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Mein schönstes Feiertagserlebnis

Um nicht verschwitzt am Hochamt teilzunehmen, radele ich an Sonn- und Feiertagen nicht die gesamte Strecke zur Kirche, sondern nur eine Hälfte; für die andere nehme ich die Bahn.

Was für ein herrlicher Morgen! Sacht bläst der Nordwind jeden Wolkendunst vom Blau des Himmels fort. Ich grüße die ersten Mauersegler als Boten des nahenden Sommers. Dann erreiche ich den Bahnhof und bugsiere mein Rad in den haltenden Zug hinein.

Da bemerkte ich im Wagen vor mir eine Rangelei. Übermut junger Kerle? Nein, eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, ringt die Hände. Ich drücke rasch den Notruf, um die Zugführung zu informieren. Nach einer kurzen Weile eine Reaktion: „Sie haben den Notrufknopf gedrückt?“, fragt eine weibliche Stimme. „Ja, wegen einer Rangelei im vorletzten Wagen.“ Es folgt als Reaktion ein gelangweilt klingendes: „Ich werde ‚mal nachsehen.“

Von der Zugführerin habe ich nichts weiter bemerkt: Sie muß den vorletzten Wagen aus einer schwer einzusehenden Position heraus inspiziert haben. Mir geht der Gedanke durch den Kopf: „Dabei hat doch die Zugführung eigentlich für Ordnung sorgen.“

Inzwischen hatte sich die Aufregung im vorletzten Wagen wieder gelegt, und der Zug setzte sich in Bewegung. Aber was war passiert? Von anderen Fahrgästen, die das Geschehen – im Gegensatz zu mir, der ich mit dem Fahrrad beschäftigt war – beobachtet hatten, erfuhr ich, daß ein junger Mann der fast noch mädchenhaft wrkenden jungen Frau, die telephonierte, beim Aussteigen ihr Mobiltelephon aus der Hand gerissen hatte, um damit sogleich zu verschwinden. Doch zwei andere Fahrgäste, ebenfalls junge Männer, hatten sich auf den Räuber gestürzt, um ihn festzuhalten; offenbar war er dennoch entkommen. Hätte die Beraubte doch „Haltet den Dieb!“ oder irgendetwas in der Art gerufen! Dann wäre ich natürlich auch hinzugeeilt, vielleicht ebenso weitere Fahrgäste. Naja, hinterher ist man immer schlauer.

Der Räuber war übrigens – dem Äußeren nach zu urteilen – ein Einheimischer, wie ich von anderen hörte. Die beiden hilfreichen jungen Männer ebenso. Das stimmte mich froh. Offenbar ohne einander oder die Beraubte zu kennen, hatten beide sogleich versucht, den Räuber dingfest zu machen. Nicht als Geschädigte oder um einer Belohnung willen, sondern einfach, weil Unrecht geschehen war, hatten sie sich ohne Rücksicht auf die eigene Person, so mutig gezeigt. – Schon als Kind habe ich Hagen von Tronje bewundert, der kämpft, ohne dadurch etwas gewinnen zu wollen; nicht einmal das eigene Leben wird er als Beute himbringen. Nein, er sieht sich in ein Kampfgeschehen hineingezogen, das er nicht überleben wird, und gerade angesichts dieser – menschlich gesprochen – aussichtslosen Situation wächst der Tronjer als Krieger über sich hinaus.

Daß zwei junge Männer sich am heutigen Morgen so beherzt zeigten, stimmt mich ein wenig froher, trotz der Verrottung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die es mit sich bringt, daß ein Raubüberfall, an den man sich in meinen Kindertagen wohl noch nach Jahren erinnert hätte, heute zum alltäglichen Geschehen gehört.

Die Zugführerin entspricht in ihrem Verhalten der heutigen Obrigkeit. Soweit diese das eigene Volk nicht gerade aus ideologischen Gründen piesackt, läßt sie Unrecht hingehen, ohne energisch einzugreifen; man denke nur an Bremen und den Miri-Clan. Die Obrigkeit propagiert einen fröhlichen Hedonismus und lebt ihn vor: Ihre Vertreter gleichen den Göttern Epikurs, die sich ihrer weltentrückten Seligkeit erfreuen, ohne sich um das Geschehen in den Niederungen der Wirklichkeit, wo die Menschen leben, zu kümmern, weil das die eigene Seligkeit bloß inkommodieren würde.

 

4 Kommentare zu „Mein schönstes Feiertagserlebnis“

  • Tja, aber wann und wo hätte sich die Obrigkeit anders verhalten? Zwischen 1870 und 1918 in Deutschland? Zwischen 1949 und 1980 in Deutschland? Ich frag‘ einfach nur.

  • Wahnfried:

    Der ÖPNV ist immer ein schönes Sinnbild und irgendwo auch Gradmesser unserer Gesellschaft. Als ich vor einigen Monaten abends mit dem Regionalzug reiste, konnte ich beobachten, wie der Schaffner nur noch solche Bürger kontrollierte, die aus mittlerweile obsolet gewordenen Gründen noch Respekt vor der Uniform hatten. Mohammedanische Jungmänner wurden nicht nach ihrem Ticket gefragt. Deutsche Rentner dagegen schon. Es sind diese Details, die einen immer wieder erhellen…

  • bavarikus:

    Zum Beitrag von „Wahnfried“. Sehr gut erkannt! Es sind kleine, vordergründig unwichtige und unscheinbare Details, an denen man ablesen kann, wie weit die Zerstörung unserer Kultur vorangeschritten ist. Kultur findent nämlich nicht nur im Theater und in der Oper statt. Nein! Sie findet überall statt. Inzwischen sind wir so weit gekommen, dass Unkultur (sic!) auch schon überall zu beobachten ist.

  • […] Mein schönstes Feiertagserlebnis […]

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