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Der Weltbürgerkrieg und die Herrschaft des vierten Standes 3

Der Weltbürgerkrieg

Die DDR-Geschichtsschreibung nannte den „Bauernkrieg“ (1524 – 1526) „Frühbürgerliche Revolution„: Sie traf damit etwas Richtiges, denn es ging bei diesem Aufstand um mehr als etwa eine Hungerrevolte oder nur irgendwelche sozialen Auseinandersetzungen. Dies zeigt schon das bekannte Wort: „Wo Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?“ Es weist darauf hin, daß es ursprünglich tatsächlich nur den dritten Stand gab und daß der (Krieger-)Adel erst später hinzukam. Dieses historische Argument wird jedoch nun benutzt, um die Herrschaft des Adels zu deligitimieren und die Herrschaft des dritten Standes als einzig legitime absolut zu setzen. – Auch im Mittelalter hatte es Republiken gegeben, in denen der dritte Stand herrschte; man denke nur an Venedig und innerhalb des Reiches an die Dithmarscher Bauernrepublik und vor allem die Schweiz. Doch mit dem „Bauernkrieg“ sollte nun eine Bauernherrschaft als einzig legitime Staatsform etabliert werden, die den Adel beseitigte sowie die Geistlichkeit, den ersten Stand. So kam der englische Bauernführer John Ball aus der voreformatorischen Bewegung Wyclifs, und der deutsche „Bauernkrieg“ brach bald nach dem Beginn der lutherischen Reformation (1517) aus, die Mönchs- und Priestertum durch Laienprediger mit bürgerlicher Lebensweise zu ersetzen suchte: Man sieht, wie der dritte Stand seine Herrschaft aufzurichten und die beiden anderen Stände zu beseitigen trachtet, und das nicht nur in einer Region, einem Lande, sondern in England und in Deutschland; so zeichnen sich im Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit die Konturen eines Bürgerkrieges ab, der das Abendland erfaßt.

Die Vorgeschichte des deutschen „Bauernkrieges“ weist geistesgeschichtlich nach England, woher die Losung von Adam und Eva als erstem Bauernpaar stammte: Der Priester John Ball brachte sie in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts auf. Seine Person darf als Hinweis auf den Ursprung der Absolutsetzung des dritten Standes als einer Frühform der Lehre von der Gleichheit der Menschen verstanden werden, als Hinweis auf ihre Entstehung als christliche Häresie. In der Vulgata-Fassung der Apostelgeschichte heißt es nämlich: „Omnes etiam, qui credebant, erant pariter, et habebant omnia communia.“ (2, 44) Traditionell wird dies übersetzt mit: „Auch waren alle, die glaubten, [in Jerusalem] zusammen [wohnend?], und sie hatten alles gemeinsam, [d.h. der Besitz Vermögenderer wurde von ihnen Bedürftigen der Gemeinde freigiebig zur Verfügung gestellt – mehr nicht, denn es gab nie ein Gebot, allen Besitz abzutreten, s. Apg. 5, 4]. Man kann aber auch übersetzen: „Auch waren alle, die glaubten, gleich [bzw. eines einzigen Standes], und sie hatten alles gemeinsam.“ Es war Thomas Müntzer, der als Anhänger der Reformation und Führer der Aufständischen im Bauernkrieg das „omnia sunt communia“, alles ist gemeinsam[er Besitz], von der Beschreibung einer urchristlichen, freiwilligen Gütergemeinschaft zur politischen Forderung erhob. – Es sei angemerkt, daß das Gleichheitsideal in gewisser Weise in den Klöstern durch die Besitzlosigkeit aller Mönche verwirklicht worden war, so daß das Gleichheitsideal angesichts der Aufhebung der Klöster durch die Reformation entweder aufzugeben oder als Forderung auf die christliche Gesellschaft zu übertragen war.

Während des weiteren Verlaufs der Frühen Neuzeit trat der Anspruch des dritten Standes auf die Verwirklichung der einzig legitimen Staatsform wegen der Vielzahl konfessionell und religiös motivierter Kriege – schon 1529 standen die Osmanen vor Wien – in den Hintergrund. In dem nicht in den Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648) involvierten England allerdings verband sich der Kampf gegen das absolutistische Königtum mit dem Puritanismus. Nach dem Englischen Bürgerkrieg (1642 – 1646 und 1648 – 1649) wurde die Monarchie zwar wiederhergestellt (1660), doch die Glorious Revolution (1688) formte sie zur konstitutionellen Monarchie um, während das Bürgertum zum herrschenden Stand in England aufstieg; so hatte der dritte Stand, genauer: ein Teil desselben, dort seine Forderung in modifizierter Form durchgesetzt.

