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Die Entstehung der Neuen Linken 1: Roosevelts New Deal

von virOblationis

Franklin Delano Roosevelt, weitläufig verwandt mit dem US-Präsidenten Theodore Roosevelt*, entstammte einer reichen New Yorker Familie; „Delano“ war der Mädchenname seiner Mutter, Tochter eines in Fernost tätigen Yankees, der mit Tee und Opium ein Vermögen gemacht hatte. Sara Ann Delano** heiratete den verwitweten Vize-Präsidenten einer us-amerikanischen Eisenbahngesellschaft, James Roosevelt***, im Jahre 1880; er hatte bereits einen Sohn und wurde nun in zweiter Ehe noch einmal Vater: Am 30. Januar 1882 kam Franklin Delano Roosevelt zur Welt. – Die Roosevelts waren Nachkommen niederländischer, also wohl calvinistischer Kolonisten; Franklin Delano gehörte dem Episkopalismus an, dem us-amerikanischen Zweig der Anglikanischen Kirche.

* 1901 – 1909; Friedensnobelpreis 1906

** geb. 1854, gest. 1941

*** geb. 1828, gest. 1900

Franklin Delano Roosevelt studierte erst in Harvard Geschichte und Nationalökonomie, dann an der New Yorker Columbia Universität Rechtswissenschaft. Harvard verließ er als Bachelor of Arts, die Columbia Universität ohne jeglichen Abschluß; gleichwohl praktizierte er danach als Anwalt einer renommierten New Yorker Kanzlei. – Schon während des Studiums hatte er eine Nichte des US-Präsidenten Roosevelt geheiratet, und Franklins Mutter sorgte für eine standesgemäße Unterkunft des Paares, indem sie ein Doppelgebäude errichten ließ, dessen eine Hälfte die frisch Vermählten bewohnten, sie selbst die andere; Franklin und Eleanor Roosevelt* wurden Eltern mehrerer Kinder, an deren Erziehung die verwitwete Großmutter bestimmend mitwirkte. Auch die Sommerfrische wurde gemeinsam in zwei nebeneinanderliegenden Häusern auf einer Insel jenseits der us-amerikanisch – kanadischen Grenze verbacht. Sara Roosevelts Einfluß auf ihren Sohn Franklin, dessen Ehefrau sie nicht besonders schätzte, hielt fast bis zu dessen Tod an, da er sie um nur dreieinhalb Jahre überlebte, und er richtete nie ein Heim für sich und seine eigene Familie, das die Mutter ausgeschlossen hätte.

* geb. 1884, gest. 1962

In den Wahlen von 1910 bewarb sich Franklin D. Roosevelt als Angehöriger der US-Demokraten erfolgreich für den New Yorker Senat; dies war zugleich ein Schritt zur persönlichen Eigenständigkeit, da die Mutter kein Verständnis für Politik hatte und sich davon fernhielt. Schon 1912 berief man den jungen Roosevelt als Mitarbeiter ins US-Marineministerium, und 1920 kandidierte er in den Präsidentschaftswahlen als Stellvertreter des Kandidaten der US-Demokraten, der allerdings dem Republikaner Warren G. Harding* unterlag. – 1921 erkrankte Roosevelt auf Grund einer Poliomyelitis-Infektion, also an Kinderlähmung. Fortan vermochte er nur noch wenige Schritte mit Hilfe von Krücken und Beinschienen selbständig zu gehen; regelmäßig begab er sich zur Kur nach Warm Springs im Bundesstaat Georgia, wo er später auch verstarb. Seine Mutter wünschte, daß er sich wegen der Erkrankung aus der Politik zurückziehe, doch Franklin D. Roosevelt kam dem nicht nach, und seine Ehefrau bestärkte ihn darin.

