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Gedankensplitter: Globaler Neoliberalismus 2 (30. Jan. ’15)

Die Rede von einer „zu klein gewordene[n] Spitze der Pyramide“ im vorangegangenen Artikel läßt sich am besten mit Hilfe der sog. Knickpyramide von Dahschur illustrieren, da dort die Regelmäßigkeit des Aufbaues durch eine Abflachung unterbrochen wird; bei dem Prozeß der Konzentration des Reichtums verhält es sich allerdings umgekehrt: Nicht auf einem vergleichsweise steilen Unterbau wird eine flachere Spitze gesetzt, sondern eine zunehmend flachere und breitere Basis trägt eine immer schmalere Spitze.

Zuletzt war im vorangegangenen Artikel auf eine dem Konzentrationsprozeß zu Grunde liegende Gesetzmäßigkeit hingewiesen worden. Sie steht hinter dem Prozeß wachsenden Reichtums einer zunehmend kleiner werdenden Anzahl von Bürgern und dem proportional dazu abnehmenden Wohlstand der übrigen, der beschleunigt und damit deutlicher erkennbar erscheint, wenn die Zentralbank die Geldmenge rasch vergrößert.

Der Großinvestor George Soros (geb. 1930) begrüßt die Geldmengenvermehrung durch die EZB, wobei er sich keinen Illusionen darüber hingibt, daß diese Maßnahme die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößern wird; entsprechend äußerte er sich beim diesjährigen Treffen des World Economic Forum, dem Weltwirtschaftsforum, in Davos. Zur Begründung verweist Soros darauf, daß die Preise von Aktien, Anleihen und Immobilien steigen werden, so daß deren Besitzer reicher werden werden, während diejenigen, die solche Güter nicht besitzen, im Verhältnis zu den zuvor Genannten ärmer werden werden.

Es geht bei dem, was Soros nennt, um investiertes Geldkapital. Damit verweist er auf die Quelle des zunehmenden Reichtums: Investitionen. – Selbstverständlich wirft nicht jede den erhofften Gewinn ab, doch im allgemeinen zahlen sie sich aus, und wenn die Geldmenge vergrößert wird, steigen – zumindest nominell – die Preise „von Aktien, Anleihen und Immobilien“, in die das Geldkapital investiert worden ist. Um tatsächlich reicher zu werden, muß der Gewinn aus Investitionen höher liegen als die Inflationsrate, und um ärmer zu werden, müssen diejenigen, die kein Investitionskapital besitzen, Einkünfte beziehen, deren Steigerungsrate unterhalb der Inflationsrate bleibt.

Keinerlei Gewinn im o.g. Sinne erzielt derjenige, der über kein Investitionskapital verfügt, sondern sein gesamtes Geld für den Lebensunterhalt verbraucht. Umgekehrt würde dessen Reichtum am raschesten wachsen, der nichts für sich selbst verbraucht. Einen solchen Fall gibt es natürlich nicht, doch die Abstraktion verdeutlicht zweierlei: Einerseits wächst das Investitionskapital desto rascher, je größer es ist, weil der zum eigenen Unterhalt verbrauchte Teil um so geringer ausfällt, und andererseits wird damit eine aus dem saecularisierten Puritanismus erwachsene Ethik verständlicher, die die einzige Tugend im Geldverdienen erblickt und das einzige Laster darin, es für sich selbst, zum eigenen Vergnügen auszugeben, worin sich die beiden Flügel des gegenwärtigen politischen Systems widerspiegeln, der tugendreiche Neoliberalismus und die lasterhafte Neue Linke.

Damit gerät die geschichtliche Entwicklung des Kapitalismus ins Blickfeld.

 

 

 

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