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Zynikerin der Macht. Versuch über Merkels Persönlichkeit

Es ist so erstaunlich zu sehen, wie die Bundeskanzlerin das von ihr eben noch Propagierte ignoriert und plötzlich unter ganz anderen Gesichtpunkten handelt. In ihrer Sprunghaftigkeit läßt sie bloße Opportunisten fast unbeholfen erscheinen. Ist etwa die Unbeständigkeit ihr Wesensmerkmal? Kaum. Denn dann würde sie nicht Jahr um Jahr als Kanzlerin wirken, ohne daß ein Ende abzusehen ist.

Sie selbst lüftete das Geheimnis um ihre Person, als sie in einer Rede erzählte, wie sie gefragt wurde: „‚Sagen Sie mal, Frau Merkel, wenn Sie sich 1990 anders entschieden hätten und nicht in die Politik und zur CDU gegangen wären, was würde der CDU heute eigentlich fehlen?‘ ‚Ich‘ , habe ich kurz und knapp geantwortet.“ – Das ist sehr aufschlußreich. Sie bekennt ganz offen, daß sie nicht für bestimmte Inhalte eintritt, denen eine Unterstützerin verloren gehen würde, wenn sie abtritt, sondern sie steht nur für sich selbst: Ihr „Ich“ würde fehlen, wenn sie nicht da wäre, und dieses „Ich“ definiert sich nicht durch bestimmte Überzeugungen, sondern dadurch, daß dieses „Ich“ ganz offensichtlich Kanzlerin sein will, sonst wäre es damit nicht seit 2005 beschäftigt.

Es ist demnach im Grunde völlig gleichgültig, welche Partei ihr zum Regieren verhilft; und so geht sie auch mit deren inhaltlichen Positionen um. Es geht nicht um Meinungsbildung, sondern um das, was ihr als politische Position gerade angezeigt zu sein scheint, und dies wird, wenn es von größerer Bedeutung ist, eben zum Programmpunkt der Partei. Diese hat nicht darüber zu diskutieren, sondern zu propagieren. Dennoch wird Merkel dies Verhältnis zur Partei als ein Nehmen und Geben ansehen, da die CDU unter ihrer Regentschaft in die Lage versetzt wird, zahlreiche Ämter zu vergeben und  Posten zu besetzen.

Wie wenig Merkel der CDU innerlich verbunden ist, zeigt, daß sie vielmehr die Repräsentanten en bloc hinter sich zu sehen wünscht. Das schließt inhaltliche Differenzen schwerwiegender Art zwischen den Parteien aus; dem hatte die CDU sich zu beugen. Um Kanzlerin zu bleiben, muß Merkel nur das Kunststück zustande bringen, die konturlose CDU stärkste Partei bleiben zu lassen, so daß sie sich irgendeinen Koalitionspartner auswählen und weiterregieren kann.

Eben noch glühende Anhängerin der Globalisierung und Heroldin übernationaler Institutionen, verhandelt sie jetzt mit Sarkozy über die Zukunft des Euro, ja der EU. Dies rückt die Nationalstaaten in den Vordergrund. Was motiviert Merkel dazu, plötzlich auch in dieser Angelegenheit wieder eine Kehrtwende vorzunehmen? – Es wird ihr klar sein, daß sie nicht Kanzlerin bleibt, wenn durch die Übernahme der Schulden anderer Euro-Länder Deutschland finanziell ausblutet. So gibt sie sich plötzlich recht pragmatisch.

Dies mag, nebenbei gesagt, auch der Grund dafür sein, daß Altbundeskanzler Schmidt vor der SPD von „deutschnational“ in bezug auf die CDU faselte: Wenn man dies nicht einer fortgeschrittenen Senilität zuschreiben will, dann wird darin der Unmut zum Ausdruck kommen, daß Merkel augenblicklich pragmatisch handelt, als Politikerin also in etwa das ist, als was Schmidt stets gern erscheinen wollte. Doch seine Äußerungen zum „Deutschnationalen“ zeigen gerade, in welch hohem Maße auch er kein Pragmatiker, sondern das Produkt westlicher Reeducation ist. – Die ganze Jämmerlichkeit der SPD-Genossen offenbarte sich aber, als Schmidt, der wußte, daß ihn niemand deshalb bestrafen würde, eine Zigarette anzündete, denn da johlte der Parteitag, all die tapferen Kämpen, die während der NS-Zeit mutig Widerstand geleistet hätten, sich z.Z. aber nicht einmal trauen, dort zu rauchen, wo es untersagt ist.

Merkel hingegen – wegen ihrer FDJ-Vergangenheit oft geschmäht – hat gelernt, eine bestimmte Ideologie verbal gänzlich zu übernehmen, sich darin auszudrücken, aber verborgen darin wiederum ihre persönlichen Ziele zu verfolgen. Um ihrer eigenen Person willen verfolgt sie augenblicklich eine mehr oder weniger pragmatische Politik, während der Rest der politischen Klasse von ihr mit dem eigenen ideologischen Vokabular bedient wird.