* 1921 – 1923

1928 wurde Roosevelt zum Gouverneur New Yorks gewählt und – angesichts der im Jahr darauf ausgebrochenen Weltwirtschaftskrise – 1932 zum Präsidenten der USA. Um der Massenarbeitslosigkeit zu begegnen, strebte Roosevelt anscheinend so etwas wie einen durch Wahlen legitimierten und durch Reformen zu verwirklichenden Sozialismus an, der das politische System der USA nicht beseitigte, was sich – ohne darum psychologisieren zu wollen – formal vergleichen läßt mit der Schaffung eines persönlichen Freiraumes im Rahmen der Politik, der die mütterliche Vorherrschaft grundsätzlich nicht in Frage stellt.

Roosevelt versuchte das sozialistische Ideal der Überwindung der Klassengesellschaft in modifizierter Form dadurch zu übernehmen, daß er den Werktätigen, wenn schon keine klassenlose Gesellschaft, so doch zumindest erträgliche Lebensbedingungen innerhalb der Klassengesellschaft bieten wollte, d.h. eine angemessene Beteiligung an dem von ihnen produzierten materiellen Wohlstand. Dafür tastete Roosevelts New Deal das Eigentum an Produktionsmitteln grundsätzlich nicht an.

Im Gegensatz zur europäischen Sozialdemokratie konnte sich Roosevelt nicht auf eine organisierte Arbeiterschaft in Form einer Massenorganisation stützen; vielleicht schien ihm dies auch gar nicht erstrebenswert. Roosevelt berief sich nicht auf den Marxismus wie die Sozialdemokraten, sondern sprach von New Deal, Neuem Handel und Wandel, und er suchte seine Pläne zur Verbesserung der Lage der großen Mehrheit der Bevölkerung dadurch zu verwirklichen, daß er möglichst viele Positionen im Staate mit seinen Anhängern besetzte; dazu gehörte die Vergrößerung, ja Aufblähung des Staatsapparates durch Roosevelts sog. Buchstabensuppe, Alphabet Soup, die Schaffung lauter mit Buchstabenkombinationen bezeichneter Kommissionen, Behörden und Bureaus, in die man vorzugsweise Leute aufnahm, die entweder schon Unterstützer waren oder von denen eine künftige Unterstützung erwartet werden durfte.

In diesen Zusammenhang gehört die Unterstützung Roosevelts durch Intellektuelle, von denen viele eine Anstellung in den vom neuen US-Präsidenten geschaffenen Behörden fanden und durch die Zuteilung staatlicher Gelder auch ein gewisses Maß an Macht erlangten. Um das Ausmaß solcher staatlich finanzierten Beschäftigung zu begreifen sei auf das Beispiel der Anstellung von etwa dreitausend Schriftstellern durch die NRA, die 1933 bis 1935 wirksame National Recovery Administration, die Nationale [Wirtschafts]belebungs-Behörde, hingewiesen; man denke auch an die Beschäftigung zahlreicher Angehöriger der Frankfurter Schule ab 1941, da das Institut sie nicht mehr zu bezahlen vermochte.

Eine Kerntruppe von Juristen um Roosevelt bildeten die Schüler Felix Frankfurters*. Der jüdisch-us-amerikanische Professor unterrichtete von 1914 bis 1939 an der Harvard Law School zu Cambridge (Mass.); dann ernannte Roosevelt ihn zum Richter am Obersten Gerichtshof der USA**. Etwa einhundert Schüler Frankfurters dienten als Beamte bei der Umsetzung des New Deal. – Den Zusammenhalt sowie den Machtwillen der New Deal – Liberalen um Roosevelt brachte Thurman Wesley Arnold***, Professor an der Yale Law School zu New Haven und späterer Leiter der Anti-Trust-Abteilung im US-Justizministerium,**** der bis zu einhundertneunzig Juristen angehörten, in seinen Veröffentlichungen zum Ausdruck.

