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Konservatismus und Konformismus

Der Konservative kann sich konformistisch verhalten: So könnte man meinen, Konservatismus und Konformismus seien miteinander identisch. Doch diesem Schluß widerspricht die Tatsache, daß der Konservative ebenso in einen Gegensatz zu den Konformisten geraten kann, gerade in unserer Zeit, denn was heute – nach Vorgabe der Politischen Klasse – als gesellschaftlich akzeptabel gilt, ist alles andere als konservativ. Man erinnere sich des Falles Buttiglione: Der italienische Politiker konnte 2004 nicht EU-Komissar werden, da er mit seinem Verständnis von Ehe, Familie, Moral und Sünde der gegenwärtig auch im EU-Parlament verbreiteten Homosexuellenideologie nicht gerecht zu werden vermochte. Wer sich heute konformistisch verhält, ist also überhaupt nicht konservativ; das Umgekehrte gilt entsprechend.

Früher war dies freilich anderes: Unter den Vorzeichen einer konservativen Gesellschaftsordnung erschien konformistisches Verhalten konservativ. – Der Begriff des „Konservativen“, der von lateinisch „conservare“ bewahren, abgeleitet ist, tauchte während der Französischen Revolution auf und kennzeichnete seit der Wiederherstellung des französischen Königtums die Anhänger der vorrevolutionären Gesellschaftsordnung. Später wurde er auch für deren Geistesverwandte gebraucht. Doch inzwischen ist der Begriff des Konservativen so erweitert, daß er nicht mehr für eine spezielle politische Richtung steht, sondern für eine Lebenshaltung, die unter Menschen aller höheren Kulturen zu finden ist; so wird der ältere Cato immer wieder konservativ genannt, weil er die hergebrachte römische Lebensform und altrömische Tugend, virtus, gegen den Einfluß des Griechischen zu schützen suchte, wobei anzumerken ist, daß er selbst griechisch sprach, d.h. er kapselte sich nicht einfach ab, sondern gelangte zu seiner Ablehnung durch kritische Auseinandersetzung mit dem für ihn Neuen. – Was Cato griechisch nannte, war nicht mehr die Kultur der Klassik, sondern die des Hellenismus, die Cato als verwöhnt durch die Reichtümer des Orients und verweichlicht empfand.

Gewiß, ohne Konformismus ist keine gesellschaftliche Stabilität zu erreichen; insofern erscheint er fast als eine Tugend. Doch wie verhält es sich unter den Bedingungen eines Unrechtsregimes? Natürlich wird der Konformismus in diesem Falle zu einer Unterstützung des Unrechts, und sein Verhalten verliert den Schein des Guten. Der Konformismus ist beliebig. – Der Konservatismus hingegen folgt einer eigenen Devise, unabhängig von den jeweils herrschenden Rahmenbedingungen. Aber worum handelt es sich dabei? Was zeichnet den Konservativen aus? – Es sind schon so viele Antworten darauf gegeben worden, daß es schwierig ist, dafür eine präzise, einleuchtende Lösung zu präsentieren. Mir scheint es am überzeugendsten, den Konservatismus als Bewahrung naturrechtlicher Ordnung zu verstehen.

Das Konzept des Naturrechts geht auf die griechische Philosophie zurück. Sie begann um 600 v. Chr. als Naturphilosophie, d.h. man versuchte die Natur, den Kosmos, ausschließlich mit den Mitteln der Vernunft zu erklären; es ist sicherlich kein Zufall, daß die griechische Mathematik ebenfalls um 600 v. Chr. entstand. Man suchte zu ergründen, was die letzten Ursachen dafür sind, daß die die Dinge so sind, wie sie sind, und zwar unabhängig von Eingriffen der Menschen. Dies übertrugen griechische Ärzte auf den Menschen: Dadurch entstand der Begriff der menschlichen Natur. Nach Hippokrates besteht die Gesundheit in einer natürlichen Harmonie, die durch eine entsprechende Lebensweise geschützt wird, und Krankheit sieht er als Störung der natürlichen Harmonie an. – Der zu etwa derselben Zeit wie Hippokrates geborene Sokrates erweiterte die bis dahin auf die Natur beschränkte Philosophie um die Ethik. Daran anknüpfend verstand Aristoteles die menschliche Natur von dem ihr gegebenen Intellekt her und sah die Tugend darin, gemäß der Vernunft zu handeln. Dies nahm die um 300 v. Chr. begründete Schule der Stoa auf und führte es aus. Die Stoiker entfalteten auch den im Ansatz schon bei Heraklit vorhandenen Naturrechtsgedanken, d.h. sie führten die bestehenden Gesetze nicht einfach auf menschliches Gutdünken zurück, sondern auf das, was das Leben der Menschen so regelt, wie es ihrer Natur entspricht; das Naturrecht wurde dadurch zu einem Maß, mit Hilfe dessen man gerechte von ungerechten, der Natur des Menschen widersprechenden Gesetzen zu unterscheiden vermochte. Diese Lehre aufnehmend wurde später die Kirche zur bedeutendsten Vertreterin des Naturrechts; obwohl dies nach dem Vat. II. wie so vieles andere ins Abseits geriet, trat Benedikt XVI. vor dem Bundestag als Anwalt des Naturrechts auf.

