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Herausforderung

von virOblationis

Der jüngste Anschlag in Frankreich mit offenbar „islamistischem Hintergrund“ wurde gewiß nicht zufällig am französischen Nationalfeiertag durchgeführt, sondern damit das Land dadurch um so nachhaltiger erschüttert werde.  – Nebenbei gesagt zeigt dieser Anschlag mittels eines Lastwagens auch, wie wenig wirksam die bloße Forderung nach Verschärfung des Waffenrechtes ist, die US-Präsident Obama nach dem verheerenden Anschlag von Orlando durch einen mohammedanischen Einzeltäter wieder einmal erhob. – Der Anschlag von Nizza am gestrigen 14. Juli zielte auf die Grundlage der Französischen Republik, die letztlich auf die Französische Revolution zurückzuführen ist, die – neben dem us-amirkanischen Unabhängigkeitskrieg – am Beginn der Moderne steht. Diese betreibt die Trennung von Staat und Religion, erklärt die Religion zur Privatsache, doch vermochte sie ihr Konzept anscheinend nur innerhalb eines sich saecularisierenden Christentums zu verwirklichen, nicht bei den zahlreichen Vertretern des Islam, dessen regelmäßig erfolgenden gewalttätigen Ausbrüche zum „Islamismus“ erklärt werden, wobei man für den Terror vorzugsweise verwirrte Einzeltäter verantwortlich macht.

Verschärfung von Sicherheitsgesetzen und Ausnahmezustand schützen nicht vor solchem Terror, wie er sich gestern wieder einmal manifestiert hat. Um zu einer Antwort zu kommen, muß man sich zuvor über das Wesen des Islam klar werden. Um es zu ergründen, scheint mir der Vergleich mit Christentum und Judentum hilfreich zu sein, denn alle drei sog. abrahamitischen Religionen verweisen hinsichtlich ihres Ursprungs neben Mohammed, Christus und Moses auch auf Abraham; für die Christen ist er der Vater des Glaubens und für die Juden ihr Urahn, den Mohammedanern gilt er ebenfalls als Stammvater, aber zugleich auch als frühester Vorläufer des Propheten in religiöser Hinsicht.

Während irgendwelche Naturreligionen vielleicht Wohlergehen garantieren sollen, aber das gesellschaftliche Leben den überlieferten Bräuchen überlassen, die mit dem Kultus nicht wesentlich verbunden sind, zeichnen sich sowohl Christentum, als auch Judentum und Islam durch einen Bezug zur Sphäre des Rechts aus, allerdings in charakteristisch verschiedener Weise; darin vermute ich einen Aspekt des Wesens der drei abrahamitischen Religionen, der sie vergleichbar sowie unvereinbar verschieden macht.

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In bezug auf das Recht unterscheidet man jus, fas und ethos, Regeln für das gesellschaftliche Zusammenleben, für den Kultus und die Moral. Letztere ist für das Christentum von konstitutiver Bedeutung; es ist keine Kirche ohne die Zehn Gebote denkbar, selbst wenn das (häretische) Luthertum sola fide, allein durch Glauben, zu Gott gelangen will.

Die Zehn Gebote betreffen den einzelnen in seinem Verhältnis zu Gott (1. – 3.) , zur Familie (4.) und zu anderen Mitgliedern der Gesellschaft (5. – 10. Gebot), wodurch sich die Zehn Gebote – nämlich durch ihre zweite Hälfte (5. – 10. Gebot) – auch in den Bereich des Rechtes hinein erstrecken. Dabei werden sie jedoch moralisch verstanden; sie sollen das Recht, jus, nicht ersetzen, sondern das Recht soll mit den Zehn Geboten vereinbar sein. Trotz des Anspruches der Zehn Gebote darauf, von Gott offenbart worden zu sein, also letztgültige Verbindlichkeit zu besitzen, stellen sie die Ausformulierung des (Natur-)Rechtes durch die menschliche Vernunft keineswegs in Frage,* weil sie eben moralisch sind und auf Heiligkeit des einzelnen abzielen.

* Wenn auch durch Gott das, was recht ist, in unwandelbarer Klarheit grundgelegt ist, so hat der Mensch als kreatürliche Zweitursache doch die Aufgabe, dem eigenständig formulierend möglichst nahezukommen. Der Islam kennt keine eigenständigen Zweitursachen, sondern führt direkt alles auf Gott zurück, und dem entspricht Mensch oder er verfehlt es.

