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Die Entstehung der Neuen Linken 5d: Das Erscheinen der Neuen Linken (vierter Teil)

von virOblationis

Im Sommer 1962 äußerten sich – laut einer Meinungsumfrage – 88% der Schwarzen in den USA positiv zu der von Martin Luther King repräsentierten Bürgerrechtsbewegung; doch dann nahm die Zahl ab. Den äußeren Anlaß bildeten vor allem Anschläge weißer Racisten, deretwegen die Gewaltlosigkeit der Bürgerrechtsbewegung kritisiert wurde. Die Enttäuschung vieler Schwarzer hatte jedoch tiefere Gründe: Wenn man deren Stellungnahmen aus der Zeit zwischen 1954 und 1964 betrachtet, in denen es um die Aufhebung der Racentrennung geht, dann wird im Zusammenhang damit häufig auch die Hoffnung auf ökonomische Gleichheit geäußert: „Wenn nur die Racenschranken zwischen uns Schwarzen und den Weißen beseitigt werden, dann hält uns Schwarze nichts mehr von den Fleischtöpfen fern, an denen bisher nur die Weißen sitzen!“ So dürften allzu viele gedacht haben; dabei wird ihnen das Bild wohlhabender Weißer vor Augen gestanden haben, während sie die ärmeren Weißen übersahen. – Die Racenschranken fielen, doch der Zugang zu den Fleischtöpfen war damit keineswegs so frei wie erhofft.

In den Streitkräften der USA waren Schwarze, wie zuvor erwähnt, durch Benachteiligung in vielen Fällen am Aufstieg gehindert worden, doch die gesamte Gesellschaft der USA ist nicht mit der straffen Organisation des Militärs vergleichbar. Insofern scheint es wenig überzeugend, wenn man den geringeren ökonomischen Erfolg von Afro-Amerikanern allein auf Benachteiligung zurückführt. Sieht man von der Frage nach ererbter Leistungsfähigkeit ab, dann hilft vor allem der Blick auf Kultur und Lebensweise weiter. Zwar hat ein großer Teil der Afro-Amerikaner der USA die protestantische Konfession angenommen, doch steht diese bei ihnen nicht auf derselben geschichtlichen Basis, m.a.W. die Vorfahren der Schwarzen haben die Reformation im angelsächsischen Bereich nicht miterlebt und sind nicht durch sie geprägt worden, was man nicht als Mangel betrachten muß, sondern auch als Ermöglichung interpretieren kann, die es erlaubt, einen eigenen Weg zu beschreiten. Die Erblast des angelsächsischen Calvinismus führte zur später saecularisierten Ideologie der WASPs, die dazu anspornt, sichtbaren, materiellen Erfolg zur Selbstvergewisserung anzustreben,* also möglichst viel Geld zu verdienen. Da die schwarzen, später hinzugekommenen Protestanten diese Ideologie nicht zusammen mit der Konfession übernahmen, sondern in Nordamerika eine andersgeartete Kultur entwickelten, erstaunt es nicht, daß sie im allgemeinen weniger geschäftstüchtig agieren und daher im Durchschnitt weniger wohlhabend sind; wer die Lebensweise der Afro-Amerikaner, nur weil sie ökonomisch weniger erfolgreich sind, als weniger wertvoll abqualifiziert, erhebt die WASP-Kultur zum Maßstab für alle anderen.

* Dies bildet die saecularisierte Form des Glaubens an den Erfolg im irdischen Erwerbsleben als Anzeichen der Erwählung.

Da nun die Gleichheitsideologie festgestellt zu haben meint, daß es keine Unterschiede zwischen den Menschen gibt bzw. geben darf, führt sie den durchschnittlich geringeren Wohlstand der Schwarzen in den USA auf deren Benachteiligung zurück, denn sie seien ja den Weißen gleich und würden sich verhalten wie die Weißen oder zumindest so erfolgreich sein wie sie, wenn man die Schwarzen nur ließe. Um einen Ausgleich zu schaffen, seien nun die Weißen (durch die Obrigkeit) zu benachteiligen: So begann unter Kennedy deren systematische Benachteiligung, affirmative action, um Gleichheit mittels Benachteiligung derer herzustellen, die die „Minderheiten“ doch stets benachteiligt hätten. – Kennedys Nachfolger Johnson verdeutlichte 1965 in einer Rede vor schwarzen Studenten der hauptstädtischen Howard Universität die – auch aus seiner Sicht bestehende – Notwendigkeit von affirmative action; Johnson spricht, als wenn er im Jahre 1865, nicht 1965 auftreten würde, als wenn die Sklaverei nur wenige Tage, nicht einhundert Jahre schon aufgehoben wäre: „You do not take a man who for years has been hobbled by chains, liberate him, bring him to the starting line of a race, saying, ,you are free to compete with all the others,‘and still justly believe you have been completely fair… We seek not just freedom but opportunity, not just legal equity but human ability, not just equality as a right and a theory, but equality as a fact and as a result.“ Man kann nicht einen Mann, der jahrelang durch Ketten [am Laufen] gehindert wurde, [einfach nur] befreien, ihn an den Start des Wettlaufs der Race bringen mit den Worten: ,Du bist [nun] frei, mit all den anderen zu konkurrieren,‘ und dabei billiger Weise denken, man sei völlig fair gewesen… Wir fragen nicht einfach [nur] nach Freiheit, sondern nach Chance[n-Gleichheit], nicht einfach [nur] nach gesetzlicher Gleichheit, sondern nach [Beschränkung] menschlicher Befähigung, nicht einfach [nur] nach Gleichheit als Recht und als Theorie, sondern nach Gleichheit als Tatsache und als Ergebnis [unserer positiven Diskriminierung bzw. affirmative action].

