Wiederentdeckt
Gastbeitrag von Conversa
Evelyn Waugh (1903 bis 1966), „The loved one (1948; dtsch. Tod in Hollywood, 1950)“
Die Hauptpersonen des kurz nach dem Ende des 2. Weltkrieges in den USA spielenden Romans sind der erst vor kurzem eingewanderte englische Dichter Dennis Barlow, die gebürtige Griechin Aimée Thanatogenes, Angestellte in einer Bestattungsfirma,* und ihr Vorgesetzter dort, Herr Joyboy.
* [Anm. vO: Aimée bedeutet Geliebte; sie wird nämlich von den beiden männlichen Protagonisten verehrt. Thanatogenes ist eine Namensbildung gleich der von Origenes, was etwa Horus-Kind bedeutet; demnach wäre Thanatogenes ein Kind des Todes.]
Dennis Barlow ist voller Hoffnung auf eine Karriere als Drehbuchautor und Dichter nach Hollywood gekommen, nachdem seine Erstlingswerke in England erfolgreich waren. Nach kurzer gescheiterter Laufbahn in der unsicheren Filmbranche verdient er seinen Lebensunterhalt in der wenig angesehenen Position eines angestellten Tierbestatters. Tote Haustiere erhalten von ihren wohlhabenden Besitzern ein pompöses Luxusbegräbnis.
Die Clique der in Klubs versammelten und beim Cricket sich austauschenden, in Hollywood recht gut verdienenden Engländer verachtet als einen ihrem Ansehen abträglichen Landsmann ebenso wie Dennis Barlow auch den abgehalfterten und in die Jahre gekommenen, bei der Filmgesellschaft nicht mehr gefragten, einsamen, wenig betuchten Engländer, bei dem der ebenfalls in bescheidenen Verhältnissen lebende Dennis Barlow zur Untermiete wohnen kann. Dennis Barlow ist es schließlich, der von der Clique der Engländer und der Chefetage der Filmbranche gebeten wird, die Beerdigung seines Hauswirtes zu organisieren: Nachdem dieser als ein Opfer des Karrierekarussels in den Filmstudios plötzlich vor die Tür gesetzt worden war und ein anderer Mitarbeiter bereits sein Arbeitszimmer benutzt hatte, verlor er seinen Lebensmut und hängte sich auf. Die Kosten der Trauerfeier werden von der betuchten englischen Clique quasi wie eine patriotische Pflicht übernommen, da man den Landsmann nicht unehrbietig den letzten Weg antreten lassen will, was das Ansehen aller Engländer schädigen könnte. So wenig man den Verblichenen auch achtete, so würdevoll und exzellent soll die Trauerfeier öffentlich inszeniert werden.
Dennis Barlow wendet sich an die renommierte Bestattungsfirma „der flüsternde Hain“. Dort wird mit unzähligen in Arbeitsteilung kooperierenden Angestellten die Dienstleistung Beerdigung vermarktet. Die Leichen werden als Selige bezeichnet und durchlaufen einen Prozess von Balsamierung, kosmetischer Behandlung und oft recht extravaganter Einkleidung. Von verschiedenen, aber immer gleich auftretenden, austauschbaren Beraterinnen begleitet, entscheidet Dennis Barlow sich für die Aufbarung des festlich gekleideten Verstorbenen im offenen Sarg. Der Anzug besteht allerdings nur aus dem sichtbaren Vorderteil.
Nun tritt plötzlich Aimée Thanatogenes in Dennis Barlows Leben. Sie erscheint zunächst als eine Beraterin unter vielen anderen mit demselben austauschbaren Äußeren und derselben geschäftsmäßigen Freundlichkeit. Dennis Barlow entdeckt in ihrer Art etwas Tiefgründiges, das ihr selber wohl kaum bewußt ist, vielleicht meint er in ihrer Gegenwart das antike Griechenland, die Wiege der abendländischen Kultur zu spüren. Schon bald trifft er Aimée Thanatogenes auf dem Außengelände des „flüsternden Hains“ wieder, als er vergeblich versucht, Verse zu dichten, eine Auftragsarbeit für die bevorstehende Trauerfeier. Hier verliebt er sich nicht nur in ihre schöne Gestalt, sondern auch in ihr ganzes Wesen. Auch sie schätzt Gedichte, aber mehr in einer oberflächlichen Konsumentenhaltung. Sie bewundert Barlow, da dieser sich ihr lediglich als Dichter von Beruf vorstellt, seine gegenwärtige berufliche Existenz also verschweigt. Barlow wiederum ist begeistert von ihrer fast künstlerischen beruflichen Perfektion und ihrer ruhigen, sicheren Arbeitstechnik bei der kosmetischen Verschönerung der Toten, die den Hinterbliebenen wie Lebende präsentiert werden. Der Tod wird also quasi übermalt.
