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Die Reihen schließen sich

In Griechenland soll eine Einheitsregierung auf den Weg gebracht werden, die von der bisherigen Regierungspartei sowie der bisherigen Opposition bzw. der größten Oppositionspartei getragen werden soll. Dabei fällt die Parallele auf, die der Bundestag bildet, wo man gegenwärtig fast von einer informellen Koalition aus CDU (samt CSU sowie Schwund-FDP), SPD und Grünen sprechen kann. Bis dahin galt doch der Streit der Meinungen als charakteristisches Merkmal unserer Demokratie, ein Streit der Meinungen, der allzu leicht Zwietracht säen kann; deshalb beobachtete ich dies auch stets mit etwas Argwohn, bin ich doch der festen Überzeugung, daß nur die Eintracht ein Gemeinwesen stark zu machen vermag.

Vertreter der politischen Klasse rücken zusammen, die Reihen schließen sich. Der Meinungsstreit scheint nicht mehr wesentlich. Er rückt in den Hintergrund. Dies vollzieht sich nicht zufällig, sozusagen als ein Kuriosum der Geschichte, was daran deutlich wird, daß sich nämliche Prozesse gleichzeitig in Griechenland und Deutschland beobachten lassen.

Schauen wir einmal auf den Grund für die Bewegung zur Schließung der Reihen auf seiten der politischen Klasse! Es fällt nicht schwer, den Anlaß dafür zu erkennen, wenn drei Viertel der Deutschen gegen die Euro-Rettungsmaßnahmen eingestellt sind und neunzig Prozent der politischen Klasse dafür. In Griechenland mag der Gegensatz noch deutlicher sein, so daß das kurzzeitige Schwenken der Volksabstimmungskeule auch so nachhaltige Wirkung erzielte.

Auch in der hiesigen Presse wird das Phänomen mehr oder weniger wahrgenommen, wenn man die bisherige parlamentarische Demokratie auf China schielend am liebsten gegen ein europaweites, autoritäres Regime eintauschen möchte, um das EU-Projekt und seine Währung, den Euro, zu erhalten. Natürlich widerspricht dies unserer gesamten europäischen Geschichte in ihrer Stärke durch Vielfalt (von Völkern und Reichen, die sich immer wieder zur inneren Eintracht durchgerungen und allenfalls zur Abwehr äußerer Gefahren miteinander verbündet haben); schon von daher dürfte das Projekt kaum Überlebenschancen auf längere Sicht haben. Viel bedeutsamer scheint es mir aber, daß man glaubt, im Wohlstand einer Mehrheit der Bevölkerung bestünde die Legitimierung des Wirkens der politischen Klasse einer parlamentarischen Demokratie.

In dem oben, im vorangegangenen Absatz, angebundenen Zeitungsartikel aus der FR heißt es: Das „Ideal [der Demokratie besteht darin,] allen ein gutes gemeinsames Leben zu ermöglichen.“ (S. 2 Mitte) Wenn dies nicht mehr möglich sei, trete eben etwas anderes an die Stelle der Demokratie – sinngememäß ist zu ergänzen: Ein autoritäres Regime, welches das Wohlergehen der politischen Klasse und ihres Anhangs in Justiz und Medien sichert und mit geeigneten Maßnahmen das unzufriedene Volk niederhält, solange es nicht mehr möglich ist, dieses am Wohlstand partizipieren zu lassen. Ja, eben darauf läuft der Gedankengang des Artikels hinaus, und er ist in sich stringent.

Der grundlegende Fehler des angeführten Artikels besteht in der Annahme, es gehe letztlich um nicht mehr als ein gutes, d.h. materiell abgesichertes, gemeinsames Leben, wo jeder tun und lassen kann, was er will, solange er den andern damit nicht stört. Eine solche Meinung mag weit verbreitet sein, entspricht aber einem geistigen Tiefstand. Sie blendet nicht nur die Geschichte aus, sondern auch die gemeinsame Kultur und Sprache, die Schicksalsgemeinschaft des Volkes, seine Religion.Viel tiefer blickt die Präambel des Grundgesetzes, in der das christliche Doppelgebot der Liebe (zuerst gegenüber Gott und danach gegenüber dem Nächsten) anklingt, wenn es heißt: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen…hat sich das Deutsche Volk…dieses Grundgesetz gegeben.“ Natürlich hat es das nicht; aber richtig ist, daß das durch eine Verfassung geordenete Leben sich im Bewußtsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen abspielen soll, denn Gott ist der Schöpfer und hat die Welt als eine geordnete hervorgebracht, und gemäß dieser Ordnung ist das Leben zu gestalten; der Mensch aber bildet darin Gottes Ebenbild. Hinzu wünscht man sich natürlich Wohlstand; der ist zu erarbeiten und kann dennoch versagt bleiben. Er bildet aber nicht das höchste Ziel. Deshalb darf der Wohlstand auch nicht die Frage nach der verfassungsmäßigen politischen Ordnung entscheiden. – Das sei gerade heute, am Jahrestag der unseligen Oktoberrevolution, unterstrichen.

„Die Wirklichkeit? Gut. / Doch was ist mit ihr schon getan! /  Gott nicht – aber sie absolut?

Sie tabu, wie? Alles andre Wahn, / was sich nicht melken läßt? / (Denn beim Fraß fängt es an.)

So steht’s wohl im Manifest. – / …

… Schlagt nur tot und beweist! / Ihr habt das Hirn, verrücktes Gewind, / die Welt zu vertieren, die Maschinen speist.“

aus: Josef Weinheber, „Erwiderung auf einen anonymen Brief“

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