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Neuer Pro-Staatssekretär

von virOblationis

Der „zweite Mann nach dem Papst“ ist der Kardinalstaatssekretär; wenn er noch nicht zum Kardinal ernannt worden ist, spricht man von einem Pro-Staatssekretär, und ein solcher ist mit Pietro Parolin nun ernannt worden. Seine Ernennung weist darauf hin, in welchem Zustand sich die Kirche gegenwärtig befindet. – Zwar handelt es sich bei dieser Thematik nicht um eine spezifisch deutsche, doch sie betrifft eben auch uns, soweit die weltweite Kirche von Bedeutung für Deutschland ist.

Einen Text aus der Feder aus der Feder Pietro Parolins möchte ich kurz betrachten, um an diesem Beispiel auf die Defizite der Theologie im Gefolge des Vaticanums II (1962 – 1965) hinzuweisen, die auch für das politische Klima in unserem wie den übrigen Ländern des „Westens“ nicht unerhebliche Folgen haben: „Der Stellenwert der Religionsfreiheit aus Sicht der katholischen Kirche“. – Zugleich wird jedoch auch eine an die Tradition anknüpfende Aussage Parolins deutlich werden, die fast verstörend wirkt in dem ihr gegebenen Kontext.

Schon der Titel des Aufsatzes zeigt, daß es bei den hier vertretenen Thesen nicht um die private Sicht irgendeines Theologen geht, sondern Pietro Parolin beansprucht, die Sicht der Kirche zu vertreten. Gleich zu Beginn (Abschnitt 1.f., vgl. 5.) wird die Globalisierung als unumstößliches Factum hingestellt, das es lediglich von negativen Begleiterscheinungen zu bewahren gilt;* damit stellt sich der Text in die Tradition der dogmatisch Konstitution „Lumen gentium“, die in ihrem ersten Absatz behauptet, die Kirche sei Zeichen und Werkzeug für die Vereinigung [aller Menschen] mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit (LG 1: Cum autem Ecclesia sit in Christo veluti sacramentum seu signum et instrumentum intimae cum Deo unionis totiusque generis humani unitatis…). Einheit der ganzen Menschheit? Ja, Einheit in Christus, so wird gleich danach versichert (LG 1: …plenam etiam unitatem in Christo). Es muß sich dabei um eine bemerkenswerte Einheit handeln, die weniger etwas mit Christi mystischem Leib, der Kirche, zu tun hat, sondern mehr die sozialen, technischen und kulturellen Bande der Menschen (LG 1: variis hodie vinculis socialibus, technicis, culturalibus arctius coniuncti) sozusagen in geistlichem bzw. religiösem Sinne krönt. Eben darum geht es auch in Parolinis zu betrachtendem Text.**

* Man versteht von daher auch den Besuch des Papstes auf Lampedusa.

** Theologisch begründet wird die Einheit in NA (Nostra aetate) 1, wo auf den gemeinsamen Ursprung der Menschen in Adam, also Gen. 1f., hingewiesen wird, ohne zu berücksichtigen, daß diese Gemeinschaft durch das wahnwitzige Projekt des „Turmbaues zu Babel“ in verschiedene Sprachen und Kulturen zersprengt wurde, Gen. 11.

Der Globalisierung verdanken wir es, daß wir aus unserer geistigen Beschränktheit durch kulturelle Abschließung befreit wurden mit der Perspektive einer „universalen Gesellschaft“ (Abschnitt 2.). Es gibt dabei neben der zu drohenden Tendenz, die „in Nationalismus und Populismus umschlägt und zu den verheerenden Folgen führen kann, die uns nur allzu gut bekannt sind“, also neben der Wachsamkeit gegen rechts, einen Aspekt, der zu beachten ist, damit die Globalisierung ein menschliches Antlitz erhält: Es gilt für die Gesellschaft, die Freiheit der Religionen zu wahren und diese in ihrer Rolle, die sie für die Gesellschaft spielen, anzuerkennen: Ohne sie und ihr Fragen nach Wahrheit „zerbröselt“nämlich  die Moral (Abschnitt 4.). – Dieser Gedankengang zeigt, daß Parolin voraussetzt, im Grunde hätten alle Religionen eine vergleichbare Moral; er spricht auch so, als ob sie alle an einen [und denselben] Gott glaubten (Abschnitt 4.: „…als ob es keinen Gott gäbe?“). Wie verhält es sich angesichts dessen z.B. mit dem Voodoo-Kult? Soll der nicht als Religion anerkannt werden? Wo wäre denn dann die Grenze zu ziehen? Lehrt etwa der Islam eine biblische Ethik? Fordert das Judentum Feindesliebe, oder verbietet es die Ehescheidung?

