Die Entstehung der Neuen Linken 5b: Das Erscheinen der Neuen Linken (zweiter Teil)
von virOblationis
Die K-Gruppen hatten kaum politische Erfolge zu verzeichnen, da ihre Ideologie von der großen Mehrheit in der BRD gänzlich abgelehnt wurde. – Erfolgversprechend entwickelte sich vielmehr eine ganz andere Strömung, der sich im Verlauf der siebziger Jahre etliche Mitglieder erfolgloser K-Gruppen, ins Besondere des KB, anschlossen: Die Anti-AKW*-Bewegung. Die praktische Anwendung von Atomtechnologie impliziert stets die Frage nach atomarer Bewaffnung. Auch wenn die BRD 1954 offiziell darauf verzichtet und (ebenso wie die DDR) 1969 den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet hatte,** steckte in der angewandten Atomtechnologie und damit in den AKWs noch immer die theoretische Möglichkeit eines Zugangs zu atomarer Bewaffnung. Außerdem enthielt die Atomtechnologie tatsächlich das Risiko katastrophaler Strahlenunfälle. Damit bot die Ablehnung der Atomkraft verschiedenen Motiven eine Heimstatt: Man konnte ganz allgemein gegen einen wieder erstarkten deutschen Staat opponieren, pazifistischen Sehnsüchten oder einer grundsätzlichen Kritik an der Industriegesellschaft Ausdruck verleihen. Im baden-württembergischen Whyl begann 1973 eine Bürgerinitiative, gegen den Bau eines AKWs zu protestieren. Einen frühen Höhepunkt der Anti-AKW-Bewegung stellte die Massendemonstration im schleswig-holsteinischen Brokdorf 1981 dar. Der endgültige Triumph der Bewegung manifestierte sich – nach dem Konsens mit der Energiewirtschaft über einen „Atomausstieg“ (2000) – in der sog. Energiewende (2011), obwohl noch im Jahr zuvor eine Laufzeitverlängerung für AKWs beschlossen worden war.
* Atomkraftwerke
** Der „Zwei-plus-vier-Vertrag“ (1990) bestätigte den Verzicht für das wiedervereinte Deutschland.
Eine vergleichbare Entwicklung vollzog sich in Übersee. In den USA hatten Angehörige der Linken in den USA wie Pete Seeger* bereits in den sechziger Jahren den Umweltschutz als Betätigungsfeld für sich entdeckt. – Auftrieb erhielt dies in den siebziger Jahren nach der Gründung des Club of Rome (1968), die auf die gemeinsame Anregung eines Großindustriellen sowie eines hochrangigen Mitarbeiters der OECD** zurückging. Allgemein bekannt wurde der Club of Rome mit seiner Studie „The Limits To Growth (1972; Die Grenzen des Wachstums, 1972)“, die auf die Gefahren der Überbevölkerung, der schwindenden Rohstoffe, der Umweltverschmutzung etc. nicht nur aufmerksam machte, sondern deren Entwicklung mit Hilfe von Computermodellen zu berechnen versuchte. Das Anliegen des Club of Rome besteht in nichts Geringerem als der gemeinsamen Sorge um bzw. die Verantwortung für die Zukunft der Menschheit. Wo man dies im Sinne einer ökologischen Apokalyptik verstand, vermochte es sich durchaus an die Stelle der sozialistischen Hoffnung auf Weltrevolution zu setzen oder sich damit zu verbinden.
* geb. 1919, gest. 2014
** Organisation for Economic Co-operation and Development, Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung; gegründet 1961; hervorgegangen aus der Organisierung des Marshall-Planes zur ökonomischen Stabilisierung des Westteils Europas unter Harry S. [s. Großväter Shipp und Solomon] Truman; US-Präsident 1945 – 1953; geb. 1884, gest. 1972
Im kanadischen Vancouver wiederum war 1971 die Gründung eines Vereins namens Greenpeace durch Tierschützer und Pazifisten, ins Besondere Gegner atomarer Bewaffnung, erfolgt: Mit spektakulären Aktionen machte man auf sich aufmerksam. Ging es zuerst um die Verhinderung von Atomwaffentests, so bereits 1973 auch gegen die Jagd auf Wale. Einer der Gründer des Vereins trat 1974 aus, um auf einem Versuchs-Bauernhof ein Leben ohne Energieversorgung von außen zu erproben; 1979 kehrte er zu Greenpeace zurück. Auch sein Beispiel zeigt, daß der Gedanke eines Lebens im Einklang mit der Natur von Beginn an vorhanden war, wodurch der vordere Teil des Doppelnamens Greenpeace, Grünfried, seine Erklärung findet, während der hintere auf das pazifistische Engagement hinweist. – Die größten Erfolge erzielte Greenpeace in Europa, und dorthin wurde der Hauptsitz verlegt; seit 1989 befindet er sich in Amsterdam.
