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Globaler Neoliberalismus 7 – letzter Teil

Seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts haben die Streitkräfte der USA in aller Welt Kriege geführt*, militärische Aggressionen unternommen** oder sich an Kriegen beteiligt und in Bürgerkriege eingegriffen,*** während die Agenten der USA für „regime change“, also Umsturz, sorgten.**** – Inzwischen aber, im Jahre 2015, sucht man verstärkt auch den Ausgleich, und zwar mit dem seit 1962 isolierten Kuba und dem seit 1979 verfeindeten Iran. Dies ist offenkundig ein Zeichen der Schwäche: Man will nach wie vor neue Investitionsfelder erschließen, dem Kapitalfluß die gesamte Welt öffnen. Doch man geht dabei nun tw. nicht mehr wie gewohnt gewalttätig und subversiv vor. Die Kräfte erschöpfen sich anscheinend, so daß man den Rest schon bündeln muß, um gegen einen Staat von der Größe Rußlands vorgehen zu können, vorerst vor allem mit Handelssanktionen.

* Afrika: Libyen (2011) / Amerika: Grenada (1983) / Asien: Iraq (1991 und 2003); Afghanistan (2001) / Europa: Jugoslawien (1999)

** Afrika: Libyen (1986 [Bombardement] und 2011 [Flugverbotszone]); Sudan (1998 [Luftangriff]) / Amerika: Panama (1989 [Besetzung]) / Asien: Iran (1988 [Flugzeugabschuß]); Iraq ([Flugverbotszone 1992 – 2003 und Marschflugkörperangriff 1993]) / Europa: Jugoslawien (1992 [Bombardements])

*** Amerika: Nicaragua (ab 1982); Argentinien (im Falkland-Krieg 1982); Kolumbien (ab 1990); Haiti (1994) / Asien: Afghanistan (ab 1981), Libanon (1983 und 1990)

**** zuletzt in der Ukraine (2013 – 2014)

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Während des 2. Weltkrieges (1939 – 1945) begannen die USA, an der Stelle der kolonialen eine neue Globalordnung zu verwirklichen, die darauf abzielte, die ganze Welt der Tätigkeit us-amerikanischer Konzerne zu erschließen. Doch diese begannen allmählich, sich in multinationale Unternehmungen umzuwandeln: Es fand nicht mehr nur Kapitalexport statt, verbunden mit Rückfluß von Waren und Gewinnen in die USA, sondern zur die Waren mochten irgendwo produziert und anderswo konsumiert werden, während die Gewinne sich zur Schaffung neuer Standorte in aller Welt verwenden ließen. Die USA sicherten weiterhin die globale Ordnung ab, doch im eigenen Lande führte dies zu zunehmender Deindustrialisierung, weil sich außerhalb stets günstigere Standorte finden ließen. Angesichts dessen erwies es sich als äußerst vorteilhaft für die USA, daß sie kein Staatsvolk haben, denn wo kein Volk ist, da gibt es auch keinen Volksaufstand.

Im Jahre 1964 wurde ein „War on poverty“, ein Krieg gegen die Armut, vom Präsidenten der USA* ausgerufen; die Folgen dessen, was später Globalisierung genannt wurde, begannen sich bereits in einigen Regionen spürbar auszuwirken. – Zu derselben Zeit wurden erste wichtige Schritte zur Absicherung des internationalen Investments unternommen: Der ICSID-Vertrag von 1965, der im folgenden Jahr in Kraft trat, schützte multinational agierende Konzerne und damit für das in sie investierte Kapital. Es wurde eine Schiedsspruchstelle in Washington eingerichtet, das International Centre for Settlement of Investment Disputes, dessen Kürzel ICSID dem oben erwähnten Vertrag seinen Namen gab.

