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Spaß und Amt

Unter dem Titel „o ratio!“ schrieb ich am 6. Juni 2010 von dem damaligen Kandidaten für das Bundespräsidentenamt Wulff: „… Da heißt es über ihn, er sei katholisch und zum zweiten Mal verheiratet. Halt stop! Bedarf dies nicht einer Erklärung, zumindest irgendeiner Bemerkung?“ Damals ahnte ich natürlich nicht, daß die Erklärung so weit reichen würde. In bezug auf die Persönlichkeit des Kandidaten hieß es damals im Rundfunk, er liebe Bananensaft, und auf diesem subrationalen Niveau ließ sich auch der Kandidat selbst vernehmen: Sein Ziel sei es, Menschen zusammenzuführen, und er wolle ihnen Mut machen. Und: Er freue sich auf das neue Amt.

Am 2. Juli 2010 wurde Herr Wulff in sein Amt mit militärischen Ehren eingeführt; bewaffnete Streiter passen natürlich nicht zu einem Menschen-Zusammenführer. Solch ein Zeremoniell stammt aus Zeiten, da das Amt des Staatsoberhauptes noch mit dem Gedanken einer bestimmten Nation verbunden gewesen ist. Innerhalb Deutschlands als Teil der globalen Gemeinschaft – oder zumindest der Europäischen – darf man wohlgewappnet nur Jagd auf Menschen machen, die das uneingeschränkte Zusammenführen nicht hinnehmen wollen, die Rechtsextremisten.

Herr Wulff freute sich auf das neue Amt, und er wird hoffentlich eine Menge Spaß darin gehabt haben, denn nun scheint sich diese Zeit dem Ende zuzuneigen. – Da stellt sich die Frage: Wer sollte an seine Stelle treten? Wer hätte denn in der gegenwärtig herrschenden politischen Klasse mehr Persönlichkeit zu bieten als Herr Wulff? Seine Erscheinung ist ja nicht die peinliche Ausnahme, sondern die Regel. Mehr ist nach der westlichen Umerziehung nicht übrig geblieben. – Im Osten mag es ein klein wenig günstiger sein: Unter der Betondecke sowjetischer Unterdrückung mag hier und da noch ein klein wenig früherer Identität bewahrt worden sein, doch auch das reicht kaum hin, würdige Amtsträger in ausreichender Anzahl zu stellen.

Bis in die achtziger Jahre hatten die Inaber höchster Ämter in der BRD ihre Erziehung vor 1945 erhalten; das versetzte doch den einen oder anderen in die Lage, ein wenig staatsmännische Größe zu zeigen, tatsächlich oder zumindest scheinbar. Nun sind die Zöglinge der Nachkriegserziehung an ihre Stelle getreten. Epikureismus als geistige Haltung dominiert; freilich auch Kynismus: Lustgewinn als höchstes Ziel und Ausleben der Triebe. – Ein Gegenbild stellt der „Alte Fritz“ dar, der in diesen Tagen dreihundertsten Geburtstag hat. Gewiß hätte ich gegen ihn und seine Politik, ja gegen seine Geisteshaltung manches vorzubringen, doch er wandelte sich offenbar vom jugendlichen Anhänger des Epikureismus, der bereits mit neunundzwanzig Jahren seinen ersten Gichtanfall erlitt, zum Stoiker: Daher sah er sich selbst als ersten Diener seines Staates an; damit folgte er – bewußt oder unbewußt – Antigonos II. Gonatas von Makedonien (276 – 239 v. Chr.), einem Hörer Zenons (geb. wohl ca. 336, gest. ca. 264 v. Chr.), des Gründers der Stoa, der sein Königsamt als „ehrenvollen Knechtsdienst“ verstand. – Friedrich II. von Preußen hielt Ciceros „De officiis“ für das bedeutendste Werk auf dem Gebiet der Moral und eiferte als Kaiser Marc Aurel als seinem persönlichen Vorbild nach.

Übrigens war Zenon wahrscheinlich phönizischer Herkunft, und er erreichte es, daß die griechische Philosophie auch während des hellenistischen Zeitalters ein anspruchsvolles Niveau bewahrte, während die Philosophen griechischer Herkunft sich von der Klassik abwandten und in Kynismus, Epikureismus, Skepsis und Materialismus versanken. Zenon wurde in der Antike zwar stets als Mann phönizischer Herkunft betrachtet, aber doch zugleich als ein griechischer Philosoph, und die Stoa galt selbstverständlich als ein Zweig griechischer Philosophie. Die Stoa hat – im Gegensatz zu dem stets zum Asozialen geneigten Epikureismus – zahlreiche hervorragende Inhaber staatlicher Ämter hervorgebracht, die nicht danach strebten, Spaß zu haben o.ä., sondern dem Staate in dem Amte zu dienen, das sie besetzten, sei es ein höchstes, sei es ein niederes – wenn nötig unter Preisgabe des eigenen Lebens; der Begriff der Pflicht (griech. kathekon, danach latein. officium) wurde von Zenon entwickelt. Aber wo fände man den Einfluß der Stoa noch im heutigen Schulunterricht, in der Gesellschaft der Bunten Republik?

