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Die Entstehung der anti-racistischen Ideologie (8)

Harriet Beecher Stowes Erzählung „Uncle Tom‘s Cabin“ enthält eine so komplexe Ideologie, daß man fragen kann, ob die Autorin nicht intellektuell dem Ehemann sowie ihren Eltern und Geschwistern, vielleicht mit Ausnahme der älteren Catherine, überlegen gewesen ist. Freilich bleibt diese Ideologie einer biologistischen Sichtweise verhaftet, nach der die Grundlage der gesamten Befähigung des einzelnen Menschen im produktiven wie sozialen Verhalten vor allem durch dessen Race und Geschlecht gebildet wird. Dadurch werden zwar die Menschen nicht von vornherein in Gute und Böse geschieden, doch sind die weißen Männer von Natur aus so haltlos, daß sie stets in äußerste Grausamkeit abzugleiten drohen, während die schwarzen nur durch strikte Umerziehung zu Übeltätern im Dienste weißer Männer gemacht werden können.

Der Gesamtkonzeption liegt das protestantische Christentum zu Grunde, allerdings in einer millenaristischen Variante, d.h. die Autorin vertritt die Auffassung, daß die Menschheitsgeschichte in ein tausendjähriges Reich Christi einmündet. Zugleich schweigt Harriet Beecher-Stowe in bezug auf die beseligende Anschauung Gottes sowie die Auferstehung der Toten. Es wird lediglich bei der Beisetzung der kleinen Evangeline in Kapitel 27 auf Joh. 11, 25 verwiesen, „Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt“, so daß der Gläubige hoffen mag, irgendwie Anteil zu bekommen am Reiche Christi,* das aber dennoch durch und durch diesseitig gedacht ist, als Vervollkommnung und Überhöhung des jetzigen Zustandes. Wenn das erreicht ist, wird die Vergangenheit und damit jeder Mensch, der während der vorangegangenen Zeit gelebt hat, nach seiner Haltung gegenüber der Sklaverei beurteilt werden.** Mit diesem Gericht bricht das Reich Gottes an, das mit dem tausendjährigen Reich Christi identifiziert wird, in dem alle Menschen frei und glücklich, „free and happy“, sind.*** Die Menschen der früheren Zeiten werden durch das Gericht geschieden in die Gerechten, für die es immer Tag sein wird, und die Übeltäter, für die eine ewige Nacht anbricht.**** – Dies wird am ehesten so zu verstehen sein, daß die Gerechten vergangener Zeiten – möglicherweise als [selige] Geister, „spirits“ bzw. „ghosts“, – zusammen mit den Menschen des irdischen Paradieses existieren, während die Bösen von der Zugehörigkeit zu solcher Utopia endgültig ausgeschlossen sind; auch in „Uncle Tom‘s Cabin“ bekennt sich Harriet Beecher-Stowe bereits, wenn auch noch mit ironischem Unterton, zum Spiritismus, den sie als „pneumatology“ bezeichnet.*****

* In diesem Zusammenhang ist die Rede von einer lichten, unsterblichen Gestalt, „bright, immortal form“, mit der jemand dennoch, also trotz des Zerfalls des sterblichen Leibes, weiterbestehen wird, „yet come forth“, und zwar am Tage Jesu, des Herrn, „in the day of the Lord Jesus“.

** Kap. 12 nennt diesen Zeitpunkt „day of future judgement“, Tag des zukünftigen Gerichts; vgl. „the day of His appearing“, Kap. 19 (s. auch Kap. 45), und „day of judgement“, Kap. 34.

*** Kap. 19; das Gericht wird dort auch mit dem – der Sequenz der Totenmesse entnommenen Begriff – „dies irae“, Tag des Zornes, bezeichnet.

**** Kap. 40

***** Kap. 42 – Zum Dasein als seliger Geist vgl. die Rede vom lichten Engel, „bright angel“, und vom Werden zu Engeln, „become angels“, in Kap. 26.