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Eine politische und religiöse Alternative zu Martin Luther King repräsentierte eine Zeit lang der vier Jahre ältere Malcolm X*, dessen Vater ebenfalls ein schwarzer Baptistenprediger war, doch nicht ein Anhänger der NAACP wie „Daddy“ King, sondern ein Anhänger Marcus Garveys**, des Gründers der Universal Negro Improvement Association (UNIA), der Weltweiten Fortschritts-Vereinigung für Neger. Der von der Insel Jamaika*** stammende Garvey, Sohn eines Maurers, las schon als Heranwachsender gern und eignete sich mittels der Bücher eines Verwandten Bildung an. Von 1910 bis 1912 bereiste er Mittelamerika, indem er sich in Costa Rica und Panama Arbeit suchte. Von 1912 bis 1914 hielt sich Garvey in London auf, war für eine Zeitung tätig und besuchte Lehrveranstaltungen der dortigen Universität zu den Themen Recht und Philosophie. Nach Jamaika zurückgekehrt gründete Garvey die UNIA. Nach dem 1. Weltkrieg (1914 – 1918) zählte diese Organisation etwa siebzigtausend Mitglieder. Zuvor hatte sich Garvey bereits im New Yorker Schwarzenviertel Harlem niedergelassen (1916) und damit begonnen, überall in den USA für die Rückkehr der Schwarzen nach Afrika zu werben. Dazu gründete Garvey eine eigene Schiffahrtslinie und daneben die Negro Factories Corporation, Neger-Fabriken-Gesellschaft, zur Erlangung ökonomischer Unabhängigkeit von den Weißen. Von der KPUSA hielt Garvey seine Organisation fern, da er befürchtete, sie wolle die Schwarzen nur benutzen, um das kapitalistische System zu beseitigen, aber nicht die weiße Dominanz. Berührungsängste gegenüber dem Ku Klux Klan kannte Garvey nicht; er betrachtete diese Organisation als eine Vereinigung der Weißen und die UNIA als Gegenüber zur Vertretung der Interessen der Schwarzen. Deshalb forderten einige der NAACP zugeneigte Schwarze einen Prozeß gegen Garvey wegen dessen angeblicher Zusammenarbeit mit dem KKK, doch man fand keine rechtliche Grundlage für seine Ausweisung aus den USA. In dieser Zeit ging Garveys eine erste Ehe ein, die jedoch bereits nach wenigen Monaten geschieden wurde; einige Jahre später heiratete er seine Sekretärin und wurde Vater von zwei Söhnen. Die von ihm gegründete Schiffahrtslinie aber machte Bankrott, und Garvey wurde 1923 wegen Betrugs zu fünf Jahren Gefängnis veruteilt. 1927 schob man ihn nach Jamaika ab; die UNIA verlor den größten Teil ihrer Mitglieder. 1935 ließ Garvey sich in London nieder, wo er 1940 starb.

* eigentl. Malcolm Little; geb. 1925, gest. 1965

** geb. 1887, gest. 1940

*** Jamaika war britische Kolonie von 1655 bis 1962.

Marcus Garvey hatte die Verbindung von sozialer und nationaler Frage erkannt, nachdem er während seines ersten Aufenthaltes in London Vertreter verschiedener nationaler Befreiungsbewegungen, zumeist Asiaten, kennengelernt hatte. So begann Garvey zu einer Zeit, da fast ganz Afrika von Kolonialmächten beherrscht wurde, die Idee eines von den Schwarzen regierten Afrika zu entwickeln. Dies übertrug er nach der Gründung der UNIA auf die Racenproblematik der USA und förderte die Auswanderung Schwarzer. Doch angesichts von deren großer Zahl, stellte sich die Frage, ob dies eine Lösung für die Allgemeinheit sein konnte.

Die USA bilden einen Vielvölkerstaat; in der Geschichte der Menschheit gibt es zahlreiche Parallelen, und dennoch gleichen einander nicht alle Vielvölkerstaaten. Bei manchen bildete dies nur ein Durchgangsstadium, aus dem durch Vermischung ein homogenes Staatsvolk erwuchs; so eroberten die germanischen Langobarden während der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts Oberitalien und unterwarfen die romanische Bevölkerung, doch allmählich verlor der Begriff Langobarde seine ethnische Komponente und wurde zum Rechtstitel, so daß nach der Annahme des katholischen Glaubens aus Romanen und Langobarden ein Volk entstand, dessen Staat schließlich an das Frankrenreich angegliedert wurde (774). – In den USA ist eine solche Lösung nicht zu erwarten, weil die Bereitschaft zur Vermischung auf Grund der belastenden Vergangenheit, der Gleichsetzung des Schwarzen mit dem Sklaven, recht begrenzt zu sein scheint und weil außerdem eine religiöse Gemeinschaft, der die große Mehrheit von Schwarzen und Weißen angehört, nicht vorhanden ist. Ein melting pot, ein Schmelztiegel, wollten die USA sein, aber nur für Europäer, vorzugsweise protestantischer Konfession.