 

2 Kommentare zu „Spaß und Amt“

  • Plikiplok:

    Fühlte mich beim Lesen Ihres kurzen Essays gleich an Nietzsche erinnert. In seinem Werk „Jenseits von Gut und Böse“ findet sich auch das Neunte Hauptstück, das die Frage „Was ist vornehm?“ untersucht.
    Ich erlaube mir, hieraus einige kurze ausgewählte Passagen in Erinnerung zu bringen:

    Es gibt Herren-Moral und Sklaven-Moral – (…)
    Die vornehme Art Mensch fühlt sich als wertbestimmend, sie hat nicht nötig, sich gutheißen zu lassen, sie urteilt »was mir schädlich ist, das ist an sich schädlich«, sie weiß sich als das, was überhaupt erst Ehre den Dingen verleiht, sie ist werteschaffend. (…) Im Vordergrunde steht das Gefühl der Fülle, [731] der Macht, die überströmen will, das Glück der hohen Spannung, das Bewußtsein eines Reichtums, der schenken und abgeben möchte – auch der vornehme Mensch hilft dem Unglücklichen, aber nicht oder fast nicht aus Mitleid, sondern mehr aus einem Drang, den der Überfluß von Macht erzeugt. Der vornehme Mensch ehrt in sich den Mächtigen, auch den, welcher Macht über sich selbst hat, der zu reden und zu schweigen versteht, der mit Lust Strenge und Härte gegen sich übt und Ehrerbietung vor allem Strengen und Harten hat. (…)
    Die Mächtigen sind es, welche zu ehren verstehn, es ist ihre Kunst, ihr Reich der Erfindung. Die tiefe Ehrfurcht vor dem Alter und vor dem Herkommen – das ganze Recht steht auf dieser doppelten Ehrfurcht –, der Glaube und das Vorurteil zugunsten der Vorfahren und zuungunsten der Kommenden ist typisch in der Moral der Mächtigen; und wenn umgekehrt die Menschen der »modernen Ideen« beinahe instinktiv an den »Fortschritt« und »die Zukunft« glauben und der Achtung vor dem Alter immer mehr ermangeln, so verrät sich damit genugsam schon die unvornehme Herkunft dieser »Ideen«.
    Am meisten ist aber eine Moral der Herrschenden dem gegenwärtigen Geschmacke fremd und peinlich in der Strenge ihres Grundsatzes, daß man nur gegen seinesgleichen Pflichten habe; daß man gegen die Wesen niedrigeren Ranges, gegen alles Fremde nach Gutdünken oder »wie es das Herz will« handeln dürfe … (…)

    Es steht anders mit dem zweiten Typus der Moral, der Sklaven-Moral. (…)
    Die Sklaven-Moral ist wesentlich Nützlichkeitsmoral. (…) Der Gegensatz kommt auf seine Spitze, wenn sich, gemäß der Sklavenmoral-Konsequenz, zuletzt nun auch an den »Guten« dieser Moral ein Hauch von Geringschätzung hängt – sie mag leicht und wohlwollend sein –, weil der Gute innerhalb der Sklaven-Denkweise jedenfalls der ungefährliche Mensch sein muß: er ist gutmütig, leicht zu betrügen, ein bißchen dumm vielleicht, un [733] bonhomme.
    Überall, wo die Sklaven-Moral zum Übergewicht kommt, zeigt die Sprache eine Neigung, die Worte »gut« und »dumm« einander anzunähern. –
    Ein letzter Grundunterschied: das Verlangen nach Freiheit, der Instinkt für das Glück und die Feinheiten des Freiheits-Gefühls gehört ebenso notwendig zur Sklaven-Moral und -Moralität, als die Kunst und Schwärmerei in der Ehrfurcht, in der Hingebung das regelmäßige Symptom einer aristokratischen Denk- und Wertungsweise ist. – Hieraus läßt sich ohne weiteres verstehn, warum die Liebe als Passion – es ist unsre europäische Spezialität – schlechterdings vornehmer Abkunft sein muß: bekanntlich gehört ihre Erfindung den provençalischen Ritter-Dichtern zu, jenen prachtvollen erfinderischen Menschen des »gai saber«, denen Europa so vieles und beinahe sich selbst verdankt. –

    Wer sich näher mit der Thematik beschäftigen möchte wird hier fündig:
    http://www.zeno.org/Philosophie/M/Nietzsche,+Friedrich/Jenseits+von+Gut+und+B%C3%B6se/Neuntes+Hauptst%C3%BCck.+Was+ist+vornehm/257-260

    Moral als Symptom des Niedergangs:
    http://ef-magazin.de/2011/06/30/3063-gesellschaft-moral-als-symptom-des-niedergangs

  • Es ist zum Haareraufen: Wenn man von einem Ziel liest, Menschen zusammenzuführen, sollte man eigentlich arglos das Beste und Menschenfreundlichste annehmen; doch in der heutigen Doppeldenk- und Neusprechwelt ist wohl eher an Immigrationsüberflutung zu denken:
    http://kreidfeuer.wordpress.com/2012/01/13/asyl-familienzusammenfuehrung-und-ankerkinder/

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