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Die Entstehung der anti-racistischen Ideologie (6)

1833 hatte Harriet Beecher zusammen mit anderen einen Ausflug über den Ohio-Fluß hinweg unternommen, der sie in den Sklavenhalterstaat Kentucky führte; einen nachhaltigen Eindruck hinterließ dies trotz der abolitionistischen Predigten des Vaters, die sie schon als Kind gehört hatte, kaum. Noch im Jahre der Unruhen in Cincinnati 1836, bei denen eine Druckerei durch Anhänger der Sklverei verwüstet wurde, ordnete sich Harriet Beecher nicht eindeutig dem Lager der Gegner der Sklaverei zu, sondern sah ihre Position eher zwischen den beiden Fronten. Erst der Fall Lovejoy Ende 1837 bewegte sie zutiefst, so daß sie sich endlich dem Abolitionistenlager anschloß.

Der mit der Harriet Beechers Bruder Edward* persönlich gut bekannte Elijah P. Lovejoy**, ein aus Maine stammender Geistlicher und Zeitungsverleger, war im November 1837 bei einem gegen die Abolitionisten gerichteten Aufruhr um‘s Leben gekommen. – Lovejoy hatte von 1832 bis 1835 als Pastor in St. Louis (Missouri) gewirkt und war daneben dort Herausgeber der Zeitschrift „The Observer“ gewesen. Dann hatte Lovejoy den Bereich der Südstaaten verlassen und als Geistlicher einer Gemeinde in Alton (Illinois) von 1835 an vorgestanden, wo er wieder gleichzeitig als Zeitungsverleger tätig gewesen war; Edward Beecher leitete währenddessen als Rektor das 1829 gegründete Illinois College zu Jacksonville wie sein Vater das Lane Seminary im weiter östlich gelegenen Staate Ohio. Elijah Lovejoy setzte sich für die Alkohol-Abstinenz, temperance, ein und für die Abschaffung der Sklaverei. Dies rief den Widerstand der Anti-Abolitionisten hervor, die Lovejoys Altoner Verlagshaus stürmten und drei Druckerpressen zerstörten; bei der Verteidigung der vierten fand Lovejoy den Tod.***

* geb. 1803, gest. 1895; Geistlicher in Boston (1826 – 1830), dann Rektor des Illinois [Liberal Arts] College zu Jacksonville (1830 – 1844), anschließend Geistlicher einer (anderen) Gemeinde in Boston (1844 – 1855), dann dasselbe in Galesburg, Illinois (1855 – 1871); 1871 ließ er sich in Brooklyn nieder, wo er im hohen Alter noch einmal als Geistlicher tätig war (1885 – 1889). – Von 1849 bis 1855 gab Edward Beecher nebenbei die religiöse Zeitschrift „The Congregationalist“ heraus.

** Elijah P.[arish] Lovejoy; geb. 1802, gest. 1837

*** 1838 veröffentlichte Edward Beecher das Buch „Narrative of Riots at Alton, In Connection with the Death of Rev. Elijah P. Lovejoy“, Schilderung [der] Unruhen zu Alton. [Dargestellt] zusammen mit dem Tode Pastor Elijah P. Lovejoys.