Ein Beispiel mag die Dauer einer Vermischung verschiedener Bevölkerungsgruppen veranschaulichen: Das sich auf gemeinsame Herkunft berufende antike Judentum nahm Proselyten auf, doch nicht sogleich als vollwertige Volksgenossen makelloser Abstammung. Die talmudischen Quellen weisen darauf hin, daß die Proselyten entweder zu den Makelbehafteten gerechnet wurden oder sogar zu den noch tiefer Stehenden, zu den Volksgenossen illegitimer Herkunft. Es ist wohl zu recht vermutet worden, daß Proselyten bis zur Zerstörung Jerusalems (70 und 135 n. Chr.) milder beurteilt wurden als danach, weil mit dem Verlust des Tempels und des Landes mitsamt der dadurch bedingten Wandlung der sozialen Struktur des Volkes das Bedürfnis nach Exklusivität noch zunnahm. So lange man die Proselyten zur mittleren Gruppe zählte, konnten sie im günstigsten Fall durch Verheiratung mit einem Angehörigen der Gruppe der Makellosen der nachfolgenden Generation den Aufstieg zu den vollwertigen Volksgenossen eröffnen; seit die Proselyten aber zur untersten Gruppe gerechnet wurden, dauerte dies mindestens eine Generation länger.

Eine weitere Gestaltung des Zusammenlebens in einem Vielvölkerstaat ist durch dessen regionale Gliederung bestimmt. Durch die Vereinigung der Kronen Österreichs und Ungarns enstand ein Staatsgebilde teils innerhalb, teils außerhalb des früheren Reichsterritoriums. Die verschiedenen Völkerschaften siedelten in voneinander mehr oder weniger abgegrenzten Regionen, aus denen nach dem 1. Weltkrieg mehrere Staaten hervorgingen, wobei die fragwürdige Grenzziehung hier außer Betracht bleiben soll. Jedenfalls kann eine regionale Gliederung mit weitgehender Autonomieregelung, die in Österreich-Ungarn freilich nur ansatzweise verwirklicht wurde, ethnische Konflikte innerhalb eines Vielvölkerstaates entschärfen, wobei allerdings die Möglichkeit besteht, daß sich einzelne Regionen aus dem Staatsverband gänzlich herauslösen. – Dies würde für die USA bedeuten, daß den Schwarzen mehrere Bundesstaaten übergeben werden, in denen sie so unabhängig sein müßten, daß man ihnen nicht untersagen dürfte, eine Racentrennung einzuführen und den Austritt aus der Union zu vollziehen. In diese Richtung von segregation und separation dachte Malcolm X, wie sich im Folgenden zeigen wird. Dagegen steht aber das Selbstverständnis der USA, nach dem bereits die Sezession der weiß dominierten Südstaaten illegal war; so hatte es Lincoln gesehen, und es liegt dem Auftritt Martin Luther Kings vor dem Lincoln-Memorial dadurch ein tieferer Sinn zu Grunde, als der Gleichheit der verschiedenen Racen fordernde Marsch auf Washington sich indirekt auch gegen schwarze Separation richtete. Doch inzwischen stellt sich nicht mehr nur die Frage nach schwarzer Eigenstaatlichkeit, denn auf Grund der massenhaften Einwanderung von lateinamerikanischen Niedriglohn-Arbeitern in den von Mexiko eroberten Südwesten* (1848) wird sich irgendwann die Frage nach dessen Zugehörigkeit zur Union erheben.

* Dieses Gebiet umfaßt die Bundesstaaten Kalifornien, Nevada, Utah, Arizona, New Mexiko samt Texas sowie Teile von Wyoming, Colorado, Kansas und Oklahoma.

Die schlechteste Gestalt eines Vielvölkerstaates, wie das Beispiel des seit 2011 tobenden Bürgerkriegs in Syrien zeigt, besteht in der salad bowl, der [multikulturellen] Salatschüssel, einer Vermengung verschiedener Völkerschaften und Religionsgemeinschaften ohne Aussicht auf Verschmelzung oder geographische Gliederung. – Das bloße Verleugnen der Verschiedenheit vermag nur in fetten Jahren über die Realität hinwegzutäuschen. In den USA führte ein Sturm 2005 zur Überschwemmung der Stadt New Orleans, und sobald die Obrigkeit dadurch handlungsunfähig erschien, kam es dort zu massenhaften Plünderungen, Vergewaltigungen und Morden; nach zwei Tagen wurde das Kriegsrecht über die Stadt verhängt. Wie anders reagiert eine ethnisch geschlossene Bevölkerung mit intakter Sozialordnung auf eine Naturkatastrophe!