Der nächste Staat, in dem das Bürgertum in vergleichbarer Weise zur Herrschaft kam, war Frankreich: 1789 begann die Revolution, die das Bürgertum 1790 als beendet betrachtete. Doch hatte sich die Gesellschaft inzwischen grundsätzlich zu wandeln begonnen: Mit der beginnenden Industrialisierung vergrößerte sich der vierte Stand in Form der Fabrikarbeiterschaft sprunghaft. Nach den Wahlen von 1791 setzten sich immer stärker die Radikalen, unter ihnen die Besitzlosen, durch; in der Jakobinerherrschaft (1793 – 1794) fand dies seinen Ausdruck. – So erwuchs dem Anspruch des dritten Standes auf die allein legitime Herrschaft ein Konkurrent in Form des vierten Standes.

Während im Westeuropa des 19. Jahrhunderts das Bürgertum in Gestalt der Fabrikbesitzer, Bankiers, Kaufleute und Fernhändler zum herrschenden Stand aufgestiegen war, behaupteten sich in Deutschland noch Reste traditioneller Herrschaft; in Rußland war dies zwar ebenso, doch kann man fragen, ob der russische Adel angesichts seiner Vorherrschaft durch Großgrundbesitz nicht eher dem dritten Stand angehörte und darum für die Westeuropäer als Verbündeter eher in Betracht kam als Deutschland, in dem die Vorherrschaft von Österreich an Preußen überging (1866). Zudem wuchs das Kleindeutsche Reich zu einem Industrie-Konkurrenten heran, in dem das Bürgertum eben nicht uneingeschränkt herrschte und in dem man nach einem Ausgleich mit dem vierten Stand suchte (Sozialgesetzgebung Bismarcks). So kam es zum 1. Weltkrieg (1914 – 1918), der mit der Etablierung des Bürgertums als des herrschenden Standes und der Errichtung einer parlamentarischen Demokratie in Deutschland samt dem abgetrennten Deutsch-Österreich endete. Der dritte Stand triumphierte im Europäischen Bürgerkrieg, der durch das Eingreifen der USA 1917 zum Weltbürgerkrieg ausgeweitet worden war.

Zugleich trat in dem Epochenjahr 1917 noch ein weiteres Ereignis ein, das den Europäischen Bürgerkrieg zum Weltbürgerkrieg ausweitete: Die Machtergreifung der Bolschewisten durch die sog. Oktoberrevolution, die eigentlich in einem militärisch organisierten Umsturz bestand. Dort erhob also ein Regime den Anspruch, den vierten Stand zum herrschenden erhoben zu haben, wenn auch tatsächlich eine Partei von Ideologen totalitär regierte.* Zugleich suchte Lenin als Führer der Bolschewisten den Krieg gegen die Herrschaft des dritten Standes durch Einbeziehung kolonisierter Völker weltweit auszudehnen. – Neben die Bolschewisten traten die Faschisten, die die Herrschaft des vierten Standes im Bunde mit anderen nicht-bürgerlichen Kräften zu verwirklichen suchten; auch dem Faschismus eröffnete sich insbesondere im Gefolge der Unterscheidung Corradinis zwischen proletarischen und nicht-proletarischen Nationen in der Rede vom 3.12.1919 die Perspektive einer Überwindung des Nationalismus, die einen Zusammenschluß verschiedener faschistisch regierter Staaten zuließ. Sie bildeten nach dem 1. Weltkrieg neben dem „Westen“ und den Sowjets die dritte Partei im Weltbürgerkrieg, die dem Bündnis der beiden anderen im 2. Weltkrieg (1939 – 1945) unterlag. So standen einander nach dessen Ende nur noch der „Westen“ unter Führung der USA als dem Erben des britischen Kolonialreiches und der Ostblock unter Führung der Sowjetunion gegenüber; zwischen ihnen herrschte ein „Kalter Krieg“ (1947 – 1989).

* Es sei darauf hingewiesen, daß Rußland kaum zufällig als erstes Land den Marxismus zu verwirklichte, denn Rußland ist kulturell von Byzanz geprägt, in dem sozialrevolutionäre Erhebungen des vierten Standes seit dem 9. Jahrhundert ihren Höhepunkt wohl im Bürgerkrieg (1341 – 1347) fanden, was an dieser Stelle allerdings nur angedeutet und nicht ausgeführt werden kann.

