Die Entstehung der Neuen Linken 5e: Das Erscheinen der Neuen Linken (vorletzter Teil)
von virOblationis
Unter der Präsidentschaft des US-Republikaners Nixon beendeten die USA den Kampfeinsatz ihres Militärs im Vietnam-Krieg (Januar 1973); Nixon hatte den Rückzug aus Süd-Vietnam bereits im ersten Jahr seiner Präsidentschaft (1969) angekündigt. Er besuchte sowohl die Volksrepublik China (Februar 1972) als auch die UdSSR (Mai 1972*), doch wäre es verfehlt, aus den genannten Tatsachen auf vollkommene Toleranz gegenüber einem expandierenden Ostblock zu schließen, denn als Chile sich dem sozialistischen Lager zuwandte, wurde von den USA dort ein Militärputsch insceniert (September 1973).
* Schon als Vize-Präsident hatte er sich 1959 einmal als Amtsträger in Moskau aufgehalten.
Nach der obrigkeitlichen Zerstreuung der Black Panther Party unter Nixons Präsidentschaft* trug die Vermengung von Weißen und Schwarzen ohne die Perspektive einer Verschmelzung beider Ethnien den Sieg davon: Von nun an herrschte der Multikulturalismus; die Frage nach schwarzer Separation wurde damit – zumindest auf absehbare Zeit – von der politischen Tagesordnung getilgt. – Nixon gewann im November 1972 die Wahlen und trat 1973 seine zweite Amtszeit als US-Präsident an; doch dann geschah etwas ganz Unerwartetes: Es stellte sich heraus, daß er u.a. Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrates abhören ließ, die US-Demokraten als politische Konkurrenten auch mit illegalen Mitteln bekämpfte, möglicherweise selbst den Einbruch in das von ihnen genutzte Watergate-Gebäude veranlaßte und die diesbezüglichen Nachforschungen der Justiz behinderte. Der daraufhin ausbrechende Watergate-Skandal führte zum Rücktritt Nixons. Sein seit 1973 als Vize-Präsident amtierender Stellvertreter Gerald Ford** übernahm daraufhin das Amt, und in den folgenden Präsidentschaftswahlen gewannen die US-Demokraten (1978).
* s. Die Entstehung der Neuen Linken 5d: Das Erscheinen der Neuen Linken (vierter Teil)
** eigentl. Leslie Lynch King Jr.; geb. 1913, gest. 2006; US-Präsident 1974 – 1977
Nach dem Vietnam-Krieg schienen die USA kriegsmüde, und ihr Selbstverständnis war erschüttert: Wie hatte es geschehen können, daß das zur Seite der Guten, der Erwählten, gehörende Süd-Vietnam 1975 unterlag? Unter Präsident Carter*, einem Südstaatler, reagierten die Vereinigten Staaten nicht einmal dann mit Krieg, als der Iran nach dem Sturz des us-freundlichen Schah-Regimes die Botschaft der USA durch Studenten besetzen ließ (1979 – 1981); es gab lediglich den kläglich gescheiterten Versuch einer militärischen Befreiung der Geiseln (1980). – Das us-amerikanische Großkapital, dessen weltweite Interessen seit Roosevelts Zeiten von Präsidenten aus den Reihen der US-Demokraten wirksam vertreten worden waren, sah sich angesichts von Carters Kriegsunwilligkeit wohl genötigt, nach einem anderen Verbündeten Ausschau zu halten: Es fand ihn in Ronald Reagan**, dem von durch die Ideologie der Neocons beflügelten Kreisen umgebenen Präsidentschaftskandidaten der US-Republikaner; als Beispiel für die neokonservative Neuorientierung diene Jeane Kirkpatricks*** Lebensweg.
* James Earl Carter Jr., genannt Jimmy, Carter; geb. 1924; US-Präsident 1977 – 1981; Friedensnobelpreis 2002
** geb. 1911, gest. 2004; US-Präsident 1981 – 1989
*** Jeane Duane Kirkpatrick, geb. Jordan; geb. 1926, gest. 2006
Die aus Oklahoma stammende Kirkpatrick lehrte seit 1967 Politologie an der Washingtoner Georgetown-Universität,* wo sie – mit immerhin zweiundvierzig Jahren – 1968 ihren PhD, Doctor of Philosophy, erhielt; in dieser Zeit ergab sie sich so sehr dem Alkohol, daß ihre Laufbahn als Vorzeigefrau der Wissenschaft gefährdet schien, doch sie bekehrte sich zur vollständigen Abstinenz und gründete – ganz in der Tradition der us-amerikanischen Frauenbewegung früherer Zeiten – die Women for sobriety, [den Verein der] Frauen für Nüchternheit (1975). Kirkpatrick behielt also ihren Platz in der us-amerikanischen Politikwissenschaft und veröffentlichte 1979 „Dictatorship and Double Standards. Rationalism and Reason in politics“, Diktatur und doppelter Standard. Das Rationelle und das Rationale in politischen [Fragen]. Dieses Buch wurde zum Gründungsdokument der Kirkpatrick-Doktrin, die die Unterstützung von anti-sowjetisch ausgerichteten Diktaturen in der Dritten Welt damit rechtfertigte, daß der Ostblock totalitär (wie einst NS-Deutschland) regiert werde, während es bei jenen lediglich um autoritäre Regime handele. – 1978 verließ sie die Universität und trat in das American Enterprise Institute ein, das [us-]amerikanische Unternehmensinstitut, eine sog. Denkfabrik, die 1943 von einem Vertreter des größten US-Asbestkonzerns gegründet worden war und sich seitdem für die Interessen des Großkapitals der USA einsetzte.