Um sich dem überseeischen Vorbild in jeder Hinsicht anzugleich, wurden im europäischen „Westen“ größte Anstrengungen unternommen, um auch hier eine salad bowl an Stelle des Staatsvolkes zu schaffen; zu deren Schutzpatron ist Martin Luther King Jr. sozusagen durch den seit 1984 begangenen Nationalfeiertag geworden. – Im allgemeinen strömten zahlreiche Fremdstämmige aus den im Zuge der Dekolonialisierung aufgegebenen außereuropäischen Territorien nach Westeuropa; die BRD spielte eine Sonderrolle, da Kolonien seit dem Ende des 1. Weltkriegs nicht mehr vorhanden waren, mußten Gastarbeiter diese Rolle übernehmen; sie wurden einerseits als Niedriglohn-Arbeiter angeworben, andererseits zur Aufsprengung der ethnisch homogenen Gesellschaft benötigt. Ab 1956 kamen Italiener, dann auch andere Europäer, was aber auf Grund kultureller Verwandtschaft nicht zur Bildung von ethnischen Enklaven führte. Anders verhielt es sich mit den ab 1961 eintreffenden türkischen Gastarbeitern, deren Aufnahme zuerst von der BRD verweigert, dann doch genehmigt wurde, und zwar wegen des politischen Drucks aus den USA, die gerade auf die UdSSR gerichtete Atomraketen in der Türkei aufstellten. Immerhin erreichte die BRD, daß der Aufenthalt auf zwei Jahre befristet wurde, doch das Rotationsprinzip wurde nach einer dreijährigen Schamfrist schon wieder abgeschafft (1964). Damit war ein Grundstein gelegt zur Modellierung europäischer Völker des „Westens“ nach dem Muster der multiethnischen Bevölkerung der USA. Vollends zum Durchbruch kam dieses mit dem Kollaps des Ostblocks (1989) und der vollständigen Verwirklichung des globalen Imperiums der USA. Auch in der BRD entstand nun durch massenhaften Mißbrauch des Asylrechts, gefördert von Vereinen im Umfeld der Neuen Linken, eine ethnisch fragmentierte Gesellschaft.

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Malcolm X‘ Vater Earl Little*, der seine Ehefrau samt drei Kindern verlassen hatte, war der örtliche Führer der UNIA in Omaha, Nebraska. Während einer Versammlung der Organisation in Montreal lernte er eine Frau kennen, mit der er eine zweite Ehe einging. Aus dieser Verbindung gingen sieben Kinder hervor. 1931 wurde Earl Little in Lansing, Michigan, von einer Straßenbahn überfahren; die Witwe vermutete einen Anschlag der in demselben Jahr im Staate Michigan gegründeten Black Legion, einer Abspaltung des Ku Klux Klan, die sich in den folgenden Jahren ohne zentrale Leitung über verschiedene Bundesstaaten ausbreitete, doch deren Mitglieder sich zerstreuten, nachdem elf von ihnen wegen eines politischen Mordes verurteilt worden waren (1936). Für eine Bestätigung des Attentatsverdachts in bezug auf Earl Little konnten keine Anhaltspunkte gefunden werden, doch entstand daraus die verbreitete Behauptung, Malcolm X‘ Vater sei vom Ku Klux Klan umgebracht worden. Die verwitwete Mutter wollte eine neue Ehe eingehen und brachte ein weiteres Kind zur Welt, doch wies man sie 1938 in eine Nervenheilanstalt ein. Ihr Sohn Malcolm und seine Geschwister wurden in verschiedenen Waisenheimen untergebracht.

* geb. 1890, gest. 1931

Malcolm Little kam 1925 in Omaha zur Welt. Seine Mutter war eine Mulattin, weshalb Haut und Haare ihres Sohnes Malcolm heller waren, als es gewöhnlich bei Schwarzen der Fall ist. Aus dem Waisenheim von Omaha gelangte Malcolm in eine weiße Pflegefamilie und schloß die Highschool erfolgreich ab. – Dem Kriegsdienst entging er, weil man ihn für psychisch ungeeignet befand. Malcolm Little ließ sich in Harlem nieder und lebte als Krimineller von Einbrüchen, Drogenhandel und Zuhälterei. 1944 stand er erstmals vor Gericht, und 1946 wurde er zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt; 1952 ließ man ihn frei.

Während seiner Haftzeit begann Malcolm Little, aus eigenem Antrieb zu lesen und seine Bildung zu erweitern. Zugleich hörte er durch einen seiner Brüder, der ihn häufiger besuchte, von einem schwarzen Prediger, der sich Elijah Muhammad* nannte und einer Organisation namens Nation of Islam, Islam-Nation, vorstand.** Sie vertrat einen mit schwarzem Racismus angereicherten Islam, der behauptete, das Christentum diene nur dazu, die Schwarzen auch weiterhin zu versklaven; ein eigener Staat der Schwarzen sollte entstehen. Malcolm Little konvertierte bald zu dieser Glaubensrichtung (1948/1949).

