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Der Fall Zuckmayer

Carl Zuckmayers1 Vater besaß zur Zeit um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in Nackenheim am Rhein ein Unternehmen, das Kapseln zum Verschließen verkorkter Weinflaschen herstellte. Seine Gattin entstammte einer jüdischen Familie, war aber schon als Kind christlich erzogen worden, da ihre Eltern die Assimilation anstrebten. Carl Zuckmayer Sen. und seiner Ehefrau Amelie Friederike Auguste wurden zwei Söhne geboren; der jüngere erhielt ebenfalls den Namen Carl. – Auf die Herkunft vom Rhein nimmt die meltingpot-Rede des Generals Harras in dem Bühnenstück „Des Teufels General (1946)“ Bezug. Darin preist Carl Zuckmayer Jun. die Herkunft aus der „Völkermühle“, aus der „Kelter Europas“. „Da war [besipielsweise] …ein jüdischer Gewürzhändler…[er] hat die katholische Haustradition begründet.“ Weitere Vorfahren aus aller Herren Länder werden aufgezählt. „…und der Goethe, der kam aus demselben Topf, und der Beethoven, und der Gutenberg, und der Matthias Grünewald.“2 Und eben Carl Zuckmayer, der sich damit indirekt selbst das beste Zeugnis für seine Herkunft ausstellt.

Schon als Schüler eines Mainzer humanistischen Gymnasiums begann Zuckmayer, pazifistischem Gedankengut anzuhangen, das seinen Ausdruck in Gedichten fand. Doch bei Kriegsausbruch 1914 verdrängte er dies für einige Zeit und meldete sich nach Ablegung des Notabiturs freiwillig zum Militär. Er diente als Artillerist an der Westfront und stieg auf zum Leutnant.

Nach Kriegsende (1918) hielt Zuckmayer sich in Frankfurt und Heidelberg auf, wo er Vorlesungen besuchte, ohne ernsthaft zu studieren. Er zog es vor zu politisieren und schloß sich sozialdemokratischen Kreisen an. – Danach ging Zuckmayer die Ehe ein mit seiner Mainzer Jugendliebe (1920), die aber schon im folgenden Jahr geschieden wurde. Zuckmayer hielt sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Berlin auf, wo er mit einer Schauspielerin eine Affaire begann, die aber im Jahr darauf (1922) einen niederländischen Millionär heiratete und später den Gründer des Suhrkamp-Verlages, der sich wiederum 1959 wegen ihrer Trunksucht von ihr scheiden lassen wollte; doch starb er zuvor – und sie bald hernach.

Zuckmayer ernährte sich in Berlin mit Gelegenheitsarbeiten, so als Komparse beim Film. Er trat als Bänkelsänger in Gaststätten auf und stand als Schlepper vor Nachtlokalen. Ihm drohte sogar der Abstieg ins kriminelle Milieu, da er mit Rauschgift handelte. – Gleichzeitig versuchte er sich als Dramatiker, doch sein Erstlingswerk fiel in Berlin durch (1920).

Endlich erhielt Zuckmayer ein erstes Engagement als Dramaturg und Regieassistent in Kiel (1922), was aber bald mit fritsloser Entlassung beendet wurde (1923). Er ging nun nach München, weil er auf eine dortige Aufführung eines weiteren von ihm verfaßten Bühnenstückes hoffte. In München lernte er den Kommunisten Bertold Brecht3 kennen, der bereits mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet worden war (1922). Gemeinsam mit Brecht erhielt Zuckmayer 1924 ein Engagement als Dramaturg bei Max Reinhardt4, dem langjährigen Leiter des Deutschen Theaters in Berlin5. Diese Anstellung behielt Carl Zuckmayer, bis sich ab Ende des folgenden Jahres großer Erfolg einstellte, nachdem auch er – für ein noch gar nicht aufgeführtes Bühnenstück – den Kleist-Preis empfangen hatte (1925).

Kurze Zeit zuvor bereits hatte Zuckmayer die – nach der Scheidung ihrer Eltern geborene – österreichische Schauspielerin Alice Frank6 geheiratet (1925). Aus ihrer Ehe mit einem österreichischen Kommunisten hatte sie bereits eine 1924 zur Welt gekommene Tochter. 1926 wurde von ihr eine weitere Tochter geboren, die durch ihre Eltern Alice und Carl Zuckmayer den Namen Maria Winnetou erhielt.