* ab 1973 als Professorin
Die us-amerikanische Linke, die sich der Tradition der interventionistischen Politik Roosevelts ab 1939 wußte, beanspruchte die Weltherrschaft für die USA, und linke Kräfte innerhalb der US-Demokraten schlossen sich 1947 zusammen als Americans for Democratic Action (ADA), die den „Minderheiten“ so wohlwollend gegenüberstanden und zu deren Gründungsmitgliedern Hubert Humphrey zählte, der spätere Vize-Präsident* Lyndon B. Johnsons. – In ihren jungen Jahren hatte Jeane Kirkpatrick der Jugendorganisation der Socialist Party of America angehört, die dem linken Flügel der US-Demokraten nahestand. An der New Yorker Columbia Universität gehörte der der Frankfurter Schule angehörende Franz Neumann** zur ihren Lehrern, ein Jurist und Politologe jüdisch-deutscher Herkunft, bekannt mit Leo Löwenthal*** seit 1918, der während des Krieges wie Marcuse für das Office of Strategic Services tätig war und anschließend für den us-amerikanischen Chefankläger in Nürnberg (1945 – 1946). Angemerkt sei, daß auch Kirkpatricks 1995 verstorbener Ehemann einst dem OSS angehört hatte.
* geb. 1911, gest. 1978; Vize-Präsident 1965 – 1969
** geb. 1900, gest. 1954
*** geb. 1900, gest. 1993
Jeane Kirkpatrick unterstützte Hubert Humphrey im US-Präsidentschaftswahlkampf 1968, den jedoch der US-Republikaner Nixon gewann; noch bis 1976 engagierte sich Kirkpatrick für die Partei der US-Demokraten. Doch angesichts der Entspannungspolitik Carters, der einen Abrüstungsvertrag mit der UdSSR aushandelte wie vor ihm bereits Nixon,* wandte sie sich den US-Republikanern zu, in deren Reihen sich die „Kalten Krieger“ zu jener Zeit sammelten. So stieg Kirkpatrick zur außenpolitische Beraterin Reagans im Präsidentschaftswahlkampf 1980 auf und gehörte dem Kabinett seiner ersten Amtszeit an (1981 – 1985). Sie diente während dieser Zeit als Botschafterin der USA bei den UN. – Nachdem ihr allerlei vorgeworfen worden war, von Bestechlichkeit bis Manipulation der Unterlagen des Abschusses eines süd-koreanischen Verkehrflugzeuges (1983), kehrte sie an die Georgetown-Universität zurück und gehörte verschiedenen staatlichen Gremien zur Außen- und Verteidigungspolitik an.** Seit 2003 war Kirkpatrick erneut bei den Vereinten Nationen tätig, nunmehr in deren Wirtschafts- und Sozialrat.
* SALT I – und SALT II – Vertrag (1972 und 1979); SALT: Strategic Arms Limitation Talks, Aussprache(n) über die Begrenzung strategischer Waffen
** President‘s Foreign Intelligence Advisory Board (1985 – 1990), Defense Policy Review Board (1985 – 1993)
Nicht alle US-Amerikaner waren kriegsmüde, sondern vor allem diejenigen, die sich bereits gegen den Vietnam-Krieg engagiert hatten, wandten sich auch gegen weitere Einsätze des US-Militärs. In den siebziger Jahren aber wurde eine Gegenthese formuliert, die unter keinen Umständen bereit war, die Gegnerschaft zum Ostblock aufzugeben, hätte dies doch die Anerkennung der Zweiteilung der Welt bedeutet und die us-amerikanische Weltordnung preisgegeben. Gewiß war der mit den USA verbündete süd-vietnamesische Staat 1975 untergegangen, aber hatte nicht auch Hitler verübergehende Erfolge erzielt, bevor die USA ihn besiegten?
Die Gegenthese konzentrierte sich auf eine Perspektive zur Überwindung der zu jener Zeit herrschenden Dichotomie, also auf die endgültige Verwirklichung der us-amerikanischen Weltherrschaft, die dem Großkapital alle Märkte der Welt öffnen sollte; die Entspannungspolitik diffamierten sie als Appeasement, Beschwichtigung[s-Politik], wie sie Großbritannien vergeblich betrieben habe, um einen Krieg mit NS-Deutschland zu vermeiden. – Die Anhänger der sich bildenden Gegenthese organisierten sich während der siebziger Jahre in politischen Komitees, so in der Coalition for a Democratic Majority, 1972 von einem US-Demokraten mit besten Beziehungen zur Rüstungsindustrie gegründet, Henry M. Jackson, dem Senator des Staates Washington,* der persönlich gut bekannt war mit Jeane Kirkpatrick, die sich jedoch nicht dessen Koalition für eine demokratische Mehrheit anschloß, sondern dem 1976 wiedergegründeten Komitee zur gegenwärtig[ drohend]en Gefahr, dem Committee on Present Danger,** dem 1979 auch Reagan wie andere US-Republikaner vor ihm beitrat.