Merkel mag nicht sonderlich sympathisch sein und nicht gerade gut für unser Land, doch es scheint mir immer noch besser zu sein, daß sie regiert als einer aus der ideologisch verblendeten Politklasse, der auch noch selber ernst nimmt, was er verkündet.

Als Schüler habe ich einmal eine Textpassage  gelesen – leider weiß ich nicht mehr, wer sie verfaßt hatte, – da hieß es sinngemäß: „Ein Apparatschik ist jemand, der so lange jede Drehung der Politik mitmacht, bis sie sich um ihn dreht.“ Ob dies wirklich den Apparatschik treffend charakterisiert, sei dahingestellt, doch es paßt auf jeden Fall, so meine ich, zu Merkel.

 

5 Kommentare zu „Zynikerin der Macht. Versuch über Merkels Persönlichkeit“

  • Meyer:

    Donnerwetter, da ist jedes Wort zutreffend.

  • Kompliment für dieses politische Psychogramm.
    Es wird immer deutlicher, dass Merkel überhaupt kein programmatisches Fundament besitzt – ihr Programm ist ihre Person. Wir werden zu Zeugen des eigentümlichen Schauspiels das einen opportunistischen Mitläufer in einer – von ihm selbst unerwarteten – kritischen Führungsposition zeigt. Angela Merkel versteht sich hervorragend auf die „Kabinettsbeherrschung“, das Manövrieren im Umfeld eines Geflechts verschiedener politischer und persönlicher Interessen und entsprechender Seilschaften und die Nutzung der daraus resultierenden Widersprüche zum eigenen Machtgewinn. Hierin scheint ihr wahres Talent zu liegen. Aber inhaltlich braucht sie eigentlich eine Leitfigur, so wie es einmal Helmut Kohl für sie war.
    Merkels Credo lässt sich vielleicht am treffendsten mit „No Drama!“ charakterisieren. Sie will nicht anecken, keinen Anstoß riskieren – sie ist die personifizierte Antithese zu Margret „I want my money back!“ Thatcher. Sie hat ein starkes Empfinden dafür, was in ihrem maßgeblichen Umfeld, ihrer Peergroup, von ihr erwartet wird – und sie bemüht sich stets, diesen Erwartungen zu entsprechen. Und sie erwartet, dafür belohnt zu werden.
    Die aktuelle Situation, mit ihrer geradezu imperativen Führungsforderung muss zutiefst irritierend für Angela Merkel sein.

    Der Einschätzung im vorletzten Absatz ist wohl zuzustimmen. Es bleibt jedoch die bange Frage, welche Komponente in Merkels persönlich-politischem Kräfteparallelogramm die Resultierende bestimmen wird, die Erwartungen ihrer Peergroup aus inter- und supranationalen Eliten, oder die Erwartungen des deutschen Volkes – oder doch wenigstens ihrer Wählerbasis.

  • Georg Mogel:

    „Nur mit einem Bekenntnis zum eigenen Land -zu unserer Geschichte, zu unserer Kultur und Sprache und zu den Menschen mit ihren Leistungen- können wir die Kräfte und den Zusammenhalt entwickeln, mit denen sich positiv Zukunft gestalten läßt. Erst die gemeinsame Motivation, das eigene Land voran zu bringen, schafft die Voraussetzung für den Optimismus, den Deutschland jetzt braucht. Deshalb will ich meinen Beitrag dazu leisten, daß die Deutschen in Deutschland stolz auf ihr Land sein können.“

    Angela Dorothea Merkel
    in einem Interview mit „Cicero“ im September 2005

  • Konservativer:

    Ich würde sowohl Merkel, als auch der Masse unserer Politiker folgende Worte in den Mund legen:
    http://www.youtube.com/watch?v=hpVehITIxFA

    I’m cold and unapproachable
    Deceptive and a fraud
    Don’t need to keep attention
    I hate to be ignored
    The soul of no discretion
    Belligerent, won’t think outside the box
    I’m critical and careless
    My open mind is shut and firmly locked

    I’m selfish and insensitive
    I’m rotten to the core
    Pretentious and derivative
    You’ve seen it all before
    My good contributions
    Are counted on the fingers of one hand
    No New Year’s Resolution
    Nothing ever goes the way I planned

    My catalogue of failures
    Is etched upon my lips
    The baggage that I carry
    Would sink a thousand ships
    My motives are uncertain
    Intentions not altogether pure
    So now don’t you want me beside you
    Just like it was before?

    I’m stupid, inarticulate
    My ego grows and grows
    Libido turns to celibate
    I don’t know where it goes
    No lifelong performance
    Prepares me for the final curtain call
    (Prepares me for the final curtain call)
    I swear no allegiance
    No loyalty to anything at all

    You, like me, were raised to be
    A million times admired
    Unlike mine, your family line
    Were all born brilliant liars
    Brilliant liars

  • […] Zynikerin der Macht. Versuch über Merkels Persönlichkeit […]

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