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Pro- und Remotionen

Der „Fall Schavan“ wird gegenwärtig viel besprochen. Abgesehen davon, wie oft in der Dissertation der (inzwischen: ehemaligen) Bildungsministerin Zitate übernommen oder bloß umformuliert wurden, ohne sie als solche kenntlich zu machen, gibt es noch weitere Aspekte, die zu erörtern wären. Erst einmal das Thema der Arbeit: „Person und Gewissen“. Wenn man diesen Titel hört, denkt man vielleicht an ein mehrbändiges Werk, das ein Gelehrter als Frucht seines lebenslangen Studiums herausgegeben hat. Aber als Thema einer Dissertation, einer ersten – noch unter Aufsicht eines Doktorvaters – selbständig erstellten wissenschaftlichen Abhandlung?

Würde der Titel vielleicht „Person und Gewissen im nachkonziliaren Katholizismus und deren Bedeutung für den Religionsunterricht“ o.ä. lauten, schiene dies aus meiner Sicht weniger erstaunlich für eine Promotion im Fache Erziehungswissenschaft. Schavans Arbeit gleicht einem geistigen Rundumschlag, in dem gängige Namen (Erikson, Piaget etc.) abgehandelt werden; eingestreut sind Kant und „liberaler Katholizismus“.  Es wird nicht, wie man es von einer Dissertation erwartet, ein begrenztes Forschungsfeld dargestellt, über das man sich in mühsamer Arbeit einen Überblick verschafft hat, um einen ersten eigenen Standpunkt innerhalb einer Fachdisziplin zu gewinnen, sondern es wird ein so breites Spektrum abgehandelt, daß man nur erstaunt fragen kann, wie eine Doktorandin wohl an ein solches Thema für ihre Arbeit geraten konnte.

Was in den Medien zum „Fall Schavan“ zu hören und zu lesen ist, greift verschiedene Aspekte auf, doch eines fehlt: Schavan ist kein deutscher Mann einfacher Herkunft ohne Parteizugehörigkeit. – Es verhält sich ja keineswegs so, daß die Anforderungen für die Promotion in den achtziger und neuziger Jahren niedrig gewesen wären; aus eigener Anschauung, wenn auch nicht im Fache Erziehungswissenschaft, muß ich von Härte bis an die Grenze der Fairness sprechen, mindestens. Andere scheinen, wie sich jetzt an prominenten Beispielen herausstellt, im Vergleich damit, geradezu durch die Prüfung gewinkt worden zu sein, und einigen wird der Titel nun entzogen.

Es dürfte kaum auf Zufall beruhen, daß bekannte Fälle von Promotionsaberkennungen Frauen, Migrationshintergründler und – zumindest einen – Privilegierten betreffen; mit letzterem ist natürlich der wohlsituierte Freiherr gemeint, derzeitiger Internet-Berater der EU, dessen Fall den Anstoß zur näheren Betrachtung anderer Dissertationen gegeben hat. Schavan war nicht die erste Frau, die ihren Titel verlor: Erinnert sei an die für ihren Fleiß bekannte Europa-Politikerin Koch-Mehrin. Hinzu kommen die Fälle zweier Parteikollegen von Koch-Mehrin, die schon auf Grund ihres Namens auffallen, Chatzimarkakis und Djir-Sarai; daß alle die genannten Fälle der CDU/CSU und FDP angehören, liegt wohl daran, daß man in den „bürgerlichen“ Parteien noch mehr wert auf akademische Grade als eine Art Gütesiegel legt.

Es entsteht der Eindruck, daß – abgesehen von privilegierten Ausnahmen – vor allem Frauen und Fremdstämmige bei der Promotion ein wenig sehr nachsichtig behandelt wurden.* Im Hintergrund dessen steht natürlich wieder die Gleichheitsideologie, die vorgibt, früher seien bestimmte Gruppen benachteiligt worden, weshalb man sie nun gegenüber einheimischen Männern bevorzugen müsse, um so Gleichheit herzustellen und einer Durchmischung der geistigen Elite voranzuhelfen. Es wird also die Leistung nicht ohne Ansehen der Person bewertet; eine Parallele findet man in der gegenwärtigen Rechtsprechungspraxis, die Täter aus bestimmten Bevölkerungskreisen in tw. skandalöser Weise schont.

* Auf Schavans Nachfolgerin wird dies kaum zutreffen; sie promovierte 1980 in Mathematik, und zwar hinter dem Eisernen Vorhang.

 

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