* Henry M.[artin], genannt „Scoop“, Jackson; geb. 1912, gest. 1983; Senator des Staates Washington 1953 – 1983, zuvor Abgeordneter des Repräsentantenhauses seit 1941
** Ein Komitee dieses Namens hatte bereits 1950 bis 1953 existiert, so daß das 1976 gegründete gewöhnlich als CPD II bezeichnet wurde.
Wenn man zusammen mit anti-sowjetischen US-Republikanern nach außen hin eine Strategie zur Vollendung der us-amerikanischen Weltherrschaft betrieb, dann konnten die übrigen US-Demokraten als scheinbare politische Alternative im Innern ruhig ihre „Minderheiten“-Politik verfolgen; in diesem Sinne mögen Kirkpatrick und ihre Gesinnungsgenossen gedacht haben. – Tatsächlich vermochten beide Richtungen einander zu ergänzen, denn die einen sorgten außenpolitisch für die Erhaltung bzw. Aufrichtung der Weltordnung, die anderen privilegierten „Minderheiten“ im Innern, so daß mit deren Hilfe – als Gegengewicht zum weißen Wahlvolk – eine Mehrheit für die Entspannungspolitik oder gar die Rückkehr zum Isolationismus sich verhindern lassen würde.
Unter den Neocons, vereint durch die Gegnerschaft zum Ostblock, befanden sich Leute mit verschiedener politischer Vergangenheit, selbst ehemalige Trotzkisten. Die Neocons boten auch denjenigen ein Forum, die den Multikulturalismus samt der political correctness als den gewachsenen Strukturen und den Eigenarten der verschiedenen Länder abträglich in Frage stellten, ohne daß dabei eine politische Alternative entstanden wäre. Neocons bejahten eine Einbeziehung der Evangelikalen, ohne die liberale Tradition der Trennung von Kirche und Staat in Frage zu stellen; durch religiöse Überhöhung des Gegensatzes zwischen West und Ost ließen sich die Evangelikalen für den Kampf gegen den real existierenden Sozialismus rekrutieren; ein Beispiel dafür, eine Rede Reagans, wird im nächsten und letzten Teil angeführt werden. – Mittlerweile allerdings sind für die Befürworter der us-amerikanischen globalen Hegemonie die Evangelikalen wegen ihrer Ablehnung der Abtreibung sowie der sog. „Homo-Ehe“ in bezug auf die Innenpolitik jedoch eher zum Klotz am Bein geworden, haben doch die liberals ihre Machtposition innerhalb der Gesellschaft stark verbessert, so daß ein Zusammenwirken mit ihnen für die Nachfahren der Neocons aussichtsreicher scheint als das Festhalten am Bündnis mit den Evangelikalen, das zuletzt Präsident George W. Bush* gepflegt hatte.
* George W.[alker] Bush; geb. 1946; US-Präsident 2001 – 2009 von der Partei der US-Republikaner; dessen Vater George [Herbert Walker] Bush, geb. 1924, amtierte ebenfalls als republikanischer US-Präsident, und zwar von 1989 – 1993.
Dem neokonservativen Streben nach Herstellung der Weltherrschaft kam 1978 ein unerwartetes, sehr günstiges Ereignis zustatten: Seit der 3. Plenartagung des 11. ZK der KPCh* begann sich China unter dem Einfluß des vom Mao drei Mal entmachteten Deng Xiaoping**, von der sozialistischen Planwirtschaft zu entfernen und ein offeneres Land zu werden. – Elf Jahre später löste sich der Ostblock auf: Das System des globalen Kapitalismus verwirklichte sich ohne einen dritten Weltkrieg. Als Vertreter der Neocons veröffentlichte der Politologe Francis Fukuyama***, der Sohn eines Predigers der calvinistischen United Church of Christ, das Buch„The End of History and the Last Man (1992; dtsch. Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir?, 1992)“, in welchem er zu zeigen sucht, daß Liberalismus, parlamentarische Demokratie und Kapitalismus nun alternativlos herrschen, nachdem Faschismus**** und Kommunismus überwunden seien. Dazu sei angemerkt, daß Fukuyama sich glänzend bestätigt sehen mußte, da er bereits im Sommer 1989, als die kommenden Ereignisse noch nicht absehbar waren, einen Aufsatz mit dem Titel „The End of History?“ veröffentlicht hatte, in dem er seine 1992 in Buchform veröffentlichte These visionär vorwegnahm. Übrigens hat sich Fukuyama angesichts der in der neunziger Jahren einsetzenden Kriege der USA und deren Folgen nach dem zweiten Feldzug gegen den Iraq (2003) nur scheinbar vom Standpunkt der Neocons entfernt, da er den Krieg als Mittel zur Befriedung kritisiert, doch bekennt er sich gleichzeitig zu global governance, zu globaler Steuerung bzw. Führung, die er durch internationale Organisationen wie die UN verwirklicht sehen möchte; diese Position wird natürlich nicht in der Lage sein, einen Krieg zu verhindern, wenn es gilt, einen Störenfried der Weltordnung zur Raison zu bringen. Dadurch gerät Fukuyamas Bejahung der Gliederung der Welt in einzelne Nationalstaaten zu einem Lippenbekenntnis; außerdem läßt sich die parlamentarische Demokratie außerhalb des Westens kaum herstellen, wie sich immer wieder gezeigt hat, und der Globalkapitalismus wird letztlich nur eine historische Erscheinung neben anderen sein, auch wenn er nicht durch den Sozialismus abgelöst wird.