Von Greenpeace wurde ein abstrakter Gedanke des Umweltschutzes vertreten, der – ob zu recht oder zu unrecht, sei dahingestellt – Fragen des Naturschutzes höchste Bedeutung zumaß, die auf Grund der Erfahrungen des alltäglichen Lebens überhaupt nicht nachvollziehbar waren; so richtete sich die erste Aktion von Greenpeace in Deutschland gegen die Dünnsäureverklappung in der Nordsee (1980). In ähnlicher Weise ging die Anti-AKW-Bewegung von einer Bedrohung durch sinnlich nicht wahrnehmbare Strahlung aus; freilich konnte sie auf die verheerenden Folgen der us-amerikanischen Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki (1945) verweisen, doch blieb bis zum AKW-Unfall von Tschernobyl (1986)* auch das Anliegen der Anti-AKW-Bewegung recht abstrakt.
* und später Fukushima (2011)
Umweltschutz und Anti-AKW-Bewegung mündeten in einander. – Der inhaltlichen Vergleichbarkeit von Greenpeace und Anti-AKW-Bewegung lag offenbar das gemeinsame Verständnis eines Umweltschutzes in angelsächsischer Tradition zu Grunde, das den Menschen in letzter Konsequenz als Schädling der Natur betrachtet, dem Einhalt geboten werden müsse, um die Umwelt zu bewahren. – Zugleich aber ging man davon aus, daß nicht jeder Mensch die Umweltschutz in gleicher Weise gefährde: Während Steinzeitvölker noch in Einklang mit der Natur lebten, war es ins Besondere der weiße Mann, dessen Industrie sie schädigte. So ließ sich in der Denktradition manichäischer Umkehrung die eigene Gesellschaft, vor allem deren ökonomisch leistungsfähigster Teil, bekämpfen.
Die Ökologie ließ sich auch mit vorgeblicher Weisheit nicht-weißer Völkerschaften verbinden. So verkündete eine vermeintliche Weissagung der Cree-Indianer: „Only after the last tree has been cut down, only after the last river has been poisened, only after the last fish has been caught, then will you [white men] find, that money cannot be eaten.“ Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluß vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr [weißen Männer] merken, daß man Geld nicht essen kann. Tatsächlich entstand dieser Satz erst während der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts in den USA, aber keineswegs in einem Indianer-Reservat. Ein Aufkleber mit den zitierten Worten fand sich ebenso wie das „Nein danke“ in bezug auf Atomkraft während der achtziger Jahre an den Kraftfahrzeugen ökologisch bewußter Zeitgenossen.
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Nicht nur das angelsächsische Verständnis von Umweltschutz wurde aus Nordamerika übernommen, sondern auch der männerhassende Feminismus, der sich mit der kontinental-europäischen, nach Gleichheit vor dem Gesetz und gesellschaftlicher Gleichberechtigung strebenden Frauenbewegung verband. Natürlich erscheint eine Ideologie, die ihren Trägern – bzw. in diesem Falle: Trägerinnen – die Zugehörigkeit zu einer Art von master race zuerkennt, verlockend; das andere Geschlecht wird mit Sprüchen wie „Als Gott den Mann schuf, übte sie nur!“ zum Untermenschentum erklärt. – Die Medien in Europa nahmen z.B. Marilyn Frenchs „The Women‘s Room (1977)“ sogleich auf, so daß das Buch im Jahr nach seinem Erscheinen in den USA bereits auf deutsch erschien.** Zudem erwähnte die damals populäre schwedische Schlagermusikcombo ABBA French 1982 in einem ihrer songs. So erreichte die Bekanntheit Frenchs auch die Niederungen des Alltags.
