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Ein Ringen der Weltanschauungen

Kürzlich wies Thorsten Hinz in einem JF-Artikel mit dem Titel „Deutsche Literatur, Welt ohne Transzendenz“ auf einen mir bis dahin unbekannten Buchtitel von 1917 hin: Max Scheler, „Die Ursachen des Deustchenhasses“. (Da eine Direktverbindung zu der betreffenden Archivseite offenbar nicht herzustellen ist, hier wenigstens der Weg dorthin:

http://www.jungefreiheit.de/Archiv.611.0.html Dann gehe zu Nr. 43 (16. Oktober 2009), S. 16.)

Das Phänomen des Anti-Deutschen besteht eben nicht erst seit 1933/1945. Als „Hunnen“ waren unsere Vorfahren schon im 1. Weltkrieg verhaßt, und obwohl viele Deutschstämmige in den USA siedelten, die sich nie etwas hatten zu Schulden kommen lassen, herrschte dort eine Pogromstimmung, und das Land trat wie selbstverständlich auf Seiten der Briten, Franzosen und Russen in den Krieg ein.

Um dies zu verstehen, geht Scheler zuerst Mentalitätsunterschieden nach. Schließlich aber kommt er zu einem anderen Punkt: Die Deutschen haben eine besondere Auffassung von Volk und Staat, die sie von den politischen Sytemen des Westens unterscheidet. – Hinz schreibt: „Nehmen wir die Überlegungen Max Schelers … Neben scharfer Selbstkritik hielt er fest, daß der Erste Weltkrieg ein Kampf der europäischen Peripherie gegen die eigene Mitte, gegen den „Mittel-, Quell- und Herzpunkt“, gegen die Ursprünge und das vorbürgerliche und vorrevolutionäre Erbe Europas war.“ In vergleichbarer Weise suchte der Regisseur Syberberg, wie Martin Lichtmesz unlängst schrieb, das spezifisch deutsche Wesen als „schöpferischen Irrationalismus“ im Gegensatz zu „Materialismus und Rationalismus“ zu charakterisieren.

In Deutschland gab es zwar auch Aufklärer wie im Westen, d.h. im Anglo-Amerikanischen Bereich und Frankreich, doch daneben noch mehr Bewahrer des Früheren; man denke nur an die nachfolgende Romantik und die Verklärung des Mittelalters. Wenn man nun einmal annimmt, daß Scheler etwas Richtiges getroffen hat, daß der Westen mit Deutschland all das bekämpft, was vor der Moderne – hier verstanden als 18. bis 20. Jh – liegt, dann wird auch verständlich, warum neben Deutschland insbesondere die katholische Kirche mit dem Papsttum ständigen Angriffen der westlichen Welt ausgesetzt sind: Diese Institution ist geprägt von der Vormoderne – auch wenn viele Geistliche dies heute nicht mehr wahrhaben wollen.

Nun mag man einwenden: Rußland als Verbündeter des Westens war noch weit weniger modern als Deutschland und Österreich. Gewiß. Aber ist es nicht bezeichnend, daß Rußland während des Krieges sich durch die Februarrevolution 1917 dem Westen anglich? Danach übernahmen die Bolschewisten die Macht und – so könnte man sagen – verwirklichten eine sozialistische Variante der Moderne. Damit war der Kreis der Alliierten um Deutschland auch ideologisch geschlossen, der Boden bereitet für das Bündnis von Churchill, De Gaulle, Roosevelt und Stalin.

16 Kommentare zu „Ein Ringen der Weltanschauungen“

  • Fabian:

    Deutschland ist nicht vormodern. Es ist nur tiefer als der Glaube an die Moderne.

  • Linkman:

    Hier der dirkete Link. Einfach im Archiv immer mit rechter Maustaste auf Link in neuem Fenster öffnen, dann hat man den vollständigen Link: http://www.jf-archiv.de/archiv09/200943101647.htm

  • eo:

    Destowegen
    hatte man ja auch
    hierzulande einen Unterschied
    zwischen Kultur und Zivilisation
    gemacht, ein Gegensatzpaar,
    mit dem u. a. Spengler
    arbeitet, ebenso
    damals noch
    Thomas
    Mann.