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Carl Zuckmayers Bühnenstück „Der fröhliche Weinberg. Ein Lustspiel in drei Akten“, kurz vor dem Weihnachtsfest des Jahres 1925 uraufgeführt im Berliner Theater am Schiffbauerdamm, spielt im Herbst 1921, und zwar „in Rheinhessen“, in einer Ortschaft wie Zuckmayers Nackenheim. Die Sprache des Stückes lehnt sich an den Dialekt der Gegend an und soll eine Nähe zur volkstümlichen Bühne suggerieren. Die Ausdrucksweise ist so roh, wie man sie in linksorientierten Kreisen dem einfachen Volk zuschreibt. Dieses wird im „Fröhlichen Weinberg“ als ohne Sinn für die Ansprüche des Staates (Standesbeamter Kurrle, Studienassesor Bruchmüller) gegenüber den Bürgern dargestellt. Wer Opfer für das Vaterland gebracht hat (Kriegsveteranen), ist bloß auf Phrasen hereingefallen. Allein das Irdische im Sinne der Niedrigkeit zählt, der Geist samt allem höheren Streben wird verhöhnt. – So erstaunt es nicht, daß das überaus beliebte und im Deutschland der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre meist gespielte Bühnenstück einerseits verfilmt wurde,7 und andererseits auch zahlreiche Theaterskandale provozierte; manche geplanten Aufführungen wurden wegen befürchteter Krawalle verboten. Die Nackenheimer lehnten das Bühnenstück lange Zeit ab. Erst nach dem Ende des 2. Weltkriegs schwand ihr Widerstand im Zuge der 1945 angebrochenen neuen Zeit: 1952 wurde Carl Zuckmayer Ehrenbürger seiner Heimatstadt.

Im „Fröhlichen Weinberg“ gibt man sich ohne Rücksicht auf Sittlichkeit und Gebote den Trieben hin, ohne dabei das Geld, das materielle Wohl, aus den Augen zu verlieren, das aber an die zweite Stelle gesetzt wird; „Bild sich keiner ein, er könnt die herrgottsgeschaffe Natur kommandiere!“, sagt der Weinbergbesitzer Gunderloch;8 und seine Haushälterin bemerkt: „…es rächt sich nichts, was du mit Witz machst, un mit Spott oder Lust oder Schwindel, wenn das Herz echt ist dabei, und inwendig der Ernst und die wahre Lieb, da gibt‘s fürs Auswendige keine Straf und kein Katechismus, nicht im Himmel und erst recht auf der Erd nicht…“9 Affekte, Leidenschaften werden als „Liebe“ über die Vernunft gestellt. Diese Hochschätzung der „Liebe“ erinnert an den Lobpreis der Venus durch den römischen Epicureers Lucrez10 am Beginn seines Werkes „De rerum natura“, Über die Natur der Dinge: „alma Venus… / te sequitur cupide… / omnibus incutiens blandum per pectora amorem / efficis ut cupide generatim saecla propagent / …rerum naturam sola gubernas / …“ Nährerin Venus…, / dir leistet man (sc. alles Lebendige) Folge auf Grund der Begierde… / allen ins Innere einflößend lockende Liebe / bewirkst du, daß durch Begierde die Generationen sich vermehren nach Gattungen, / …du allein regierst die Natur der Dinge / … – Der Weinberg ist bei Zuckmayer das Symbol für die Trunkenheit schenkende Natur, für ihre Fruchtbarkeit und damit für eine von der Begierde getragene Liebe. Wer dem entgegensteht und eine höhere Bildung hat (Knuzius, ehemaliger Corpsstudent, nun Kandidat einer nicht genannten Fachrichtung), wird denunziert als Mitgiftjäger, also als jemand, der nur hinter dem Gelde herjagt, und den Leidenschaften nicht den ihnen gebührenden ersten Rang einräumt. „Wenn ma‘s recht bedenkt“, sinniert der Rheinschiffer Jochen Most, „lebt ma nit anders wie e Mück, die überm Wasser tanzt, oder e Weinbergschneck. … Gefresse, gesoffe, getanzt und gestorbe.“11 Dabei vergißt er jedoch das „gepaart“, um das es doch in diesem „Lustspiel“ vornehmlich geht.

Parodiert, aber zugleich trefflich charakterisiert, hat der jüdisch-österreichische Autor Robert Neumann12 den „Fröhlichen Weinberg“. Sein „Aktschluß aus ‚Der fröhliche Schweinberg‘ nach Carl Zuckmayer“ beginnt folgendermaßen: „Es dämmert. [Die Wirtstochter] Babettchen kommt mit [dem Kandidaten] Knutschius hinter dem Misthaufen hervor, sie streift sich das Kleid über die Knie hinunter, [die Haushälterin] Annemarie [Most13] kommt mit [dem Weinbergsbesitzer] Gunderloch aus der Ligusterlaube, er schließt seine Hose, aus der Buchsbaumhecke kriechen Klärchen [Gunderloch] und der junge Zuckmayer[, ihr Liebhaber an Stelle des Jochen Most bei Zuckmayer], der sich die Hosenträger anknöpft.

Klärchen: Das hat ausgegebe.

Der junge Zuckmayer: Die Sonn steigt! Ein gesegnet Jahr. … Und wie die Weinberg dampfe! Wie junge Roßäpfel.

Klärchen (innig): So prall und braun. …“

Von den gewaltigen Einnahmen aus dem „Fröhlichen Weinberg“ erwarb Zuckmayer in Henndorf am Walllersee bei Salzburg ein in Verfall geratenes Haus, die Wiesmühl. Er ließ es restaurieren und bewohnte es während des Sommers; in der übrigen Zeit des Jahres nutzte er seine noble Berliner Wohnung. – Henndorf war als Heimstatt österreichischer Mundartdichter in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bekannt geworden. In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts ließen sich dort verschiedene Literaten nieder, zu denen ab 1926 auch Zuckmayer gehörte.