* eigentl. Robert Poole; geb. 1897, gest. 1975

** Die Nation of Islam war als Temple of Islam 1930 von Wallace Fard, der wohl eigentlich Wallace D.[odd] Ford (geb. 1893; gest. [wann?]) hieß, gegründet worden, wozu er einen „Muhammad“ seinem Namen anfügte. 1934 verschwand Fard spurlos, nachdem einer seiner Anhänger die neue Lehre allzu wörtlich verstanden und einen Ritualmord an einem Ungläubigen begangen hatte. Daraufhin trat Robert Poole, einer seiner frühesten Gefolgsleute Fards, an dessen Stelle als Leiter der Sekte, die er von Detroit nach Chicago umziehen ließ und in Nation of Islam umbenannte. Zu dieser Zeit war der seit 1919 verheiratete Poole bereits achtfacher Vater.

Nach der Entlassung aus der Haft, kleidete sich Malcolm Little stets sehr sorgfältig, auch trug er nun eine Brille; mit diesem Äußeren wurde er der Öffentlichkeit bekannt. Seinen bisherigen Nachnamen legte ab und nannte sich fortan Malcolm X, da der Stammesname seiner Vorfahren durch die Schuld der weißen Sklavenhändler verloren gegangen sei. – 1953 wurde Malcolm X von der Nation of Islam als Aushilfs-Seelsorger angestellt, und bereits ein Jahr später leitete er den New Yorker Tempel. 1958 heiratete Malcolm X eine schwarze Gleichgesinnte; mehrere Kinder wurden den beiden geboren, ein Zwillingspaar erst nach dem Tode von Malcolm X.

Malcolm X stieg zum nationalen Sprecher der Nation of Islam auf. Er formte aus dem Verein recht bescheidener Größe eine mächtige Organisation; eine Terroreinheit sorgte für Disziplin im Innern. Anschläge weißer Racisten wurden zum Anlaß für eine Gegenpropaganda genommen: Malcolm-X trat für Separation ein und bekundete sein Verständnis für eine eskalierende Gewalttätigkeit auf Seiten der Schwarzen. – 1963 soll die Nation of Islam etwa 30.000 Mitglieder umfaßt habe, nachdem es 1952 nur 500 gewesen waren; vor allem das Rednertalent von Malcolm X hatte dies bewirkt.

Doch das Verhältnis von Malcolm X zu Elijah Muhammad verschlechterte sich. Anfangs hatte der talentierte Redner zu dem Obersten der Nation of Islam als einem Propheten aufgeblickt. Doch war ihm nicht entgangen, daß Elijah Muhammad intime Beziehungen zu sechs weiblichen Angehörigen der Nation of Islam unterhielt, wobei er schon einige uneheliche Kinder gezeugt hatte. Der enttäuschte Malcolm X ließ erkennen, daß er nicht bereit war, den Mantel des Schweigens darüber zu decken. Elijah Muhammad belegte ihn mit einem neunzigtägigen Redeverbot, das er offiziell mit dem Verweis darauf begründete, daß Malcolm X sich abfällig über Tod des im November 1963 erschossenen Präsidenten Kennedy geäußert hatte.

Im März 1964 verließ Malcolm X die Nation of Islam und gründete eine eigene religiöse Organisation, die Muslim, Mosque, Inc. Dann unternahm er vom Frühjahr bis zum Sommer eine Reise, die ihn zuerst nach Mekka führte. Malcolm X bekannte sich zwar weiterhin zum Islam, rückte aber vom schwarzen Racismus ab; er nannte sich nun El Hadsch Malik El Shabazz*. An die Wallfahrt schloß sich eine über vier Monate dauernde Reise durch Afrika an, auf der er mit afrikanischen Kämpfern gegen den Kolonialismus zusammentraf, wie es heißt; da es 1964 kaum noch europäische Kolonien in Afrika gab, handelte es sich wohl um Veteranen des Kampfes gegen den Kolonialismus.

* eigentl. el-Schab’az oder eher el-Schaba’z

In die USA zurückgekehrt trat Malcolm X auch weiterhin als Redner auf und gründete die Organization of Afro-American Unity, die Organisation afro-amerikanischer Einheit, eine politische-saeculare Vereinigung, die eine Beteiligung der Schwarzen an allen weißen Errungenschaften forderte, also ökonomische Gleichheit; jetzt sprach sich Malcolm X auch gegen die Racentrennung aus. – In der Nation of Islam galt er als Verräter.

Wie gefährlich diese Organisation war, wußte Malcolm X nur allzu gut, hatte er sie doch selbst geformt. So umgab er sich mit Leibwächtern und legte sich auch selbst eine Pistole zu. – Am 14. Februar 1965 brannte Malcolm XWohnhaus in Folge eines Brandanschlages ab; die Familie blieb unverletzt. Sieben Tage darauf wurde er zu Beginn einer Ansprache in Harlem von drei Attentätern, Mitgliedern der Nation of Islam, erschossen. 1966 verurteilte ein Gericht die drei, aber seit den achtziger Jahren wurden sie nacheinander freigelassen; zwei hatten die Tat geleugnet, der dritte sie zugegeben.

