Die Entstehung der Neuen Linken 5c: Das Erscheinen der Neuen Linken (dritter Teil)
von virOblationis
Der prominenteste Führer der schwarzen Bürgerrechtsbewegung zwischen 1954 und 1964 war Michael King Jr., besser bekannt unter dem Namen Martin Luther King Jr.*. Zusammen mit zwei Geschwistern wuchs er in Atlanta, Georgia, auf, wo der Vater als Baptistenprediger wirkte, die Mutter als Lehrerin. Seit der Mitte der dreißiger Jahre nannte sich der Vater nicht mehr Michael King, sondern erst Michael Luther King, dann Martin Luther King, und seinem gleichnamigen Sohn verordnete er dieselben Namenswechsel, so daß aus Michael King Jr. der später weltbekannte Martin Luther King Jr. wurde; immerhin muß der Vater ein gewisses Verständnis für die Größe und Bedeutung der eigenen Person besessen haben, da er sich als Protestant nach der Gründungsgestalt seiner Glaubensrichtung benannte, wenn Martin Luther** auch ganz und gar kein Wiedertäufer, kein Anabaptist, war.
* geb. 1929, gest. 1968; Friedensnobelpreis 1964; US-Nationalfeiertag zu seinen Ehren 1983 (Martin Luther King Memorial Day)
** geb. 1483, gest. 1546
In Atlanta besuchte der junge Martin Luther King ab 1944 ein College für Schwarze, das er vier Jahre später mit dem im Fach Soziologie erworbenen Bachelor of Arts verließ. In demselben Jahr wurde er zum Hilfsgeistlichen seines Vaters in dessen Gemeinde ordiniert, wurde dort aber kaum tätig, sondern begann in Pennsylvanien Theologie zu studieren; 1951 wechselte er nach dem Erreichen des Bachelor of Divinity nach Boston in Massachusetts, um seine theologischen Studien dort fortzusetzen und sie mit der Promotion zum Doctor of Philosophy abzuschließen. King verglich in seiner Dissertation das diesseitige Gottesverständnis von Paul Tillich* und Henry Nelson Wieman**. Ab Ende 1953 arbeitete King daran, nachdem er im Sommer 1953 geheiratet hatte.
* geb. 1886, gest. 1965
** geb. 1884, gest. 1975
Im April 1954 wurde King als Baptistenprediger nach Montgomery in Alabama berufen. Ihm blieb also nicht viel Zeit für wissenschaftliche Arbeit, und so erstaunt es vielleicht weniger, daß zahlreiche Passagen seiner Dissertation aus nicht als solche gekennzeicheten Quellen fast wörtlich übernommen worden sind, als daß die Bostoner Gutachter dies nicht erkannten. Außerdem verweist King durchweg in nicht exakter Weise auf Quellen, aber auch dies scheint niemandem aufgefallen zu sein. Im Frühling 1955 folgte die mündliche Prüfung, und Luther King erhielt seinen PhD*. – Übrigens verhielt sich King als Ehemann gegenüber Frauen ebenso freizügig wie als Doktorand gegenüber seinen Quellen; m.a.W. sein Amt als Geistlicher hielt ihn nicht vom notorischen Ehebruch ab.
* Philosophiae Doctor bzw. Doctor of Philosophy
Im Herbst 1955 wurde das erste Kind der Kings zu Montgomery geboren, doch sich den Vaterfreuden ausgiebig hinzugeben, fehlte Martin Luther King Jr. bald die Zeit, denn nur wenige Wochen nach der Geburt bot sich ihm die Gelegenheit, sich öffentlich als Gegner der Racentrennung hervorzutun. – Schon sein Vater Martin Luther King Sen.* hatte demonstrativ Racentrennungsvorschriften mißachtet und war der örtliche Führer der NAACP, der National Association for the Advancement of Coloured People. Dessen Schwiegervater und Amtsvorgänger als Baptistenpastor in Atlanta wiederum hatte bereits die sozialen Anliegen der Afro-Amerikaner mit christlicher Erlösung vermengt; die protestantische social-gospel-Bewegung in den USA stellte im letzten Viertel des 19. und während des 20. Jahrhunderts so etwas wie einen Vorläufer der unsäglichen Befreiungstheologie dar: Aus der mildtätigen Verbesserung irdischer Lebensverhältnisse wurde die planmäßige Herstellung von „Gerechtigkeit“ in gesellschaftlichen Strukturen, aus dem Ausdruck von Nächstenliebe ein vermeintliches Wirken des Heiles anderer und aus der Erlösung in Gott eine Vollendung des Diesseits.