* geb. 1882, gest. 1965

** 1939 – 1962

*** geb. 1891, gest. 1969

**** 1931 – 1938 und 1938 – 1943

Die Mittel für die Maßnahmen des New Deal entstanden durch Vergrößerung der Geldmenge. Im April 1933 erließ Roosevelt ein Goldhandels- und -besitzverbot für Privatpersonen, und im Juni desselben Jahres erfolgte die Loslösung des US-Dollars vom Goldstandard, obwohl noch im März zuvor versichert worden war, daß dieser nicht angetastet würde. Doch bereits im Mai 1933 wurde der Wert des US-Dollars drastisch abgesenkt; es waren nun 30 statt 20 Dollar je Feinunze Gold zu bezahlen. Damit verbilligte Roosevelt die us-amerikanischen Exportwaren im Verhältnis zu den Produkten von Staaten mit goldgedeckter Währung, doch erschien das Goldverbot als dictatorische Maßnahme, ja als geradezu totalitärer Zugriff auf den Privatbesitz der US-Bürger. Außerdem führte diese Maßnahme zur Erosion des noch erhaltenen Rests der internationalen Handelsbeziehungen; jeder Staat suchte nun um so mehr nach nationalen Lösungen, um die Folgen der Weltwirtschaftskrise in den Griff zu bekommen. – Nachdem die Ausweitung der Geldmenge nicht den gewünschten Erfolg hatte, weil die internationalen Handelsbeziehungen darunter litten, trat auch in den USA die Autarkie an die Stelle des Strebens nach freiem Welthandel.

Roosevelt wird den New Deal vielleicht eher mit dem System der UdSSR verglichen haben als mit einer sozialdemokratischen Regierung, denn auch die Sowjetunion wurde von einer politischen Kraft gelenkt, nämlich der Kommunistischen Partei, die den Staatsapparat mit ihren Anhängern besetzt hatte. Als Roosevelt zehn Tage vor seinem einundfünfzigsten Geburtstag, der auf den Tag der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler fiel (30. Januar 1933), sein Amt als US-Präsident antrat, war über die Verbrechen Stalins noch nicht viel bekannt, was den Vergleich von Washington mit Moskau erheblich erleichtert haben dürfte. – Noch im Jahre 1933 sorgte Roosevelt für die diplomatische Anerkennung der UdSSR durch die USA.

Vom stalinistischen Standpunkt aus mußte der New Deal wegen seines Verzichts auf die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln als Verrat am Sozialismus erscheinen, als sog. Sozialfaschismus, während der New Deal seinerseits den Bolschewismus als die ins Extrem gesteigerte Herrschaft einer Partei verstehen konnte, deren innere Geschlossenheit seinen eigenen Anhängern fehlte, was aber gerade der parlamentarischen Demokratie und einer liberalen Gesellschaft entsprach.

Als Konsequenz der Öffnung gegenüber der UdSSR erfolgte eine massive Unterwanderung durch Agenten im Dienste der Sowjetunion, obwohl diese als Bedingung ihrer diplomatischen Anerkennung den Verzicht auf solche Aktivitäten hatte zusichern müssen. Im gesamten Regierungsapparat Roosevelts sollen etwa fünfhundert Ostagenten tätig gewesen sein. – Darf man es noch als Naivität bezeichnen, wenn beispielsweise die KP-Zeitung „Daily Worker“ ihre Unabhängigkeit von Moskau erklärte und die US-Behörden dem glaubten, ohne es zu überprüfen?

Kritik an der UdSSR konnte der Karriere in den USA z.Z. Roosevelts schaden, und es kam (1937 und 1943) sogar vor, daß man auf Ersuchen der UdSSR hin anti-sowjetisch eingestellte Mitglieder aus dem Regierungsapparat entfernte. Im Gegenzug gelangten Sowjetspione bis in hohe US-Regierungsämter, so vor allem Alger Hiss*, Direktor des Bureaus für besondere politische Angelegenheiten im Außenministerium, maßgeblich beteiligt an der Schaffung der UN (United Nations), der Vereinten Nationen, und 1945 deren erster Generalsekretär. Sehr wahrscheinlich gehörten zu den Sowjetagenten auch Harry Dexter White**, Mitarbeiter des Finanzministeriums und maßgeblich beteiligt an der Entwicklung des Morgenthau-Planes zur Gestaltung Nachkriegs-Deutschlands, sowie Harry Hopkins***, enger Vertrauter Roosevelts und Leiter des Arbeitsbeschaffungsprogramms, danach Handelsminister**** und schließlich Roosevelts Sondergesandter; nach dessen Tod organisierte Hopkins die Potsdamer Konferenz von Seiten der USA.