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In demselben Jahr 1952, in dem Malcolm X aus dem Gefängnis entlassen wurde und seine Laufbahn als Propagandist der Nation of Islam begann, trat ein von der karibischen Insel Martinique stammender Schwarzer namens Fanon mit einem Buch an die französich sprechende Öffentlichkeit, in dem er Kolonialismus und Racismus thematisierte, wobei er von der Befreiung des Schwarzen von der Kultur des Weißen, von der Maske des Weißen, die er als Schwarzer zu tragen habe, sprach;* Martinique war seit 1635 eine französische Kolonie, die 1946 den Status eines Überseedepartements erhielt. Der politisch dem Marxismus zugeneigte Frantz Fanon, Jahrgang 1925 wie Malcolm X, hatte als französischer Soldat am 2. Weltkrieg (1939 – 1945) teilgenommen und anschließend in Lyon Medizin studiert. Fanon war danach als Psychiater in Frankreich tätig, bis man ihn 1953 zum Leiter der psychiatrischen Abteilung eines Krankhauses in dem seit 1848 bestehenden französischen Departement Algerien ernannte. Doch im Jahr darauf erhoben sich die Algerier, um die Unabhängigkeit von Frankreich zu erlangen. Fanon gab sein Amt 1956 auf und stellte sich auf die Seite der Rebellen, wozu er sich nach Tunis begab. Ein Jahr, bevor der Krieg 1962 für Algerien siegreich endete, verstarb Fanon an Leukämie, und zwar in den USA, wo er sich zuletzt behandeln ließ, nachdem er sich anfangs dagegen gesträubt und der UdSSR den Vorzug gegeben hatte.

* Peau noir, masques blancs (1952; dtsch. Schwarze Haut, weiße Masken, 1980)

Während er zu Beginn der fünfziger Jahre seine Zugehörigkeit zu Frankreich im besonderen wie die der Schwarzen im allgemeinen noch bejaht hatte, sah er in den Kolonialvölkern später das revolutionäre Subjekt und setzte ihren Kampf um Unabhängigkeit an die Stelle des Klassenkampfes im Sinne der politischen Linken alter Prägung, wobei er auf die grundsätzliche Unterscheidung von weißen Proletariern und weißen Kapitalisten verzichtete; schon insofern gehört Fanon eindeutig zu den intellektuellen Wegbereitern der Neuen Linken. – In späteren Veröffentlichungen glaubte Fanon eine Loslösung der Frauen von ihrer traditionellen Rolle innerhalb der orientalischen Gesellschaft durch den an die Stelle der Revolution gesetzten siegreichen Freiheitskampf zu erkennen. Noch nicht mit der Neuen Linken kompatibel ist Fanons Ausgrenzung der Homosexualität und seine Neigung, sie als Krankheit des Weißen anzusehen. Auch Frauen werden vielfach als nicht gleichwertig dargestellt, so daß als „Minderheit“ nach Fanon eigentlich nur der schwarze Mann bleibt. Immerhin aber kam er noch zu der Einsicht, daß nicht alle Schichten eines Kolonialvolkes ein gleich intensives Interesse am Kampf um Unabhängigkeit haben, sondern vor allem die Landbevölkerung und – so Fanon – das Lumpenproletariat der Städte, wenn es auch für konterrevolutionäre Beeinflussung anfällig sei. Zu fragen bleibt, wie weit Marcuse von Fanon inspiriert wurde.

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An die Ideologie, die Malcolm X bis 1964 vertreten hatte, und auch an Frantz Fanons Werk knüpfte Stokeley Carmichael* an, wozu er 1966 den Begriff „Black Power“, Schwarz-Macht, schuf. – Stokeley Carmichael kam in der damals britischen Kolonie Trinidad** zur Welt. Er wuchs zusammen mit seinen Schwestern bei Großmutter und Tanten auf, denn zuerst seine Mutter, dann auch sein Vater, wanderten in die USA aus, wegen der dort besseren Verdienstmöglichkeiten. Die Mutter arbeitete bei einer Schiffahrtslinie, sein Vater tags als Zimmermann und nachts als Taxifahrer. Ihre Kinder holten sie dann zu sich nach New York. So kam ihr Sohn Stokeley als Elfjähriger wieder zu den Eltern; 1954 erhielt er die us-amerikanische Staatsbürgerschaft. Er schloß sich aber erst einmal einer Straßengang an, in der er mit Alkoholkonsum und Diebstahl bekannt gemacht wurde.

* geb. 1941, gest. 1998

** 1802 bis 1962 britische Kolonie

1956 bestand Stokeley Carmichael die Aufnahmeprüfung für eine New Yorker Highschool. Als Schüler war er bei seinen weißen Klassenkameraden und vor allem auch den Klassenkameradinnen durchaus beliebt; aus der Rückschau tat er dies später als bloße Heuchelei ab. – Gegen Ende der Zeit an der Highschool wurde Stokeley Carmichael durch Nachrichtensendungen erstmals auf die schwarze Bürgerrechtsbewegung aufmerksam und hätte gern an deren Aktionen teilgenommen.