Der Konservatismus als Anhänger des Naturrechts ist nicht von Hause nicht politisch, denn er toleriert – gemäß der traditionellen Auffasssung der Kirche (im Anschluß an Aristoteles) – jede Staatsform, die der allgemeinen Wohlfahrt dient, sei es eine Monarchie, Aristokratie oder Demokratie; dies schließt die Rechtsstaatlichkeit ein, also die Ausübung der Staatsgewalt gemäß dem sich in den Gesetzen des Staates manifestierenden Naturrecht. Der Konservatismus wird in dem Augenblick zum Politikum, wenn sich die gesellschaftliche Ordnung vom Naturrecht wegbewegt; dann wird der Konservatismus oppositionell. Es kann sich auch eine Partei konservativ nennen, doch wird sich der naturechtlich fundierte Begriff des Konservativen nicht so einengen lassen, daß er sich auf das Programm einer Partei beschränken ließe. Unter extrem widernatürlichen Bedingungen kann der Konservatismus geradezu revolutionär erscheinen; von daher läßt sich der Begriff einer „Konservativen Revolution“ verstehen, allerdings kaum auf den Kreis der von Mohler so bezeichneten anwenden.

Seit dem Aufkommen des Begriffes „Konservatismus“ im Sinne der Gegnerschaft zur Französischen Revolution galt der Konservative als Gegner von Liberalismus und Sozialismus. Diese greifen die naturrechtliche Ordnung an, indem sie vor allem die gewachsenen Sozialstrukturen nach den Vorgaben ihrer jeweiligen Ideologie umzugestalten suchen. Ebenso Gegner der beiden genannten Strömungen ist der Nationalismus, da jene im Gegensatz zu diesem kosmopolitisch ausgerichtet sind; gleichwohl gibt es Mischformen. – Dem natürlichen Zustand der Menschen entspricht ihr Leben in geographischen Regionen, in denen sich Kulturen herausbilden, die sich von denen in anderen Regionen unterscheiden. Daher ist die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk etwas Natürliches, und so wird der Konservative auch stets national gesinnt sein. Dies ist jedoch zu unterscheiden vom Nationalismus, denn er stellt die Interessen einer bestimmten Nation über die aller anderen; freilich sind in der empirischen Realität die Übergänge zwischen nationaler, patriotischer Gesinnung und nationalistischem Denken fließend. Es wird aber auch verständlich, warum sich Konservative und Nationalisten in der gemeinsamen Ablehnung von Sozialismus und Liberalismus verbünden konnten.

 

3 Kommentare zu „Konservatismus und Konformismus“

  • Meyer:

    Auch wenn die auf der aristotelischen Metaphysik beruhende Naturrechtsaufassung wohl von niemanden anerkannt werden muß, ist der Artikel im Ganzen sehr aufschlußreich.

    Im Einzelnen: „Daher ist die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk etwas Natürliches, und so wird der Konservative auch stets national gesinnt sein.“ Man könnte wohl auch formulieren, daß das Nationalbewußtsein die notwendige praktische Kehrseite des Konservativismus ist.

