Die Entstehung der anti-racistischen Ideologie (2)
von virOblationis
Die Frommen im Lande waren während der ersten Jahrzehnte der us-amerikanischen Geschichte, in der Zeit zwischen Konstituierung des Staatswesens und Sezessionskrieg (1789 – 1861), politisch wenig machtvoll. Dies läßt sich unschwer erkennen, wenn man sich die Liste der US-Präsidenten jener Zeit anschaut; es ist keiner darunter, der sich durch sein persönliches Bekenntnis zum (Erweckungs-)Protestantismus von den übrigen abheben würde, obwohl natürlich alle noch irgendeiner religiösen Gemeinschaft angehörten:
George Washington: Freimaurer (gehörte der Episcopal Church an)*
John Adams: Unitarier
Thomas Jefferson: de facto eher Unitarier (obwohl er der Episcopal Church angehörte)*
James Madison: Liberal (s. Trennung Kirche-Staat), religiös indifferent (keine objektive Wahrheit: Konfession wird dem Gewissen des Einzelnen überlassen), wohl Deist (obwohl er der Episcopal Church angehörte)* und mögl. Freimaurer
James Monroe: Freimaurer und wohl Atheist (obwohl er der Episcopal Church angehörte)*
John Quincey Adams (wie sein Vater, s.o.): Unitarier
Andrew Jackson: Freimaurer (obwohl er Presbyterianischen Kirche angehörte)**
Martin van Buren: Liberal (obwohl er der Dutch Reformed Church angehörte)**
William Henry Harrison: Liberal (wobei er der Episcopal Church angehörte)*
John Tyler: Liberal (wobei er der Episcopal Church angehörte)*
James K. Polk: Freimaurer (obwohl er der Methodistenkirche angehörte)***
Zachary Taylor: religiös indifferent (obwohl er der Episcopal Church angehörte)*
Milliard Fillmore: Unitarier
Franklin Pierce: religiös indifferent (erst nach dem Sezessionskrieg getauft und danach der Episcopal Church zugehörig)*
James Buchanan: Freimaurer (obwohl er Presbyterianischen Kirche angehörte)**
* Die Episcopal Church ging nach der Unabhängigkeit der USA aus der Anglikanischen Kirche durch Abspaltung (1784: Weihe des ersten Bischofs in Schottland statt England) hervor.
**aus der calvinistischen Tradition
*** aus spiritualistischer Tradition
Es muß bereits während des 18. Jahrhunderts im Bereich der angelsächsisch besiedelten Ostküste Nordamerikas einen massiven Glaubensschwund gegeben haben. Von daher gesehen erscheint die Erweckungsbewegung des Great Awakening als Reaktion darauf, die versuchte, der Saecularisierung entgegenzuwirken und vor allem den Calvinismus durch ein spiritualistisches Element, das persönliche Empfinden, attraktiver zu machen. Damit erscheint es noch plausibler, daß sich das Second Great Awakening des beginnenden 19. Jahrhunderts nicht nur der Intensivierung des eigenen Glaubenslebens und der Bekehrung einzelner widmete, sondern sich auch zugleich ausdrücklich gegen die französische Aufklärung und das Unitariertum wendete, wie am Beispiel des Protagonisten der zweiten Erweckungsbewegung, Timothy Dwight, deutlich geworden ist.
Der Gedanke liegt überaus nahe, daß das anti-trinitarische Bekenntnis der Unitarier, das also auch höchstens im weiteren Sinne noch christlich genannt werden kann, ein Einfallstor für den Deismus und die Ideen der Aufklärung bildete. So wechselten zahlreiche Calvinisten in dieses Lager, selbst ganze Gemeinden. Sie werden dabei jedoch ihren puritanischen Denkmustern verhaftet geblieben sein, also dem Hang zum Manichäismus und dem Verständnis des Reichtums als Mittel zur Selbstvergewisserung, nachdem er vorher das Zeichen der Erwählung gebildet hatte. – Andere verließen das Lager des Calvinismus nicht und gaben das protestantische Bekenntnis bei äußerlich aufrechterhaltener Zugehörigkeit zum Presbyterianismus oder Congregationalismus preis; als Beispiel sei der Freimaurer Andrew Jackson* genannt.