* das auf dem 11. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (1977) gewählte Zentralkomitee
** eigentl. Deng Xixian; geb. 1904, gest. 1997
*** geb. 1952
**** Es hat schon einen besonderen Beigeschmack, wenn der japanischstämmige Fukuyama schreibt, daß der Faschismus (auch) durch den Abwurf von [us-amerikanischen] Atombomben auf Japan „killed“, ausgelöscht, worden ist, und zwar psychisch wie physisch, „on the level of consciousness as well as materially“, auf der Ebene des Bewußtseins gleichwie materiell.
Neocons beriefen sich gern auf den 1938 in die USA emigrierten Leo Strauss*, einen Philosophen jüdisch-deutscher Herkunft, der zwanzig Jahre lang in Chicago lehrte.** Die aus Europa mitgebrachten Kenntnisse der Philosophie verband er mit us-amerikanischer Politologie und lehrte dem entsprechend in Chicago Politische Philosophie; Strauss deutete Sokrates*** als einen ersten Vertreter der politischen Philosophie, der sich jedoch einerseits von praktischer Politik fernhielt und andererseits als [ein in seiner Absolutheit gleichsam deutsch erscheinender] Philosoph die Gesellschaft allzu grundlegend in Frage stellte, weshalb er von ihr abgelehnt und zum Tode verurteilt wurde, während sein Schüler Platon**** die politische Philosophie [wie Strauss] als Frage nach der Verwirklichung der besten Ordnung des konkreten Gemeinwesens begriffen habe, da diesem die Philosophie von jeher fremd sei [und somit natürlicher Weise auch den USA].
* geb. 1899, gest. 1973
** 1949 – 1969
*** geb. ca. 469, gest. 399 v. Chr.
**** geb. 427, gest. 347 v. Chr.
Es geht Strauss also nicht um bestimmte, immer gleiche Inhalte, die der Politik zu vermitteln seien, sondern darum, daß durch Reflexion der politischen Philosophie die von ihr im Interesse des Gemeinwesens zu stellenden Fragen bewußt werden, um darauf verbindliche Antworten zu finden, die also praktische Umsetzung erheischen. [Es besteht somit ein Antagonismus zwischen der erwünschten Verbindlichkeit und der gleichzeitigen Anerkennung des Relativismus,* auch wenn Strauss letzteres bestritt; doch wohl nicht zufällig legte er viel Wert auf Rhetorik. Auch] Strauss‘ Schüler Schüler Allan Bloom** kritisierte in seinem bekanntesten Werk, dem schon im Jahr des Erscheinens mehrhundertausendfach verkauften Essay „The Closing of the American Mind (1987; dtsch. Der Niedergang des amerikanischen Geistes, 1988)“, das Versinken im Relativismus, ohne ihm letztlich etwas entgegensetzen zu können.*** – Wenn sich die Neocons auf Strauss beriefen, dann ging es weniger um bestimmte philosophische Positionen als darum, Philosophie in die Politologie und damit in die praktizierte Politik zu übertragen, d.h. diese mit philosophischer Reflexion aufzuwerten, so daß sie sich nicht mit der pragmatischen Bewältigung des politischen Alltags begnügte, sondern darüber hinaus eine Perspektive entwickelte, wodurch sie formal der marxistisch-leninistischen gleichwertig erschien.
* Dem entspricht der nach Strauss bestehende Gegensatz von Offenbarung („Jerusalem“; vgl. political theology) und Vernunft („Athen“; vgl. political philosophy). – Der Erlangung von Verbindlichkeit diente Strauss‘ (gegen den Relativismus der liberalen Moderne gerichteter) Rückgriff auf die Antike, ins Besondere ihren Begriff der Physis, der Natur.
** geb. 1930, gest. 1992 (an AIDS); der o.g. Fukuyama wiederum ist Schüler Blooms.
*** Wenn der Leser erfährt, daß für den modernen Relativismus vor allem deutsche Denker verantwortlich sein sollen, vor allem Nietzsche, Weber und Freud, dann ahnt man schon wes Geistes Kind der Autor ist, auch wenn ihm das Verdienst einer Neuübersetzung der platonischen Politeia zukommt.