Um was für ein geistiges Kaliber es sich bei Edward Beecher handelte, zeigt exemplarisch ein kurzer Auszug aus einem Buch, das er 1855 veröffentlichte; es trägt den Titel „The Papal Conspiracy exposed“, Die [vom Autor] aufgedeckt[e] päpstliche Verschwörung.* Darin heißt es: „God, my fellow-countrymen, has conferred on you the peculiar honor and the eminent responsibility of being jurors in behalf of the great commonwealth of humanity in a momentous case in which he himself is Judge. The great criminal arraigned for trial before his bar is that peculiar corporation claiming the right to be called the church of Rome. You are called on to decide whether this corporation, for treason against God and hostility to the human race, deserves the execration of mankind and the righteous and avenging judgment of God.“ Ihr Landsleute meiner, Gott hat auf Euch die besondere Ehre und die eminente Verantwortung übertragen, als Geschworene im Interesse der großen Gemeinschaft der Menschheit [mitzuwirken] an einem bedeutsamen Fall [und dessen Verhandlung vor Gericht], in welchem er selbst (sc. Gott) [der] Richter ist. Der große Verbrecher, [dessen Fall] vor der Schranke seines (sc. Gottes) [Gerichts] verhandelt [werden soll], ist [bzw. betrifft] die eigentümliche Vereinigung, die das Recht beansprucht, Kirche von Rom genannt zu werden. Ihr seid berufen zu entscheiden, ob diese Vereinigung wegen Verrat an Gott und [wegen ihrer] Feindschaft gegenüber der menschlichen Race den Fluch der Menschheit verdient sowie das gerechte und rächende Gericht Gottes. – Abgesehen von dem Pathos, hier einem anti-katholischen, das den Leser schaudernd erahnen läßt, was Edward Beechers Hörer Sonntag für Sonntag über sich ergehen ließen, zeigen sich puritanische Denkstrukturen, die – ggf. in saecularisierter Form – in den USA nach wie vor akut sind: Man erklärt den eigenen Gegner zu einem der Menschheit (nicht mehr) angehörenden Feind und das eigene Verdammungsurteil für absolut[, so daß auch jeder, der sich dem nicht anschließt, Gefahr läuft, zusammen mit dem Feind der Menschheit, der nun auch er nicht mehr zuzurechnen ist, der Vernichtung anheimzufallen].**

* Vollständiger Titel: „The Papal Conspiracy exposed, And Protestantism Defended, in the Light of Reason, History and Scripture“, Die [vom Autor] aufgedeckt[e] päpstliche Verschwörung. Und der Protestantismus, [zugleich] verteidigt im Lichte [der Argumente] aus Vernunft, Geschichte und [Hl.] Schrift

** Um die Virulenz dieses Denkmusters auch in neuerer Zeit, d.h. nach 1914, zu begreifen, setze man nur einmal die „eigentümliche Vereinigung“ des deutschen Volkes an die Stelle der katholischen Kirche im obigen Beispiel und vgl. dazu den Text eines gemeinsamen Gebetes des US-Kongresses zum Beginn der neuen Sitzungsperiode des Jahres 1918, wo es in bezug auf die Deutschen hieß: „Almighty God, our Heavenly Father … Thou knowest, O Lord, that we are in a live-and-death struggle with one of the most infamous, vile, greedy, avaricious, bloodthirsty, sensual and vicious nations that has ever disgraced the pages of history.“ Allmächtiger Gott, unser himmlischer Vater … Du weißt, o Herr, daß wir uns in einem Kampf auf Leben und Tod befinden mit einer der infamsten, widerwärtigsten, gefräßigsten, habsüchtigsten, blutdurstigsten, lüsternsten und bösartigsten Nationen, die jemals die Annalen der Geschichte [mittels ihrer bloßen Erwähnung] geschändet hat. Zu einem einzigen Satz verdichtet drückt der Engländer Rudyard Kipling (geb. 1865, gest. 1936) dasselbe in der „Morning Post“ vom 22. Juni 1915 so aus: „…there are only two divisions in the world to-day – human beings and Germans…” …es gibt in der heutigen Welt nur zwei Gruppen, [die der] Menschen und [die der] Deutschen. – Heutige deutsche Anti-Deutsche versuchen sich dem anzugleichen, indem sie sich selbst verleugnen, und glauben dadurch, dem Verdammungsurteil zu entgehen, doch bleiben sie aus angelsächsisch-biologistischer Sicht doch immer ugly germans, und zwar solche, so wäre hinzuzufügen, mit einer Identitätsstörung.