* geb. 1767, gest. 1845, US-Präsident 1829 – 1837
Bei denjenigen, deren Glaube sich verflüchtigte und die dem Lager des Calvinismus entstammten, ergab sich das Problem, welchen Ausdruck das zentrale Dogma der doppelten Praedestination in verdiesseitigter Weise finden konnte, um die Kontinuität des Denkens aufrechtzuerhalten. Nun hatten die Puritaner Neuenglands ihre Siedlungen während des 17. Jahrhunderts in Mitten fremder Völkerschaften gegründet: Zum Gegensatz im Glauben, hier Calvinismus, dort Animismus, kam also ein racischer, hier die englisch sprechenden Puritaner mit europäischen Wurzeln, dort die indianischen Stämme der Ureinwohner. So ließ sich der Erwählungsgedanke mit der Zugehörigkeit zur weißen Race verbinden, während der ungläubige Verworfene zugleich als Angehöriger einer fremden Race erschien. Aus solcher Wurzel erwachsener weißer Racismus ließ sich auch beim Verlust des protestantischen Bekenntnisses weiter aufrechterhalten und gewann möglicherweise noch an Bedeutung, insofern er ein einendes Band mit den gläubig Gebliebenen bildete. Dabei besteht der Racismus nicht etwa darin, die religiös-kulturelle und ethnische Verschiedenheit zu erkennen und zu benennen, sondern darin, daß der Erwählte sich als der letztlich unbedingt Gute versteht, während sein Gegner als daemonischer Widersacher erscheint, gegenüber dem jedes Mittel gerechtfertigt, ja um des höchsten Gutes willen geboten ist, wenn es dazu nützt, sich des fremdracischen Feindes zu erwehren. – Der der calvinistischen Tradition entstammende Indianerschlächter Andrew „Old Hickory“ Jackson wurde ein sehr populärer Präsident der USA, nachdem er in einem bis dahin beispiellos schmutzigen Wahlkampf (1828) die Wiederwahl seines unitarischen Vorgängers verhindert hatte. Der unter Jackson veranstaltete Trail of Tears (1830 – 1839) bedeutete die Vernichtung weiter Teile des bis dahin noch nicht ausgelöschten Restes der indianischen Ureinwohnerschaft im Gebiet östlich des Mississippi im Zuge einer Umsiedlung.* – Der us-amerikanische anti-indianische Racismus** muß so verbreitet und daher den meisten so selbstverständlich erschienen sein, daß der Völkermord unter Jackson in dessen Kurzbiographie auf der Seite des Weißen Hauses (www.whitehouse.gov) mit keiner Silbe erwähnt wird; man stelle sich nur einmal vor, Lincolns*** Position in der Frage der Sklaverei bliebe ungenannt oder seine Rolle im Sezessionskrieg (1861 – 1865) würde schweigend übergangen!
* Vielleicht diente der Trail of Tears den Osmanen als Blaupause für den Völkermord an den Armeniern während des 1. Weltkrieges (1914 – 1918).
** Die Weißen galten Jackson als „superior race“.
*** Abraham Lincoln; geb. 1809, gest. 1861
Wenn die frommen Puritaner politisch an Einfluß gewinnen wollten, benötigten sie Verbündete. Zwei Lager standen zur Auswahl: Einerseits das der Liberalen, repräsentiert vor allem durch aufklärerisch gesinnte Unternehmer des Nordens, andererseits das der episcopalistisch orientierten Plantagenbesitzer des Südens, die an Wohlstand und Macht gewannen, seit Eli Whitney* 1793 die Baumwollentkernungsmaschine, Cotton Gin, erfunden hatte, was die Baumwollproduktion während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vervielfachte. Die Unternehmer des Nordens mußten den Plantagenbesitzern dabei jedoch bedrohlich erscheinen, insofern sie die in der Landwirtschaft tätigen Schwarzen als Lohnarbeiter gewinnen wollten; während des 19. Jahrhunderts wanderte auch in Europa ein beträchtlicher Teil der Landbevölkerung zu den städtischen Fabriken hin ab, nachdem die Leibeigenschaft im Laufe des 18. Jahrhunderts aufgehoben worden war. Den Plantagenbesitzern der Südstaaten konnte daher gar nicht daran gelegen sein, die Sklaverei aufzuheben, weil dies den Fortbestand ihrer Baumwollproduktion in Frage gestellt hätte.
* geb. 1765, gest. 1825
Damit der Interessengegensatz zwischen den Kapitalisten des Nordens und den Sklavenhaltern des Südens den Zusammenhalt der USA nicht gefährde, suchte man nach einem Interessenausgleich. So wurde 1820 der Missouri-Kompromiß, Missouri Compromise, angenommen: Jeder neu entstehende Bundesstaat nördlich des 36. Breitengrades sollte ein Freistaat, ein Staat ohne Sklavenhaltung, werden, nicht aber die dort bereits bestehenden Staaten Kentucky, Virginia und Maryland sowie das nun neu hinzugekommene Missouri. – Doch die geschichtliche Entwicklung ließ sich nicht aufhalten; die landwirtschaftliche Produktion mit Hilfe der Sklavenhaltung geriet immer mehr ins Abseits: Nachdem Großbritannien 1807 den Sklavenhandel verboten hatte, folgte 1833 die Abschaffung der Sklaverei.
