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Staatskult 2: „Unter Geiern“

Entstanden ist der deutsche Staatskult zu der Zeit, als BRD und DDR angesichts der Entwicklung der ab 1959/1960 einsatzbereiten Interkontinentalraketen ihre Bedeutung als Frontstaaten im Kalten Krieg (1947 – 1989) zunehmend verloren. Wie konnten sie diesen Verlust kompensieren? Einerseits durch ökonomische Effizienz innerhalb des jeweiligen Lagers, andererseits durch herausragende Leistung auf ideologischem Gebiet. So wurde in der DDR mit dem Wechsel von Ulbricht zu Honecker (1971) die nationale Frage für obsolet erklärt, was indirekt auch die Russifizierungspolitik innerhalb der UdSSR rechtfertigen konnte. Im Westen knüpfte man an den Jerusalemer Eichmann-Prozeß (1961) an, der den Begriff des „Schreibtischtäters“ hervorgebracht hatte, wodurch Schuld nun nicht mehr nur direkt Tatbeteiligten zugeschrieben wurde. Sie ließ sich auf diese Weise kollektivieren und bis auf weit entfernt am Geschehen Beteiligte ausdehnen. Damit waren geistige Grundlagen geschaffen für den deutschen Staatskult, der angesichts kollektiver Schuld seine Repräsentanten mit der Entsühnung beauftragt, damit sich das sündige Volk nicht erneut das Gericht der inzwischen Vergöttlichten und deren auf Erden lebenden epiphanen Vertreter zuzieht.

So sollte geistig-moralische Größe den Bedeutungsverlust der BRD im westlichen Lager kompensieren, doch was einem Sieger zur Ehre gereicht hätte, wirkt bei einem Verlierer nur peinlich. Inzwischen müssen die Repräsentanten anderer Staaten den Eindruck haben, daß Vertreter eines Kakerlakenvolkes sie fortwährend mit ihren Beteuerungen eigener Nichtswürdigkeit heimsuchen, denn sie gestehen ja nicht nur immer wieder ihre Niederlage ein, sondern daß diese auf Grund der Unmenschlichkeit verdient war. – Während sich der deutsche Staatskult bis 1989 auf den Westen konzentrierte, konnte nach dem Ende des Kalten Krieges auch der Osten einbezogen werden, angeführt von Rußland. Der bis dahin auf den Holocaust konzentrierte Staatskult wurde – vorbereitet vor allem durch Brandt – erweitert, nämlich auf sämtliche Gegner des Nationalsozialismus bzw. die potentiellen Opfer des geistigen Erbübels der Deutschen. Überall im Lande entstanden größere und kleinere Weihestätten, während die Regenten des wiedervereinigten Staates begannen, an den Siegesfeiern in West und Ost teilzunehmen.

Wenn man den Frankfurter Auschwitz-Prozeß (1963 – 1965) mit einem Gründungsakt des deutschen Staatskultes auf der Grundlage der Kollektivschuld vergleichen kann, so den in Kürze anstehenden Zschäpe-Prozeß mit einer Saecularfeier. Es tritt vor das Gericht ja nicht einfach eine Räuberbraut, deren Schuld längst feststeht, sondern eine geistige Mittäterin der Nationalsozialisten, deren Taten sich in Morden manifestierten, während ihre unzähligen Gsinnungsgenossen sich hinter der Maske des Biedermanns bzw. der -frau verstecken.

Gleichzeitig ist der Augenblick gekommen, um die Früchte des Demjanjuk-Prozesses (2009 – 2011) zu ernten, denn dieser hatte festgestellt, daß dem Angehörigen einer KZ-Wachmannschaft nicht mehr persönliche Schuld nachgewiesen werden muß, sondern nur noch, daß er zu einer Zeit, da Verbrechen begangen wurden, am Tatort war: Als Teil eines Verbrecherkollektivs trifft ihn ein Teil kollektiver Bestrafung. Da nun aber KZ-Aufseher – und dazu noch aus Auschwitz! – noch leben, die früher nicht verurteilt wurden, kann man auf Grund der „neuen Rechtslage“ diejenigen, deren Verfahren einst eingestellt wurde, weil ihnen Schuld nicht nachzuweisen war, nunmehr ihren Anteil an der kollektiven Bestrafung zusprechen und mit dem Weihrauch des original NS-Zeitlichen den Zschäpe-Prozeß umwölkend, diesen in noch höhere Sphären emporsteigen lassen.

 

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