* geb. 1904, gest. 1996; er wurde 1950 lediglich wegen Meineids verurteilt, weil seine [ihm nachzuweisende] Spionagetätigkeit bereits verjährt war.

** geb. 1892, gest. 1948

*** geb. 1890, gest. 1946

**** 1938 – 1940

*

Es lassen sich mehrere verschiedene Phasen der Politik des New Deal unterscheiden, deren Einteilung aber nicht unstrittig ist. Es gibt jedoch einige einschneidende Ereignisse, an denen man sich orientieren kann. So wurde die erste, revolutionäre Phase des New Deal,* die vor totalitärem Zugriff nicht zurückschreckte, 1935 durch den Obersten Gerichtshof beendet, der Roosevelts Wirtschaftspolitik als verfassungswidrig disqualifizierte; dieses Urteil bildete übrigens ein frühes Beispiel für die Bestimmung der Tagespolitik durch die Rechtsprechung, die inzwischen zur (schlechten) Gewohnheit geworden ist und vor allem dazu dient, den Politikern unpopuläre Entscheidungen abzunehmen.

* Noch im Jahre 1933 wurde die 1919 beschlossene Prohibition aufgehoben.

Das Vorbild des New Deal der ersten Phase (1933 – 1935) war die Kriegswirtschaft der USA der Jahre 1917 und 1918. Staatliche Lenkungsmaßnahmen sollten die wirtschaftliche Lage stabilisieren; dazu wurde eine Vielzahl von Behörden geschaffen. Die Anti-Trust-Gesetze schienen ohne Bedeutung, weil man versuchte, sich mittels des Staatsapparates der Wirtschaft sozusagen zu bemächtigen, gleich wem sie offiziell gehörte.

Nachdem die frühe Phase des New Deal gerichtlich beendet worden war, erfolgte eine Konzentration auf die Bekämpfung von Monopolen zur Verbesserung der Lage der Werktätigen in den USA. Vermochte man es nicht, die Wirtschaft ins Gesamt zu lenken, dann sollten zumindest die Monopole daran gehindert werden, die Gesetze des Marktes außer Kraft zu setzen. Der Einsatz der von Roosevelt geschaffenen Behörden diente nun diesem Zweck. Diese zweite Phase des New Deal (1935 – 1937) endete im Jahr nach der triumphalen Wiederwahl Roosevelts 1936.

Um die Blockade durch den Obersten Gerichtshof zu beseitigen, hatte Roosevelt nämlich geplant, die Zahl der Richter durch ihm wohlgesonnene Neuberufungen zu erhöhen; doch dieser Vergrößerung des Obersten Gerichts stimmten auch viele US-Demokraten nicht zu. So scheiterte Roosevelts Plan endgültig am 22. Juli 1937 im US-Senat. Zugleich verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage wieder.

Die dritte Phase des New Deal (1937 – 1939) war dadurch gekennzeichnet, daß Roosevelt dem us-amerikanischen Großkapital – quasi als Entschädigung für den Anti-Trust-Kampf im eigenen Lande – die Eröffnung weltweiter Perspektiven ankündigte. Bis dahin hatten die USA offiziell nur den amerikanischen Doppelkontinent sowie die umgebenden Meere als ihre Interessensphäre beansprucht. Nun erweiterte sich der Horizont zur globalen Perspektive.

Ein Zeichen für die veränderte Haltung der Regierung gegenüber den Monopolen bildete die Heirat des Präsidentensohnes Franklin D. Roosevelt Jr.* mit Ethel DuPont** am 28. Juni 1937; der Vater der Braut, ein Nachkomme hugenottischer Einwanderer, hatte zu den Hauptakteuren der oppositionellen Liberty League gehörte, die von 1934 bis 1936 gegen Roosevelt opponiert hatte und 1940 gänzlich aufgelöst wurde; der DuPont-Trust spielte eine führende Rolle in der Chemieindustrie.

