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Summa contra gentiles – Die Summe wider die Heiden

von virOblationis

Den Auslöser des Albigenserkreuzzuges (1209 – 1229) bildete der Mord an einem päpstlichen Gesandten. Die Ursachen des Konflikts lagen tiefer: Wie später während der Reformation begünstigte die weltliche Obrigkeit eine häretische Strömung, die die Kirche ganz spirituell verstand und ihre Einrichtungen von irdischem Besitz befreien wollte, und dieser fiel dann an den jeweiligen Fürsten. So trat in Deutschland später Sachsens Friedrich III., der sog. Weise (1486 – 1525), als Schutzpatron der Häresie auf wie zuvor Raimund VI. von Toulouse (1194 – 1215) in Frankreich.

Mit dem militärischen Sieg des Kreuzfahrerheeres über die Anhänger und Unterstützer der Albigenser allein konnte sich die Kirche nicht begnügen, denn es galt, die Irrenden zur katholischen Wahrheit zurückzuführen. Gewiß, dazu wurde einerseits vom Papst die Inquisition ins Leben gerufen (1227) und zur dauernden Einrichtung erhoben (1231); sie war viel besser als ihr von der Aufklärung beschädigter Ruf, aber das ist ein anderes Thema. Andererseits entstand während des Albigenserkreuzzuges ein neuer Bettelorden, der sich ganz der Verkündigung widmete. Sein Gründer war der von der Iberischen Halbinsel stammende hl. Dominikus*, der oft unter Lebensgefahr den Süden Frankreichs – nach dem Vorbild der Apostel – mittellos und predigend durchzog. Auf ihn soll das Gebet des Rosenkranzes zurückgehen, der Laienpsalter, bestehend aus einhundertfünfzig Ave Maria, und dieses Gebet begleitete bereits am 12. September 1213 den Sieg der neunhundert Kreuzritter und ihrer siebenhundert Infanteristen über die fast zwanzigtausend Streiter Raimunds VI. und Peters II. von Aragon (1196 – 1213) bei Muret; aber auch das ist eine andere Geschichte.

* geb. um 1170, gest. 1221

In den Predigerorden trat 1242/1243 der hl. Thomas von Aquin* ein. Der Albigenserkreuzzug war längst beendet. Doch auch an anderen Fronten wurde mit kriegerischen Mitteln gegen Feinde der Kirche gekämpft, so auf der Iberischen Halbinsel, und auch dort galt es, die Herzen der Überwundenen zu gewinnen. Nach dem traditionell-katholischen Selbstverständnis ist der Glaube nie der Vernunft entgegengesetzt; selbst wenn die Offenbarung über die Vernunft hinausgeht, vermag man sie oft noch mit Hilfe der ratio einigermaßen nachzuvollziehen. Deshalb bat der im Dienste der Heidenmission tätige hl. Raymund von Penaforte**, der das Studium der arabischen wie der hebräischen Sprache in Dominikanerklöstern förderte, den hl. Thomas um ein Werk als Argumentationshilfe in der Diskussion mit Mohammedanern und Juden.

* geb. 1224/1225, gest. 1274

** geb. ca. 1175, gest. 1275

So entstand 1259 bis 1263 die „Summa contra gentiles“, die Summe wider die Heiden, die sich ganz auf das Gebiet der Vernunft, die Philosophie, beschränkt, weil die christliche Offenbarung von Mohammedanern und Juden nicht anerkannt wird. „Unde necesse est ad naturalem rationem recurrere, cui omnes assentire coguntur.“ (I, 2) Weshalb es notwendig ist, [von der Hl. Schrift] zur natürlichen Vernunft zurückzukehren, der zuzustimmen alle genötigt sind.