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Auf der Gartenbank vor seinem Henndorfer Domizil schrieb Zuckmayer u.a. „Der Hauptmann von Köpenick. Ein deutsches Märchen in drei Akten (1931)“. Damit knüpfte er an eine wahre Begebenheit an: Der aus Ostpreußen stammende Schuhmacher Wilhelm Voigt14 wurde seit seinem fünfzehnten Lebensjahr vier Mal wegen Diebstahls und zwei Mal wegen Urkundenfälschung verurteilt. Obwohl er nach seiner Haftentlassung 1906 eine Arbeitsstelle fand, erteilten die Behörden ein Aufenthaltsverbot für den Großraum Berlin. So hielt Voigt sich seit dem Sommer jenes Jahres illegal in der Hauptstadt auf, wo er seinen Überfall auf das Köpenicker Rathaus vorbereitete, den er bereits während seiner vorangegangenen Zuchthaushaft (1891 – 1906) geplant hatte. Im Herbst 1906 trat er als Hauptmann des 1. Garderegiments verkleidet vor ihm zufällig begegnende Gardefüsiliere und -grenadiere, die er zu einem Sondereinsatz abzukommandieren vorgab. Mit ihrer Hilfe nahm er den Köpenicker Bürgermeister fest und raubte die Stadtkasse. Während des Prozesses gab Voigt vor, er habe das Geld nur verwahren und eigentlich einen Auslandspaß stehlen wollen; solche wurden dort jedoch gar nicht ausgestellt, und er suchte während seiner Rathausbesetzung auch nicht danach. Hingegen hatte es Gerüchte gegeben, wonach eine riesige Summe Geldes im Tresor des Köpenicker Rathauses deponiert sein sollte. Darauf dürfte Voigt es tatsächlich abgesehen gehabt haben. – Nach seiner Verurteilung zu vier Jahren Gefängnis wurde er 1908 begnadigt. Über die Grenzen Deutschlands hinaus hatte die Köpenickiade Voigt bekannt gemacht. 1910 ließ er sich in Luxemburg nieder, wo er 1922 verstarb.

Zuckmayer griff diese Geschichte auf, wobei er die Biographie Voigts in die Berliner Gegend verpflanzte, so daß der Schuhmacher in seinem Bühnenstück den dortigen Dialekt spricht. Zuckmayer nahm Voigts im Gerichtssaal vorgebrachte Schutzbehauptung nicht nur ernst, sondern steigerte sie noch: Die Aufenthaltsgenehmigung sei Voigt verweigert worden, da er keine Arbeit gehabt habe, und eine Arbeit habe er nicht gefunden, da er keinen Paß habe vorweisen können, denn dieser sei ihm wegen des fehlenden Arbeitsplatzes nicht ausgestellt worden. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, sei Voigt auf den Gedanken verfallen, erst sich als Einbrecher im Potsdamer Polizeirevier und später, nach Verbüßung der darauf erfolgten Inhaftierung, durch List im Köpenicker Rathaus einen Paß zu beschaffen. Da auch letzteres mißlingt, stellt Zuckmayers Voigt sich selbst in der Hoffnung auf Ausstellung eines Passes nach Verbüßung der erneuten Haft.

Bei Zuckmayer ist Voigt kein Verbrecher. „…ick hab in mein Leben noch keinem Mitmenschen wat wechjenommen. Ick habe immer nur mit der Behörde jekämpft.“15 Er tut alles, um sich in die Gesellschaft integrieren zu können. Er nimmt dafür sogar Gefängnisaufenthalte in Kauf. Verbrecherisch handelt eigentlich die Gesellschaft, die Voigt ausschließt; doch eben den sie beherrschenden Militarismus macht sich Voigt zu Nutze, um sein Ziel mittels der von ihm erdachten Köpenickiade zu erreichen: „Ick hab mir de Uniform angezogen – und denn hab ick mir ‘n Befehl jegeben – und denn bin ick losjezogen und hab‘n ausjeführt.“16

So handelt es sich bei Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“ um ein sozialromatisches Bühnenstück mit einer das preußische Militär und alle Bürokratie, ja letztlich die staatliche Ordnung attackierenden Stoßrichtung. Die von Zuckmayer in den Untertitel aufgenommene Charakterisierung des Stückes als „Märchen“ ist durchaus zutreffend, wenn auch nicht im positiven Sinne. – „Der Hauptmann von Köpenick“ wurde noch im Jahre der Uraufführung erstmals verfilmt.17

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Am Ende der Weimarer Zeit (1919 – 1933) stand Zuckmeyer dem linken Flügel der 1931 gegründeten sozialdemokratisch ausgerichteten Eisernen Front nahe. Nach dem Reichstagsbrand Ende Februar 1933 und der danach einsetzenden Verfolgung aller politischen Gegner der NSDAP verließ Zuckmayer mit seiner Familie Berlin und ließ sich ganz in Österreich nieder. Eine Wohnung in Wien trat an die Stelle derjenigen in Berlin. Viele Monate des Jahres verbrachte er nach wie vor in Henndorf. Da seine Stücke in Deutschland vom NS-Regime ein Aufführungsverbot erhielten, sanken Zuckmayers Einnahmen rapide. So publizierte er nun einen Roman sowie Erzählungen und schrieb auch Drehbücher.