Während die Neocons in der Außenpolitik an Roosevelts Interventionismus anknüpften, dem sie allerdings eine anti-sowjetische Neuausrichtung verpaßten, sahen sie sich innenpolitisch der Tradition des New Deal weit weniger verbunden. Statt die Verwaltung aufzublähen und den weiter Sozialstaat auszubauen, wollten ihn die Neocons im Gegenteil beschneiden und den gesamten Apparat verschlanken. – An diesem Punkt berührt sich das Programm der Neocons mit dem der Neoliberalen, die freilich weit radikaler gegen den Sozialstaat eingestellt sind.
Der Begriff des Neoliberalismus bezeichnete ganz allgemein Bemühungen um Erneuerung des Liberalismus, bis er nach dem Militärputsch in Chile für die dort tätig werdenden Ökonomen benutzt wurde, die Chicago Boys, Schüler des jüdisch-us-amerikanischen Ökonomen Milton Friedman*, dessen Lehre also das Fundament des Neoliberalismus bildet. Er wendet sich gegen den bis dahin vorherrschenden Keynesianismus**, der ursprünglich auf die Bekämpfung der Folgen der Weltwirtschaftskrise ab 1929 ausgerichtet war. Der Keynesianismus, der – vor allem während der letzten Phase des New Deal (1937 – 1939)*** – in Roosevelts Wirtschaftspolitik zur Anwendung fand, setzte auf der Seite der Nachfrage an, also bei den Verbrauchern, die als Werktätige die Güter schaffen, welche sie von ihrem Lohn dann erwerben; die Konzentration auf diesen Aspekt und der Verzicht auf eine Infragestellung des kapitalistischen Systems begrenzten den Wert der keynesianischen Theorie. So wies der drei Jahrzehnte lang in Chicago lehrende Friedman**** an Hand empirischer Daten nach, daß die Inflation nicht grundsätzlich von der Nachfrage abhängig ist, wie der Keynesianismus meinte, sondern von der jeweiligen Geldmenge. Doch abgesehen von solch zutreffenden Einsichten entwarf Friedman eine Antithese zum Keynesianismus, die – ebenfalls auf eine Infragestellung des kapitalistischen Systems verzichtend – auf der Seite der Angebots ansetzt. Mit Hilfe seiner „permanent income hypothesis“ blendet er die Betroffenheit gerade der Werktätigen in Folge einer Wirtschaftskrise aus, indem er behauptet, deren Nachfrage bliebe von aktuellen Lohneinbußen weitgehend unbeeinflußt, da sie mehr vom dauerhaften Einkommen abhängig sei und weniger von aktuellen Schwankungen im Einkommen, die mit Hilfe von Ersparnissen ausgeglichen würden. Man sieht ganz klar, wessen Interessen Friedman vertritt.
* geb. 1912, gest. 2006; Wirtschaftsnobelpreis 1976
** Dessen Begründer war John Maynard Keynes, geb. 1883, gest. 1946; geadelt 1942
*** Keynes Hauptwerk „The General Theory of Employment, Interest and Money“ erschien 1936.
**** 1946 – 1976
Im Zentrum der Forderungen des Neoliberalismus steht die Freiheit des Marktes; staatliche Eingriffe sollen unterbleiben: Es handelt sich jedoch nicht um den Markt, auf dem einzelne Unternehmer wie ehedem miteinander konkurrieren, sondern um den vom Großkapital beherrschten Markt, und Eingriffe des Staates hatten dazu dienen sollen, die Monopolbildung zu verhindern. Die Forderung nach Freiheit des Marktes droht, ihn Monopolen auszuliefern!
Der Neoliberalismus fordert im Anschluß an Friedman den Abbau des Sozialstaates: Wenn die Werktätigen dafür weniger Steuern zu entrichten haben, dann könnte sogar ihr Lohn abgesenkt werden, ohne daß sie dadurch Einbußen erlitten; ihr dauerhaftes Einkommen bliebe in gleicher Höhe erhalten, und die Unternehmensgewinne ließen sich durch Senkung der Lohnkosten noch steigern. – Allerdings führen verschiedene Umstände, vor allem die Inflation durch beständige Vergrößerung der Geldmenge, dann doch dazu, daß der Lebensstandard der Werktätigen allmählich sinkt, selbst wenn sie ein wenig geringere Steuern und Abgaben zu entrichten haben. – Der Neoliberalismus setzt sich für die Verkleinerung des gesamten Staatsapparates ein und in diesem Zusammenhang auch für die Privatisierung von Staatsunternehmen, durch die dem Kapital neue Betätigungsfelder erschlossen werden; auf die Verkleinerung der staatlich subventionierten Sozialindustrie wird der Neoliberalismus freilich regelmäßig verzichten, weil sie das Hauptbetätigungsfeld der Neuen Linken darstellt, und diese steht dem Neoliberalismus als Bundesgenosse zur Seite, wie noch zu zeigen sein wird. Auch der Abbau des Sozialstaates wird dort an eine Grenze stoßen, wo die Klientel der Neuen Linken dadurch betroffen wäre.