    „Dies [das Bewußsein einer spezifischen Volkszugehörigkeit] ist jedoch zu unterscheiden vom Nationalismus, denn er stellt die Interessen einer bestimmten Nation über die aller anderen …“
    Hier erlaube ich mir wiederspruch. Der Nationalismus ist nicht die objektive Überordnung einer Nation über eine andere, sondern die subjektive Vorrangigkeit des Eigenen/Nächsten gegenüber dem Fremden. Dies ausschließlich aus einer existenzialisten Sicht. Diese existenzialistische Sicht läßt sich auch in ein objektivistisches Weltbild einordnen: Dann handelt es sich um den ewigen Existenzkampf. Wenn man nun schon ein objektivistisches Naturecht als gegeben ansehen will, so ist der ewige Zustand des Existenzkampfes und des objektiv vorhandenen Vorrangigkeit des Eigenen eines jeden Individuums und dessen Nächsten dort auch normativ festzustellen. Dabei stellt sich nun an dieser Stelle die (Standard-) Frage, wer die Existenz einer naturrechtlichen Norm denn nun für alle verbindlich feststellen kann und ob dieser Feststellungsvorgang nicht identisch zur positivrechtlichen Normsetzung ist?

    Genau dies haben wohl alle Naturrechtler der letzten Jahrhunderte versäumt, speziell die Ausläufer der Scholastik. Hat Aristoteles, der selbst der Realität bekanntlich auch praktisch zugeneigt war, dies in seiner Naturrechtsphosophie verortet? Diese Frage kann ich nicht beantworten.

  • virOblationis:

    @ Meyer
    Aristoteles hätte wohl sinngemäß folgendermaßen geantwortet: Den Zusammenschluß zur staatlichen Ordnung, zur Polis, bewirkt das Streben nach Autarkie. Ein autarker Staat befindet sich nicht notwendig in Konflikt mit seinen ebenso autarken Nachbarn, weil sich deren Interessen nicht unbedingt überschneiden. – Wenn ich dies auf die moderne Völkerwelt übertrage, dann ermöglicht die Autarkie das friedliche Nebeneinander der Nationen, so daß sich jeder für die eigene einsetzen kann, ohne der anderen damit zu schaden. Allerdings ist eine Autarkie in Europa m.E. nur noch unter der Bedingung der Schaffung einer Zusammenarbeit der kulturell miteinander verwandten Nationen zu erreichen, was wiederum mit dem Zusammenschluß der kleineren Gemeinschaften zur Polis nach Aristoteles zu vergleichen wäre.

  • virOblationis:

    @ Meyer (2)
    Die Existenz des Naturrechtes konnten – zumindest die Stoiker – dadurch als Konsequenz ihrer Philosophie darlegen, daß sie vom Logos als der obersten, im Grunde einzigen Gottheit der Welt ausgingen, also der Ratio selbst; und deren Existenz suchten sie vor allem durch den Nachweis der Zweckmäßigkeit der Natur aufzuzeigen.
    Auch in die christliche Theologie ging dies ein: Insofern Gott nach scholastischer Auffassung höchste Rationalität darstellt, von der unser Verstand nur eine schwache Abschattung bildet, ist auch die Schöpfung von der Ratio geprägt. Dies kommt darin zum Ausdruck, daß alles durch Christus geschaffen worden ist. Der berühmte Beginn des Johannesevangeliums lautet auf griechisch: En arche en ho logos, … panta di autou egeneto… Im Anfang war der Logos (Wort, Vernunft; hier: als göttl. Person) … Alles ist durch ihn geworden. Natur und Menschenwelt sind also rational konstituiert, und dies muß auch in den Gesetzen seinen Ausdruck finden, d.h. sie dürfen nicht auf bloßer Willkür beruhen.
    Praktisch bedeutete dies in der Regel sicherlich eine Legitimierung des positiven Rechts durch den Naturrechtsgedanken; nur wenn Gesetze offensichtlich dem Zweck des Staates, das gemeine Wohl zu bewahren, widersprochen hätten, hätte man sie als naturrechtswidrig bezeichnen können. Das wäre der Fall gewesen, wenn ein Stand das Recht nur für sich beansprucht und die andern ihrer Existenzmöglichkeit beraubt hätte, denke ich. Aber so etwas wurde wohl erstmals durch die Bauernkriege (1524 – 1526) aktuell.
    Daß sich Gesetze auch in anderer Weise gegen die natürliche Ordnung wenden können, indem sie z.B. Menschenopfer und Kannibalismus legitimieren, ist sicherlich auch ein Aspekt gewesen, doch dachte man sich wohl, daß solche Verstöße nur bei – zu missionierenden – Wilden vorkommen könnten, nicht in zivilisierten Gesellschaften.

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