Wegen des Anschlusses Österreichs (1938) floh die Familie Zuckmayer in die Schweiz und lebte dort ein Jahr lang am Genfer See, um anschließend in die USA zu emigrieren, wo Carl Zuckmayer erneut Drehbücher schrieb. Dann mietete er für 50 Dollar pro Monat eine Farm zwischen Woodstock und Barnard im Staate Vermont, die er zusammen mit seiner Frau bewirtschaftete. Daneben ließ sich Zuckmayer vom us-amerikanischen Auslandsgeheimdienst OSS18 engagieren: Er verfaßte Dossiers über alle ihm bekannten Personen, die dem Kunstbetrieb in Deutschland während der NS-Zeit angehörten; man könnte Zuckmayer deshalb also einen „Informellen Mitarbeiter“ nennen, wenn dieser Begriff nicht speziell für die verdeckt tätigen Informanten der StaSi19 gebraucht würde. Zuckmayers Dossiers lieferten einen Beitrag zu der Materialsammlung für die nach Kriegsende vorgesehene Umgestaltung des deutschen Kulturbetriebs im us-amerikanischen Sinne; im Jahre 2002 wurden sie unter dem Titel „Geheimreport“ veröffentlicht. – Im letzten Kriegswinter hatten sich Zuckmayers finanzielle Verhältnisse so weit konsolidiert, daß er die Landwirtschaft aufgeben und ein Farmhaus in der ebenfalls in Vermont gelegenen Ortschaft Woodstock beziehen konnte, wo er sich nun wieder ganz der Literatur widmete.

Zuckmayer war nicht der einzige deutsche Emigrant im Dienste des OSS. Auch Thomas Manns Sohn Golo20 gehörte dazu, während sich seine Schwester Erika21 vergeblich um Mitarbeit beim FBI bemühte: Sie erbot sich, im Dienste des FBI faschistische Spione zu enttarnen, doch man betrachtete sie als sexuell perverse Agentin der Komintern22 und lehnte daher ab. An diesem Beispiel wird deutlich, daß die US-Behörden die Zusammenarbeit mit Personen, die sie als Stalinisten einschätzten, ablehnten. Für die übrige Linke galt dies keineswegs nicht wie die Fälle Carl Zuckmayer und Herbert Marcuse23 zeigen. Man konnte auf Seiten der US-Behörden immerhin darauf verweisen, daß die dritte der vier von US-Präsident Franklin D. Roosevelt (1933 – 1945) proklamierten Freiheiten vom 6.1.1941 als „freedom from want“ auf eine Versorgung des einzelnen durch den Staat abzielt, der dieser kaum ohne – sozialistische – Umverteilung nachzukommen vermag. Entsprechend der nicht-stalinistischen Linken im Dienste der USA war diejenige politische Linke ausgerichtet, die nach dem Kriege die gesellschaftliche Vorherrschaft in der BRD erlangte. Erika Mann aber erhielt trotz ihres Antrages die us-amerikanische Staatsbürgerschaft nicht. Gegen ihren anti-deutschen Zeitungsaufsatz „Ablehnung“, der die bloße Möglichkeit eines nicht nationalsozilistischen Deutschland radikal verneinte, verwahrte sich Zuckmayer in einem offenen Brief an sie. – Golo Mann hatte Deutschland 1933 verlassen und sich ins Exil nach Frankreich begeben. Zeitweise hielt er sich auch in der Schweiz auf. 1939 emigrierte Golo Mann in die USA, erhielt 1943 die Staatsbürgerschaft der Vereinigten Staaten und trat in deren Armee ein. Außerdem wurde er nachrichtendienstlich für das OSS tätig. Nach Kriegsende sollte Golo Mann am Aufbau des Rundfunks in der US-Besatzungszone mitwirken. Aber schon 1946 verließ er die US-Army und kehrte in die USA zurück, wo er eine Professur erlangte24.

Carl Zuckmayer erhielt 1946 die US-Staatsbürgerschaft. 1946 bis 1947 war er dann in us-amerikanischen Diensten als Kulturbeauftragter tätig, der nach einer mehrmonatigen Insprektionsreise dem Kriegsministerium einen „Deutschlandbericht“ zu erstatten hatte; dieser ist 2004 als Buch erschienen. – Carl Zuckmayers Eltern wurden in Mainz wohnend ausgebombt, zogen um ins Allgäu und überlebten dort den Krieg samt der nationalsozialistischen Judenverfolgung.