Wäre es nicht zu erwarten gewesen, daß der Neoliberalismus sich erst nach 1989 verbreitet, nachdem das Konkurrenzmodell des Ostblocks ausgeschaltet worden war? Warum vermochte es der Neoliberalismus bereits in den achtziger Jahren, die Wirtschaftspolitik in den USA unter dem Slogan „Reagonomics“ zu bestimmen? In Großbritannien geschah dies sogar noch eher: Bereits zwei Jahre vor Reagan in den USA kam Margaret Thatcher* in Großbritannien an die Regierung und mit ihr der Neoliberalismus; bis 1979 lebte einer von zehn Briten unter der offiziellen Armutsgrenze, nach Thatchers Regierungszeit war es in den neunziger Jahren einer von vier.
* Margaret (Hilda) Thatcher, geb. Roberts; geb. 1925, gest. 2013; Premierministerin 1979 – 1990
Wie kam es also zum Aufschwung des Neoliberalismus in den achtziger Jahren? – Einerseits war ein ganzes Netz neoliberaler Stiftungen, Institute, Forschungszentren und Publikationsorgane nach Friedmans Chicagoer Lehrtätigkeit entstanden. Andererseits hatten sich die sozialistischen Parteien West-Europas den USA in politischer Hinsicht angeglichen, da sie zum New Deal umgeschwenkt zahnlose Tiger geworden waren, angewiesen auf eine den Werktätigen wohlwollende Staatsführung.
Die politische Strömung in den USA, der die Neue Linken in Europa entspricht, hatte sich mit ihrer Forderung nach Privilegierung der „Minderheiten“ zwar in den Vereinigten Staaten so weit etabliert, daß die politische Macht der „Mehrheit“ [des weißen Mannes] zu schwinden begann, weshalb das Großkapital dort zunehmend weniger Rücksicht zu nehmen brauchte, nicht aber in West-Europa. Dort begann sich die Neue Linke, vor allem in der us-amerikanischen Musterkolonie BRD, um 1980 zu konstituieren; die Partei der Grünen wurde gegründet. Sie stieg erst im Verlauf der achtziger Jahre auf. Dann aber begannen sich auch die Parteien des New Deal der Ideologie der Neuen Linken zuzuwenden und damit ihren Fall zu vollenden; in der BRD vollzog die SPD den letzten Schritt dazu am Ende der achtziger Jahre. So erstarkte die Neue Linke, der die Rolle des heimlichen Spießgesellen des Neoliberalismus zukam, die Rolle des Opportunisten bzw. des sog. Arbeiterverräters, die Lenin und nach ihm Stalin dem Sozialsmus alter Prägung unterstellt hatten.
*
An Hand des Berliner Programms der SPD (1989) soll aufgezeigt werden, wie die Sozialdemokraten sich vom New Deal ab- und der Neuen Linken zuwandten. – Gleich eingangs werden in dem am Ende des Schicksalsjahres 1989 verabschiedeten Programm zwei Themen genannt, mit denen sich die SPD der Neuen Linken anglich, die dieser zur Gewinnung steigender Popularität dienten, nämlich der Pazifismus, der in den achtziger Jahren angesichts des vom US-Präsidenten Reagan in Gang gesetzten Rüstungswettlaufs zur Massenbewegung anwuchs, und die Ökologie. Erst an dritter Stelle steht im einleitenden ersten Absatz des Berliner Programms die soziale Gerechtigkeit.*
* I. Was wir wollen
Nicht allein an der Friedens- und Umweltschutzbewegung will man als SPD partizipieren, sondern auch die „Frauenbefreiung“ soll von den Sozialdemokraten „weiterentwickelt“ werden.* Daher nennt das Berliner Programm schon einmal die Frauen stets vor den Männern. Der männerhassende Feminismus deutet sich an, wenn die Forderung nach Verweiblichung der Männer erhoben wird: „Die Zukunft verlangt von uns allen, Frauen und Männern, [im Verhalten] vieles, was lange als weiblich galt…“** Die „Zukunft verlangt“ dies eigentlich nur von den Männern, denn die Frauen sind ja bereits weiblich, ganz allgemein auch in ihrem Verhalten.