* geb. 1897, gest. 1984
Die NAACP hatte 1955 eine Aktion geplant, bei der eine Funktionärin der Organisation in einem Omnibus der Stadt Montgomery ganz bewußt einen Platz im Bereich der für weiße Fahrgäste vorgesehenen Sitze einnehmen sollte, um einen Vorfall zu provozieren, mit Hilfe dessen man auf die Problematik der Racentrennung aufmerksam machen wollte. Die Rolle der Provokateurin fiel Rosa Parks* zu, einer Methodistin, von Beruf Näherin, die daneben als Sekretärin für die NAACP tätig war und seit 1954 als Haushaltshilfe eines weißen Anwalts arbeitete; dieser stand der NAACP nahe. Der Anwalt schickte Rosa Parks zur Vorbereitung auf die Aktion zu einem „workshop“, der sich der „racial desegregation“ widmete, also der Aufhebung der Racentrennung. Danach gab Parks ihre Tätigkeit im Hause des Anwalts auf und arbeitete in der Schneiderei eines örtlichen Kaufhauses; offenbar wollte man Spuren verwischen, um die geplante Aktion als zufälligen Zwischenfall darzustellen, was auch gelang, da man Rosa Parks lange Zeit für eine einfache Bürgerin hielt, die ohne Rückendeckung durch irgendeine Organisation gehandelt habe: Die US-Amerikaner lieben die Geschichte vom Aufstieg des Tellerwäschers zum Millionär, im Falle Parks‘ dargeboten in der Variante des Aufstiegs einer couragierten Bürgerin zur Nationalheldin.
* Rosa Louise Parks, geb. McCauley; geb. 1913, gest. 2005
Am 1. Dezember 1955, einem Donnerstag, fuhr Rosa Parks mit dem Omnibus von der Arbeit heim und weigerte sich, ihren Sitz im Bereich der weißen Fahrgäste zu räumen; von der herbeigerufenen Polizei wurde sie festgenommen. Daraufhin begann am folgenden Montag der afro-amerikanische Montgomery-Omnibusboykott. Er dauerte an, bis im Herbst 1956 der Oberste Gerichtshof die Racentrennung in den Verkehrsmitteln der Stadt Montgomery für verfassungswidrig erklärte, wonach der Boykott am 21. Dezember 1956 beendet wurde. – Rosa Parks aber erlangte rasch Popularität, so daß Eleanor Roosevelt* sie bereits im Frühjahr 1956 empfing. Später erhielt sie aus der Hand Präsident Clintons** die Freiheitsmedaille (1996) und drei Jahre danach die Goldene Ehrenmedaille des US-Kongresses (1999); ein dem Andenken Rosa Parks‘ gewidmetes Museum mit angeschlossener Bücherhalle ist 2001 in Montgomery eröffnet worden, und als Rosa Parks im Herbst 2005 starb, beschloß die Vereinigung der us-amerikanischen Verkehrsbetriebe***, den 1. Dezember fortan als Rosa-Parks-Tag zu begehen, an dem die meisten Gesellschaften ihre Omnibusfahrer anweisen, dafür zu sorgen, daß einer der vorderen Plätze freibleibt, gleich als würde Rosa Parks wieder erscheinen und ihn in Anspruch nehmen wollen.