Die geschichtsphilosophischen Entwürfe des 18. bis 20. Jahrhunderts, in denen die Vorherrschaft des dritten oder des vierten Standes ausformuliert werden, stellt Hanno Kesting in seinem ebenso gelehrten wie allgemeinverständlich geschriebenen Werk „Geschichtsphilosophie und Weltbürgerkrieg (1959)“ vor. Dieses Buch sollte jeder zumindest einmal in Händen gehalten und durchgeblättert haben. Es weist freilich eine seine Wirksamkeit arg mindernde Schwäche dadurch auf, daß es das Gegeneinander der Parteien des „Kalten Krieges“ aufzuheben sucht, indem es beide als Ausdrucksformen desselben Industrialisierungsprozesses deutet; ihr Gegensatz bestehe nur darin, daß sich beide Parteien – infolge geschichtlich bedingter Beschränktheit – gegeneinander wenden; tatsächlich erstreben sie dasselbe und bilden den gemäßigten und den radikalen Flügel derselben Bewegung: Dies verkennt die unterschiedlichen sozialen Interessen des dritten und des vierten Standes, die jeweils absolut gesetzt von den verschiedenen geschichtsphilosophischen Entwürfe vertreten werden. Zu den Vertretern der Interessen des dritten Standes wären z.B. Saint-Simon, Dewey, und in neuerer Zeit Fukuyama zu rechnen, zu den Werken des vierten Standes nicht etwa nur die von Marx, Lenin etc., sondern auch – wenn man es denn als geschichtsphilosophischen Entwurf verstehen darf – Ernst Jüngers „Arbeiter (1932)“ und ferner Spenglers „Preußentum und Sozialismus (1922)“, in welchem Preußen das Vorbild eines Staates des vierten und England dasjenige eines Staates des dritten Standes bildet, zwischen denen ein weltweites Ringen vor sich gehe.

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Jeder der drei ersten Stände übernimmt eine der Grundfunktionen zur Aufrechterhaltung des Daseins des Staates: Der dritte Stand sichert die ökonomische Basis, der zweite übernimmt die Verteidigung nach außen, und der erste Stand ordnet das Verhältnis des Gemeinwesens zu den „höheren Mächten“. Häufig wird der vierte Stand als Teil des dritten verstanden, indem man die Werktätigen den Industriebetrieben etc. zuordnet. Doch gerade der 1. Weltkrieg hatte zu seiner Zeit die Tatsache ins Bewußtsein gerückt, daß der Arbeiter – zumindest damals – zugleich auch Soldat gewesen ist, d.h. die Werktätigen haben den größten Teil der Massenheere gestellt. Schließlich gibt es auch in Lehre und Kultus bedienstete Hilfskräfte, die dem vierten Stand zuzurechnen sind, so daß man feststellen darf, daß dieser Anteil an sämtlichen Grundfunktionen hat. Dem dritten Stand entspricht am ehesten die parlamentarische Demokratie, dem zweiten der Kriegerstaat und dem ersten im besseren Falle der Staat der Philosophenkönige, im schlechteren der der Ideologen. Dem vierten Stand könnte, so hat der vorangegangene Teil gezeigt, eine direkte Demokratie wohl am ehesten entsprechen. Ihre Verwirklichung wäre aber nur dann zu begrüßen, wenn sie die Interessen des vierten Standes nicht absolut setzt, sondern dem Gemeinwohl dient und andere Staatsformen als ebenso legitim anerkennt, solange diese das Gemeinwohl als Zweck verfolgen auf der Grundlage des Naturrechts und einen Rechtsstaat bilden, dessen Repräsentanten Verträge einhalten und sich an die Gesetze gebunden sehen. So würde der vierte Stand den Weltbürgerkrieg beenden, und es käme dem dritten zu, dasselbe seinerseits zu tun, was von den Vertretern des augenblicklich herrschenden Finanzkapitals allerdings erst dann erwartet werden darf, wenn ihr globalistisches System kollabiert.

2 Kommentare zu „Der Weltbürgerkrieg und die Herrschaft des vierten Standes 3“

  • Was für ein Gemetzel… Und letztlich geht es nur darum wer das Sagen haben soll.. Auch die Direkte Demokratie ist keine wirkliche Lösung.

    1. Die Wahlen können durch selektive auswahl von Argumenten beeinflusst werden.

    2. Die Konsequenzen irgendwelcher Wahlen können durch selektive Auswahl von „Folgen“ beeinflusst werden.

    3. Man kann die ständigen Wahlen zu einem anstrengenden mühsamen Ritual machen, jedes Jahr zig Abstimmungen und am Ende hat keiner mehr Bock.

    4. Im grunde will man in Ruhe gelassen werden, weniger Staat mehr Eigenorganisation, dazu braucht man höchstens Minimalstaaten.

    Dem Dämon „Nation“ dienen nützt nichts.

    Templarii

  • virOblationis:

    @ Templarii
    Wir kommen aber nicht darum herum: Das Zusammenleben muß auf irgendeine Art organisiert werden, und zwar möglichst so, daß man dabei der Natur des Menschen gerecht wird, also konservativ, sei es unter Vorherrschaft des ersten, zweiten, dritten oder des vierten Standes. – Bei der direkten Demokratie dachte ich weniger an beständiges Wählen, sondern an die Tätigkeit von Korporationen, denen gemäß dem Subsidiaritätsprinzip möglichst viele Befugnisse übertragen werden sollten (s. zweiter Teil).

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