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Von 1942 bis 1945 arbeitete Zuckmayer an dem Bühnenstück „Des Teufels General. Drama in drei Akten (1946)“. Er hatte vom Tode des Fliegers Ernst Udet25 erfahren, und dessen Schicksal inspirierte ihn zur Erfindung seines Generals Harras. – Ernst Udet war der erfolgreichste Jagdflieger unter denjenigen deutschen Piloten, die den 1. Weltkrieg (1914 – 1918) überlebten. Nach Kriegsende trat er als Kunstflieger auf und wirkte in Filmen mit. 1936 wurde Udet zum Chef des Technischen Amtes berufen und hatte die Entwicklung und serielle Produktion der Flugzeuge der Luftwaffe zu beaufsichtigen. Nach den militärischen Anfangserfolgen im 2. Weltkrieg erfolgten Beförderungen bis hin zum Generaloberst. Für die bald darauf einsetzenden Rückschläge an den Fronten wurde er jedoch ebenso verantwortlich gemacht. Udet beging Selbstmord; nach der damals offiziellen Darstellung kam er bei einem Flugzeugunfall um‘s Leben.

In „Des Teufels General“ geht es um eine Serie von Unfällen bei einem neuen Flugzeugtyp. Man macht General Harras dafür verantwortlich und setzt ihm eine Frist zur Aufklärung. Schließlich entdeckt Harras, daß ein Ingenieur, dem er unbedingt vertraut hat, dafür verantwortlich ist. Der sabotiert die Produktion der Maschinen, um damit Widerstand gegen das NS-Regime zu leisten. Statt ihn zu verraten, zieht Harras es vor, mit einem der neuen Flugzeuge zu starten und stürzt dann in den Tod.

Wie Ernst Udet bekennt Harras: „Mein Lebensinhalt – das war immer die Fliegerei. Das hab ich gemacht von der Pike auf – schon als Freiwilliger im Jahre vierzehn -, und nu kann ich‘s nicht mehr bleiben lassen. … ein Nazi bin ich nie gewesen. … Immer nur ein Flieger.“26 Dadurch aber ist er schuldig geworden; es hätte nämlich durchaus die Möglichkeit für ihn bestanden, sich den Alliierten anzuschließen. Harras selbst beginnt, dies einzusehen und sagt: „Ist es so natürlich [für mich, in der Wehrmacht zu kämpfen]? Ich weiß nicht. Vielleicht – ist es mehr Gewohnheit. Bequemlichkeit – die Wiege aller Laster.“27 So aber steht er auf der Seite von Kriegsverbrechern, denen er die Luftflotte für ihre Untaten bereitgestellt hat: „… Guernica – Coventry – … “28 Harras erkennt: „Wer auf Erden des Teufels General wurde und ihm die Bahn gebombt hat – der muß ihm auch Quartier in der Hölle machen.“29 Die Alliierten erscheinen als Vollstrecker des göttlichen Gerichts, da Harras seine Verurteilung akzeptiert: „Die Welt nimmt ihren Lauf, das Bestimmte erfüllt sich. Es wird keine Schuild erlassen. … Und auf den großen Fischzug folgt das große Fest. Glauben Sie…getrost an das göttliche Recht!“30 Doch trifft der Schuldspruch nicht nur ihn, sondern anscheinend – über sämtliche Wehrmachtsangehörigen hinaus – einen jeden Deutschen: „Wir sind eine Nation verstopfter Volksschullehrer geworden, die den Rohrstock mit der Reitpeitsche vertauscht haben, um das menschliche Antlitz zu entstellen. Wolkenjäger und Schindknechte. Ein miserables Volk.“31 Die einzige Ausnahme bildet der Saboteur.

Wie im „Fröhlichen Weinberg“ wird auch in „Des Teufels General“ ein Bekenntnis zum Epicureismus abgelegt. Harras, ein in die Jahre gekommener Mann mit einer Schwäche für junge Damen verkündet: „Ich aber sage Ihnen, das Leben ist schön. Die Welt ist wunderbar. Wir Menschen tun sehr viel, um sie zu versauen, und wir haben einen gewissen Erfolg damit. Aber wir kommen nicht auf – gegen das ursprüngliche Konzept. … Der Entwurf ist grandios. Und der Sinn heißt… die Schönheit. Oder – die Freude. Oder beides. … Es ist das, was wir in unseren besten Stunden ahnen, und besitzen. Und dafür – nur dafür – leben wir überhaupt.“32 Was Harras im mit Schönheit und Freude meint, zeigt sich später, da er ausruft: „Ach…, wenn‘s keine Frauen gäbe, und keine Musik! Dann…wär…unser Bregen nur eine Rotationsmaschine.“33 – Den Gegenentwurf zum Epicureismus schreibt Zuckmayer der NS-Ideologie zu, die auf Macht statt Lust abziele. Die vom BDM34 indoktrinierte Industriellentochter Pützchen bietet in der Rolle des Versuchers wie von einem Berggipfel aus35 Harras die Weltherrschaft an: „Ja, zum Teufel, ich zeig Ihnen die Welt, man sieht sie nur von oben! … In einem Jahr können Sie der Größte sein – die Macht hinter dem Führer – und jeden abkrageln, der Ihnen nicht gefällt. Macht ist Leben! Macht ist Genuß. Mensch – wenn Sie zugreifen – ich mache Sie ganz groß.“36 Die NS-Ideologie von Blut und Boden wird zum Bösen schlechthin erklärt. Zuckmayer läßt den Kunstmaler Schlick erklären: „Blut fällt auf den Boden. … Der Boden schluckt es ein – wie ein Schoß den Samen. Das ist die Erzeugung des Bösen. Die Geburt allen Übels. Abels Blut floß auf den Boden – beim ersten Mord. Damit kam das Böse in die Welt.“37