  • quer:

     „Max Scheler, “Die Ursachen des Deutschenhasses (v.1917)”……
    wurde vor wenigen Monaten neu aufgelegt und ist auch zu beziehen: € 12,–
    Verlag „superbia“ in Leipzig. Habe heute geordert.

  • Saito:

    Man muß hier nichts romantisieren und mystifizieren. Solange das Deutsche Reich rückständig und schwach war, gab es keinen Deutschenhass. Erst als nach der Reichseinigung von 1871 eine beispiellose Modernisierung und Industriealisierung einsetzte und das Deutsche Reich als Konkurrent für England/Frankreich auftrat, begannen Haß und Verleumdung. Beim 1.Weltkrieg ging es noch darum, Deutschland einfach als Konkurrent auszuschalten und niederzuhalten. Das gelang den Briten nur in einer Allianz mit den USA, wobei letztere bereits daran dachten, ihrerseits alsbald die Briten aus ihrer Führungsrolle zu verdrängen.

    Damals gab es noch kein Internet und die Lügen und Verteufelungen in den Massenmedien wurden kritiklos geglaubt. So diente die Versenkung der LUSITANIA  zur Propaganda gegen das Deutsche Reich. Dabei wurde kürzlich das versenkte Wrack gefunden und es fanden sich umfangreiche Waffenlieferungen an Bord,  so wie es von deutscher Seite behauptet worden war.
    Aber die Kriegspropaganda der USA und GB behauptete, es seien nur Passagiere an Bord gewesen. Eine dreiste Lüge von vielen, die der Verunglimpfung der Deutschen diente.

    Wer das Zeitgeschehen aufmerksam verfolgt, dem fällt doch auf, wie dieses gleiche Schema der Verteufelung des Gegners bis heute zur Kriegsvorbereitung in den USA und GB dient. Nur heute funktioniert es nicht mehr ganz so glatt, da  sich mit dem INTERNET ein neues Medium etabliert hat, das (noch) nicht unter der Kontrolle der Herrschenden ist.
    So sind die infamen Lügen gegen den IRAK und Saddam Hussein schnell aufgeflogen und die  Führungsriege der  USA/GB wurdel der Lügen überführt. Wer das Zeitgeschehen aufmerksam verfolg, dem fallen doch die Parallelen auf und der kann einfach nicht mehr so naiv sein, all die Greuelpropaganda gegen Das Deutsche Reich und die Deutschen für wahr zu halten. Da wurde und (wird noch immer) gelogen , so wie man heutige Gegner mit Lügen verleumdet.

    mit freundlichen Grüßen

  • Freidenker:

    @ Saito

    Dem ist nichts hinzuzufügen…..

  • virOblationis:

    Saito schrieb: „Beim 1.Weltkrieg ging es noch darum, Deutschland einfach als Konkurrent auszuschalten und niederzuhalten.“
    Das Vordergründige schließt tiefere Ursachen nicht aus.
    Weiter schrieb Saito: „Solange das Deutsche Reich rückständig und schwach war, gab es keinen Deutschenhass.“
    Das ist nicht richtig. Schon auf Grund des im 19. Jahrhundert aufkommenden Nationalismus wurden Deutsche in manchen Ländern (die zum Alten Reich gehört hatten oder noch zu Österreich gehörten) gehaßt. Ich las dies einmal am Beispiel der Biographie eines Österreichers, der in Italien studierte. (Leider fällt mir im Augenblick nicht ein, wer es gewesen ist.)
    Nick Naylor schrieb am 27. November: „Der Kern einer jeden Erneuerung (Renaissance!)  muß die Erinnerung an die Stärke und Tapferkeit, an die Ideale der Antike, der klassischen Zeit sein.“
    Das ist eben der Vorteil des Konservatismus im Unterschied zur Moderne, daß seine Wurzeln tief hinabreichen in die Vergangenheit. So ist er grundsätzlich zur Erneuerung aus der Vergangenheit heraus fähig. Anders die Moderne; sie bringt bloß eine Postmoderne hervor.
     

  • Hier mal die Sicht, wie sie in der frühen Weimerar Republik von Monarchisten vertreten wurde:
     

    „In Wirklichkeit aber kämpften wir gegen unsere natürliche Rückendeckung, gegen Rußland zu blutig und zu lange. Wir versäumten den Friedensschluß mit dem Zaren, weil wir ja einen Sozialistenfeldzug gegen den Despoten führten, weil uns die Befreiung der Polen und Litauer und Juden vom zaristischen Joche wichtiger wurde als der Schutz unserer eigenen Heimat. Wir führten auf das Zureden unserer Sozialisten das bolschewistische Gift nach Rußland ein wie etwa Pest- oder Cholerakulturen. Diese Verletzung politischer Hygiene rächte sich folgerichtig an uns selbst.
     
