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"Ich bin kein Rassist"

Kaum ein Nachrichtensender, kaum eine Zeitung, die sich diese Schlagzeile entgehen läßt: Thilo Sarrazin schreibt den Juden ein spezifisches Gen zu! –  Demnach könnte man jeden Juden genetisch identifizieren. Was anderes als ein Rassist ist Sarrazin also?

Doch was hat er tatsächlich gesagt? Schauen wir uns die Befragung durch die „Welt am Sonntag“ einmal genau an!

Auf die Frage „Gibt es auch eine genetische Identität?“ antwortet er mit dem – in den erwähnten Meldungen aus dem Zusammenhang gerissenen – Satz: „Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden.“

Die parallel mit den Juden genannten Basken weisen darauf hin, daß er hier nicht von der jüdischen Glaubensgemeinschaft spricht, von der Synagoge, sondern von den Juden als Volk; Proselyten, also Menschen die zum jüdischen Glauben sich bekehrt haben, können deshalb hier nicht hinzugezählt werden. – Es sei dazu angemerkt, daß das Judentum die Proselyten in der Antike auch sozial dementsprechend einstufte: Sie standen am Rande der jüdischen Gesellschaft und konnten auch nur dort Ehepartner finden, bis ihre Nachkommen endlich als jüdische Vollbürger galten.

Es geht Sarrazin also nicht darum, daß man jeden Träger eines bestimmten Passes oder jeden Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft genetisch identifizieren könne. Deshalb sagt er ausdrücklich: „Ich bin kein Rassist.“ Sarrazin geht es bei seinen Aussagen darum, daß die Angehörigen eines Volkes – mehr oder weniger – ein gemeinsames Erbgut haben, weil es seit der germanischen Völkerwanderung (3 – 6. Jh) keine größeren Verschiebungen in der Zusammensetzung der Völkerschaften mehr gegeben habe. Sarrazin sagt: „Es ist nämlich falsch, dass es Einwanderungsbewegungen des Ausmaßes, wie wir sie heute haben, schon immer in Europa gegeben hätte. Seit der Völkerwanderung gab es solche Verschiebungen nicht mehr.“

Dabei scheint Sarrazin bewußt zu sein, daß selbst die Völkerwanderung – zumindest auf dem Boden der weströmischen Provinzen – zu keinem Bevölkerungsaustausch geführt hat. Vielmehr bildeten die germanischen Eroberer eine zahlenmäßig kleine Gruppe, die mit der Zeit in der romanischen Bevölkerung aufging; in Oberitalien z.B. wandelte sich im Laufe der Zeit der Begriff „Langobarde“ von der Bezeichnung des Angehörigen eines bestimmten Germanenstammes zum Rechtstitel, den auch Romanen tragen konnten; schließlich wurde die „Lombardei“ zur Landschaftsbezeichnung, die alle „Lombarden“ einschließt. So bezieht sich auch Sarrazin auf die Zeit lange vor der Völkerwanderung, wenn er sagt: „Drei Viertel der Ahnen der heutigen Iren und Briten waren bereits vor 7500 Jahren auf den Britischen Inseln.“ – Wie Sarrazin auf die Zahl 7500 kommt, ist für mich nicht nachzuvollziehen, doch es ist klar, was er meint: Die europäischen Völker [des Abendlandes] haben seit jeher dieselben Ahnen, und wenn weitere hinzukamen, so waren es stets wenige, die im Laufe der Zeit im Ganzen aufgingen und die Kontinuität der Entwicklung nicht beeinträchtigten.

Eine Inkonsequenz in der Gedankenführung weisen Sarrazins Aussagen allerdings auf. Nach seinen Ausführungen hätte er auf die – zumindest im allgemeinen auch im Erbgut vorhandenen -Unterschiede zwischen den Angehörigen hiesiger Völkerschaften und den Zuwanderern aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie Afrika hinweisen müssen. Stattdessen sagt er: „In meinem Buch rede ich zudem nicht von Türken oder Arabern, sondern von muslimischen Migranten. Diese integrieren sich überall in Europa deutlich schlechter als andere Gruppen von Migranten. Die Ursachen dafür sind nicht ethnisch, sondern liegen offenbar in der Kultur des Islam. Vergleichen Sie die Integrationserfolge von Pakistani und Indern in Großbritannien.“ Dadurch vermischt er die ethnische Thematik mit einer anderen, nämlich mit der religiös-kulturellen. Diese ist aber – wie oben im Zusammenhag mit dem Judentum angedeutet – von der ethnischen zu unterscheiden. Er hätte den Unterschied an den Vorfahren seiner eigenen Person demonstrieren können, weist sein Name doch auf eine Herkunft aus dem französischen Sprachraum und auf arabische Vorfahren hin, auf Sarazenen.

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