* geb. 1884, gest. 1962
** William (Bill) Jefferson Clinton; geb. 1946; US-Präsident 1993 – 2001
*** American Public Transport Association (APTA)
Bei einer Versammlung schwarzer Baptisten am Nachmittag des 5. Dezember 1955, an dem der Montgomery-Omnibusboykott begonnen hatte, wurde eine Montgomery Improvement Association, Montgomery-Fortschitts-Vereinigung, gegründet, und Martin Luther King Jr. wählte man zu ihrem Vorsitzenden, der mit der Omnibusgesellschaft verhandelte, freilich ohne ein Ergebnis zu erzielen. – So begann King, in der Öffentlichkeit bekannt zu werden. Bereits im Januar 1956, als er wegen einer Geschwindigkeitsübertretung festgenommen wurde, versammelte sich sogleich eine Menschenmenge vor dem Gefängnis, die seine Freilassung erzwang. Bald danach erfolgte ein Sprengstoffanschlag auf Kings Wohnhaus, durch den jedoch niemand verletzt wurde.
Anäßlich des Omnibusboykotts in Montgomery suchte der sich für verschiedene Anliegen einsetzende Aktivist Bayard Rustin* Martin Luther King auf, ein vom Quäkertum geprägter schwarzer Homosexueller, der Pazifismus und Sozialismus miteinander zu verbinden suchte. Rustin hatte 1944 den Wehrdienst verweigert und dafür fast zweieinhalb Jahre Haft auf sich genommen. Nach der Entlassung engagierte sich Rustin 1947 gegen Racentrennung im Öffentlichen Fernverkehr. 1953 wurde er als homosexueller Aktivist eine Zeit lang eingesperrt. Rustin machte King mit den Methoden zivilen Ungehorsams bekannt. – Später war es vor allem Rustin, der den Marsch auf Washington 1963 organisierte; während der zweiten Hälfte der sechziger Jahre, als andere Schwarze sich radikalisierten, befürwortete Rustin das Zusammenwirken von Bürgerrechtsbewegung und US-Demokraten, womit er deren Interesse sozusagen von der anderen Seite her entgegenkam.
* geb. 1912, gest. 1987
Zu Beginn des Jahres 1957 gründete King zusammen mit anderen schwarzen Predigern die Southern Christian Leadership Conference (SCLC), die Konferenz christlicher Führung[s-Persönlichkeiten des us-amerikanischen] Süd[ens]; King amtierte als Präsident dieser Organisation, die den Kontakt mit der politischen Linken pflegte. – Im Jahr zuvor hatte King den jüdisch-us-amerikanischen Kommunisten Stanley Levison kennengelernt, der sein Freund und einer seiner Redenschreiber wurde. Levison war bis 1957 in der KPUSA* aktiv und gehörte zu deren führenden Köpfen. Levison nahm Anteil an sämtlichen Aktivitäten des SCLC, auch verbesserte er deren Spendensammlung und Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit.
* Stanley D.[avid] Levison; geb. 1912, gest. 1979
** Kommunistische Partei der USA
Im Jahre 1957 empfing Vize-Präsident Richard Nixon* King, im folgenden Jahr sogar Präsident Eisenhower**, der ihn zusammen mit anderen schwarzen Bürgerrechtlern eingeladen hatte. – 1959 unternahm King eine mehrmonatige Reise nach Indien, um die geistigen Erben Mahatma Gandhis*** kennenzulernen; u.a. begegnete er Premierminister Nehru****. 1960 kehrte King nach Atlanta zurücK: Er wurde wieder Hilfsgeistlicher seines Vaters, um mehr Zeit für seine Tätigkeit bei der SCLC zu haben; wahrscheinlich kam dies auch der Baptistengemeinde in Montgomery nicht ungelegen, denn so ließ sich ein neuer Prediger berufen, der dann öfter vor Ort anzutreffen war.
* Richard [Milhouse] Nixon; geb. 1913, gest. 1994; Vize-Präsident 1953 – 1961; US-Präsident 1969 – 1974
** Dwight D.[avid] Eisenhower; geb. 1890, gest. 1969; US-Präsident 1953 – 1961
*** eigentl. Mohandas Karamchand Gandhi; geb. 1869, gest. 1948
**** Jawaharlal Nehru; geb. 1889, gest. 1964; Premierminister Indiens 1947 – 1964; auf Grund der Herkunft seiner brahmanischen Familie aus Kaschmir trug Nehru den Beinamen Pandit.
