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Antigone

Der Barbar zeichnet sich nach antiker Überzeugung dadurch aus, daß ihm die griechische Paideia, Kultur und Bildung, fehlt. Tatsächlich stellt vor allem die Philosophie der Griechen, die Ergründung der Welt allein mit Hilfe des Logos, der Vernunft, etwas so Großartiges dar, daß man von einem „Griechischen Wunder“ (Renan) gesprochen hat, das meiner Meinung nach ohne den Glauben an eine göttliche Vorsehung kaum zu begreifen ist.

Aber nicht allein die Philosophie macht die griechische Kultur unverwechselbar: Man denke nur an die Tragödiendichtung, die mit Sophokles ihren Höhepunkt erreicht hat. – Und auf diese einzigartige Kultur, die uns durch das christianisierte Rom vermittelt wurde, ist unsere abendländische Kultur gegründet worden.

Wenn ich aber lese, daß man mit gutem Gewissen den Staatsfeind über dessen Tod hinaus verfolgt, indem man ihm eine Grabstätte verweigert, dann sehe ich, wie sich mit dem Dunkel des Unwissens die Barbarei auf Kosten der abendländischen Kultur ausbreitet.  Als Held eines jüngst aufgeführten Stückes sieht sich wohl vor allem die Ev. Gemeinde, der der Wunsiedler Friedhof mit der Heßgrabstätte gehört: Die Angehörigen des Toten konnten überzeugt werden, der Vernichtung der sterblichen Überreste zuzustimmen. Aber auch Journalisten wie ein Herr Wagner von der Bildzeitung, der dem Toten mit der Titulierung als „Schwein“ noch einen kräftigen Fußtritt verpaßt, stellt sich eifrig an die Seite der Vorkämpfer gegen das rechte Dräuen.

Kennt denn niemand mehr deine Antigone, Sophokles? Hat ihnen niemand davon erzählt, daß dem toten Staatsfeind eben nicht das Begräbnis verweigert wird, daß seine Bekämpfung nicht über den Tod hinauszureichen hat? – Doch unserer Zeit ersteht wohl keine Antigone mehr, die ihr Leben hingibt für die Bewahrung der Kultur.

 

 

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