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Brest-Litowsk und Versailles

Als der Ostblock noch bestand und man sich seinen Untergang gar nicht vorzustellen vermochte, wurde immer wieder die Maßlosigkeit des von Deutschland erzwungenen Vertrages von Brest-Litowsk beklagt; „Raubfriede“, so hieß er im Ostblock. Selbst Ernst Nolte nannte ihn 1966 „einen ebenso harten Friedensvertrag“ wie den von Versailles.*

Rußland drängte seit dem 16. Jahrhundert militärisch auch nach Westen, hatte im 18. Jahrhundert das Baltikum erobert, danach den Kern Polens angegliedert sowie Finnland.  Ganz folgerichtig ergab sich daraus ein Streben nach russischer Dominanz in Mitteleuropa. Dies brachte Zar Alexander III. (1881 – 1894) klar zum Ausdruck, der beim Abschluß des gegen Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien gerichteten Bündnisses mit Frankreich (1892) zugab, die Gründung des Kleindeutschen Reiches von 1871 rückgängig machen zu wollen: „Es würde sich in eine Anzahl kleiner, schwacher Staaten auflösen, so wie es vorher war.“ Schon vier Jahrzehnte zuvor hatte Friedrich Engels die Linie von Danzig oder Stettin hinab nach Triest Rußlands „natürliche Grenze“ im Westen genannt, wobei hier Rußland als Hegemon eines panslawischen Staates gemeint war. Dabei würde Preußen zusammen mit Ungarn annektiert[, obwohl keine slawischen Länder, aber das waren Finnland sowie die baltischen Länder ja auch nicht], der österreichische Rest des Habsburger-Reiches zum russischen Vasallen.

Nach Anfangserfolgen im 1. Weltkrieg mußte das inzwischen bolschewistische Rußland im Friedensvertrag von Brest-Litowsk mit dem Deutschen Reich (1918) die Unabhängigkeit Polens, der Ukraine, Finnlands und des Baltikums anerkennen; gewiß entsprach dies dem deutschen Interesse, denn die Errichtung von Pufferstaaten nahm Rußland die Möglichkeit, Deutschland direkt anzugreifen. Doch der Vertrag von Brest-Litowsk befreite auch zugleich die an Rußland zwangsweise angegliederten Völker. Außerdem verzichteten Deutschland und Rußland gegenseitig auf Reparationszahlungen, und es wurden keine Annektionen irgendwelcher Territorien durchgeführt.

Wie anders der – nicht ausgehandelte, sondern diktierte – Friedensvertrag von Versailles: den Deutschen wurden die Rechte, die man sonst jedem Volk zugesprach, nicht nur vorenthalten, sondern den Nachbarstaaten gestattet, sich Fetzen aus dem Fleisch des Besiegten herauszureißen. Deutsch besiedelte Landschaften fielen an die Kriegsgegner: an Belgien Eupen und Malmedy, an Frankreich Elsaß und Lothringen, an Italien, das rechtzeitig die Seite gewechselt hatte Südtirol, an die CSR das Sudetenland, an Polen weite Teile der Provinzen Posen und Westpreußen; Litauen besetzte das Memelland. Eine erfreuliche Ausnahme bildete Dänemark, das sich gemäß Abstimmung mit dem überwiegend dänischen Nord-Schleswig begnügte und so auch Flensburg bei Deutschland ließ. – Hinzu kamen weitere Bestimmungen des Versailler Vertrages, wonach Deutschland von Österreich abgetrennt und tw. besetzt wurde. Die Heeresstärke wurde auf einen Rest reduziert, eine Luftwaffe untersagt usw. An den Reparationen hat Deutschland bis ins vergangene Jahr bezahlt.

Nachdem der 2. Weltkrieg ausgebrochen war, ergab sich durch den Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt von 1939 eine gemeinsame Grenze zwischen der UdSSR und Deutschland, die bald sehr viel länger wurde, da die UdSSR nicht nur Finnland tw. eroberte, sondern auch das Baltikum besetzte. Es gab nun keine Pufferstaaten mehr zwischen Deutschland und der UdSSR: Deutschland selbst hatte dafür durch Vertragsabschluß und Polenfeldzug gesorgt! Bald aber sah man sich einem 260 Divisionen umfassenden und nach Westen zielenden sowjetischen Invasionsheer gegenüber, das im Geheimen über mehr als zehn Jahre aufgebaut worden war. Als man sich auf deutscher Seite der tödlichen Gefahr bewußt wurde, bekam die Wehrmacht den Auftrag, im Osten durch einen Praeventivkrieg nicht nur den feindlichen Aufmarsch zu zerschlagen, sondern die Sowjetunion aufzulösen, so daß – abgesehen vom besetzten Polen und dem verbündeten Finnland – nun wieder Ukraine, Weißrußland und das Baltikum unabhängig vom russischen Kern werden sollten. Man erkennt dabei das Vorbild des Vertrages von Brest-Litowsk wieder; allerdings gab es darüber hinaus gehende Pläne, aus den Pufferstaaten (Baltikum, Weißrußland, Ukraine) Protektorate zu bilden und Finnland einen Nordteil Rußlands zu überlassen, das danach arg geschwächt keine Gefahr mehr für Deutschland darstellen sollte. Anzumerken bleibt, daß auch der Vertrag von Brest-Litowsk die Stationierung deutscher Truppen im Nordteil des späteren Lettland, in Estland und Weißrußland vorgesehen hatte.

Der Ausgang des 2. Weltkriegs ist bekannt: Es kam gerade andersherum. Die von Engels vorhergesagte Westgrenze des panslawischen Reiches wurde nun unter sowjetischen Vorzeichen verwirklicht. – Doch 1989 implodierte der Ostblock, die UdSSR löste sich auf, und es entstanden neu wie „von allein“ die unabhängigen baltischen Staaten, Weißrußland und die Ukraine. Offenbar entsprach dies dem Willen der bis dahin an Rußland angegliederten Völker, denn ohne sie wäre dies kaum zu verwirklichen gewesen. Demnach aber handelte es sich bei dem Vertrag von Brest-Litowsk keineswegs um einen „Raubfrieden“, sondern um die maßvolle Durchsetzung deutscher Interessen, die allerdings mit dem der bis dahin an Rußland angegliederten Völker mehr oder weniger deckungsgleich gewesen zu sein scheinen. Wie anders dagegen der Versailler Vertrag!

* Zwar referiert Nolte dort nur die um 1920 verbreitete Meinung über den Vertrag von Brest-Litowsk, doch da er den Nachweis des Gegenteils durch Hitler an derselben Stelle als „schwierig“ bezeichnet, darf man wohl davon ausgehen, daß Nolte selbst diese Meinung für begründet hält.

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