk lockt man mit Wohlstand für alle, Neid, Gier und vermeintlich unbegrenzter individueller Freiheit.

    Ich kann meine Eingangsfrage selbst beantworten: Uns unterscheidet von anderen Völkern die Tatsache daß man uns die Identität genommen hat. Dadurch haben wir unsere Werte aufgegeben und den Lügen & Verheissungen geglaubt. Jede Religion, jede Art von Weltanschauung, und sei sie noch so anstruß, geisselt Eigenschaften wie Gier & Neid. Wer sich trotzdem diesen Götzen zuwendet ist selbst schuld und zwar ganz persönlich, als Individuum und nicht als anonyme Masse.

  • virOblationis:

    The Passenger schrieb:
    „Uns unterscheidet von anderen Völkern die Tatsache daß man uns die Identität genommen hat. “
    Geht es nicht den Franzosen, Engländern, Spaniern etc. ähnlich?

  • Arminius (Original):

    Hier weitere Verweise auf eine höchst interessante und fundierte Netzseite. Die Einführung des Euro ist für Deutschland wie Versailles ohne Krieg!
    http://www.eurospethmann.de/pdf/p52_DSundHankelHistorisierung.pdf
    http://www.eurospethmann.de/
    Ausserdem:
    http://www.swg-hamburg.de/

  • Anna Luehse:

    # Sir Toby

    In Deutschland hat man damals von „Gastarbeitern“ gesprochen und die Deutschen haben das auch so verstanden. Gäste, die irgendwann wieder in ihre Heimat zurückgehen. Der Begriff „Auswanderungswillige“ trifft allerdings auf den Wunsch der Türkei zu. Man war in hohem Maße interessiert den Bevölkerungsüberschuß ans Ausland abzugeben und wie wir heute sehen, funktioniert das immer noch.

  • Wahnfried:

    Naja, so ganz stimmt das mit dem Euro auch nicht. Es ist viel mehr eine halbe Wahrheit.
     
    Auf der einen Seite richtig ist, daß, wenn wir die D-Mark  noch hätten, diese im Vergleich zu anderen Währungen eine viel stärkere Kaufkraft für Waren aus dem Ausland hätte. Öl, Gas und Benzin wären also ein wenig billiger und wahrscheinlich würden auch andere Importe, wie etwa Kleidung oder Computer hier günstiger sein und damit zur Erhöhung des Lebensstandards beitragen, während zur gleichen Zeit, und das ist die andere Seite, deutsche Produktion im Inland weniger konkurrenzfähig ist, weil die ausländischen Produkte in Deutschland jetzt billiger sind, und auch deutsche Exporte würden im Ausland wegen der starken D-Mark deutlich teurer sein, was dann wieder zu mehr Arbeitslosigkeit führt.
     
    Der Euro hat seine guten und schlechten Seiten. Ich würde sagen, ohne das jetzt allerdings irgendwie belegen zu können. daß der Euro gut für die Arbeitsplätze und schlecht für den Lebensstandard/Konsum in Deutschland ist.

  • Arminius (Original):

    Die von den Deutschen erarbeiteten Leistungsüberschüsse werden mittels Euro von unseren europäischen Nachbarn verkonsumiert. Nicht von denen, dies erarbeitet haben.

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