1960 standen Präsidentschaftswahlen in den USA an, und Kennedy*, der Kandidat der US-Demokraten werden wollte, empfing King im Juni jenes Jahres; im Juli erfolgte der Nominierungsparteitag, der Kennedy zum Kandidaten wählte. Während des Wahlkampfes zwischen Kennedy und dem US-Republikaner Nixon wurde King wegen eines Sitzstreiks wieder einmal festgenommen; dies geschah im Oktober 1960. Kennedy stellte sich demonstrativ auf die Seite Kings und sorgte für dessen Freilassung gegen Kaution. So erreichte Kennedy wohl dank einer Menge von Stimmen aus der Anhängerschaft des prominenten King den äußerst knappen Wahlsieg im November, der auf einer hauchdünnen Mehrheit in zahlreichen US-Bundesstaaten beruhte. – Die Politik von US-Demokraten zu Gunsten der „Minderheiten“ hatte Früchte getragen.
* John F.[itzgerald] Kennedy; geb. 1917, gest. 1963; US-Präsident 1961 – 1963
John F. Kennedy war der Urenkel eines irischen Einwanderers; er war der bis dahin jüngste und der erste – zumindest nominell – katholische US-Präsident, was als Hinweis auf den beginnenden Machtverlust der WASPs gewertet werden darf und auf die Ausrichtung linker US-Demokraten auf verschiedenste „Minderheiten“. – Kennedys Großvater hatte als Besitzer zuerst einer, dann mehrerer Bostoner Gaststätten eine Whiskey-Importfirma gegründet; schließlich engagierte er sich auch erfolgreich als Politiker der US-Demokraten. Präsident Kennedys Vater begann seine Laufbahn im Bankensektor und heiratete 1914 die Tochter des Bostoner Bürgermeisters, Rose Fitzgerald*. Als Börsenmanipulationen zugeneigter Aktienhändler stieg Kennedys Vater zum Millionär auf. Außerdem beteiligte er sich während der Prohibition (1919 – 1933) sehr wahrscheinlich am Alkoholschmuggel und ließ wohl auch selbst schwarz brennen, was man ihm freilich nie nachzuweisen vermochte, besaß er doch eine Genehmigung zum Import medizinischen Alkohols. Nach seinem Einstieg in das Tonfilmgeschäft scheint Kennedys Vater einen Konkurrenten mit unsauberen Methoden aus dem Weg geräumt zu haben; Mutmaßungen über etwaige Beziehungen zur organisierten Kriminalität wurden häufig geäußert. Im Präsidentschaftswahlkampf 1932 unterstützte Kennedys Vater den US-Demokraten Roosevelt und erzielte, als Roosevelt die Prohibition im folgenden Jahr aufhob, durch den Verkauf von Alkohol erneut ein Vermögen. Als unverbesserlicher Schürzenjäger glich John F. Kennedy seinem Vater, doch sonst unterschied er sich deutlich von ihm: Nach seinem Amtsantritt als Präsident machte er seinen Bruder Robert** zum Justizminister, und dieser ging gegen die organisierte Kriminalität vor.
* geb. 1890, gest. 1995; ihr Sohn John trug wie Franklin Delano Roosevelt den mit dem Anfangsbuchstaben abgekürzten Geburtsnamen seiner Mutter hinter seinem Vornamen.
** Robert Kennedy; geb. 1925, gest. 1968; er fiel wie sein Bruder John einem Attentat zum Opfer, und zwar in demselben Jahr wie Martin Luther King Jr.
Im Oktober 1961 empfing US-Präsident Kennedy King und erörterte mit ihm die Abschaffung der Reste der Racentrennung; King regte eine Erneuerung der Emancipation Proclamation Lincolns* an, die 1862 die Abschaffung der Sklaverei [auch] in den Südstaaten USA verkündet hatte und 1863 in Kraft trat. – Ab 1962 wurde ein „Marsch auf Washington für Arbeitsplätze und Freiheit“ geplant, den NAACP, SCLC und weitere Bürgerrechtsvereinigungen unterstützten, daneben auch das American Jewish Committee (AJC). Das eigentliche Anliegen des Marsches auf Washington waren also Arbeitsplätze [für Schwarze] und Freiheit [von Racentrennung], um dadurch ökonomische Gleichheit innerhalb der bestehenden us-amerikanischen Gesellschaft zu erreichen, also dasselbe, was auch der Sozialismus verheißt; die Gleichheit vor dem Gesetz war ja von wenigen Ausnahmen abgesehen längst vorhanden.
