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Sozialindustrie 3

von virOblationis

Wie im vorigen Teil deutlich geworden ist, sorgte sich der Erste Stand, die Geistlichkeit, im lateinischen Abendland nicht nur um Arme und Kranke, wie im griechischen Osten, sondern ebenso um die Bildung; daher spricht man auch vom Lehrstand. Es war auf den Benediktinerorden und seine Schulen hingewiesen worden. In den Klöstern wurden auch lateinische Handschriften kopiert, so daß in den frühmittelalterlichen Bibliotheken der Benediktiner das restliche Bildungsgut des lateinischen Westens erhalten blieb. Natürlich war einiges in den stürmischen Zeiten des 5. und 6. Jahrhunderts verloren gegangen, als auf dem Terrain des Westteil des Römischen Reiches verschiedene germanische Königreiche entstanden, bis der letzte Kaiser abgesetzt wurde (476). Doch schon zuvor, seit dem 3. Jahrhundert, hatte es im lateinischen Westen einen Niedergang der Kultur und des Wohlstandes gegeben. So verfolgte Boethius, der „letzte Römer“,* das Ziel, das im griechischen Osten nach wie vor bewahrte und noch vermehrte Bildungsgut, dem Westen in lateinischer Übersetzung zugänglich zu machen. Sein Zeitgenosse Cassiodor**, der ebenso wie Boethius höchste politische Ämter im italischen Ostgotenreich bekleidete, zog sich angesichts des Krieges, mit dem das Land vom oströmischen Kaiser überzogen wurde (535 – 553) und der es nachhaltig verwüstete, aus dem öffentlichen Leben zurück und gründete auf seinem Landbesitz das Kloster Vivarium, wo Handschriften gesammelt und durch Abschreiben bewahrt wurden; und eben dies setzten später die Benediktiner fort.

* geb. ca. 480, gest. wohl 524

** geb. 485/487, gest. wohl nach 580

Die Bildung blieb lange Zeit Aufgabe der Geistlichkeit, und dies wirkte auch im Bereich des Protestantismus fort. Nach den Kloster- und Kathedralschulen sowie den Universitäten, entstanden während der frühen Neuzeit Volksschulen: Nachdem die Bildung die größtmögliche Höhe erreicht hatte, sollte sie auch umfassend werden. So gründete der hl. Josef von Calasanza* den Orden der sich dem Unterricht widmenden Piaristen, nachdem er im römischen Stadtteil Trastevere 1597 die erste Volksschule in einem Pfarrhaus eingerichtet hatte. Von dort aus verbreitete sich die Idee der unentgeltlichen Bildung für alle. In Frankreich gründete der hl. Johann Baptist de la Salle** den Orden der Schulbrüder und errichtete ab 1679 zahlreiche Lehranstalten, deren Unterricht in der Volkssprache erteilt wurde, nicht für Kinder, sondern auch für berufstätige Jugendliche. In vergleichbarere Weise wirkte wenig später in Preußen der in einer Vorstadt von Halle tätige, pietistisch gesinnte Pfarrer August Hermann Francke***. Halle gehörte seit 1680 zum kurfürstlichen Brandenburg, dem nachmaligen Königreich Preußen, und sollte auf Wunsch des calvinistischen Hofes offenbar zu einem nicht-lutherischen Gegenpol des kursächsischen Wittenberg ausgebaut werden: 1694 entstand die Universität Halle, an der Francke Griechisch und orientalische Sprachen unterrichtete. 1695 gründete er eine Armenschule mit Waisenheim, zwei Jahre darauf eine Lateinschule und noch ein Jahr später ein Gynaeceum für Mädchen. Das erste staatliche Generallandschulreglement wurde erst 1763 in Preußen erlassen; 1794 beendete man dort die kirchliche Schulaufsicht.

* geb. ca. 1556, gest. 1648

** geb. 1651, gest. 1719

*** geb. 1663, gest. 1727

Schon auf Grund dieser Vergangenheit stellt der Schulunterricht zusammen mit den Wissenschaften und den Universitäten nicht einfach einen Zweig der Wirtschaft dar, der für deren Zwecke neue Fachkräfte heranbildet, sondern die Bildung soll den Kindern und Jugendlichen Zugang zur eigenen Kultur, ja auch zu ihrer Religion vermitteln.

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Im Mittelalter, da die sieben guten Werke der leiblichen Barmherzigkeit allgemein praktiziert wurden, gab es nicht wenige Einheimische, die mehr oder weniger von Almosen lebten. Auch sorgten Klöster für Notleidende, vor allem Pilger und Kranke. Es gab aus Pilgerhospizen hervorgegangene Hospitäler wie das Hôtel de Dieu in Paris, das 651 vom Bischof der Stadt gegründet worden war und seit dem späten Mittelalter einer städtischen Aufsichtsbehörde unterstand. So kam es allmählich zu einer Saecularisierung und schließlich zur Verstaatlichung der Fürsorge. – Nach dem Vorbild mittelalterlich-frühneuzeitlicher Hospitäler unter nicht-kirchlicher Aufsicht konnten dann auch im protestantischen Bereich staatliche Einrichtungen errichtet werden; so ging aus einem 1710 gegründeten Pesthaus die Berliner Charitée hervor.

Wo sich insbesondere der calvinistische Glaube verbreitete, galten Erfolg und Wohlstand als Zeichen der Erwählung; Armut trug nun das Stigma der Verdammung, und so lag der Gedanke nahe, sie zu beseitigen. „Ergastulum“ nannte man die Einrichtung, die dafür zu sorgen hatte, daß niemand unproduktiv sein Leben verbrachte. Bereits 1556 aber richtete man ein erstes Ergastulum in dem unter städtischer Aufsicht stehenden Londoner Schloß Bridewell als Gefängnis ein, das zugleich als Arbeitshaus diente,* und solchem Vorbild folgte anscheinend das 1595 eröffnete Amsterdamer Zuchthaus.

* Edward VI. (1547 – 1553) hatte Bridewell Palace 1553 der Stadt London als Waisenhaus und Erziehungsanstalt für weibliche Personen mit unordentlichem Lebenswandel zur Verfügung gestellt.

Eine vergleichsweise milde Variante zur Beseitigung der Armut bildet die Pflicht zur Mitgliedschaft in einer Versicherung gegen Altersarmut oder gegen die durch Behandlung im Krankheitsfall entstehenden Kosten. Natürlich widerspräche es dem Sinn solcher Einrichtungen, damit auch diejenigen zu versorgen, die nie etwas eingezahlt haben. – Die Herkunft des Gesundheitswesens schließt den Gedanken aus, darin nur einen Zweig der Wirtschaft zu sehen, der Gewinn abwerfen soll.

 

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