* II. Die Grundlagen unserer Politik, 1. Grunderfahrungen und Werte
** IV. Die freie, gerechte und soziale Gesellschaft. Eine neue Kultur des Zusammenlebens und Zusammenwirkens, 1. Die Gleichstellung aller Menschen in einer solidarischen Gesellschaft
Im allgemeinen gibt man sich jedoch mit Gleichmachung zufrieden. „Immer noch ist die herrschende Kultur männlich geprägt…“* – Man sieht, was unter „herrschende[r] Kultur“ verstanden wird, vor allem das Erwerbsleben; und da sollen die Frauen den Männern gleich werden, wie die an das oben wiedergegebene Zitat anschließenden Sätzen deutlich machen. Der weibliche Teil der Kultur, z.B. die Gestaltung der einzigartigen Beziehung von Mutter und Kind, die ihren Ausdruck in der Kunst u.a. in unzähligen Marienbildern gefunden hat, wird abgewertet oder gänzlich ausgeblendet, um stattdessen bloße Gleichheit mit den Männern bzw. Angleichung an sie zu fordern. Auch nicht von Mutter und Vater soll das vergesellschaftete Kind geprägt werden, sondern von „Kindertagesstätten und Ganztagsschulen“.** – Berücksichtigung im Programm finden ins Besondere auch die Ausländer in Deutschland als Schützlinge der Neuen Linken: „Viele unserer ausländischen Mitbürger leiden noch immer unter kultureller und gesellschaftlicher Isolation…“***
* IV. Die freie, gerechte und soziale Gesellschaft. Eine neue Kultur des Zusammenlebens und Zusammenwirkens, 1. Die Gleichstellung aller Menschen in einer solidarischen Gesellschaft
** IV. Die freie, gerechte und soziale Gesellschaft. Eine neue Kultur des Zusammenlebens und Zusammenwirkens, 1. Die Gleichstellung aller Menschen in einer solidarischen Gesellschaft
*** IV. Die freie, gerechte und soziale Gesellschaft. Eine neue Kultur des Zusammenlebens und Zusammenwirkens, 1. Die Gleichstellung aller Menschen in einer solidarischen Gesellschaft
„Wir sind die Partei der Reform. Reformarbeit vollzieht sich oft in kleinen Schritten. Mehr noch als auf die Größe der Schritte achten wir auf die Erkennbarkeit der Richtung.“* Das sozialdemokratische Menschenbild werde durch Artikel 1 der UN-Erklärung der Menschenrechte (1948) bestimmt, in der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit genannt werden.** – Mit dem Liberalismus teilt man die Ablehnung von Traditionen aller Art: „Bloßes Fortschreiben bisheriger Entwicklungen ergibt keine Zukunft mehr.“ Das Wort „mehr“ weist auf die Neuausrichtung der Partei hin.***
* IV. Die freie, gerechte und soziale Gesellschaft. Eine neue Kultur des Zusammenlebens und Zusammenwirkens, 5. Demokratie und Gesellschaft
** II. Die Grundlagen unserer Politik, 1. Grunderfahrungen und Werte
*** I. Was wir wollen
Erst tönt es mächtig, daß „Reparaturen am Kapitalismus nicht genügen.“* Doch nachdem man die Backen so aufgeblasen hat, ertönt nur ein leises Flöten: „Sie (sc. die Grundwerte des Demokratischen Sozialismus [und das sind Freiheit, Gerechtigkeit – statt Gleichheit – und Solidarität – statt Brüderlichkeit]) bilden auch künftig das Fundament unserer Reformpolitik.“** Später heißt es dann: „Demokratische Kontrolle wirtschaftlicher Macht des Kapitals verlangt einen handlungsfähigen Staat, starke Gewerkschaften und Mitbestimmung.“*** Immer wieder wird die Mitbestimmung genannt, auch ein eigener Abschnitt ihr gewidmet.**** Irgendwie soll daraus eine Gesellschaft der „Freien und Gleichen“ hervorgehen.*****
* II. Die Grundlagen unserer Politik, 1. Grunderfahrungen und Werte
** II. Die Grundlagen unserer Politik, 1. Grunderfahrungen und Werte
*** IV. Die freie, gerechte und soziale Gesellschaft. Eine neue Kultur des Zusammenlebens und Zusammenwirkens, 1. Die Gleichstellung aller Menschen in einer solidarischen Gesellschaft
**** s. IV. Die freie, gerechte und soziale Gesellschaft. Eine neue Kultur des Zusammenlebens und Zusammenwirkens, 4. Ökologisch und sozial verantwortliches Wirtschaften
***** IV. Die freie, gerechte und soziale Gesellschaft. Eine neue Kultur des Zusammenlebens und Zusammenwirkens, 1. Die Gleichstellung aller Menschen in einer solidarischen Gesellschaft
Dies gilt universal: „Gigantische multinationale Konzerne planen ihre Gewinnstrategien weltweit, unterlaufen demokratische Kontrolle und erzwingen politische Entscheidungen.“* Was ist angesichts dessen zu tun? – „Gegenmacht entsteht, wo sich Staaten erfolgreich zu regionalen Gemeinschaften zusammenschließen und Gewerkschaften nationale Grenzen überwinden.