Die Verwirklichung des Reiches Christi ist noch weit entfernt. Was Harriet Beecher Stowe zu ihrer Zeit als vordringlich betrachtet, ist eine Abschaffung der Sklaverei: Die befreiten Schwarzen sollen als entlohnte Arbeiter tätig werden. Damit wird der Zustand der Erlösung zwar noch nicht erreicht, aber immerhin ein großes Stück des Weges dorthin bewältigt, das Angeld der Erlösung erlangt. – Doch auch der Zustand des Lohnarbeiters bleibt höchst unvollkommen und gleicht im Extremfall dem des Sklaven: „The slave-owner can whip his refractory slave to death, — the capitalist can starve him to death.“ Der Sklavenbesitzer kann seinen widerspenstigen Sklaven zu Tode peitschen, — der Kapitalist kann ihn zu Tode hungern lassen. Beides verletzt die Menschenrechte, „human rights“, die Sklaverei tut dies lediglich in höherem Maße, doch in beiden Fällen dient eine Gruppe von Menschen dem Nutzen und der Bequemlichkeit, „use and improvement“, einer anderen ohne Rücksicht auf das eigene Wohl.* Offenbar sucht Harriet Beecher-Stowe ihre Ideologie mit derjenigen eines religiös interpretierten Sozialismus zu verknüpfen. Doch bleibt dies eine beiläufige Anmerkung ohne größere Bedeutung für die gesamte Erzählung, deren Autorin es sich mit der Unternehmerschaft gewiß auch nicht verderben wollte. Die weiteren spärlichen Hinweise auf das Reich Christi vermögen die Sklavenbefreiung als zentrale Thematik in keiner Weise zu relativieren.

* Kap. 19

Zur Zeit der Niederschrift der Erzählung ist der „Fugitive Slave Act (1850)“ in Kraft, wonach entlaufene Sklaven von den Nordstaaten an ihre Besitzer aus dem Süden ausgeliefert werden. Nur in Kanada herrscht gänzliche Freiheit. In Anlehnung daran weist die nordamerikanische Geographie des Romans „Uncle Tom‘s Cabin“ ein ethisches Gefälle auf.

1) Ganz im Norden (Kanada) herrscht Freiheit für Schwarze.

2) Zwischen dem hohen Norden und dem Ohio-Fluß (Nordstaaten) herrscht eingeschränkte Freiheit; dort gibt es zwar keine Sklavenhaltung, aber entlaufene Sklaven des Südens werden gefangen und ausgeliefert.

3) Unmittelbar südlich des Ohio-Flusses, in Kentucky, herrscht Sklaverei, aber eine gemäßigte.*

4) Weiter südlich (etwa ab dem 36. Breitengrad) findet sich die wahre Sklavenhölle der nicht gemäßigten Sklaverei. – Dort leben allerdings auch aus dem Norden stammende Weiße wie der von einer kanadischen Familie ursprünglich französischer Hugenotten abstammende wohlhabende Lebemann Augustine St. Clare, und sie verhalten sich[, dank ihres Herkunft aus dem hohen Norden,] menschenfreundlich.

Der Grund für das ethische Gefälle besteht im Klima, das die Menschen im Süden so heißblütig macht; darum gelingt die Erziehung und Bildung, „education“, besser im Norden.**