* geb. 1914, gest. 1988

** geb. 1916, gest. [durch Selbstmord] 1965; Scheidung 1949; erneute Ehe 1950

Ein Ereignis des Sommers 1937 in Fernost paßte sehr gut zu Roosevelts politischem Schwenk: Aus einem Grenzgefecht ungeklärter Ursache* entwickelte sich seit dem 7. Juli 1937 ein Krieg zwischen Japan und China. Bis dahin hatte Deutschland gute Beziehungen auch zu China unterhalten. Doch als Gegner Japans bewegte sich China, das bis dahin Deutschland diplomatisch recht nahegestanden hatte, auf die Seite der Gegner Japans, also zu den USA und Großbritannien hin. Japan, früher einmal verbündet mit Großbritannien, war nämlich in einen Gegensatz zu den beiden angelsächsischen Mächten geraten, da sich das Kaiserreich durch die Flottenabkommen von 1922 und 1930 benachteiligt sah, weil ihm keine Parität in der Schiffstonnage zugestanden wurde. So war Japan nach der Besetzung der autonomen Mandschurei und der Errichtung des Vasallenstaates Mandschukuo (1932) aus dem Völkerbund ausgetreten (1933) und hatte sich dadurch politisch isoliert. Auf der Lononer Flottenkonferenz von 1935 forderte Japan noch einmal – und wieder vergeblich – Parität mit den USA und Großbritannien und geriet so endgültig in einen Gegensatz zum angelsächsischen Lager. Im Sommer 1937 schloß das nunmehr in einen Krieg verwickelte China mit der UdSSR einen Nichtangriffspakt ab; außerdem einigten sich die chinesischen Bürgerkriegsparteien, die Nationalchinesen und die Kommunisten, auf einen gemeinsamen Widerstand gegen die Japaner. Als im Dezember 1937 das us-amerikanische Kanonenboot Panay auf dem Jangtse bzw. Chang Jian durch japanische Fliegerbomben versenkt wurde,** zeichneten sich die Fronten des herannahenden Weltkrieges in Fernost deutlich ab, auch wenn Japan eine Entschädigung leistete.

* sog. Zwischenfall an der Marco-Polo-Brücke

** Kanonenboote schützten us-amerikanische Handelsniederlassungen in China.

Öffentlich verkündigt wurde die neue Generallinie der US-Regierung am 5. Oktober 1937 in Chicago. Dort hielt Roosevelt nämlich seine Quarantäne-Rede, in der er Deutschland, Italien und Japan – ohne sie zu namentlich nennen – als Feinde des Weltfriedens (bzw. auch der Kommunistischen Internationale)* charakterisierte, die wie Krankheitsüberträger zu isolieren seien.** Dabei hatte Deutschland zu dieser Zeit weder Österreich angeschlossen, noch das deutsch besiedelte Sudetenland, und schon gar nicht die Rest-Tschechei besetzt. Deutschland stand lediglich zusammen mit Italien seit Ende 1936 General Franco*** bei im Kampf gegen die spanischen Republikaner, deren vom Westen und der UdSSR unterstützten Terror mehrere tausend katholische Geistliche zum Opfer fielen, von weiteren Zivilisten ganz zu schweigen. Aber damit zeichneten sich auch dort bereits die Fronten des kommenden Krieges ab. – Die Quarantäne-Rede war die Fanfare, die den Beginn eines 2. Weltkrieges ankündigte und gleichzeitig den der Globalisierung.

* Deutschland und Japan hatten 1936 den Anti-KomIntern-Pakt geschlossen; Italien trat ihm erst im November 1937, also nach der Quarantäne-Rede bei.

** Zu dieser Achse vgl. die „Axis of Evil“, die US-Präsident George W. Bush (2001 – 2009) aus dem Iran, Iraq und Nord-Korea kreierte (2002).