* geb. 1929, gest. 2009
** „Frauen (1978)“
Mit Hilfe vielfältiger Unterstützung fand der Feminismus us-amerikanischen Ursprungs auch in Europa Verbreitung. Das Feindbild stellte wiederum der weiße, einheimische Mann, so daß sich eine Verbindung von Umweltschutz- und Frauenbewegung wie von selbst ergab. – Sloterdijks* „Kritik der zynischen Vernunft (1983)“ bezeugt die Verbreitung dieser Ideologie us-amerikanischen Ursprung zu Beginn der achtziger Jahre in West-Deutschland;** ich stieß bereits 1974 persönlich auf eine bundesdeutsche Vertreterin solchen Geistes, deren Tiraden seiner Zeit kaum mehr als ungläubiges Staunen hervorriefen.
* Peter Sloterdijk; geb. 1947
** s. Nach der Frankfurter Schule 2: Sloterdijk
Sloterdijks „Kritik der zynischen Vernunft“ beläßt es nicht beim Feminismus, sondern ordnet die homosexuellen Männer wie die Frauen dem Kynismus [als dem Pol des Positiven] zu; die Homosexuellen sind damit von der „„Urwut gegen ,Männlichkeit‘“* ausgenommen.
* Kritik der zynischen Vernunft, Vorwort
Der Bewegung der homosexuellen Männer in den USA hatte durch die Veröffentlichung der Kinsey-Studien 1948 und 1953* nachhaltigen Auftrieb erhalten. Aus der Liste der Krankheiten der [US-]American Psychiatric Association wurde Homosexualität 1973 entfernt. Gesetze gegen homosexuelle Handlungen wurden in den USA 1962 bis 2003 allesamt abgeschafft. In der BRD erfolgte dasselbe ab 1973, bis 1994 der §175 gänzlich gestrichen wurde, nachdem in der DDR Entsprechendes schon zuvor beschlossen worden war. – Aus der International Classification of Diseases (ICD) der 1948 gegründeten WHO** wurde der Eintrag „Homosexualität“ 1992 entfernt.
* s. Die geistigen Wurzeln der Neuen Linken 2b: Das manichäische Denken (zweiter Teil)
** World Health Organisation
Seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre hatten sich us-amerikanische Homosexuellen-Aktivisten die schwarze Bürgerrechtsbewegung zum Vorbild genommen, um z.B. mit den Sprüchen auf vor dem Weißen Haus umhergetragenen Schildern auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Doch Ende der sechziger Jahre, als sich die schwarze Bürgerrechtsbewegung aufzulösen begann und teilweise radikalisierte, veränderte sich auch die Haltung der Homosexuellen, die nicht mehr Gleichheit forderten, sondern stattdessen nun zum Angriff auf die „Mehrheitsgesellschaft“ übergingen.
Im Juni 1969 erfolgte eine Razzia in einer Tanzbar ohne Alkoholausschanklizenz, dem „Stonewall“ in der New Yorker Christopher Street, die als Treffpunkt von Homosexuellen diente. Man nahm einige Personen fest. Bei deren Abtransport kam es zu Übergriffen von Seiten der übrigen Gäste des Lokals. Die Polizisten mußten sich im „Stonewall“ in Sicherheit bringen und wurden belagert, bis Verstärkung anrückte. Doch weitere Auseinandersetzungen mit der Polizei folgten schon bald, da die Homosexuellen sich vor der Tür des „Stonewall“ noch am selben Tage wieder zusammenrotteten und nicht zu ihresgleichen zählende Bürger belästigten. Erst am Folgetag kehrte Ruhe ein. – Doch wenig später kam es zu erneutem Aufruhr, da die Homosexuellen nun von Black Panthers, Hippies und Straßengangs unterstützt wurden; kein Wunder, daß damit auch Plünderungen einsetzten.