1960 verließ Stokeley Carmichael die Highschool mit einem ausgezeichnetem Abschluß, so daß ihm die Türen verschiedener renommierter Universitäten offenstanden. Er entschied sich jedoch für die schwarze Howard University in der Hauptstadt Washington, wo er drei Jahre lang Philosophie studierte, obwohl der Vater wünschte, daß sein Sohn Mediziner würde. – 1961 lernte Stokeley Carmichael in Washington das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) kennen, das Koordinierungskomitee für studentische gewaltfreie [Aktionen], auf dessen Kurs der mit Martin Luther King persönlich vertraute Bayard Rustin nachhaltigen Einfluß ausübte. Carmichael beteiligte sich u.a. an einer Aktion zur Thematisierung der Racentrennung im Fernverkehr. 1964 schloß er sich dem SNCC an, nachdem er sein Studium mit ausgezeichnetem Ergebnis abgeschlossen hatte.

Rasch stieg Carmichael innerhalb der Organisation auf und organisierte die Registrierung von Schwarzen als Wähler in einer Stadt des Südens (1965). Zugleich gründete er für sie eine eigene lokal agierende Partei, als deren Symbol er einen schwarzen Panther wählte; dieser regte andere politisch aktive Schwarze in Oklahoma wiederum zur Gründung einer Organisation an, die den Namen Black Panthers, Schwarze Panther, erhielt (1966). – Carmichael wurde 1966 zum nationalen Vorsitzenden des SNCC gewählt, doch geriet er bald wegen seines selbstherrlichen Führungsstils in die Kritik, und andererseits verlor er zu jener Zeit sein Vertrauen auf die Wirksamkeit der Gewaltfreiheit; daher setzte Carmichael an die Stelle der Losung „Freiheit“ die von „Black Power“ und machte den weißen Mitgliedern der Organisation deutlich, daß sie nicht länger im SNCC willkommen waren. Carmichael suchte, das SNCC in Richtung auf segregation und separation zu lenken.

Was er unter Black Power verstand, erklärte Carmichael später mit folgenden Worten: „It is a call for black people in this country to unite, to recognize their heritage, to build a sense of community. It is a call for black people to define their own goals, to lead their own organizations.“ Es ist ein Aufruf, [gerichtet] an die Schwarzen im Lande, sich zu vereinen, ihr [gemeinsames] Erbe zu verstehen [und] einen Sinn für die [eigene] Gemeinschaft [aus]zubilden. Es ist ein Aufruf, [gerichtet] an die Schwarzen, ihre eigenen Ziele zu bestimmen [und selbst] ihre eigenen Organisationen zu leiten. – Alles, was die westliche Zivilisation hervorgebracht hatte, sollte zerschmettert werden. Eine Racentrennung von Seiten der Schwarzen wurde angestrebt, die Integration im Sinne Martin Luther Kings grundsätzlich verworfen.

1967 trat Carmichael vom Amt des Vorsitzenden des SNCC zurück und unternahm eine Reise nach Kuba, Nord-Vietnam, Rot-China und Guinea, um Revolutionsführer kennenzulernen und den Kampf der Schwarzen in den USA noch intensiver mit den revolutionären Bestrebungen der ehemaligen Kolonialvölker in aller Welt zu verbinden. Über London kehrte er in die USA zurück; dort verließ er das SNCC, um sich den Black Panthers anzuschließen, die ihn sogleich zu ihrem Premierminister wählten. – Carmichael warb für schwarzen Separatismus und Nationalismus. Daneben begann er, sich mit dem damals verbreiteten Pan-Afrikanismus auseinanderzusetzen, dessen Ziel die Vereinigung der unabhängig gewordenen schwarz-afrikanischen Kolonien bildete.

Die Bewegung der Black Panthers wuchs rasch. Im Sommer 1968 kam es während der Olympischen Spiele in Mexiko zu einer politischen Demonstration, die Black Power international bekannt machte: Zwei schwarze US-Amerikaner hatten den ersten und den dritten Platz im Zweihundertmeterlauf erungen. Während der Siegerehrung reckte der Goldmedaillengewinner die schwarz behandschuhte Rechte empor und ballte sie zur Faust; der Drittplazierte tat es ihm nach, wozu er freilich die Linke benutzte. – In jenem Jahr heiratete Carmichael Miriam Makeba*, eine fast zehn Jahre ältere, dreifach geschiedene, schwarze Sängerin aus Südafrika, die später auf Grund ihrer Popularität häufig Mama Afrika genannt wurde, tatsächlich eine Tochter (aus erster Ehe) hatte, aber wegen einer Krebserkrankung keine weiteren Kinder mehr empfangen konnte.

* geb. 1932, gest. 2008

1969 verließ Carmichael die Black Panthers, denen er vorhielt, nicht separatistisch genug zu agieren. Allmählich gelangte er jedoch auch zu der Überzeugung, daß Amerika nie den Schwarzen Heimat werden würde. Der Pan-Afrikanismus wurde zu seinem neuen Lebensinhalt; Carmichael änderte seinen Namen in Kwame T(o)ure*. Er übersiedelte mit seiner Frau nach Guinea, wo Miriam Makeba sich dem Trunk ergab und gleichzeitig zur Botschafterin Guineas bei den Vereinten Nationen aufstieg;** Makeba, bekannt geworden durch Auftritte in zwei Filmen, hatte bereits 1963 vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York eine Rede gegen die Racentrennung, Apartheid, gehalten, in der sie um Verständnis für den schwarzen Widerstand in Südafrika warb. – 1978 ließ sie sich von Carmichael wegen dessen ehelicher Untreue scheiden.