*** Francisco Franco; geb. 1892, gest. 1975

Während der letzten Phase des New Deal fand Roosevelt offenbar zu einer Synthese seines gesamten Denkens, denn er hatte schon während der Tätigkeit im US-Marineministerium zu den Befürwortern des „Big Stick“ sowie des Eingreifens in den 1. Weltkrieg (1914 – 1918) gehört und während der zwanziger Jahre die Vorstellung von einer moralischen Weltordnung nach us-amerikanischer Facon entwickelt. Hinzu kam die Verbesserung der materiellen Lage der Werktätigen als weiteres Anliegen, das Roosevelt ab 1933 zu verwirklichen gesucht hatte. – Die „Big Stick policy“, die Politik des Großen Knüppels, wurde vom US-Präsidenten Theodore Roosevelt propagiert, der damit die Drohung mit militärischer Gewalt meinte.

Zum Interventionismus bekannte sich Franklin D. Roosevelt zwar erst nach seiner Quarantäne-Rede, doch auch die Gegenposition des Isolationismus bejahte durchaus die Einmischung in die inneren Angelegenheiten sämtlicher Staaten des amerikanischen Doppelkontinents bis hin zum militärischen Eingreifen. Dem entsprechend verhielt sich auch Franklin D. Roosevelt vor 1937. Bereits in seinem ersten Amtsjahr kam es zu einem Umsturz auf Kuba, an dem der mit den Eheleuten Roosevelt persönlich vertraute US-Botschafter* auf der Insel aktiv beteiligt war; im Falle Kubas erwies sich schon die Drohung mit dem Einsatz von US-Militär als ausreichend wirksam. Gemäß Roosevelt sollten die USA vor allem als moralische Führungsmacht auftreten, ökonomische Maßnahmen und militärische Sanktionen dies soweit nötig nur ergänzen. – Der nach 1937 propagierte Interventionsimus im Zeichen einer weltumspannenden moralischen Ordnung ging davon aus, daß alle diejenigen, die auf Seiten der USA stehen, zu den Guten gehören, während deren versammelte Gegner das Böse verkörpern. Die Guten müssen sich also nicht moralisch qualifizieren, sondern ihr Verhalten ist moralisch, weil sie gut (bzw. auserwählt) sind; für die Seite der Bösen gilt dasselbe mit umgekehrten Vorzeichen.

* Es handelte sich um Sumner Welles (geb. 1892, gest. 1961), der 1937 bis 1943 als stellvertretender US-Außenminister wirkte. Wegen des Bekanntwerdens seiner Homosexualität mußte er das Amt aufgeben; tatsächlich waren wohl Meinungsverschiedenheiten zwischen Roosevelt und seinem Außenminister Hull (1933 – 1944) ausschlaggebend, denn Cordell Hull (geb. 1871, gest. 1955; Friedensnobelpreis 1945) sah sich durch den Roosevelt-Vertrauten Welles zunehmend entmachtet. – Sumner Welles hatte maßgeblichen Anteil an der Konzeption der UN, und Hull setzte sie in die Tat um.

Im April 1939 forderte Roosevelt von Deutschland und Italien eine Nichtangriffsgarantie, wozu Berlin und Rom eine Liste von einunddreißig Staaten vorgelegt wurde. Damit endete die Zeit der Ankündigungen einer neuen Weltordnung, und es begann deren Verwirklichung durch die USA. – Aus Roosevelts Kampf gegen die Monopole im eigenen Land – er nannte sie „economic royalists, the Old Guard, princes of privilege“, ökonomische Royalisten, Alte Garde, Privilegienprinzen – wurde ein Kampf gegen die Feinde derselben Monopole in aller Welt, die Gegner des Freihandels und des Liberalismus.