“** Als Gegenmittel wird also die Internationalisierung empfohlen, der Abbau der Grenzen. Der Nationalstaat soll nicht geschützt, sondern preisgegeben werden, und der Verweis auf multinationale Konzerne dient als Argument dafür, obwohl nicht klar wird, wie sich eine Staatengemeinschaft wirksamer vor ihnen schützen könnte als die einzelne Nation. Wahrscheinlich setzt man voraus, daß sich die Macht eines Staates einfach zu der anderer addiert, wenn sie sich zusammentun, was tatsächlich wohl kaum jemals der Fall sein wird; denkbar wäre hingegen ein Abkommen verschiedener Staaten, das den globalen Kapitalismus bzw. die Globalisierung samt der „Weltgesellschaft“*** ablehnt und auf der Grundlage einer gemeinsamen Abgrenzung nach außen hin die Niederlassungen multinationaler Konzerne im Innern einer wirksamen Kontrolle unterwirft, doch so etwas liegt jenseits des Horizontes des Berliner Programms der SPD. Ohne einen solchen Vertrag aber kommt ein Staatenbund, der die Grenzen zwischen den Mitgliedsländern aufhebt, nur den ökonomischen Interessen der mulitinationalen Konzerne entgegen, denen damit ein einheitliches Terrain zur Verfügung gestellt wird. Das Berliner Programm jedoch verfolgt seinen illusionären Weg vom Staatenbund zur Weltförderation weiter, wonach schließlich „die Kontrolle transnationaler Konzerne weltweit durchgesetzt werden“**** soll, offenbar mit Hilfe globaler Institutionen wie den UN; hinzu kommt das Mantra von den starken Gewerkschaften, nun auch universal: „Eine gerechte Weltwirtschaftsordnung läßt sich nicht aufbauen ohne die enge internationale Kooperation starker Gewerkschaften.“*****
* II. Die Grundlagen unserer Politik, 1. Grunderfahrungen und Werte
** II. Die Grundlagen unserer Politik, 1. Grunderfahrungen und Werte
*** I. Was wir wollen
**** III. Frieden in gemeinsamer Sicherheit
***** IV. Die freie, gerechte und soziale Gesellschaft. Eine neue Kultur des Zusammenlebens und Zusammenwirkens, 4. Ökologisch und sozial verantwortliches Wirtschaften
Es ist nicht von Pflichten die Rede, sondern lediglich davon, daß alle „Menschen ihr Recht auf ausreichende Ernährung, Wohnung, Arbeit und Bildung geltend machen.“* Also wird man das, was diejenigen erwirtschaften, die sich der Mühsal der Werktätigkeit unterziehen, und nicht allein ihr Recht auf Ernährung, Wohnung und Bildung in Anspruch nehmen, auf alle verteilen müssen, um den Menschenrechten zu entsprechen. „Sozialpolitik will Solidarität als Leitidee für die ganze Gesellschaft lebendig machen. … Wer soziale Hilfe in Anspruch nimmt, darf nicht diskriminiert werden.“** – Da erhebt sich auch noch folgende Frage: Wenn die Menschen der Dritten Welt in ihren Heimatländern die o.g. Menschenrechte vergeblich einfordern, dürfen sie sich dann sämtlich bei uns einfinden, um ausreichende Ernährung, Wohnung, Arbeit und Bildung zu erlangen?
* II. Die Grundlagen unserer Politik, 1. Grunderfahrungen und Werte
** IV. Die freie, gerechte und soziale Gesellschaft. Eine neue Kultur des Zusammenlebens und Zusammenwirkens, 3. Durch soziale Gerechtigkeit zur sozialen Gesellschaft
Es heißt zwar ganz beruhigend: „Alle Menschen haben ein Recht auf ihre Heimat, ihr Volkstum, ihre Sprache und Kultur.“* Was aber bedeutet das noch, wenn zugleich eine „Weltgesellschaft“ angestrebt wird?** „Inzwischen ist [nämlich] der Internationalismus der sozialdemokratischen Tradition zur einzig verantwortbaren Realpolitik geworden.“***
* II. Die Grundlagen unserer Politik, 1. Grunderfahrungen und Werte
** I. Was wir wollen
*** II. Die Grundlagen unserer Politik, 1. Grunderfahrungen und Werte
Man merkt dem Berliner Programm kaum an, daß es für Mitteleuropäer, gar für Deutsche verfaßt worden sein soll – und dies im Jahr 1989, da die „Berliner Mauer“ fiel, die die Abschottung der DDR gegenüber der West-BRD zementiert hatte; die Perspektive einer restdeutschen Einheit eröffnete sich! – Es gibt im Berliner Programm tatsächlich, nachdem von Europa die Rede gewesen ist, einen kurzen Abschnitt zu Deutschland, doch geht es darin gerade darum, Deutschland zu verneinen, ihm seine Eigentümlichkeit abzusprechen, um es in Europa aufgehen zu lassen: „Die historischen Erfahrungen der Deutschen und ihre Entscheidung für ein gemeinsames Europa verbieten einen deutschen Sonderweg.“* – Darüber hinaus gibt es im Berliner Programm mit Bezug auf Deutschland nur noch den Verweis auf den Kampf gegen [das absolut Böse], doch wo könnte der nicht geführt werden oder geführt worden sein? Der Hinweis auf die „zweite(n) deutsche(n) Republik“** bleibt isoliert und dient allein dazu, die antifaschistische Qualität der SPD dokumentierend den Ort zur Verwirklichung ihres politischen Machtanspruches als denjenigen zu bezeichnen, an dem sich [das absolut Böse] manifestiert und die Sozialdemokratie sich ihm gegenüber bewährt hatte.
* III. Frieden in gemeinsamer Sicherheit
** II. Die Grundlagen unserer Politik, 1. Grunderfahrungen und Werte