Sehr bemerkenswert erscheint auch eine Passage im 1. Akt, die die Völkermischung anpreist und oben bereits als meltingpot-Rede erwähnt worden ist. Sie wird General Harras in den Mund gelegt. Danach entspringt der Rheinländer einem bunten Völkergemisch und gewinnt gerade daher seine besondere Qualität: „und der Goethe, der kam aus demselben Topf, und der Beethoven [etc.]… Es waren die Besten…! Die Besten der Welt! Und warum? Weil sich die Völker dort vermischt haben. … Das ist natürlicher Adel.“ Damit wird von Zuckmayer nicht bloß ein unverbindlicher Kosmopolitismus propagiert, sondern es wird geradezu im Interesse der Qualität der Bevölkerung Deutschlands zu einer Vermischung mit Menschen unterschiedlichster Herkunft aufgefordert. Im Hintergrund dessen steht gewiß die us-amerikanische Idee vom „meltingpot of nations“,38 die dort allerdings nur so lange in die Realität umgesetzt werden konnte, wie die Einwanderer aus Europa stammten, d.h. nicht zu unterschiedlicher Herkunft waren; freilich bildeten den Kern dieses Gemisches stets die WASPs, white anglo-saxon Protestants. Als man allerdings nach Beseitigung jeglicher Rassentrennung in den sechziger Jahren dieses Modell auf schwarze US-Amerikaner, und Hispanics auszuweiten suchte, zeigte sich eine mangelnde Realisierbarkeit, so daß man sich genötigt sah, das Scheitern der erweiterten meltingpot-Idee und damit ein wahlloses Gemenge verschiedener Ethnien als beabsichtigten Multikulturalismus schönzureden . Dies konnte „Des Teufels General“ noch nicht vorhersehen. So plädiert er implizit für eine Förderung der Zuwanderung unterschiedlichster Völkerschaften nach Deutschland in der Hoffnung auf eine daraus entstehende Bevölkerungssynthese, deren Vertreter dieselbe Qualität erreichen wie die so erfolgreichen WASPs der USA.

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Von der Gründung der BRD (1949) an bis 1950 war Zuckmayers „Des Teufels General“ das meistgespielte Stück auf deutschen Bühnen, und noch während der gesamten fünfziger Jahre war es äußerst erfolgreich. Zuckmayer selbst hatte an der Uraufführung in Zürich teilgenommen und dazu ohne Erlaubnis die Zonengrenze überschritten. – 1948 hielt Zuckmayer sich als Privatmann im besetzten Deutschland auf, wo er einen Herzinfarkt erlitt. Dazu beigetragen hat neben Zuckmayers Lebenswandel möglicherweise auch Deutschlands desolate Lage sowie die stille Erkenntnis, daß er selbst als Werkzeug fremder Interessen zu dieser beigetragen hatte.

Nach Kriegsende erhielt Zuckmayer zwar sein Haus in Henndorf zurück. Er verkaufte es aber (1950), ohne es noch einmal bezogen zu haben. Nachdem er während seines Deutschlandaufenthaltes ab 1948 öfters in die USA gereist war, kehrte Zuckmayer 1951 dorthin zurück und erwarb das von ihm zuvor schon bewohnte Haus in Woodstock. Von seinem Vermonter Wohnsitz aus unternahm er ausgedehnte Reisen nach Europa, bis er 1957 die us-amerikanbische Staatsbürgerschaft aufgab und sich im Jahr darauf im Schweizer Wallis niederließ, wo er, nunmehr als österreichischer Staatsbürger, bis zu seinem Tode in dem Orte Saas-Fee wohnhaft blieb.

In den sechziger Jahren bekannte er sich nicht mehr zu seiner epicureischen Haltung, die er selbst als „Naturverfallenheit“ bezeichnete, sondern zum Christentum, freilich keinem katholischen, wie es seiner Herkunft entsprochen hätte. Dem entsprechend korrespondierte Zuckmayer mit dem damals bekannten calvinistischen Theologen Karl Barth39, der bereits 1915 in die sozialdemokratische Partei der Schweiz eingetreten war.