Am Dreikönigstag 1941 verkündete Roosevelt dazu vier Freiheiten: War der New Deal auf die Hebung des Lebensstandards innerhalb der USA ausgerichtet gewesen, so sollte nun die gesamte Menschheit von Hunger und Not befreit werden; daneben verkündete Roosevelt noch drei weitere Freiheiten: die (altehrwürdige) Redefreiheit, die Religionsfreiheit entsprechend dem religiösen Leben in den USA und die Freiheit von Furcht, die dadurch hergestellt werde, daß sämtliche Staaten abrüsten sollten, bis sie keinen Krieg mehr führen könnten, wobei natürlich hinzuzufügen ist, daß die USA eine Ausnahme bilden, denn sie müssen diese Neue Weltordnung bewachen; im Verlaufe des 2. Weltkrieges (1939 – 1945) entwickelte sich daraus die Auffassung, es seien vier Sheriffs für die Weltordnung verantwortlich: Die USA, Großbritannien, die Sowjetunion sowie National-China. Daraus wiederum entstand die Konzeption der United Nations, der Vereinten Nationen.

Die vier Freiheiten sind – erkennbar an Hand der Formulierung – zwei Gruppen zuzuordnen. Zweimal heißt es „freedom of“; dabei geht es um die in der Tradition des Liberalismus verankerte Rede- und Religionsfreiheit. Zweimal heißt es aber auch „freedom from“; dabei handelt es sich um zwei utopische Freiheiten, die erst durch die Errichtung der Neuen Weltordnung verwirklicht werden können, nämlich die Freiheit von materieller Not und die Freiheit von Furcht vor Krieg. – Die dritte Freiheits-Forderung zielt letztlich auf die Versorgung des einzelnen durch den Staat, der an die Stelle der Familie oder caritativer Einrichtungen tritt, denn wer sollte die Freiheit von Not sonst garantieren, wenn jeder einzelne in seinen Bemühungen auch versagen kann: Damit wird einem Umverteilungsstaat das Wort geredet, der durch seine Bevormundung der Familie stets totalitär zu entarten droht und den liberalen Freiheiten eine sozialistische Komponente hinzufügt. Hinter der vierten Freiheits-Forderung, der Entwaffnung der [übrigen] Welt, steht kaum verhüllt der Anspruch der USA auf Weltherrschaft.

Es handelt sich bei dem Datum der Verkündung der vier Freiheiten als Fundament der Menschenrechte wohl kaum um einen Zufall, denn am 6. Januar wird des Besuches und der Anbetung des Heilands durch die Drei heiligen Könige gedacht, die tradionell als Repräsentanten der gesamten Menschheit aufgefaßt wurden, indem man sie den drei Lebensaltern sowie den drei (im Mittelalter bekannten) Kontinenten Afrika, Europa und Asien zuordnete. Roosevelt hat – nach seiner Meinung – ebenfalls das Heil der Menschheit in Blick und verkündet die vier Freiheiten als „freedom under the guidance of God“, als [die eine, umfassende] Freiheit unter Gottes Geleit. [Diese] Freiheit bedeutet, daß überall die Menschenrechte an oberster Stelle stehen. [Die vier Freiheiten sind demnach unlösbar mit den Menschenrechten verbunden. Indem wir die vier Freiheiten durchsetzen] unterstützen wir all jene, die sich diese Rechte erkämpfen und erhalten wollen. „Freedom means the supremacy of human rights everywhere. Our support goes to those who struggle to gain those rights and keep them.“ Sie benötigen dabei die us-amerikanische Unterstützung, weil sie [abgesehen von ihrem jeweils real existierenden politischen System] als [lichte] „democracies“ durch [finstere] „dictators“ der „aggression“ ausgesetzt sind. Sogar die Zukunft der USA werde unmittelbar bedroht! Roosevelt verweist darauf, daß die [- durch das Verhalten der alliierten Kriegsgegner erzwungene – deutsche] Invasion in Norwegen [sowie Dänemark] durch vorangegangene jahrelange Tätigkeit von Saboteuren vorbereitet und ermöglicht worden sei und daß ebensolche Saboteure bereits in Lateinamerika am Werk seien, wodurch die Zukunft aller amerikanischen Staaten [und damit der USA] sich in ernsthafter Gefahr, „in serious danger“, befinde; deshalb müsse die us-amerikanische Aufrüstung, die 1940 bereits Fortschritte gemacht habe, noch weiter gesteigert werden.