Ihres erfolgreichen Aufruhrs gedenken die Homosexuellen New Yorks seitdem am letzten Wochenende im Juli, indem sie ihren Christopher Street Day als Demonstration begehen, und in vielen Städten hat man dies nachgeahmt. In der BRD fanden zuerst in West-Berlin und Bremen solche Veranstaltungen statt (1979). – Man kann an diesem Beispiel erkennen, daß es mit Gleichheit nicht getan ist. Es geht um den Kampf gegen die Allgemeinheit. Das Feinbild liefert erneut der Mann, und zwar der Weiße, da sich die Homosexuellen, wie das obige Beispiel zeigt, von anderen „Minderheiten“ ohne Rücksicht auf deren sexuelle Vorlieben unterstützen lassen. In New York waren dies – wie erwähnt – schwarze Racisten, Asoziale und Kriminelle.
Schon in den fünfziger Jahren war die soziale Ordnung in den USA durch die beat generation, die niedergeschlagene Generation, in Frage gestellt worden. Leitfigur dieser Bewegung war ein Schriftsteller aus einer katholischen Familie franko-kanadischer Herkunft, der aber bereits in den USA geboren wurde, Jack Kerouac*. Er wurde geprägt durch den sozialen Abstieg der Familie, der zur Trunksucht des Vaters führte. Zu derselben Zeit verließ der junge Kerouac die New Yorker Columbia Universität ohne einen Abschluß und fuhr mit der US-Handelsmarine zur See. An Land traf er sich in New York regelmäßig mit anderen angehenden Schriftstellern, die er auf der Columbia Universität kennengelernt hatte und die später ebenfalls zu den literarischen Vertretern der beat generation gehörten, allen voran Allen Ginsberg** und William Burroughs***; beide waren von der Gesellschaft schon auf Grund ihrer homosexuellen Neigungen geschieden. Anders Kerouac, der ein zügelloses Leben zu führen begann und eine erste Erzählung veröffentlichte, „The Town and the City (1950; dtsch. The town and the city, 1984)“, die ihm einige Bekanntheit verschaffte. Zweimal war Kerouac zu jener Zeit verheiratet, jeweils nur einige Monate lang.
* eigentl. Jean-Louis Kerouac; geb. 1922, gest. 1969
** geb. 1926, gest. 1997
*** geb. 1914, gest. 1997
Niedergeschlagenheit folgte auf die Ausschweifungen und ließ die Leere nur um so intensiver spürbar werden. 1948 gebrauchte Kerouac in einem Gespräch den Ausdruch beat generation. Er bezeichnet diejenigen jungen Leute der Nachkriegsgeneration, vornehmlich Männer, die in der us-amerikanischen Gesellschaft nicht heimisch werden, weil sie keinen Sinn darin sehen, einen gutbezahlten Job zu suchen, um sich dadurch zu etablieren. So ziehen sie ziellos durch das Land, betäuben sich mit Drogen und sinken schließlich ins kriminelle Milieu ab. Unter den Entwurzelten sucht Kerouac immer wieder nach so etwas wie Heiligen: Kerouac hat die geistige Leere des neueren Liberalismus erkannt, leidet darunter, doch statt nach einer besseren, auf Traditionen gegründete Form gesellschaftlichen Zusammenlebens zu streben, kehrt er in vergeblicher Hoffnung alles Asoziale anpreisend das Unterste zuoberst. In religiöser Hinsicht zog ihn der Buddhismus an, das Jenseits von allem Leben und Leiden.
Der mit Kerouac persönlich bekannte us-amerikanische Autor John Clellan Holmes* übernahm den Begriff beat generation von Jack Kerouac und machte ihn geläufig durch einen Beitrag für das New York Times Magazin, „This Is The Beat Generation“, der im November 1952 erschien. Sechs Jahre später erfand ein Journalist dazu das Wort beatniks zur Bezeichnung der einzelnen Vertreter der beat generation.
* geb. 1926, gest. 1988
Kerouacs Umherreisen zu Beginn der fünfziger Jahre mit einem Bekannten von der Columbia Universität liegt dem Roman „On the Road (1957; dtsch. Unterwegs, 1959)“ zu Grunde. Nach diesem literarischen Erfolg begann Kerouacs Abstieg in Alkohol und Drogen. Er kehrte zu seiner verwitweten Mutter zurück und versuchte, sich dem Katholizismus wiederzuzuwenden. Er heiratete eine Jugendfreundin und zog mit ihr sowie der Mutter schließlich nach Florida, wo er 1969 verstarb.
