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Die hochgejubelte „Gruppe“. Über ein Kultbuch der siebziger Jahre

Da Forist Dietmar in einem Leserbeitrag auf Manfreds Blog „Korrektheiten“ das Tavistock Institute erwähnt hat, möchte ich dies zum Anlaß nehmen, um die Geschichte von „Gruppen“ in der Therapie, dann in der Arbeitswelt und schließlich als Modul zur Umgestaltung der Gesellschaft darzustellen. – Im Zusammenhang damit steht dieser Artikel, der vorweg ein Kultbuch der siebziger Jahre in Erinnerung ruft.

Bei der Übernahme des Einsatzes von Gruppen in Psychotherapie und Soziologie aus dem angelsächsischen Bereich in Deutschland spielte Horst-Eberhardts Richters Buch „Die Gruppe (1972)“ eine bedeutende Rolle. Eine Besprechung dieses Buches im Spiegel soll verdeutlichen, wie begeistert es von Fachautoritäten angepriesen wurde, so daß dem Laien nur das Staunen blieb, das allzu häufig zu einer unkritischen Übernahme des Propagierten führte. – Richter publizierte auch danach noch, aber nie wieder erhielt er solch große Aufmerksamkeit, wie mit seiner „Gruppe“.

Es stimmt schon nachdenklich, wenn man liest, mit welcher Emphase der für den Spiegel schreibende Verfasser, immerhin wissenschaftlich gebildet, seinesgleichen feiert: Der gerade erst verstorbene Michael Balint (gest. 1970) habe sich „unvergängliches Verdienst“ erworben; wenn man über Jahrtausende oder wenigstens Jahrhunderte zurückblickt, mag man einer Persönlichkeit so etwas zuerkennen, doch nicht nach zwei Jahren! – In bezug auf Richter, dessen Buch gerade erst erschienen ist, sagt der Autor, dessen „Spuren“ seien „unauslöschlich“; will er sich damit zum Propheten aufschwingen?

Es folgt auch ein Beispiel im Text, an Hand dessen man erahnt, mit welch perfiden Methoden in den – zuerst therapeutischen, dann das soziale Miteinander von Menschen bestimmenden – Gruppen die Neuausrichtung durchgesetzt worden ist. Der Autor schreibt nämlich: „Es (sc. das Buch „Die Gruppe“) konfrontiert den Leser einem echten sozialen Notstand sowohl in der allgemeinen Erziehung als auch in bezug auf die Randgruppen, deren Existenz von den meisten Menschen in unserer Gesellschaft mit Hilfe einer ‚Sündenbockstrategie‘ verleugnet wird.“

Die „allgemeine(n) Erziehung“ wird zum Notstandsgebiet erklärt, einfach so. Wer sich von Titeln und Ämtern des Autors nicht einschüchtern lassen will, dem wird durch das Adjektiv „echt(en)“ versichert, daß es sich wirklich so verhalte. Wer sich den Notstand dann noch verleugnen will, dem wird – durch Verknüpfung des angeblichen Problems mit dem gesellschaftlicher Randgruppen – die Beibehaltung einer ‚Sündenbockstrategie‘ unterstellt, d.h. der Autor wirft dem Leugner seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, er wolle eine als Sündenbock mißbrauchte Randgruppe der Gesellschaft auch weiterhin auf diese Rolle festlegen, um sich dem „echt“ bestehenden Notstand nicht stellen zu müssen, und wer wollte verkennen, wie unmenschlich solch ein Verhalten ist!

 

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