    Weil wir den Sozialisten- und Demokratenkrieg gegen Rußland intensiv führten, kam der Zeitpunkt mit unabwendbarer Notwendigkeit heran, an dem die Monarchie offiziell mit der Demokratie und dem Sozialismus paktieren mußte.“

    Daraus läßt sich folgern, mit welch blöden Argumenten der Krieg gegen das Russische Reich damals gerechtfertigt wurde …
     
    Quelle: Eines der PDF-Dokumente auf der angegebenen Webseite.
     

  • Saito:

    @oblationis

    Schon richtig, daß es im Zuge des aufkommenden Nationalismus in den Vielvölkersataaten zu Spannungen und Haß kam, ähnlich wie wir es ja beim Zerfall Jugoslawiens oder auch der Sowjetunion erlebt haben. Das gab es auch bereits im 16/17Jahrhundert, als sich die Niederlande vom Reich lösen wollten bzw als die Tschechen von Habsburg freiwerden wollten. Meist ging es um gemischte Siedlungsgebiete, die dann umstritten waren.

    Aber diese Spannungen und Animositäten waren eher gering und auf lokaler/regionaler  Ebene angesiedelt ;  nicht zu vergleichen mit der Greuelpropaganda, welche im 20.Jahrhundert einsetzte, die von oben gelenkt und massiv in allen verfügbaren Medien im Lande aber auch in den Überseegebieten ( Kolonien) betrieben wurde.

    mit freundlichen Grüßen

    Das  

  • virOblationis:

    @ Saito
    Eine Verschiebung in der Motivation des Deutschenhasses sehe ich auch. Schon im Mittelalter führte die Ablehnung alles Deutschen in Böhmen zum Auszug der Magister und Studenten der sächsischen und bayrischen (sowie polnischen) nationes aus Prag und zur Gründung der Universität Leipzig (1409). Damals war es vor allem die Wendung gegen die Zugehörigkeit zum supranational organisierten Reich, die den Deutschenhaß beförderte, denke ich, denn dessen Träger war die Deutsche Nation.
    Einer der Vorteile einer These vom Deutschenhaß der Moderne besteht darin, daß man leicht zu erklären vermag, welches Ziel die Umerziehung nach 1945 hatte: Sie sollte aus Deutschland eine der Moderne zugehörige Gesellschaft formen, was ja auch sehr weitgehend gelang. Alles Volkstümliche, Traditionelle, Altehrwürdige ist fast vollkommen verschwunden.
     
     
     

  • virOblationis:

    @ Antifo
    Natürlich wirkten die Anhänger der Moderne in den eigenen Reihen subversiv. Doch ein Friedensschluß mit Rußland scheiterte wohl kaum daran, daß die deutsche Seite ihn nicht wollte. Natürlich war es ein Fehler, Lenin nach Rußland zu schleusen, doch die Bolschewisten konnten sich ja dort nicht zuletzt deshalb durchsetzen, weil sie die einzigen waren, die ein Ende des Krieges forderten, und so kam ja auch der Friede zu Brest-Litowsk zustande.
     

  • Ktistes:

    Allerdings ist die Frage, inwieweit die Russische Revolution und der sozialistische Modernismus wirklich im russischen Wesen verwurzelt liegen. Denn tatsächlich waren die Bolschewisten bis zu ihrem Sieg stets nur eine radikale Minderheit und nach 1991 und erst recht seit Putin fand gewissermaßen eine Rückbesinnung statt. Das hat unter den im weitesten Sinne westlichen Nationen schon eine einzigartige Komponente. Wo sonst kennen wir bisher einen solchen kulturellen Wiederentdeckungs- und Erneuerungsschub in der Moderne? Die russisch-orthodoxe Kirche als weithin sichtbarstes Symbol der kulturellen vormodernen Tradition wird hier zur Bastion der eigenen Identität.