Man sieht, in welche Widersprüche man gerät, wenn man die traditionelle katholische Lehre aufgibt. – An diese scheint Parolin mit einer unerwarteten Wendung in seinem Gedankengang anzuknüpfen: Parolin erkennt einen Zusammenhang zwischen Globalisierung und und religiösem Relativismus, so als ob „die Religionen untereinander (als) gleichwertig“ seien und „jede von ihnen die Menschen nach eigenem Gutdünken, zum Heil führen“ könnte (Abschnitt 3). Parolin gesteht dem Christentum seinen „Anspruch auf Wahrheit“ zu; eigentlich sollte er von der katholischen Kirche statt von irgendeinem nicht näher definierten Christentum (s. den Titel des Aufsatzes). Doch kaum hat Parolin mit diesem Gedanken an die Tradition angeknüpft, relativiert er ihn, indem er „jede[r] Religion“ den Anspruch auf Wahrheit zugesteht (Abschnitt 3.). Natürlich muß man anerkennen, daß jede Religion den Anspruch auf Wahrheit erhebt, aber der Inhalt dieses Anspruches ist abzulehnen, denn den eigenen „Anspruch auf Wahrheit“ kann die Kirche nur erheben, wenn sie das Vorhandensein anderer Wahrheiten ausschließt: Die Lehre der Kirche beruht auf göttlicher Offenbarung. – Aber da kommt wieder das Vaticanum II mit seinem neuen Wahrheitsbegriff ins Spiel: Die Wahrheit wird nicht mehr als unteilbar verstanden, sondern additstisch. Wenn also das Judentum, sagen wir, in 75% seiner Aussagen mit der Kirche übereinstimmt, ist es zu 75% wahr, der Islam vielleicht zu 50%. (Die Zahlen sind willkürlich gewählt.) Also schaut das Vaticanum II nicht mehr auf das Trennende, sondern preist die Gemeinsamkeiten (vgl. Erklärung Nostra aetate), die gewissermaßen einen prozentualen Anteil an der Kirche gäben, weshalb seit dem Vaticanum II so oft von voller oder eben noch nicht vollständiger Gemeinschaft die Rede ist (vgl. KKK 817; 820). Das würde mich dann überzeugen, wenn die Anhänger anderer Religionsgemeinschaften entsprechend dem Wahrheitsanteil ihres jeweiligen Glaubens selig würden, also der Jude zu 75%, der Moslem zu 50% etc. Es gibt aber nur eine unteilbare Rettung oder Verwerfung; wenn der Anhänger einer anderen Religion selig wird, dann trotz seines Irrtums, nicht durch ihn.

Ein exklusives Verständnis von Wahrheit hat keineswegs zwangsläufig Intoleranz zur Folge, weil es unmöglich ist, einen Menschen zur Einsicht zu zwingen. Doch Tolerierung des Irrtums ist etwas anderes als ein Recht auf Irrtum zuzugestehen, und das ist eben der Unterschied zwischen traditionellem Verständnis der Religionsfreiheit und Vaticanum II (Erklärung Dignitatis humanae).

Angesichts der im Alltag sichtbaren Folgen der Globalisierung fühlt man sich beim Lesen des Aufsatzes Parolins wahrscheinlich ähnlich wie ein Bürger des Ostblocks, der damals erfahren hätte, daß marxistisch inspirierte Befreiungstheologen die höchsten Ämter der Kirche okkupiert haben. – Die Kirche hat die Globalisierung nicht veranlaßt, und sie wird sie nicht abschaffen. Doch um die Folgen für die Betroffenen zu mildern, wäre es ihre Aufgabe, für die Mission unter den Neuankömmlingen zu sorgen, um einen Beitrag zur Assimilation zu leisten. Doch stattdessen verlieren auch die Alteingesessenen den Glauben. Domine, quousque tandem?

 

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