* Lyndon B.[aines] Johnson; 1963 – 1969

Die allermeisten Staaten der Welt unterzeichneten Abkommen zum Schutz von Investitionen, allen voran den ICSID-Vertrag, zur Absicherung des freien Kapitalflusses. – Noch länger ist freilich die Liste der Mitglieder der WTO, der 1994 gegründeten World Trade Organization, die für den ungehinderten globalen Freihandel steht und nationale Gesetzgebung nachrangig macht.

Der ICSID-Vertrag zum Investitionsschutz multinationaler Konzerne wurde erstmals 2007 von einem Staat gekündigt, nämlich von Bolivien; es folgten Ecuador (2010) und Venezuela (2012), während Argentinien den Schritt 2013 erwog, ihn aber noch nicht vollzog. – Offenbar driftet Lateinamerika, auf dessen Besitz als Hinterhof die USA bereits mit der Monroe-Doktrin (1823) Anspruch erhoben, langsam fort, und die in diesem Jahr sichtbar gewordene veränderte Haltung gegenüber Kuba zielt gewiß nicht allein darauf ab, den vergleichsweise unbedeutenden Inselstaat wieder den USA anzunähern, sondern darüber hinaus das gesamte Lateinamerika. – Während des 20. Jahrhunderts dehnten die USA den Anspruch auf Oberhoheit vom amerikanischen Doppelkontient auf die gesamte Welt aus, beginnend im Jahre 1904 mit einem Zusatz, Corollary, zur Monroe-Doktrin. Als Eckdaten für die vollständige Entwicklung und Durchsetzung des Monopolkapitalismus und seine weltweiten Ausdehnung, den Globalismus, lassen sich 1914 und ca. 2005 nennen.

Seit etwa 2005 mehren sich die zentrifugalen Kräfte, die der us-amerikanischen Weltherrschaft abträglich sind: In Europa zeigten Abstimmungen über die Europa-Verfassung dort, wo sie 2005 durchgeführt werden durften, nämlich in den Niederlanden und Frankreich, daß die Konstituierung eines Vereinten Europa als Teilbereich der globalisierten Weltordnung nur gegen den Willen der europäischen Völker zu verwirklichen wäre; so wurde stattdessen der Vertrag von Lissabon geschlossen (2009). Lateinamerika entzieht sich seit etwa derselben Zeit zunehmend der us-amerikanischen Kontrolle: Zuerst hatten sich Kuba (1959) und Venzuela (1998) in Opposition zu den USA begeben. Dann stieß Bolivien hinzu, wo nach Massenprotesten der Prasident zurücktrat und nicht nur ein Nachfolger gewählt (2005), sondern auch eine neue Verfassung in Angriff genommen wurde, wozu erstmals die Präfekten der verschiedenen Teile des Landes direkt zu wählen waren (2005); im Jahr darauf schloß sich Bolivien der von Venezuela zusammen mit Kuba gegründeten Allianz an, der später Nicaragua (2007), Ecuador (2009) und einige Karibikstaaten ebenfalls beitraten. Zu derselben Zeit erfolgte in Argentinien, das seit 1998 unter einer Wirtschaftskrise gelitten und ab 2002 eine Peso-Abwertung zugelassen hatte von 2005 an die Umschuldung mit großen Verlusten für die Gläubiger. Im Jahre 2005 wurde in Uruguay ein neuer, linksgerichteter Präsident gewählt, der erstmals seit 1860 weder der Colorado- noch der Nationalpartei angehörte. Angemerkt sei noch, daß Brasilien zu den BRICS-Staaten gehört, die sich seit 2009 als Führungsmächte sich abzeichnender Großräume versammeln und eine Konkurrenz zu den von den USA geführten G7-Staaten bilden.

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So befinden wir uns seit etwa 2005 in der Phase des niedergehenden globalen Monopolkapitalismus, dessen Ordnung die USA garantieren sollen, ohne daß die Bevölkerung dieses Landes bedeutende Vorteile dadurch genießen würde. Der Niedergang des globalen Monopolkapitalismus mag sich lang hinziehen. Will man sich seiner Interessensphäre entziehen, muß man mit Destabilisierung, Umsturz und Krieg rechnen.