  • virOblationis:

    @ Ktistes
    Damit erscheint Rußlands Entwicklung als mögliche Parallele zu unserer eigenen künftigen Entwicklung, auch wenn Deutschland sich stets tiefgreifend von Rußland unterscheiden wird, das auf eine ganz andere Vorgeschichte zurückblickt (Tatarenherrschaft, byzantinischer Einfluß).
     

  • virOblationis:

    Nachtrag zum Verständnis des im Artikel angesprochenen Werkes Max Schelers:
    In dem aus einem 1916 gehaltenen Vortrag Max Schelers hervorgegangenen Büchlein „Die Ursachen des Deutschenhasses“ beschränkt sich der Autor bewußt auf eine psychologische Fragestellung. Er konstatiert einen Deutschenhaß, der sich im 1. Weltkrieg unverhüllt äußert, doch zieht er – schon aus methodischen Gründen – nicht den überaus naheliegenden Schluß, der Krieg sei darin begründet. Geschichtlich-politische Fragen werden von den psychologischen geschieden, und zugleich wird in bezug auf die Entstehung des Krieges auf erstere verwiesen, um die Frage der Ursachen des Hasses auf verschiedene, gleichsam ungeschichtliche Volkscharaktere gründen zu können. – Daß dies jedoch eine geradezu unzulässige Beschränkung auf eine psychologische Fragestellung ist, erkennen wir Späteren, indem wir auf die Möglichkeit der Umerziehung eines Volkes zurückblicken. Auch der Volkscharakter ist geschichtlichem Wandel unterworfen, so daß ein diachrone Betrachtung neben der synchronen durchzuführen wäre.
    Nicht eben konsequent erscheint es danach, daß Scheler zur Genese des Hasses auf die revolutionären Veränderungen vom Beginn des 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in den europäischen Großmächten verweist, an denen nicht alle in demselben Maß teilhatten, am wenigsten Deutschland und Österreich-Ungarn. Daher ist der Haß auf sie ein Hassen ihrer „Rückständigkeit“, durch den sich die „fortschrittlichen“ Nationen ihre eigenen kulturellen Wurzeln abschneiden.
     
     
     

  • Antifo:

    @ Ktistes

    Denn tatsächlich waren die Bolschewisten bis zu ihrem Sieg stets nur eine radikale Minderheit und nach 1991 und erst recht seit Putin fand gewissermaßen eine Rückbesinnung statt. Das hat unter den im weitesten Sinne westlichen Nationen schon eine einzigartige Komponente.

    Es gibt einen Ausspruch von (man könnte es auch eine Vorsehung nennen), daß das, was in Russland began (1917) in Amerika enden wird: „What began in Russia, will end in America“, Elder Ignaty of Harbin
    http://www.theophanydesigns.com/rcs/metropolitanjoseph.html
    Das meint, daß die Verfolgung der Christen in der Sowjetunion, nur das Vorspiel ist, für das, was in den USA noch passieren wird. Mit dem jetzigen Umschwung nach dem Minarettverbot bin ich geneigt zu glauben, daß wir das Schlimmste schon hinter uns haben:
    Der Zusammenbruch des Finanzsystems hat nur ganz am Rande ein bisschen etwas mit dem Islam zu tun – es ist vielmehr der Kollaps des Liberalismus (den manche auch Kapitalismus nennen) als Ideologie – so wie 20 Jahre davor der Kommunismus gescheitert war.
    Eine nüchterne Betrachtung all dessen, was derzeit in der Welt so passiert, wird zu dem Ergebniss kommen, daß damit auch der Protestantismus an sein Ende gekommen ist, weil der Liberalismus da ja seinen Anfang nahm.
    Wenn man Liberalismus, Sozialismus und Nationalismus als die drei großen politischen Strömungen sieht, dann ist es fast schon eine Notwendigkeit, daß wir wieder nationaler werden 😉

  • virOblationis:

    Antifo schrieb: „Wenn man Liberalismus, Sozialismus und Nationalismus als die drei großen politischen Strömungen sieht, dann ist es fast schon eine Notwendigkeit, daß wir wieder nationaler werden.“
    Ich würde nur vorschlagen, statt von Nationalismus von Konservatismus zu sprechen, innerhalb dessen der Nationalismus – soweit man ihn nicht als unangemessene Übersteigerung des Patriotismus versteht – ja nur einen einzelnen Aspekt bezeichnet.
     

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