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Wutzens Glück als Lob ungebrochener Tradition

Ein nachträglicher Beitrag zum 250. Geburtstag Jean Pauls von virOblationis

Das „Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal (1793)“ ist der wohl bekannteste Text Jean Pauls. Es geht darin um einen Menschen, dem es gelingt, unabhängig von äußeren Widrigkeiten stets vergnügt und fröhlich zu leben. Jean Paul als Erzähler schildert die wesentlichen Züge des gesamten Lebenslaufes von Maria Wutz als eines älteren Zeitgenossen. Jean Paul wurde 1763 geboren; er starb 1825.

Maria Wutz ist Schulmeister zu Auenthal. Ihm vorgesetzt ist der (protestantische) Pastor, dem Wutz zugleich als Organist dient. Wutzens Vorfahren väterlicherseits haben den Posten des Schulmeisters zu Auenthal bereits seit der „Schwedenzeit“, also seit dem Feldzug Schwedens gegen Kaiser und Reich (ab 1630) während des Dreißigjährigen Krieges (1618 – 1648), bekleidet; da die Erzählung, die Wutzens Lebensende voraussetzt, bald nach 1790 erschien, darf man davon ausgehen, das die Familie Wutz das Schulmeisteramt zu Auenthal etwa einhundertfünfzig Jahre innehatte, also ungefähr während fünf Generationen. Üblicherweise lehrte der Sohn an der Seite des Vaters bis dieser sich zur Ruhe setzte, doch Maria Wutzens Vater verstarb bereits, während der Sohn sich noch in der Ausbildung befand, doch dieser bestand sein Examen und konnte die Stelle des Vaters übernehmen, so daß auch dessen verwitwete Frau in dem „vertrauten Hause“ bleiben durfte. Auf Grund dieser Umstände wird Maria Wutz länger Schulmeister gewesen sein als seine Vorgänger, nämlich dreiundvierzig Jahre lang, also etwa seit der Mitte des 18. Jahrhunderts.

Wutz hat die Gabe sich trotz aller Widrigkeiten des Lebens stets an irgendetwas zu freuen, das ihn erwartet oder das ihm einmal zuteil geworden ist; er lebt gewissermaßen in seiner eigenen Welt, was besonders daran deutlich wird, daß er von berühmten Buchtiteln hört und dazu dann seine eigenen Gedanken niederschreibt, die in seinen Augen aber tatsächlich die Stelle des Originals einnehmen. Eine solche Lebensführung samt der Zufriedenheit, die sie schenkt, ist nicht etwa deshalb möglich, weil idyllische Verhältnisse herrschen, sondern weil sich Veränderungen der Lebensumstände gar nicht oder nur so langsam ereignen, daß sie unmerklich bleiben. Es geschieht sozusagen nichts Unvorhergesehenes, und darum vermag Wutz sich mit allem Mißlichen so zu arrangieren, daß er stets vergnügt bleibt, denn dank der Überschaubarkeit aller Lebensümstände weiß er stets, wann die Not ihr naturgemäßes Ende findet. So mag Wutz als Schüler hungern und geprügelt werden, doch: „Abends“, dacht er, „lieg ich auf alle Fälle, sie mögen mich den ganzen Tag zwicken und hetzen wie sie wollen, unter meiner warmen Zudeck und drücke die Nase ruhig ans Kopfkissen, acht Stunden lang.“

Wutzens bescheidene Freuden als Schulmeister bestehen darin, am Sonntag nach dem Gottesdienst den Rest des sauren Abendmahlweines auszutrinken und nachmittags an Stelle des Pastors dessen Predigtpostille vorzulesen und – unbemerkt – einige eigene Gedanken hineinzuflechten. – Wutz ist naiv, was schon in seinen Kinderspielen zum Ausdruck kam, aber unter den zu seiner Zeit obwaltenden Umständen durfte er es sein und so sein Leben stets vergnügt verbringen. Doch gerade die Voraussetzung des stillen Glückes, das Wutz verkörpert, das Gleichbleiben der Lebensverhältnisse, schwindet: Als Wutz [um 1790] stirbt, unterrichtet sein Sohn nicht zusammen mit ihm, um die Stelle des Schulmeisters nach dem Tode des Vaters zu übernehmen, sondern studiert in Heidelberg. Schließlich hatte sich die Änderung der Verhältnisse sogar in Wutznes jungen Jahren bereits angedeutet, denn Wutz wäre Primaner geworden und hätte danach vielleicht studiert, wenn nicht der unerwartete Tod des Vaters ihn zum Examen als Secundaner bewegt hätte, durch das er das Amt des Verstorbenen übernehmen konnte.

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Jean Paul ist kein zweiter Wutz gesesen, auch wenn er sich danach vielleicht im Innersten gesehnt hat. Sein Vater hatte Theologie studiert und unterrichtete als Schulmeister, solange er keine Pfarrei hatte. Als Jean Paul zwei Jahre alt war, erhielt der Vater eine Stelle als Landpastor. Die Familie lebte weiter in ärmlichen Verhältnissen. Es entstanden Schulden. In der Osterzeit 1779 verschied der Vater plötzlich, während Jean Paul bei seinen Eltern seiner Mutter wohnend das Gymnasium zu Hof besucht, um anschließend zu studieren. 1780 stirbt auch noch der Großvater. Dennoch gelingt es Jean Paul, die Abschlußprüfung 1781 zu bestehen und das Studium aufzunehmen.

Als Schriftsteller erfolgreich, verheiratet und Vater dreier Kinder, lebte Jean Paul doch keineswegs sorgenfrei im beginnenden 19. Jahrhundert; es herrschte keine ungebrochene Tradition, sondern nach Revolution und mit den napoleonischen Kriegen kam das Ende des Reiches. Als Jean Paul 1805 wegen zunehmender finanziell bedrückender Verhältnisse Preußens König Friedrich Wilhelm III. (1797 – 1840; geb. 1770) um eine staatliche Pension bittet, wird das Gesuch abglehnt. Erst der Erzbischof von Regensburg, Karl Theodor von Dalberg (1802 – 1817; geb. 1744), gewährte sie ihm, dem Protestanten. – Die letzten Lebensjahre Jean Pauls wurden von Krankheit und dem Tod des einzigen Sohnes (1821) überschattet.

 

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