* vgl. dazu bes. Kap. 32

** s. bes. Kap. 23

Während Nordamerika für die Gegenwart mit der Perspektive einer Befreiung der schwarzen Sklaven steht, bildet Schwarz-Afrika* den Kontinent der Verheißung. So heißt es in Kap. 16: „If ever Africa shall show an elevated and cultivated race, — and come it must, some time, her turn to figure in the great drama of human improvement. — life will awake there with a gorgeousness and splendor of which our cold western tribes faintly have conceived. In that far-off mystic land of gold, and gems, and spices, and waving palms, and wondrous flowers, and miraculous fertility, will awake new forms of art, new styles of splendor; and the negro race, no longer despised and trodden down, will, perhaps, show forth some of the latest and most magnificent revelations of human life. Certainly they will, in their gentleness, their lowly docility of heart, their aptitude to repose on a superior mind and rest on a higher power, their childlike simplicity of affection, and facility of forgiveness. In all these they will exhibit the highest form of the peculiarly Christian life, and, perhaps, as God chasteneth whom he loveth, he hath chosen poor Africa in the furnace of affliction, to make her the highest and noblest in that kingdom which he will set up, when every other kingdom has been tried, and failed; for the first shall be last, and the last first.“ Wenn [Schwarz-]Afrika jemals eine erhabene und [zuhöchst] kultivierte Race aufweisen wird – und dies muß geschehen, irgendwann, in Übernahme seiner Rolle in dem großen Drama menschlichen Fortschritts – dann wird [das wahre] Leben dort erwachen mit einer Pracht und einem Glanz, von dem unsere kalten westlichen Stämme nur eine schwache Vorstellung haben. …und die Neger-Race…wird [damit] möglicherweise eine der letzten und großartigsten Manifestationen menschlichen Daseins zu Tage fördern. Ganz gewiß werden sie (sc. die Angehörigen der Neger-Race) [dasein] in ihrer Sanftmut, [in] ihrer von Herzen demütigen Fügsamkeit [in] ihrer Begabung, sich einem höheren [bzw. göttlichen] Geist und [der] überlegenen Kraft [Christi sich] zu ergeben, [in] ihrer kindlich-schlichten Warmherzigkeit und in ihrer Fähigkeit zur Vergebung. In all dem werden sie die höchste Form des für das Christentum charakteristischen Daseins aufweisen, und möglicherweise, da Gott reinigt, den Er liebet, hat Er das arme [Schwarz-]Afrika im Feuerofen der Drangsal auserwählt, um es [als Race mit seiner christlichen Lebensweise] an den höchsten und vornehmsten [Platz zu setzen] in dem Reiche, das Er aufrichten wird, nachdem jedes andere Reich [eine so glänzende Kultur zu verwirklichen] versucht hat und [damit] gescheitert ist; denn die Ersten sollen letzte sein und der Letzte erster.**

* Schwarz-Afrika scheint nach der Vorstellung der Autorin – zumindest ursprünglich – den ganzen Kontinent einzunehmen, also bis ans Mittelmeer zu reichen, denn sie schreibt, Carthago (nahe dem heutigen Tunis) habe einstmals schwarze Bischöfe gehabt (Kap. 16).

** vgl. dazu Kap. 43

Zwar gilt, „The Anglo Saxon is the dominant race of the world, and is to be so“, Die angelsächsische ist die die Welt beherrschende Race, und sie muß es bleiben,* doch durch die Racenvermischung haben viele Schwarze bereits einen Anteil angelsächsischen Blutes[, der sie eben zum zukünftigem Herrschen befähigt]. – Wer nur zumindest einen Schwarzen unter seinen Großeltern hat, gehört zu den Sklaven** und damit zur schwarzen Race. Der Anteil an angelsächsischem Blut versetzt die Schwarzen jedoch in die Lage zur erfolgreichen Rebellion*** und damit zur Aufhebung der Sklaverei. Die Zugehörigkeit zur schwarzen Race wiederum ist zukunftsträchtig, indem er auf das Reich Christi vorausweist. – Die angelsächsische Race dominiert diejenige Phase der Geschichte, die voller Kampf und Krieg, „struggle and conflict“, ist, aber die christliche Hoffnung geht darüber hinaus.****

* Kap. 23

** vgl. Kap. 1

*** s. Kap. 23

**** Kap. 43

Wie genau in „Uncle Tom‘s Cabin“ racisch differenziert wird,* zeigt das Beispiel des kleinen Harry Harris im 1. Kapitel des Buches. Harry ist der Sohn eines Mulatten, „mulatto“, und einer Terzeronin, „quadroon“. Harrys Vater hat also einen schwarzen und einen weißen Elternteil, die Mutter einen mulattischen und einen weißen. Demnach ist unter Harrys Großeltern ein vollständig Schwarzer bzw. eine vollständig Schwarze, und damit handelt es sich bei ihm um einen „quadroon boy“**.

* Sicherlich geschieht dies im Anschluß an damals in den USA verbreitete Auffassungen, so daß die Autorin sich nicht genötigt sieht, ihre Racenlehre zu begründen.

** Kap. 1; vgl. damit die „Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz (Vom 14. November 1935)“, die festlegt, daß ein „jüdischer Mischling“ ein oder zwei volljüdische Großeltern aufweist, d.h. ein Mischling ersten Grades, ein Halbjude, hat zwei, ein Mischling zweiten Grades, ein Vierteljude, hat einen Volljuden [vgl. „Full black“ (neben „Three-fourths black“ etc.) zur racischen Bestimmung einer Person, Kap. 45] unter seinen vier Großeltern. Halb- und Vierteljude entsprechen exakt „mulatto“ und „quadroon“ als schwarze Mischlinge ersten und zweiten Grades.

 

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