Die beat generation erhob nicht den Anspruch auf Veränderung der Verhältnisse, sondern wollte ihnen entfliehen: „…there is no desire to shatter the ,square‘ society in which he lives, only to elude it.“, heißt es in dem oben erwähnten Artikel aus dem New Yorker Time Magazin. …es gibt kein Verlangen, die spießige Gesellschaft, in der (sc. der beatnik) lebt, zu zerschmettern, nur ihr zu entkommen. Der Grund dafür: „…the valueless abyss of modern life is unbearable.“ …der wert-lose Abgrund modernen Lebens ist unerträglich. – In ihrer defensiven Haltung ähnelt die beat generation anderen Bewegungen der fünfziger Jahre, wie derjenigen der Homosexuellen, die erst am Ende der sechziger Jahre begann, die Gesellschaftsordnung zu bekämpfen.
Marcuse hat seine Vorstellung von einer Ersetzung des Proletariats durch das Lumpenproletariat gewiß nicht vollkommen unabhängig von der beat generation entwickelt. Doch Marcuse ging in zweifacher Weise über deren Beispiel hinaus. Er forderte, nicht aus der Gesellschaft auszusteigen, sondern die sozialen Verhältnisse umzustürzen, und er bezog auch den weißen Kolonialismus ein, den er ebenfalls umzukehren aufrief;* der weiße Kolonialismus konnte als weltweiter Ausdruck des in den USA unter der Bezeichnung white supremacy, weiße Vorherrschaft, verfochtenen weißen Racismus aufgefaßt werden. Marcuses Umkehrung des weißen Kolonialismus ließ sich wiederum mit dem Bemühen der US-Demokraten verbinden, neben den seit Roosevelts Zeiten in der Partei etablierten jüdischen US-Amerikanern auch weitere „Minderheiten“ als Unterstützer der Partei zu gewinnen, was vor allem auf den schwarzen und den weiblichen Anteil der Bevölkerung abzielte.** – Der Begriff „Minderheiten“ steht in Anführungszeichen, weil damit außer weißen, heterosexuellen Männern, dem Demos im engeren Sinne, sämtliche gesellschaftlichen Gruppen bezeichnet werden können, einschließlich der Frauen, die ja etwa die Hälfte der Bevölkerung stellen.
* Herbert Marcuse; geb. 1898, gest. 1979; s. Die Frankfurter Schule 5: Marcuse
** s. Die Entstehung der Neuen Linken 4: Die manichäischen Umkehrungen
In bezug auf die Afro-Amerikaner galt in den USA bis 1954 der Rechtsgrundsatz: „Separat but equal“, getrennt, aber gleich[gestellt]. Er fand auch in öffentlichen Schulen Anwendung. Schulische Racentrennung wurde jedoch keineswegs überall betrieben, sondern vor allem in den Südstaaten; in den Nordstaaten war sie sogar bereits vor 1954 verboten.
Es sollte also Gleichheit gelten, auch bei Trennung der Racen, segregation; da sich die WASPs aber als Staatsvolk verstanden, führte dies in vielen Fällen zur Benachteiligung anderer Bevölkerungsgruppen, ins Besondere der Schwarzen. Ein deutliches Beispiel dafür boten die us-amerikanischen Streitkräfte. Deren Schlagkraft wurde durch die Gliederung in ethnisch homogene Einheiten wohl eher erhöht als beeinträchtigt, aber der Aufstieg in Offiziersränge wurde den schwarzen US-Soldaten von weißen möglichst schwer gemacht; erst während des 2. Weltkrieges (1939 – 1945) erreichte ein Afro-Amerikaner den untersten Generalsrang eines Brigadier General.