* Abraham Lincoln; geb. 1809, gest. 1865; US-Präsident 1861 – 1865
Den Marsch auf Washington der Bürgerrechtsbewegung stilisierten die Massenmedien zum geschichtlichen Ereignis, auf dessen Höhepunkt King seine Rede „I have a dream“ hielt; populäre Unterhaltungsmusiker traten auf. Zum Abschluß sprach ein jüdischer Rabbiner ein Gebet und ein schwarzer Baptistenprediger einen Segen. – Heute erinnert eine Steinplatte an den Marsch; sie befindet sich an der Stätte der Rede vor dem über eine Freitreppe zu erreichenden Lincoln-Memorial, einem nach dem Vorbild antiker Tempel errichteten Gebäude, in dessen Innern sich das Kultbild des thronenden Lincoln befindet. In die Steinplatte eingemeißelt sind in lauter Großbuchstaben die Worte „I have a dream / Martin Luther King Jr. / The March on Washington for Jobs and Freedom / August 28th 1963“.* – Der Marsch auf Washington fand einhundert Jahre nach der Verabschiedung der Emancipation Proclamation Lincolns statt.
* Die Steinplatte nimmt die Stelle des fehlenden (heidnischen) Opferaltares vor dem Tempel ein, was ja auch zum Protestantismus paßt, der das Zentrum des Kultus in der Predigt statt im (Meß)opfer sieht.
Zweihundertfünfizigtausend Bürgerrechtsbewegte, sechzigtausend davon weiß, zogen zum Lincoln-Memorial in der Hauptstadt, und King hielt eine Rede auf der Freitreppe. In der Menge der Zuhörer hielten sich zahlreiche Prominente der Unterhaltungsindustrie auf, schwarze wie weiße Schauspieler und Vertreter der Schlagerbranche, die am Marsch auf Washington teilgenommen hatten. Die Veranstaltung mit der Rede Martin Luther Kings wurde im Fernsehen übertragen, und Präsident Kennedy schaute sich die Sendung an.
King führte in seiner nach den Worten „I have a dream“, Ich habe einen Traum, benannten Rede die Unabhängigkeitserklärung der USA von 1776 an und behauptete, die Verfasser hätten bei der Formulierung der Gleichheit der Menschen und ihren unveräußerlichen Rechten an die Angehörigen aller Racen gedacht, obwohl 1857 höchstrichterlich das Gegenteil festgestellt worden war. – King verwies auf Lincolns Emancipation Proclamation: Auch einhundert Jahre danach sei der Schwarze noch immer an den Rand des gesellschaftlichen Lebens gedrängt, so King. Nun seien die Schwarzen nach Washington gekommen, um einzufordern, was ihnen bisher nicht gewährt wurde. Es gebe eine Revolte, doch müsse die friedlich bleiben. Dann spricht King von seinem Traum; nach den häufig wiederholten Worten „I have a dream“, Ich habe einen Traum, ist die Rede Kings benannt worden. Dem Traum zu Folge leben Schwarze und Weiße zusammen wie Geschwister, wozu hinzuzufügen wäre: indem sie die Unterschiede erfolgreich verleugnen; wie trefflich paßt dazu das Wort „Träume sind Schäume“!
Nach dem Marsch auf Washington wurde King von Präsident Kennedy und Vize-Präsident Johnson* empfangen. – Ein Vierteljahr später kam Kennedy durch ein Attentat ums Leben, und Johnson wurde Präsident an seiner statt.