Wenn sich verschiedene Gebiete vom globalen Wirtschaftssystem abgrenzen, könnte der Monopolkapitalismus auf einzelne Großräume beschränkt dort weiterexistieren, was freilich eine entschärfte Form wäre, da sozusagen ein deutscher Werktätiger in der Textilindustrie nicht mehr mit einer Arbeiterin in Bangladesh um die niedrigste Entlohnung wetteifern müßte, was beiden Seiten zum Vorteil gereichte.

Bloße Verstaatlichung überwindet das monopolkapitalistische System nicht, da einerseits die es prägenden Gesetzmäßigkeiten fortbestehen und andererseits die Politische Klasse ohnehin mit den Aufsichtsräten und Vorständen der Aktiengesellschaften personell verflochten ist. Am besten wäre es, die Unternehmen aufzuteilen, zu reprivatisieren und ihre künftige Größe vielleicht dadurch zu beschränken, daß sie nur von einzelnen Personen, nicht aber durch Gesellschaften zu leiten sind.

Konkurrenz kann und soll nie ganz ausgeschaltet werden, aber sie ist zu begrenzen, um eine Entwicklung wie vom 19. zum 20. Jahrhundert nicht zu wiederholen; der freie Markt endet im Monopol, die Anarchie im totalitären Zwangssytem, nicht zufällig, sondern von der inneren Logik der Entwicklung her. – Wahrscheinlich wird ein der Natur des Menschen entsprechendes Wirtschaftssystem weniger effektiv sein als eines, das die Menschen zu höchster Leistung in der Warenproduktion erpreßt, doch besteht der Zweck des irdischen Leben ja eben auch nicht darin, möglichst viele Waren zu konsumieren. Der Profit darf nicht der Endzweck der Produktion materieller Güter sein, sondern die Deckung des Bedarfs.

Vielleicht ließe sich das Gildensystem in irgendeiner Weise erneuern oder eines von Korporationen schaffen, die Unternehmer und Belegschaft zur Wahrung der Interessen beider Seiten miteinander verbinden. Jedenfalls ist die Ökonomie dem Gemeinwohl, dem Wohl aller Stände der Gesellschaft, unterzuordnen, damit sich das Leben im Staate auch in ökonomischer Hinsicht mit der menschlichen Natur vereinbaren läßt.

 

3 Kommentare zu „Globaler Neoliberalismus 7 – letzter Teil“

  • Unke:

    Es sei die interessante -wenngleich banale- Erkenntnis ergänzt, dass in den Zeiten des kalten Krieges US-Interventionen als notwendiger Gegenpart zum kommunistischen Weltherrschaftsstreben verkauft wurden.
    Nun, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden die US-Interventionen nicht weniger…

  • virOblationis:

    @ Unke

    Hätte ein „notwendiger Gegenpart“ nicht mit dem Verschwinden des Ostblocks seine Aufgabe erfüllt und wäre verschwunden? Warum wurden, wie Sie feststellen, die „US-Interventionen nicht weniger“?

    Zwar halte ich es für nicht ganz unangemessen, daß die us-amerikanischen Interventionen als „Gegenpart“ ausgegeben, „verkauft“, wurden, doch wird es sich nur nebenbei um ein solches Widerlager gehandelt haben, nicht wesentlich, so daß die militärischen Aktionen der USA nach 1989/1991 fortgesetzt wurden, weil die Gründe dafür weiterbestanden.

    Mir scheint, die UdSSR und die USA strebten beide nach Weltherrschaft, wenn auch nicht um jeden Preis, so daß sie nebenher auch eine friedliche Koexistenz akzeptierten. – Nach dem Ende der Sowjetunion blieb nur noch eine Supermacht übrig, die ihr Ziel – nicht mehr durch Konkurrenz behindert – noch uneingeschränkter zu verfolgen vermochte.

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