Ab der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts begegnete Harriet Beecher-Stowe öfter flüchtigen Sklaven und nahm sich ihrer zusammen mit dem Ehemann an, so schrieb sie später rückblickend; es ging ihr dabei wohl nicht zuletzt um preiswerte Haushaltshifen.* – Wahrscheinlich hat Harriet Beecher-Stowe gar nicht erkannt, daß die Ablehnung der Sklaverei ihr persönlich nebenbei Vorteile verschaffte, da sie sich weiße Haushaltshilfen im allgemeinen nicht leisten konnte. Harriet Beecher hätte ihre Einstellung gegen die Sklaverei vermutlich stets rein religiös begründet, ohne zu heucheln, weil ihr andere Zusammenhänge wohl gar nicht bewußt geworden sind.

* Beispielsweise beschäftigte sie 1839 für eine Weile eine entlaufene Sklavin in ihrem Haushalt, bis diese sicherheitshalber weiter nach Norden gebracht wurde.

Nachdem Harriet Beecher-Stowe sich dem Lager der Abolitionisten angeschlossen hatte, rückte die Frage nach der Sklavenhaltung immer weiter in das Zentrum ihres Denkens. So machte sie als Grund für die Zunahme des Glaubensschwundes in höherem Maße die Sklaverei verantwortlich als die Philosophie der französischen Aufklärung. Um dem entgegenzuwirken, hätte sich der christliche Glaube also vor allem für die Abschaffung der Sklaverei einzusetzen. – Offenbar setzt Harriet Beecher-Stowe voraus, daß die Sklavenhaltung dem christlichen Glauben widerspricht, so daß die ihm nicht gemäße Abweichung davon Glaubensschwund größten Ausmaßes verursacht. Da Harriet Beecher-Stowe sich als Protestantin – auch in dieser Frage – gewiß auf die Hl. Schrift berufen hätte, ist daruf hinzuweisen, daß deren Auffassung als Argumentationsgrundlage für die religiös begründete Forderung nach Abschaffung der Sklaverei nur sehr bedingt geeignet ist; so fordert der 1. Petrusbrief Christen im Sklavenstande zur freiwilligen Unterordnung auf,* und der Philemonbrief wird traditionell so verstanden, daß sich der hl. Paulus** damit an den ihm persönlich bekannten Herren eines entlaufenen Sklaven wendet, da dieser zu ihm geflohen ist und den er nun mit dem Brief als Empfehlungsschreiben ausgestattet zu seinem Herrn zurückschickt; es wird nicht die Forderung nach Freilassung erhoben, und schon gar nicht ist von allgemeiner Abschaffung der Sklaverei die Rede.*** Erst viel später wurde innerhalb des Christentums klar, daß auch den Angehörigen des Vierten Standes persönliche Freiheit und Besitz nicht genommen werden dürfen; am Beginn dessen steht die Enzyklika „Sublimis Deus (1537)“ Papst Pauls III.****: Begründet wird das Verbot der Versklavung mit [dem christlichen Verständnis] der menschlichen Natur; Paul III. argumentierte damit, daß alle Menschen fähig seien, vom Heiligen Geist inspiriert den Glauben zu erlangen, und als – sozusagen potentielle – Christen dürfe man sie nicht behandeln wie Vieh.

* 1. Petr. 2, 18; griech. oiketes bezeichnet ganz allgemein den – im Unterschied zum despotes, dem Hausherrrn, – rechtlosen Hausgenossen, besonders den Sklaven.

** geb. ca. 10 n. Chr., gest. wohl 67

*** Dabei hatte bereits Jahrhunderte zuvor Alkidamas von Elaia (wohl 450/350 v. Chr.; hier: Messeniakos-Fragment) verkündet: „Gott hat alle als Freie gelassen, die Natur hat niemanden zum Sklaven gemacht.“

**** 1534 – 1549

In einem ihrer Briefe ermunterte Edward Beechers Ehefrau ihre Schwägerin Harriet Beecher-Stowe, die ja bereits Erzählungen in Zeitungen veröffentlichte, zum Schreiben eines Buches gegen die Sklaverei: „If I could use a pen like you, Hatty, I would write something that would show the entire world what an accursed thing slavery is.“ Wenn ich die Feder wie Du zu nutzen wüßte, Hatty, würde ich etwas schreiben, das der gesamten Welt zeigt, was für eine verfluchte Sache die Sklaverei ist.

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