Im Februar 1946 ereignete sich ein Vorfall, der Präsident Truman von der Partei der US-Demokraten den Anlaß lieferte, die Benachteiligung auf Grund der Race in den Streitkräften anzuprangern, um die Aufhebung der Racentrennung in die Wege zu leiten.* – Ein schwarzer Unteroffizier, Sergeant, der seit 1942 am Kriege in Fernost teilgenommen hatte,** war am Tage seiner Entlassung aus der Armee von der Polizei des Staates South Carolina festgenommen worden, nachdem er sich mit dem Fahrer des Überland-Omnibusses, der ihn heim bringen sollte, gestritten hatte. Bei seiner Festnahme wurde der schwarze Unteroffizier bereits geschlagen, ob grundlos, sei dahingestellt. Wegen Störung der öffentlichen Ordnung – angeblich hatte der entlassene Soldat im Omnibus Bier getrunken – wurde er die Nacht über in Haft gehalten. Was dort geschah, bleibt teilweise unklar; jedenfalls aber erblindete der entlassene Soldat in Folge der Mißhandlungen, die er erlitt.
* Executive Order 9981 vom 26. Juli 1948
** Es handelte sich um einen Mann namens Isaac Woodard (geb. 1919, gest. 1992).
Der zur politischen Linken gehörende Sänger Woodie Guthrie* griff den Fall auf und schrieb dazu noch in demselben Jahr 1946 einen song „The Blinding of Isaac Woodard“, Die Blendung Isaac Woodards, in dem Guthrie die weißen Racisten, ohne sie als solche zu bezeichnen, anklagt. Am Schluß heißt es: „I thought I fought on the islands to get rid of their kind; but I can see the fight lots plainer now that I‘m blind.“ Ich dachte, ich [hätte] auf den Inseln [im Pazifik ge]focht[en], um deren Gattung (sc. die der weißen Racisten: in den Japanern bekämpft man letztlich die Nazis als die schlechthin Bösen) [als Weltbürger] loszuwerden, aber ich vermag den Kampf nun viel klarer zu erblicken, da ich blind bin[: Deren Vertreter gibt es ebenso unter uns]. – Auch der bekannte Filmschauspieler und Regisseur Orson Welles** setzte sich im Rundfunk für die Bestrafung der Polizisten ein.
* geb. 1912, gest. 1967
** geb. 1915, gest. 1985
Der 1909 gegründete und für Aufhebung von Racentrennung eintretende schwarze Bürgerrechtsbund National Association for the Advancement of Coloured People (NAACP), die Nationale Vereinigung für den Aufstieg farbigen Volkes, nahm sich des Falles des Erblindeten an: Man stellte eine gedankliche Verbindung her zwischen Racentrennung und Racismus, und indem man den schwarzen Unteroffizier als Opfer des weißen Racismus bekannt machte, nutzte man seinen Fall zugleich für die Forderung nach Aufhebeung der Racentrennung, so als wäre diese Ursache und Ausdruck des Racismus, den man gleichsam erfolgreich ersticken könne, wenn man nur die Racentrennung verböte. – Man erkennt an diesem Beispiel eine geistige Haltung, die nicht auf Argumente und Einsicht setzt, sondern den Gegner mundtot zu machen sucht, wenn man ihn nicht physisch vernichten kann, um ihn loszuwerden, to get rid of, wie es bei Guthrie heißt. Diese Einstellung ist in den USA gewiß auf beiden o.g. Seiten zu finden und verhindert gleichrangiges* Miteinander[; stattdessen ersetzt sie den einen Racismus durch dessen Umkehrung mit Hilfe von Privilegierung durch affirmative action]. Diese Einstellung verkennt die Möglichkeit innerer, geistiger Entwicklung: Entweder gehört jemand zu den Auserwählten, sonst ist er ein Verworfener; entweder ein Glückspilz, der vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigt, oder ein ewiger Verlierer.** So sieht sich z.B. der schwarze Bürgerrechtler erstens in seinen Forderungen moralisch legitimiert, indem er auf die aus dem Racismus während der Vergangenheit hervorgegangenen Übel hinweist[ und will dies durch die Umkehrung abstellten: Daß deren ebenfalls negative Folgen absehbar sind, wird ignoriert]. Eine noch weitergehende Legitimation erhält sein Anliegen zweitens, wenn es auf parlamentarisch-demokratischem Wege durchgesetzt wird; dies gilt zumindest innerhalb der USA – außerhalb ist es entscheidender, den Interessen der USA als dem Garanten und globalem Maßstab der Demokratie (sowie des Weltfriedens) zu entsprechen, wie sich am Beispiel der Ukraine zeigte, wo die USA den Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten (2014) guthießen und förderten, da dessen politische Alternative ihnen mehr entsprach.