* nach den beiden afrikanischen Staatspräsidenten Kwame Nkrumah (geb. 1909, gest. 1972; Ghana 1960 – 1966, anschließend im guineischen Exil) und Ahmed Sékou Touré (geb. 1922, gest. 1984; Guinea 1958 – 1984)

** Ab 1999 war Makeba Botschafterin der FAO, Food and Agriculture Organization of the United Nations, Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen.

Der Stern der Black Panthers in den USA begann rasch zu sinken, da die Organisation von Agenten des FBI* systematisch unterwandert wurde; hinzu kamen Mordanschläge auf zahlreiche Führer der Black Panthers. Auch zweifelhafte Prozesse wurden gegen Mitglieder der Black Panthers Party geführt; am bekanntesten wurde der Fall von Angela Davis**, die der KPUSA angehörte, 1969 den Black Panthers beitrat, 1970 verhaftet, aber 1972 freigesprochen wurde, nachdem ihr Verfahren internationale Aufmerksamkeit erregt hatte.

* Federal Bureau of Investigation, Ermittlungs-Bundesamt; Bundeskriminalpolizei und (seit 1939 auch) Inlandsgeheimdienst

** geb. 1944

Nach der Trennung von Miriam Makeba, die zum Islam konvertierte und für einige Zeit Zweitfrau eines in Belgien lebenden Mohammedaners wurde, heiratete Carmichael ein noch weiteres Mal, und zwar eine guineische Ärztin, mit der er einen Sohn hatte; doch auch diese Ehe wurde geschieden, wonach die Frau mit dem Kind in die USA übersiedelte, während Carmichael in Afrika blieb. – 1998 verstarb Carmichael in Folge einer Prostatakrebserkrankung, die 1996 diagnostiziert worden war. Er führte sie auf die Kräfte des [us-]amerikanischen Imperialismus und deren Helfershelfer zurück; Carmichael sprach auch davon, daß das FBI ihn mit Krebs infiziert habe.

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Was die militanten Alternativen des Negro civil rights movement, vor allem die Black Panthers, einerseits als Selbstverteidigung ausgaben, bezeichneten sie andererseits selbst als Teil des Kampfes gegen den Kapitalismus unter der Parole „All power to the people!“, wobei sie mit „people“ kaum das gesamte werktätige Volk bezeichneten, zumindest nicht dessen weißen Teil. – Wie die schwarzen Racisten, so stellten sich auch die Homosexuellen des Stonewall-Aufruhrs* als Opfer dar, um einen Vorwand für ihren Kampf gegen die Allgemeinheit zu finden. Die Aktivisten der sich nun bildenden Gay Liberation Front, Schwulen-Befreiungs-Front, propagierten bereits im Juli 1969 Krawalle und Gewalt sowie die Zusammenarbeit mit allen anderen Unterdrückten, sprich: „Minderheiten“, vornehmlich mit den Black Panthers; gemäßigtere Kräfte propagierten ebenso den Kampf gegen die Allgemeinheit, lehnten aber eine Zusammenarbeit mit den Black Panthers ab.

* s. Die Entstehung der Neuen Linken 5b: Das Erscheinen der Neue Linken (zweiter Teil)

Vergleichbar der Zusammenarbeit von Black Panthers und Gay Liberation Front, aber inhaltlich viel näher liegend war das beginnende Zusammenwirken von Frauenbewegung und lesbischen Aktivistinnen, die erstere vom Ziel der Gleichheit wegführte und sie zum Kampf gegen die Gesellschaft brachte. Als theoretische Grundlage wurde 1970 u.a. dieser Satz formuliert: „A lesbian is the rage of all women condensed to the point of explosion.“ Eine Lesbe ist [gleich] der Wut aller Frauen, gesammelt am Punkt der Explosion. Demnach entsprach jede Frauenrechtlerin potentiell einer Tribade; deren sexuelle Orientierung wurde nämlich umgedeutet in eine biologistisch-politische: „Lesbian is a label invented by the Man to throw at any woman who dares to be his equal…“ Lesbisch ist ein Etikett, das vom Manne erfunden wurde, um es jeder Frau aufzukleben (eigentl. -werfen), die seinesgleichen zu sein wagt…* – Man erkennt, wie der männerhassende Feminismus aus der Behauptung, Gleichheit erlangen zu wollen, von Tribaden hervorgebracht wird. Bereits 1970 wurde eine Gay Women‘s Liberation, Befreiung[s-Front] schwuler Frauen, in San Francisco gegründet; später erfolgten Umbenennungen, um alles in der Formulierung noch enthaltene Männliche auszutilgen.

* „The woman-identified woman (1970)“, Die als Frau identifizierte Frau; Text eines Tribadenkollektivs um Rita Mae Brown (geb. 1944)

 

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