* Lyndon B.[aines] Johnson; geb. 1908, gest. 1973; Vize-Präsident 1961 – 1963; US-Präsident 1963 – 1969
Kennedys Nachfolger Johnson setzte die Politik seines Vorgängers fort, indem auch er ethnische „Minderheiten“ begünstigte. – Der einer Bauernfamilie entstammende Lyndon B. Johnson war in den dreißiger Jahren als Anhänger Roosevelts zur Partei der US-Demokraten gestoßen und führte bis 1937 im Bundesstaat Texas die zwei Jahre zuvor gegründete National Youth Administration, die Nationale Behörde [für arbeitslose] Jugendliche; schon zuvor hatte er eine wohlhabende, junge Frau geheiratet, die seine Politikerkarriere förderte. Nach der Militärzeit wurde Johnson – maßgeblich unterstützt von seiner einen Rundfunksender betreibenden Ehefrau und texanischen Unternehmern – 1948 in den Senat gewählt. Er unterstützte die schwarze Bürgerrechtsbewegung und unterzeichnete 1965 als US-Präsident den Immigration and Nationality Act, der die Einwanderungsquoten für bestimmte Länder aufhob und sie auf solche für Hemisphären entschränkte. Auch die Ureinwohner Noramerikas vergaß er nicht: 1968 hielt Johnson zu Gunsten der Indianer seine Rede über den vergessenen Amerikaner, „The Forgotten American“. Daneben begann Johnson den offenen Stellvertreterkrieg mit dem Ostblock auf dem Boden Vietnams, einem Land, das zum französischen Kolonialgebiet Indochina gehört hatte. Die Dekolonialisierung der Welt wurde von den USA gutgeheißen, aber nun führten sie Krieg gegen eines der sich befreienden Kolonialvölker, das freilich zugleich zum Ostblock gehörte und von der UdSSR sowie Rot-China unterstützt wurde. An der Frage nach der Legitimität dieses Krieges schieden sich die Geister; so spaltete Johnson die Anhängerschaft der US-Demokraten in Befürworter und Gegner; Martin Luther King Jr. gehörte seit 1965 zu letzteren.
Johnson lud King ein, mit der SCLC am „War on poverty“, dem Krieg gegen die Armut, teilzunehmen, den er 1964 ausrief. Materielle Armut begann sich in den USA auszubreiten; offenbar fingen die Rückwirkungen der globalen Ausdehnung des us-amerikanischen Großkapitals an, spürbar zu werden, und Johnson versuchte sie an den New Deal Roosevelts anknüpfend zu bekämpfen. – Der „War on poverty“ erwies sich als wenig erfolgreich: Zwar sank die Armutsrate zunächst, doch fünfzig Jahre nach dem Beginn solchen Krieges gab es nur unmerklich weniger Bedürftige, und danach stieg die Zahl wieder an, vor allem unter Weißen.
Im Dezember 1964 erhielt Martin Luther King Jr. den Friedensnobelpreis. Damit hatte er den Höhepunkt seines Lebens erreicht. – Seit dem Beginn der zweiten Hälfte der sechziger Jahre nahm sein Einfluß auf die soziale Bewegung der Afro-Amerikaner rasch ab, da er sich weiter für Gewaltlosigkeit einsetzte. Eine Vielzahl von Schwarzen, die auf ökonomische Gleichheit gehofft hatte, radikalisierte sich und befürwortete nunmehr die Gewaltanwendung.
Am 3. April 1968 hielt King seine letzte Rede im Freimaurertempel zu Memphis im Bundesstaat Tennessee: Er blickte auf den Beginn der sechziger Jahre zurück und meinte, Gott am Werke gesehen zu haben, da viele Menschen, und zwar die „coloured peoples of the world“, die farbigen Völker der Erde, überall in der Welt sich erhöben. Die Identifizierung des schwarzen Protestes mit dem Wirken Gottes bekräftigte King am Schluß der Ansprache noch einmal, da er die erste Zeile des zu Beginn des Sezessionskrieges (1861 – 1865) gedichteten Schlachtgesangs der Nordstaaten auf die eigene Person beziehend zitierte: „Mine eyes have seen the glory of the coming of the Lord.“ Meine Augen haben die Herrlichkeit der Ankunft des Herrn gesehen. – Überall in der Welt erhöben sich die farbigen Völker, um frei zu sein, und zwar von Armut. Dies entspricht einer Verwirklichung einer der beiden utopischen Freiheiten, die Roosevelt am 6. Januar 1941 verkündete;* doch auch auf die andere, die Freiheit von Furcht (vor Krieg), spielt King an, indem er in seinem geschichtlichen Überblick innerhalb der Rede von Luther zu Lincoln springt und danach weiter zu Roosevelt, den er nicht namentlich nennt, sondern ein weithin bekanntes Zitat aus dessen Amtsantrittsrede von 1933 in freier Form wiedergibt: Es besagt, daß man nichts zu fürchten habe außer der Furcht selbst.**
* s. Die Entstehung der Neuen Linken 1: Roosevelts New Deal
** Roosevelt 1933: „…the only thing we have to fear is fear itself…“ …das einzige (Ding), was wir [US-Bürger] zu fürchten haben, ist [die] Furcht selbst… King 1968: „…we have nothing to fear, but fear itself.“ …wir [Protestierer] haben nichts zu fürchten außer [der] Furcht selbst.