* Die Gleichrangigkeit wäre herzustellen vor allem in bezug auf die Beurteilung der Leistungsfähigkeit innerhalb eines Standes, d.h. für dessen angemessene hierarchische Ordnung. Das Urteilen ohne Ansehen der Person und des Standes käme hinzu, sofern man dies als Gleichheit vor dem Gesetz bezeichnet.
** Nur auf Grund des Ausschlusses einer geistigen Entwicklung, des Reifens, konnten auch die für die USA so typischen Endlos-Erzählungen entstehen, in deren einzelnen Episoden eine sich nie wandelnde Hauptperson stets von neuem derselben Problematik in sich lediglich wandelnder Kulisse begegnet: So scheitert der Comic-Erpel Donald Duck seit Jahrzehnten immer wieder an Problemen des Alltags, während er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält, und in der auf eine Romanreihe (von über achtzig Folgen) beruhenden Fernsehserie „Perry Mason“ erreicht ein Anwalt (in über zweihundert Fällen) jedes Mal den Freispruch seines wegen Mordes angeklagten Klienten, indem er den wahren Schuldigen aufspürt.
Der Fall des erblindeten schwarzen Unteroffiziers erlangte so weite Bekanntheit, daß auch Präsident Truman davon erfuhr. Die gedankliche Verbindung von Racentrennung und Racismus schien auch ihm offenbar einleuchtend. Jedenfalls gab die Mißhandlung des schwarzen Unteroffiziers den Anstoß zur Executive Order 9981 und ihrer Verurteilung jeglicher Benachteiligung auf Grund der Race oder Religion und zur Forderung nach der Gleichbehandlung und Chancengleichheit aller Personen in den Streitkräften, „equality of treatment and opportunity of all persons in the armed services“: Dadurch wurde die Aufhebung der Racentrennung im militärischen Bereich eingeleitet. – Dies geschah im Juli 1948, also nicht allzu lange vor den Präsidentschaftswahlen im November desselben Jahres, die Truman dann entgegen anderslautender Prognosen tatsächlich gewann.
1954 erklärte der oberste Gerichtshof die Racentrennung für verfassungswidrig, und innerhalb der folgenden zehn Jahre wurde sie allerorts in den USA aufgehoben. Abschließend erreichte Präsident Lyndon B. Johnson* 1964 die Verabschiedung des Civil Rights Act: Er hob letzte Reste von Racentrennung auf und verbot die Überprüfung der Schreib- und Lesefähigkeit, literacy tests, vor der Zulassung von Schwarzen als Wähler, weil damit in Südstaaten, vor allem Mississippi, in manipulativer Weise zahlreiche Schwarze vom Recht zu wählen regelmäßig ausgeschlossen worden waren; ergänzend kam 1965 der Voting Rights Act hinzu.
* Lyndon B.[aines] Johnson; US-Präsident 1963 – 1969; geb. 1908, gest. 1973
Die schwarze Bürgerrechtsbewegung verwies auf die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten, nach der alle Menschen gleich geschaffen sind, was man ursprünglich mit Blick auf die WASPs formuliert hatte, und daß alle Menschen das Recht haben, nach [irdischem] Glück zu streben, woran die Afro-Amerikaner durch weißen Racismus gehindert würden. – In der Praeambel der Unabhängigkeitserklärung von 1776 heißt es: „We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed, by their Creator, with certain unalienable rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.“ Wir halten diese Wahrheiten für selbst-evident, [nämlich] daß alle Menschen gleich geschaffen worden sind [und] daß sie von ihrem Schöpfer mit bestimmten unveräußerlichen Rechten ausgestattet worden sind und daß unter diesen [Rechten] Leben, Freiheit und das Streben nach Glück [bzw. Freude zu finden] sind. – Schon die Forderung nach Befreiung der schwarzen Sklaven hatte sich darauf berufen, war aber auf dem Rechtswege gescheitert, da der Oberste Gerichtshof der USA 1857 urteilte,* die Schwarzen seien Angehörige einer niederen Natur („beings of an inferior order“), so daß sie sich nicht auf die dem Weißen zustehenden Rechte berufen könnten.
* Dred Scott Decision
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