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Staatskult 3: Unter ferner liefen

In den beiden vorangegangenen Artikeln war von der Praktizierung der auf Kollektivierung von Schuld basierenden Ideologie als einem Staatskult die Rede. Dies geschah vor allem deshalb, weil sich – nach meiner Beobachtung – inzwischen eine desinteressierte Haltung verbreitet hat, die das als Staatskult bezeichnete Phänomen zwar als irgendwie konstitutiv für das Gemeinwesen hinnimmt („Gründungsmythos„), ohne aber selbst innerlich daran beteiligt zu sein; ähnlich mögen sich die meisten Bürger des Römischen Reiches in bezug auf den Zwang zur Teilnahme am Kaiserkult mittels Opferedikt verhalten haben.

Bis 1985/1998 hätte man aus zwei Gründen nicht von einem „Staatskult“ sprechen können: Erstens wurde die Praktizierung der Kollektivschuld noch nicht wesentlich von offizieller Seite getragen und zweitens war die Beteiligung einer Vielzahl von Bürgern an der sog. Vergangenheitsbewältigung weit intensiver als heute, was nicht verwundert, da sie entweder noch der „Tätergeneration“ angehörten oder der sich als Söhne bzw. Töchter von dieser abwendenden (und damit die Eltern einschließlich aller übrigen Autoritäten verleugneten); außerdem sind seit 1989 die – ideologisch anders ausgerichteten – Deutschen aus der untergegangenen DDR hinzugestoßen.

So wurde angesichts des Niedergangs der bis dahin praktizierten Vergangenheitsbewältigung (1989 – 1998) durch Modifikation etwas Gleichwertiges entwickelt, dessen Existenz allerdings in weit größerem Maße von offizieller Förderung abhängig ist, die Gegenwartsbewältigung. Man beschränkt sich nicht mehr darauf, den Nationalsozialismus als historisches Phänomen zu begreifen, sondern sieht ihn als – in Deutschland – allgegenwärtigen Rassismus an, der dazu nötigt, jedes mögliche Holocaust-Update (M. Lichtmesz) einerseits den Deutschen als Warnung eindringlichst vor Augen zu stellen und es andererseits zu verhindern. Den Auftakt zum „Kampf gegen rechts“ im Sinne der Gegenwartsbewältigung lieferte Kanzler Schröders Aufruf zum „Aufstand der Anständigen“ (2000), zu dessen Anlaß wie 1959 wieder ein rechtsradikaler Synagogenanschlag diente, wobei der eine so unecht war wie der andere.

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Parallel zum Aufstieg der Vergangenheitsbewältigung mit gleichzeitigem realpolitischem Machtverlust erfolgte in Großbritannien und Frankreich eine neue ideologische Ausrichtung im Anschluß an die Dekolonialisierung: Der Verlust der Kolonien zeigte beiden Mächten, daß sie nur vermeintlich zu den Siegern des 2. WK’s gehört hatten; tatsächlich fanden sie sich unter den Verlierern wieder, denn weltpolitischen Einfluß besaßen sie kaum mehr. Sie waren den – von wem auch immer unterstützten und getragenen – Unabhängigkeitsbestrebungen ihrer Kolonien nicht gewachsen gewesen. So blieben die USA einzige Siegermacht (des Westens), und ihre Sicht der Dinge dominiert seitdem. Die USA üben als Vormacht des globalisierten Kapitalismus ([mittlerweile: Finanz-K.]) die Weltherrschaft nämlich nicht innerhalb eines Kolonialimperiums aus, sondern durch Angleichung der Unterworfenen an das Vorbild USA, also durch Amerikanisierung. Die ehemaligen Kolonialmächte als Verlierer der Entwicklung mußten sich nicht nur als Unterlegene begreifen, sondern sie hatten auch großes Unrecht verbreitet durch ihre Kolonialpolitik, statt die Menschenrechte zu verbreiten. Sich diese Schuld eingestehend ließen Großbritannien und Frankreich Einwanderung aus ihren ehemaligen Kolonien zu, und sie begannen ihre eigene Kultur, die ja die Kolonisierung nicht verhindert hatte, als minderwertig anzusehen. Dies mündete in die Ideologie des Antirassismus samt Zerstörung aller Kultur durch Genderismus etc.

Der westeuropäische Antirassimus mit angegliedertem Kampf gegen die Kultur wurde in Deutschland übernommen, und in ihn gingen die wesentlichen Momente der Vergangenheitsbewältigung ein: So entstand die deutsche Gegenwartsbewältigung. Zu ihr gehört aber auch noch etwas über den Antirassismus Hinausgehendes, die Verehrung aller Siegermächte in West und Ost einschließlich der (durch Dekolonialisierung) entmachteten als weiteres aus der Vergangenheitsbewältigung hervorgegangenes Element. So kommt es neben dem offiziell propagierten und praktizierten Antirassismus immer wieder zu – gewöhnlich verbalen –  Unterwerfungsbekundungen: Immerhin dies haben die Deutschen allen anderen unverlierbar voraus, die Schuldigsten aller Schuldigen zu sein.

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