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Anläßlich eines Besuches in Österreich 1970 verfaßte Zuckmayer seine „Henndorfer Pastorale (1972)“. Darin erinnerte er sich: „Was überhaupt an Poeten, Künstlern, Schrift- und Schaustellern sich in diesen Jahren, den zwanzigern und dreißigern, in und bei Henndorf aufhielt, herumtrieb oder besuchsweise erschien, ist nicht auszudenken. Das fing mit Richard Billinger an. … Durch Billinger waren [auch] wir hierhergekommen…“40 Billinger wird als Autor dabei ein wenig verspottet, doch nicht boshaft, eher humorvoll, da Zuckmayer beschreibt, wie der hochgewachsene und kraftstrotzende Mann eines Tags vor einem leeren Blatt gesessen und nichts zu schreiben gewußt habe außer dem eigenen Namen. – Der österreichische Schriftsteller Richard Billinger41 war von 1924 bis 1933 nach Zuckmayer der meistgespielte deutschsprachige Dramatiker. Sein Werk widmete sich vor allem der Ergründung dämonischer Abgründe in der Natur; Billinger war homosexuell. Da seine Dramen ab 1933 auf weitgehende Ablehnung im NS-Kulturbetrieb stießen, suchte Billinger, der in Deutschland lebend den Anschluß Österreichs (1938) begrüßte, sich den herrschenden Verhältnissen anzupassen, schrieb Romane und Drehbücher, ohne allerdings die Tiefe seiner früheren Bühnenwerke wieder zu erreichen, erfreute sich dafür aber offizieller Anerkennung und entsprechenden Wohlstandes. Auch in der Nachkriegszeit setzte Billinger diese literarische Tätigkeit noch fort, obwohl er zunehmend der Trunksucht verfiel. Nach seinem Tode wurde Billinger bald vergessen, statt daß es etwa zu einer Wiederentdeckung seines Frühwerkes gekommen wäre. Darüber räsoniert Zuckmayer in der „Henndorfer Pastorale“ und schreibt: „…Billinger…, – den man…heute nicht mehr spielt oder liest, – das ist alles ganz unberechenbar, plötzliches Vergessensein, plötzliches Wiederaufleuchten.“42

Dabei übergeht Zuckmayer allerdings geflissentlich den eigenen Anteil am „Vergessensein“ Billingers. In seinen Dossiers für den us-amerikanischen Geheimdienst hatte Zuckmayer 1943 alles dazu getan, den früheren literarischen Konkurrenten als Künstler zu desavoieren. Gleich im ersten Satz wird auf die Herkunft Billingers „aus der gleichen Ecke Österreichs“ hingewiesen, aus der auch Hitler43 stammte; dort existiere anscheinend „ein ganz besonderer Boden für das Wachstum zwielichtiger zweitgesichtiger medialer oder auch pathologisch deformierter Halb-Genies oder Ganz-Charlatane…. “44 Weiter heißt es: „…er (sc. Billinger) ist wirklich ganz dumpf, ungeweckt und verwölkt, in Kinderängsten und Abergläubischkeit befangen – nur dass er aus alledem nicht schöpft und bildet, sondern…eine Manier, eine Pose und ein Geschäft macht. … Auf diese Weise machte er natürlich Karriere bei den Nazis – unter deren dramatischen und literarischen Nullen er immer noch mit seinem Talent und seiner Sprachartistik ein Gipfel ist.“45 Schließlich denunziert Zuckmayer Billinger noch als Weichling und Charakterlumpen: „Süsse Liköre und Pralinés…sind seine Lieblingsnahrung, raffinierte Parfums sein Entzücken. …seine homosexuelle Veranlagung bringt ihn immer wieder in völlig abhängige, verfallene Hörigkeit zu jenem Typus ‚männlicher Huren‘, effeminierter Muskelmänner, Grosstadt-Matrosen, Masseure, Nachtkellner und Strichjungen. Er ist eitel, rachsüchtig, vollkommen unzuverlässig, unglaublich feige und jederzeit zu jedem Verrat bereit, besonders an solchen Leuten, die er hasst weil er ihnen etwas zu verdanken hat oder die seine Maske ‚primitiver Urwüchsigkeit‘ durschaut haben.“46

Anmerkungen

1geb. 1896, gest. 1977

21. Akt

3geb. 1898, gest. 1956

4geb. 1873, gest. 1943; bis 1904: Max(imilian) Goldmann

51905 – 1930

6Alice Herdan-Zuckmayer, geb. von Herdan; geb. 1901, gest. 1991

7Ein schwarz-weißer Stummfilm wurde 1927 gedreht; 1952 und 1961 erfolgten zwei weitere Verfilmungen in Farbe und mit Ton.

83. Akt

91. Akt

10latein. Titus Lucretius Carus; geb. 98/94, gest. 55 v. Chr.

113. Akt

12geb. 1897, gest. 1975; vier Mal verheiratet; lebte 1934 bis 1958 im britischen Exil, zuletzt in München; bis heute bekannt ist seine Sammlung von Parodien „Mit fremden Federn (1927)“, der das folgende Zitat entnommen ist

13Annemarie Most trägt bei Zuckmayer denselben Vornamen wie seine Mainzer Jugendliebe und wie diese ebenfalls einen einsilbigen Nachnamen.

14geb. 1849, gest. 1922

153. Akt, 21. Szene

16ebd.

171931; weitere Verfilmungen erfolgten 1956 für das Kino und 1960, 1997 und 2001 für das Fernsehen.

18Office of Strategic Services; nach dem 2. Weltkrieg trat die CIA, Central Intelligence Agency, an die Stelle des OSS

19Ministerium für Staatssicherheit der DDR

20geb. 1909, gest. 1994; eigentlich Angelus (Mann)

21geb. 1905, gest. 1969

22In den Unterlagen des FBI heißt es: „(Klaus and) Ertika Mann (are) very active agent(s) of the comintern“, „perverse sexual“

23geb. 1898, gest. 1979

241947 – 1958

25geb. 1896, gest. 1941

261. Akt Höllenmaschine

27ebd.

28ebd.

