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Die Vergangenheitsbewältigung des Untüchtigen

Ich lese aktuell Armin Mohlers Der Nasenring. Zu meiner Lesegewohnheit eine kurze Anmerkung: Ich lese ein Buch immer zweimal. Beim ersten Mal „kreuz und quer“ heißt: ich springe durch die einzelnen Kapitel; beim zweiten Mal dann so, wie es allgemein Usus ist : ordentlich von Seite eins bis Schluss. Mohlers Der  Nasenring bekam ich gestern mit der Post und hüpfe seitdem munter durch die Kapitel. Eines finde ich so lustig, weil treffend, dass ich es hier einstelle. Mohler befasst sich darin mit dem Typus des bundesdeutschen Vergangenheitsbewältigers – abgekürzt VB – und er unterscheidet dabei zwei Typen: Die VB des Tüchtigen und die VB des Untüchtigen.

Den tüchtigen Vbler charakterisiert Mohler als arbeitssam, unpolitisch bis in die Knochen, unbequeme Themen vermeidend und die großen Entscheidungen über das Vaterland den anderen – vor allem dem Ausland – überlassend. Mohlers Charakterisierung des untüchtigen VBlers stelle ich in voller Länge ein.

Armin Mohler, Der Nasenring
Die Vergangenheitsbewältigung vor und nach dem Mauerfall

7.  Soziologie der Vergangenheitsbewältigung
7.9 Die Vergangenheitsbewältigung des Untüchtigen

Der VB des Tüchtigen entspricht spiegelbildlich eine der Untüchtigen und Zukurzgekommenen. Auch diese Bewältiger sind von Grund auf unpolitisch, denn bei ihnen geht es hochmoralisch zu. Sofern sie das Dritte Reich erlebt haben, litten sie dabei nicht sonderlich, sind auch nicht Angehörige von Opfern. Für diesen Typus des Bewältigers ist kennzeichnend, daß er kaum oder gar nicht erlebnismäßig mit dem Dritten Reich verbunden ist. Es handelt sich einfach um Leute, denen das Dritte Reich und Hitler willkommene Anlässe (und nicht mehr) sind, sich den Mitmenschen gegenüber auf’s hohe Roß zu schwingen und für einige süße Augenblicke die eigene Bedeutungslosigkeit zu vergessen.

Was der andere auch sagt, es gibt einen wohlerprobten Fundus an Redensarten, die auf jede Situation passen: von „das gab es doch schon einmal“ über „wir wissen ja nun, wohin so etwas führt“ bis zu einem überlegenen „ich will Ihnen ja zugute halten, daß Sie sich der Tragweite dessen, was Sie eben sagten, nicht bewusst sind“. Ob der so angesprochene nun Nationalsozialist war oder nicht – darauf kommt es gar nicht an; er kann sogar erst nach 1945 geboren sein. Hauptsache ist, daß derjenige, der sich so mit dem Weltgewissen identifiziert, dies einigermaßen überzeugend mimt. In der durchneurotisierten Atmosphäre, in der sich solche Auseinandersetzungen unter Deutschen abspielen, wird dann auch den Unbefangensten ein Schauer aus Scham und Schuld befallen, und er wird den „Hitler in uns selbst“ verspüren. Das Bewältigen als Gesellschaftspiel und unverbindliche seelische Entlastung – auch das gibt es…

Als ich dieses Kapitel und den von Mohler so treffend aufgespießten „wohlerprobten Fundus an Redensarten“ las, fielen mir spontan die Grasses dieses Landes ein, und die Foren u.a. von SpOn und Zeit – da  wimmelt es von diesem Typus nur so.  Mohlers Der Nasenring ist ein Lesegenuss.

4 Kommentare zu „Die Vergangenheitsbewältigung des Untüchtigen“

  • Wahr-Sager:

    Das Zitat macht wirklich Lust auf das Buch. Danke fürs Einstellen.

  • ML:

    Schön, dass dieses wichtige und scharfsinnige Buch gerade wiederentdeckt wird und die Runde durch die Blogosphäre macht…

  • Wahr-Sager:

    So, ich habe das Buch eben für 5 Euro bestellt und bin schon sehr gespannt.

  • Wahr-Sager:

    Das Buch ist heute angekommen. Interessanterweise lag darin ein Zeitungsartikel zum 75. Todestag von Karl Marx.
    Wie Judith auch, habe ich das Buch erst mal kreuz und quer gelesen und bin gespannt, wann ich es richtig lese.
    Ich möchte aus diesem Buch Günter Maschke zitieren, der lt. Angabe seine Äußerung 1988 tätigte:

    „Wer die Verbrechen unter den Nationalsozialisten ‚relativiert‘, wer ihre ‚Einzigartigkeit‘ bestreitet, der, so hört man, verharmlost sie. Genau das Gegenteil ist der Fall. Der ‚Relativierer‘ verharmlost gar nichts, er spricht vielmehr die furchtbare Wahrheit aus, daß wir alle, alle ohne Ausnahme, im größten Stile zum Morde fähig sind. Verharmloser ist hingegen jeder, der auf die ‚Einzigartigkeit‘ der deutschen Verbrechen pocht. Er will nämlich an der Lüge festhalten, daß der Mensch im Grunde gut sei. Nur der Deutsche ist eben schlecht.“

    Günter Maschke ist lt. Wikipedia „ein deutscher Schriftsteller, der anfangs linker politischer Aktivist war, später Privatgelehrter und Publizist der Neuen Rechten wurde“.
    Interessant ist, dass Maschke früher radikal links war und nun radikal rechts sein soll. Noch interessanter aber, wie ich finde, ist der Umstand, wie Wikipedia suggeriert, dass Maschke sich in rechtsextremen Gefilden bewege:

    Seit seiner Abkehr von der radikalen Linken publizierte Maschke überwiegend in Zeitschriften des rechtskonservativen bis rechtsextremen Umfeldes wie Staatsbriefe, Criticón, Junge Freiheit, Empresas políticas (wo im Jahr 2008 zu seinem 65. Geburtstag eine Sondernummer als Festschrift erschien) oder Etappe, wo er seit 1993 als Mitherausgeber fungiert.

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