King fordert, daß die „human rights revolution“, die Menschenrechtsrevolution der farbigen Völker, gewaltfrei zu geschehen habe, damit die Menschheit überleben könne. Ebenfalls den Untergang der Welt würde es bedeuten, wenn die Erhebung nicht erfolgreich wäre. King hält sich nicht mit Begründungen für seine Weltuntergangsdrohungen auf. – Den mit angelsächsischen Manichäismen mittlerweile vertrauten Leser wird eine solche Redeweise in Extremen kaum mehr erstaunen.
King erinnert dann an das Brieföffner-Attentat einer geistesgestörten Schwarzen, das ihn 1958 fast das Leben gekostet hätte: Wäre er damals gestorben, dann wäre er nicht Augenzeuge geworden all der Fortschritte der Bewegung der Schwarzen in den frühen sechziger Jahren, also des Wirkens Gottes nach Kings Auffassung. – Jetzt, so King, habe es erneut Drohungen gegeben, und er wisse nicht, was geschehen werde, doch King versichert, er fürchte sich nicht. Es sei ihm gleich, da er auf dem Gipfel des Berges gewesen sei: Damit spielt King auf Moses an, der vom Nebo aus in des Gelobte Land hineinblickte; doch Moses starb bald danach. King sagt, er hätte wohl gern noch ein langes Leben, doch wisse er nicht, ob er persönlich noch in das Gelobte Land mit einziehen werde. „But I want you to know tonight, that we, as a people, will get to the promised land.“ Aber ich möchte, daß Sie am heutigen Abend wissen, daß wir, als ein Volk, in das verheißene Land gelangen werden. Kings vollkommen verdiesseitigte Erlösungshoffnung äußert sich in diesem Satz noch einmal ganz deutlich. Zugleich klingt im Schlußabschnitt der Rede so etwas wie eine Todesahnung an: Als ein zwar lasterhafter, doch immerhin auch beherzter Mann will King der Gefahr nicht ausweichen, sondern seinen Weg fortsetzen, selbst wenn er fällt. Tatsächlich geschah dies am folgenden Tag.
King trat auf den Balkon des Hotels, in dem er logierte, da er zum Abendessen auszugehen vorhatte und nun wissen wollte, ob er einen Mantel überzuziehen hätte; da fiel der tödliche Schuß. Als Täter wurde ein weißer Berufsverbrecher festgenommen, dessen Fingerabdrücke auf der Tatwaffe entdeckt wurden.
Dankeschön, jetzt erst auf die Reihe aufmerksam geworden.
Zu Joseph Kennedy: Schnapsschmuggler (nicht bewiesen), dann Filmgeschäft, nicht nur der Mädchen wegen. Beleidigt, da in Bostoner Society als Neureicher nicht akzeptiert. Dennoch Botschafter, Berater des Präsidenten. Keine Ahnung, durch wessen Einfluss. Seinen Absprachen mit der O.K. sind viele JFK-Stimmen zu verdanken (nicht bewiesen). Starker Einfluss auf die neue Regierung, selbständig wurde die erst nach seiner Bettlägerigkeit ,seinem Tod. Die Mafia wurde ungehalten, als RFK trotz Wahlhilfe gegen sie vorging.
s. http://www.us-politik.ch/teil4.htm
MLK: eine der am stärksten überwachten Personen in USA. J Edgar Hoover, der alles weiß, bestreitet organisiertes Verbrechen. Cointelpro.
Mord an MLK: http://whatreallyhappened.com/WRHARTICLES/ARTICLE1/overlooked.php