293. Akt Verdammnis

30ebd.

312. Akt Galgenfrist oder die Hand

321. Akt

332. Akt

34Bund deutscher Mädel

35Vgl. Matth. 4, 8 – 10 par.

362. Akt

37Tatsächlich kam das Böse mit dem Sündenfall (Gen. 3) in die Welt, und der Brudermord (Gen. 4) geschah in Folge dessen.

38„What, then, is the American, this new man? He is neither a European nor the descendant of a European; hence that strange mixture of blood, which you will find in no other country. … He is an American, who, leaving behind him all his ancient prejudices and manners, receives new ones from the new mode of life he has embraced, the new government he obeys, and the new rank he holds.“ John Hector St. John de Crèvecoeur, „Letters from an American Farmer (1782)“ Was also ist der Amerikaner, dieser Neue Mensch? Er ist weder Europäer, noch Nachkomme eines Europäers; denn [er hat] diese fremdartige Mischung des Blutes, welche man in keinem anderen Lande finden würde. … Er ist ein Amerikaner, der nach Ablegen seiner alten Vorurteile und Verhaltensweisen neue erhält durch die neue Lebensweise, die er angenommen hat, [durch] die neue Regierung, der er gehorcht und durch den neuen [gesellschaftlichen] Rang, den er einnimmt.

39geb. 1886, gest. 1968

40Kapitel II

41geb. 1890, gest. 1965

42ebd.

43geb. 1889, gest. 1945

44„Geheimreport“, Gruppe 2: Negativ, 24. Richard Billinger

45ebd.

46ebd. [fehlendes Komma im Original]



3 Kommentare zu „Der Fall Zuckmayer“

  • Karl Eduard:

    Liest sich nicht wie der nette Nachbar von nebenan.

  • virOblationis:

    Georg Mogel schrieb (versehentlich unter „Brüder in Geist und Tat“):

    Ein Prediger
    Carl Zuckmayer kam 1958 endgültig nach Europa zurück und siedelte sich, gerühmt als Redner und als Diskussionspartner begehrt in der deutschsprachigen Schweiz, in Saas-Fee an. Dort erreichte ihn 1967 ein Schreiben des Theologen Karl Barth, das zum Auslöser eines bemerkenswerten Briefwechsels wurde. Barth hatte Zuckmayers 1966 erschienene Autobiographie “Als wär`s ein Stück von mir” gelesen und war beeindruckt. Nachdem es auch zu einem Treffen der beiden in Saas-Fee gekommen war, schrieb der Theologe dem Schriftsteller eine Beobachtung auf, die Zuckmayer verstörte. Denn in ihr drückt sich eine Wahrheit über Zuckmayers gesamtes Werk aus, die es ihn im einen veränderten Licht sehen lassen mußte. Auch der heutige Leser jener Bemerkung wird zu einer veränderten Einstellung zum Werk Zuckmayers veranlaßt. Barth schrieb damals: “Mit das Beste ist, daß Sie es offenbar kaum selbst bemerken, wie sehr Sie in Ihrer, wie man sagt, rein “weltlichen” Schriftstellerei faktisch ein priesterliches Amt ausgeübt haben und noch ausüben: in einem Ausmaß, wie das unter den berufsmäßigen Priestern, Predigern, Theologen und so weiter, katholischer oder evangelischer Konfession wohl nur noch von wenigen gesagt werden kann.” Das traf. Es traf ein Element in den Arbeiten Zuckmayers, das, einmal in dieser Deutlichkeit ausgesprochen, viel sehen läßt, viel zu erklären hilft. Es betrifft seine Weltfrömmigkeit und seine Versöhnlichkeit, sein Eingehen auf den einzelnen und seine Theorieunabhängigkeit. Es erklärt seine Erfolge bei den Lesern wie auch das wegwerfende Mißtrauen, das seinem Werk heute von den Kritikern entgegengebracht wird: Prediger sind verdächtig. Zuckmayer notierte: “Mich drückt das zu Boden, mehr als ein fachmännischer “Verriß” je hätte tun können. Ich fühlte mich von einem Ausspruch, einem Postulat betroffen, wie man es bewußt kaum erfüllen kann. Glücklicherweise vergißt sich so etwas wieder, wenn man an der Arbeit ist. Damals übten diese Sätze, diese Heimsuchung eine Lähmung auf mich aus, welche dann, durch die strömende Güte und erfrischende Mitteilsamkeit von Barths Briefen, ins Gegenteil verwandelt wurde.”
    Ein weltlicher Prediger, das könnte ein Schlüssel zu seinem Schaffen sein. Zuckmayer besaß die Empathie eines sehr vitalen, sehr aufmerksamen, sehr besorgten guten Hirten. Getragen von einem oft überschwenglich vorgetragenen pantheistischen Lebensgefühl verkündet er seine Botschaft der Weltfrömmigkeit. Das macht ihn heute für manche fremd, denn solche Verkünder eines weltzugewandten, die gesamte Schöpfung umfassenden Mitgefühls, sind schon länger aus der Mode gekommen.
     

  • Georg Mogel:

    @virOblationis  7.47 h:
    Vielen Dank für Ihre Korrektur !

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