Die mit dem Goldrush ab 1848 sprunghaft ansteigende Zahl der Bewohner Kaliforniens führte dazu, daß dieses Gebiet 1850 als Staat konstituiert wurde; seine Bevölkerung war weiß, und so sollte ein Freistaat entstehen, doch lag sein Territorium etwa zur Hälfte südlich des 36. Breitengrades. So wurde 1850 ein neuer Kompromiß benötigt, der Compromise of 1850: Kalifornien ins Gesamt wurde ein Freistaat. Im Gegenzug wurde der Fugitive Slave Act (1850) verabschiedet, wonach flüchtige Sklaven von den Freistaaten festzunehmen und auszuliefern seien.* Die Sklavenhalter des Südens sollten also ihre flüchtigen Sklaven zurückerhalten.
* Außerdem sollten die beiden Territorien New Mexico (südl. der 1820 festgelegten Linie) sowie Utah (teils südl., teils nördl. der Linie), die neben den Gebieten der späteren Staaten New Mexico und Utah auch diejenigen von Colorado, Arizona und Nevada einschlossen, im Falle ihrer Konstituierung als Bundesstaaten selbst über die Sklaverei auf ihrem Territorium entscheiden dürfen. – In Washington D.C., dem seit 1800 bestehenden hauptstädtischen Distrikt, wurde der Handel mit Sklaven verboten, nicht jedoch deren Besitz.
Als Verbündete der Puritaner des Nordens wären in religiöser Hinsicht eher die Episcopalisten des Südens in Betracht gekommen, doch sah man sich angesichts der topographischen Verbundenheit miteinander wohl veranlaßt, den weltanschaulichen Gegensatz hintanzustellen und sich mit der liberalen Unternehmerschaft des Nordens zu verbünden. – In welcher Weise konnte dies geschehen?
Die calvinistischen Prediger verdammten Katholizismus, Aufklärung und jegliche Sinnenfreude, ins Besondere den Alkoholgenuß. Der nach den Schwarzen als Lohnarbeitern verlangenden Unternehmerschaft kam man dadurch entgegen, daß man auf Seiten der calvinistischen Frommen nun ebenfalls die Abschaffung der Sklaverei forderte, und zwar unter religiösen Gesichtspunkten; dies war um so leichter möglich, als die spiritualistischen Richtungen der Quaker und Methodisten schon während des 18. Jahrhunderts eine Abschaffung der Sklaverei aus religiösen Gründen gefordert hatten.* – Während also die calvinistische Tradition mit verflüchtigtem Glaubensbekenntnis und die aufklärerisch gesinnten Liberalen in den Freimaurerlogen zusammenfanden, einte der Abolitionismus die liberale Unternehmerschaft mit den calvinistischen Frommen, die im Second Great Awakening ihre Anhängerschaft zu stabiliseren und ihren gesellschaftlichen Einfluß zu vergrößern suchte. Eine führende Rolle in dieser Erweckungsbewegung spielte, wie bereits erwähnt, Timothy Dwight, und zu den von ihm inspirierten Theologen gehörte Lyman Beecher, der nach Abschluß seiner Studien in Yale seit 1799 als presbyterianischer Geistlicher einer Gemeinde auf Long Island wirkte.
* Die non-calvinistischen, d.h. die Lehre einer doppelten Praedestination ablehnenden Wiedertäufer Rhode Islands hatten sogar bereits im 17. Jahrhundert eine Abschaffung der Sklaverei auf ihrem Territorium gesetzlich verankert (1652). Die nachfolgend stattfindende weitgehende Ausrottung der dort lebenden Indianer schien sie hingegen weniger anzufechten, obgleich einer der Geistlichen der Wiedertäufer (sc. Roger Williams; geb. ca. 1603, gest. 1683) sogar die Sprache und Kultur der Eingeborenen studiert hatte, weil er sie für den Glauben gewinnen wollte und weil seine Stadtgründung Providence (1636) von der Landwirtschaft ebenso lebte wie vom Handel mit den Indianern.
[…] Zum Originalartikel […]
[…] bekannt gegeben wurde, soll das Bild des us-amerikanischen Präsidenten Andrew „Old Hickory“ Jackson auf der Zwanzig-Dollar-Note ab 2020 ersetzt werden durch das der – zumindest außerhalbe der […]
[…] Norden der späteren US-Bundesstaaten der Ostküste hatte sich, wie gesagt, eine biologistische Sichtweise entwickelt, da die Puritaner Neuenglands ihre Siedlungen während […]
[…] die Verarbeitung von Hanffasern eine Erfindung macht, die der cotton gin Eli Whitneys [s.o. Teil (2)] ebenbürtig ist.* Wegen der menschenunwürdigen Behandlung durch seinen Herrn flieht George […]