Ein solches Unternehmen war im 13. Jahrhundert leichter zu bewerkstelligen als heute, weil die Philosophen unter den Christen, Juden und Mohammedanern eine gemeinsame Basis im Neuplatonismus besaßen; auch der Aristotelismus wurde in diesen Rahmen gesetzt, was um so leichter möglich war, als es sich beim Neuplatonismus, wie bereits Hegel erkannte, um eine Synthese von Platonismus samt Pythagoreismus, Aristotelismus und Stoizismus handelt.* – Der Verlust dieser Grundlage hat in der Moderne zu geistiger Verelendung geführt; der Artikel „Über den Verlust der Mitte“ von Volker Mohr im neuesten Heft der Sezession (Nr. 62) befaßt sich damit, freilich ohne den Neuplatonismus ausdrücklich zu nennen.

* Georg Wilhelm Friedrich Hegel; geb. 1770, gest. 1831; hier: Vorlesungen über die Geschichte der Philsophie, Erster Teil: Geschichte der griechischen Philosophie, Dritter Abschnitt: Neuplatoniker, C. Alexandrinische Philosophie – Die Synthese verschmilzt verschiedene Elemente, während der Eklektizismus sie lediglich zusammenstellt, wobei sie eigenständig bleiben. Deshalb verwirft Hegel zu recht die Kennzeichnung des Neuplatonismus als eklektisch.

Thomas‘ „Summa contra gentiles“ war eines der ersten lateinischen Werke, das ich im Original gelesen habe; jeden Abend einen Abschnitt. Anfangs erschien mir vieles, was ich da las, fragwürdig. Doch je besser ich Thomas verstand, desto weitgehender stimmte ich ihm zu. – Auch Menschen ohne Lateinkenntnisse bleibt die „Summa contra gentiles“ nicht unbedingt unzugänglich, denn es ist vor einigen Jahren eine zweisprachige Ausgabe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt von 1974 – 1996 in einer Sonderedition noch einmal herausgegeben worden (2001), und diese ist gebraucht anscheinend recht günstig zu erwerben.

2 Kommentare zu „Summa contra gentiles – Die Summe wider die Heiden“

  • Ed:

    ‚Der Verlust dieser Grundlage hat in der Moderne zu geistiger Verelendung geführt‘..(Vir Oblationis)
    Das hat, wie immer, unterschiedliche Vorhergänge.

    Scheler bemerkt in seinem ‚Vom Ewigen im Menschen‘ s.291 (‚Probleme der Religion‘):

    ‚Diese Entwicklung des Pantheismus darf nicht Wunder nehmen. Der Pantheismus konnte – über einzelne Einspänner hinaus – die religiöse Formierung der Substanz der deutschen Bildung gleichsam ausdrücken, so lange das geistige Leben der Nation einseitig und traumverloren zugewandt war einer idealen geistigen Welt als der wahre Heimat des mit dem ‚Menschen‘ verwechselten Deutschen, – so lange die Nation sich an erster Stelle als Kulturnation wußte und fühlte; so lange es ferner noch eine ‚Kunst und Wissenschaft‘ gab, von der man noch mit einigen Sinn meinen konnte, es besitze schon Religion wer s i e besitze, und nur die von der kulturellen Aristokratie Ausgeschlossenen hätten sich nach Goethes bekanntem Spruch dem Diktum zu fügen: ‚Wer diese beiden nicht besitzt der habe Religion!‘ Denn wie diese Kunst eine in sich wenig differenzierte Ideenkunst war, so war diese ‚Wissenschaft‘ synthetische Bildungswissenschaft von stark theologischer Färbung (frühere protestantische Theologen waren auch die meisten der deutschen spekulativen Philosophen). Von der Kunst und der bis aufs aüsserste differenzierten Arbeits- und Forschungswissenschaft unserer Zeit ähnliches zu sagen wäre nicht nur falsch – was ja auch der Goethesche Satz ist – es wäre absurd und lächerlich. Verebben also diese pantheïstischen deutschen Traditionen in u n s e r e Welt, so müssen sie wie von selbst zu einer bunt beschwingten L ü g e werden – zu einer Form, aller Realität illusionistisch aus dem Wege zu gehen.‘

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