*

1939 endete der New Deal. Es wurden keine weiteren Gesetze zum Anti-Trust-Kampf mehr erlassen. Der aufgeblähte Staatsapparat blieb erhalten, und es enstanden während Roosevelts dritter Amtszeit 1941 bis 1945 sogar noch weitere Abteilungen, vor allem zur psychologischen Kriegsführung. In die Regierungsmannschaft wurden seit 1939 jedoch zahlreiche Vertreter der Großindustrie – meist als Vize-Minister (Under Secretary) aufgenommen, so Edward Stettinius Jr., James Vincent Forrestal und John Jay McCloy.* Edward Stettinius Jr. als Vertreter der US-Schwerindustrie diente der US-Regierung von 1939 bis 1946 in verschiedenen Funktionen; anschließend wurde er erster Botschafter der USA bei den UN, an deren Gründung 1945 Stettinius Jr. maßgeblichen Anteil hatte; nach Streit mit Roosevelts Nachfolger Truman** gab Stettinius seine Staatsämter auf. James Vincent Forrestal, ab 1940 im Staatsdienst und zuvor Wertpapierhändler einer Investmentbank, stieg 1944 zum Marineminister auf; unzufrieden wegen der Kürzung der Mittel für die Flotte, trat Forrestal 1949 zurück. John Jay McCloy fand 1941 Aufnahme in die Regierung, nachdem er bis dahin als Anwalt für Wirtschaftsunternehmen tätig gewesen war. 1947 bis 1949 amtierte er als Präsident der Weltbank; im Anschluß daran wirkte McCloy bis 1952 US-Hochkommissar in West-Deutschland, wobei er die Atlantik-Brücke gründete. 1953 bis 1960 war er Chairman der Chase Manhattan Bank und 1961 Kennedys*** Sonderbotschafter für Abrüstungsfragen; 1979 sorgte er zusammen mit David Rockefeller**** und dem ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger***** für die Aufnahme des von den USA fallen gelassenen und daraufhin aus dem Iran vertriebenen Schah, was im Gegenzug zur Erstürmung und Besetzung der US-Botschaft in Teheran führte, die von 1979 bis 1981 andauerte. – Übrigens steuerte der nach dem Marineminister benannte McCloy-Fond 1949 die fehlenden Mittel zur Wiedergründung der Frankfurter Schule bei.

* geb. 1900, gest. 1949 / geb. 1892, gest. 1949 / geb. 1895, gest. 1989

** 1945 – 1953; Harry S. Truman; geb. 1884, gest. 1972

*** John F. Kennedy, US-Präsident 1961 – 1963

**** geb. 1915

***** 1973 – 1977; geb. 1923

Die neue Nähe von New Deal und Großkapital zeigte sich auch zeichenhaft daran, daß der populäre New Yorker Bürgermeister Fiorello LaGuardia*, der – obwohl US-Republikaner – zu den Unterstützern des New Deal gehörte, im Jahre 1940 den jungen David Rockefeller als seinen Sekretär anstellte und ihn bis 1941 de facto als stellvertretenden Bürgermeister walten ließ. – David Rockefeller war von 1960 bis 1981 Chairman der Chase Manhattan Bank, einer der größten Banken der Welt, die inzwischen mit JP Morgan zu JP Morgan Chase & Co. zusammengeschlossen ist. David Rockefellers Großvater hatte das weltweit größte Erdöl-Unternehmen geschaffen, den Standard Oil Trust, und wurde wegen der Entflechtung auf Grund der frühen Anti-Trust-Gesetze im Jahre 1911 Großaktionär zahlreicher Nachfolgeunternehmen. Sein einziger Sohn betätigte sich vor allem als Philanthrop, begann aber auch, das ererbte Vermögen in den Bankensektor zu transferieren und wurde Großaktionär der Chase National Bank, die später in Chase Manhattan Bank umbenannt wurde.

* 1934 – 1945; geb. 1882, gest. 1947

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