Barlow stellt bei den nun häufigen Verabredungen mit Aimée wieder und wieder Fragen nach den Einzelheiten ihrer Tätigkeit. In ihm reift der Plan, ein ebenso perfektes Bestattungsgeschäft zu gründen und mit Aimées Kenntnissen sieht er den Erfolg greifbar nahe. Daher reift sein Plan, sich als Trauerredner ausbilden zu lassen und nach geglückter Selbstständigkeit die für Gedichte schwärmende junge Frau zu heiraten. Da er um ihre Zuneigung wirbt, schenkt er ihr mangels eines totalen Ausfalls eigener Schaffenskraft, von ihm kopierte Lyrik großer Dichter, lässt sie aber in dem Glauben, dass es seine Werke wären, ohne diesen falschen Eindruck richtig zu stellen. Nach einem feierlich von beiden gesprochenen Gedicht an einem traditionell von einander sich ewige Treue schwörenden Liebespaaren besuchten Ort, fühlt sich Aimée als heimliche Verlobte Barlows.
Gleichzeitig wirbt ihr Vorgesetzter Herr Joyboy, der Chefbalsamierer, um Aimées Gunst. Die von ihm präparierten Leichen, für deren weitere Verschönerung alle dort angestellten Kosmetikerinnen zuständig sind, tragen nur für Aimée ein strahlendes Lächeln. Sonst stellt Herr Joyboy nur andere Arten von Gesichtsausdrücken bei den Seligen her, bei den Toten, die für die Kolleginnen Aimées bestimmt sind. Sie spürt diese versteckte Art, ihr den Hof zu machen. Als Herr Joyboy ihr den beruflichen Aufstieg in die Balsamierungsetage verspricht und sie zudem privat zu einem Besuch in seinem Heim einlädt, fühlt sie sich sehr geschmeichelt und meint, jetzt in Herrn Joyboy verliebt zu sein. Aimée sieht in ihm einen soliden, gut verdienenden Ehemann mit einem Luxusauto und teuren Anzügen.
Die Einladung zum Abendessen bei Herrn Joyboy entspricht allerdings in keinster Weise ihren hohen Erwartungen. Nach Herrn Joyboys eleganter Kleidung und seinem superteuren Wagen hatte sie sich dessen Bewirtung, Haus und Wohngegend genauso exklusiv vorgestellt. Das kleine aus Holz gebaute Haus, das Herr Joyboy in einem Viertel für Durchschnittsverdiener zur Miete bewohnt, das bescheidene, spärliche Innere, die Bekanntschaft mit seiner streitsüchtigen, eher verwahrlosten und wenig gastfreundlichen Mutter wirken wie die Rückseiten von beleuchteten imposanten Filmkulissen. Das wahre häusliche Leben von Aimées Verehrer ist also nicht so strahlend, reich und fröhlich wie es seine vornehme Selbstdarstellung im Beruf und nicht zuletzt sein Name Joyboy, der vielleicht mit Strahlemann wiedergegeben werden darf, zu versprechen scheinen. Das Äußere hält nicht, was es verspricht, und bleibt bloße Fassade. Wie das vermeintliche Feinschmeckermenü, das von ihr selbst mit zubereitet letzlich ganz einfach aus Dosensuppe, Eiscrème und Kaffee besteht. Auch die Rückfahrt tritt sie allein an, da Herr Joyboy seine griesgrämige Mutter nicht gern allein läßt und Aimée auf die nahe Bushaltestelle verweist, statt sie nach Hause zu fahren, wie es eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Somit macht sich bei ihr etwas Enttäuschung breit.
Gleich zu Beginn des Buches war die Beliebigkeit der Herkunft des einzelnen Menschen anhand der Karriere einer Schauspielerin verdeutlicht worden, die zuerst als eine vor Franco geflohene spanische Antifaschistin ausgegeben wurde und dann – da sich die Mode wandelte – als irisches Mädel vom Lande. Jenseits aller Individualität sind die eingewanderten Engländer darauf aus, wie alle übrigen Leute dort möglichst viel Geld zu verdienen und jung auszusehen. Diesem Mangel an eigener Persönlichkeit entspricht das fehlende Interesse aneinander, da ohnehin alle Menschen einander gleichen. Herr Joyboy sieht alle Aufwendungen für seine Mutter als verlorene Mittel an, und Aimée Thanatogenes weiß noch nicht einmal, ob ihre Mutter noch lebt.
Aimée fühlt sich noch immer von Barlow angezogen, dessen kopierte Gedichte sie wahllos konsumiert. Eines zeigt sie sogar Herrn Joyboy. Dieser entdeckt nun die eigentliche Herkunft des Werkes. Der Konflikt spitzt sich zu, als Aimée sich von Barlow abwendet, nachdem Herr Joyboy ihr die Augen über die Gedichte geöffnet hat, die nur abgeschrieben worden waren. Aimée kann sich aber noch immer nicht zwischen beiden Verehrern entscheiden und zieht die zweifelhafte Lebensberatung einer Lokalzeitung mehrfach brieflich zu Rate. Sie verlobt sich danach öffentlich mit Herrn Joyboy. Dann erfährt sie auch den wahren Beruf Barlows, seine bescheidene, wenig beeindruckende Tätigkeit als Tierbestatter. Herr Joyboy hatte hinterhältig durch eine kostspielige Bestattung des toten Papageis seiner Mutter Aimées Erscheinen am Arbeitsplatz von Dennis Barlow herbeigeführt. So hoffte er den lästigen Konkurrenten um die Gunst seiner Verlobten auszuschalten.
Als Aimée Dennis Barlow zur Rede stellen will, nimmt dieser sie nicht ernst und verweist darauf, dass er sich ihr nie als Urheber der Gedichte vorgestellt hat. Sie will ihn niemals wiedersehen, aber Dennis Barlow erinnert sie eher spottend und scherzhaft an den Treueschwur, der beide ewig aneinander binden würde. Dies trifft die junge Frau ins Herz, da sie sich durch dieses Verspechen Dennis Barlow verpflichtet fühlt, aber ebenso auch Hernn Joyboy durch die Verlobung mit ihm, dem Chefbalsamierer. Aimée versucht durch ein Telefongespräch mit Herrn Joyboy Klarheit in ihre aufgewühlten Gefühle zu bringen. Dieser weist sie kurz ab und nimmt ihre inzwischen verzweifelte Lage nicht ernst. Nach einer Nacht voller Zweifel bringt sich Aimée um, wie es ihr der betrunkene Lebensberater geraten hatte, den sie in ihrer Not telefonisch in einer Kneipe erreicht und um Rat gefragt hatte, worauf der ihr in seinem Rausch, nur um sie loszuwerden, sagte, sie solle sich doch umbringen. Ihren Selbstmord verübt Aimée ausgerechnet in Herrn Joyboys Arbeitsraum mit von ihm benutzten Chemikalien, die sie sich injiziert.
Herr Joyboy findet die Leiche nach Arbeitsbeginn ohne Zeugen vor, und um eine Mordanklage sowie den öffentlichen Skandal zu vermeiden, bittet er Barlow heimlich mit ihm zusammen die Leiche wegzuschaffen. Sie soll von Barlow in der Tierbestattungsfirma wie ein toter Hund verbrannt werden. Dennis Barlow läßt sich seine Hilfe gut bezahlen und finanziert damit seine umgehende Rückkehr nach England, nicht ohne zu veranlassen, dass Herr Joyboy bereits am nächsten Tag und dann jedes Jahr zum gleichen Zeitpunkt eine Postkarte mit folgendem Text erhalten würde: „Ihre kleine Aimée wedelt heute im Himmel mit dem Schwanz und denkt an Sie…“ So verlässt Dennis Barlow das Land zwar so mittellos wie er gekommen war, ohne eine Braut und ohne materiellen Reichtum. Doch hat die Zeit in den USA ihm viele Eindrücke und Erlebnisse beschert, die nur darauf warten zu Papier gebracht zu werden, so dass Dennis Barlow voller Hoffnung und Schaffenskraft den Heimweg antreten kann.
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