Auch der Heiland dehnt den Bereich der Moral auf den des Rechtes aus, wenn er das 5. Gebot so verschärft, daß selbst ein Schimpfwort zum todeswürdigen Verbrechen erklärt wird (Matth. 5, 21f.). Doch der Heiland fordert nicht, daß menschliche Gerichte das Urteil sprechen, sondern verweist auf Gott als Richter; dies wird dadurch deutlich, daß immer höhere Instanzen angeführt werden, die einander aufheben: Gericht [vor Ort], Hoher Rat, (Verdammungsurteil durch) das Jüngste Gericht. Es geht darum, daß jede noch so kleine Sünde radikal von Gott trennt, nicht etwa um eine Verrechtlichung der Moral oder Moralisierung des Rechts.

Für das Judentum hat das Ritualgesetz, fas, konstitutive Bedeutung, weil sich dadurch die Synagoge von der Heidenwelt unterscheidet. Ohne das Ritualgesetz wäre entweder kein Übertritt zum Judentum möglich, oder Übertritte würden die Exklusivität aufheben und die Synagoge zu einer philosophisch-religiösen Strömung unter anderen machen. – Gewiß liefert die jüdische Überlieferung auch die Grundlage für ein eigenes Rechtssystem; so wurde den Synagogengemeinden im Reich seit dem Hochmittelalter das Zivilrecht überlassen, und der Beginn der Moderne, mit dem alle Einwohner eines Landes zu vor dem einheitlichen Gesetz gleichen Bürgern gemacht wurden, stellte für das Judentum eine existentielle Herausforderung dar, weil der eine Aspekt der Exklusivität, das eigene Zivilrecht, fortgenommen wurde, so daß nur das Ritualgesetz blieb; doch dies geschah zu einer Zeit, in der sich wie im umgebenden Christentum der Glaube bei vielen verflüchtigte, so daß das Ritualgesetz an Bedeutung verlor: Was sollte angesichts dieser Lage, die Assimilation noch verhindern?

Gewiß gibt es auch rituelle Vorschriften im Islam, doch liegt das Schwergewicht des religiösen Alltags kaum darauf. Für den Islam hat das auf Offenbarung zurückgeführte Recht, jus, konstitutive Bedeutung. Es regelt das Zusammenleben der Menschen, und da es den Anspruch erhebt, Gottes Willen zu entsprechen, kann es nur in einem Gegensatz zu einem mit Hilfe der menschlichen Vernunft eigenständig formulierten Recht stehen, da dieses prinzipiell noch treffender zu formulieren wäre, also veränderbar ist, während das auf göttliche Offenbarung zurückgeführte Recht bis in die letzte Einzelheit unwandelbar sein muß; rituellen Vorschriften kommt in diesem Zusammenhang die Funktion zu, den Anspruch der Rechtsgemeinschaft, sich auf Offenbarung zu gründen, nach außen hin sichtbar zu machen. – Ein solches Gesetz, jus, kann gar nicht anders als universal gedacht sein, weil sich das das Zusammenleben der Menschen letztgültig regelnde Recht nicht auf einen Teilbereich der Welt beschränken läßt, sondern selbstverständlich das Zusammenleben sämtlicher Menschen bestimmen will: Würde das offenbarte Gesetz nur in einem abgegrenzten Bereich gültig sein, dann besäßen andere Regionen eigene Gesetze, die ebenfalls auf Offenbarung zurückgeführt werden könnten, und die eine Gottheit zerfiele konsequenter Weise in verschiedene Einzelgestalten; der Monotheismus gehört jedoch zum mohammedanischen Bekenntnis.

Von daher scheint auch die vom Islam stets ausgehende (und oft als „Islamismus“ bezeichnete) Gewalt in Gestalt von Krieg und Terror* vollkommen konsequent, denn sie dient der Verbreitung dieser Religion und dehnt damit den Bereich, in dem das – nach mohammedanischem Verständnis – offenbarte Recht gilt, möglichst weit aus, damit es irgendwann alle Menschen umfasse. Wer sich dem nicht beugen will, hat eine dem mohammedanischen Selbstverständnis adaequate Antwort zu finden. – Ob das moderne Denken dazu in der Lage ist, scheint mir mehr als fraglich.

* Dazu bedarf es keiner Steuerung oder eines Befehls: Interesse leitet Handeln, und deckungsgleiche Interessen lassen das Tun mehrerer, sie mögen miteinander vernetzt sein oder nicht, konzertiert erscheinen, auch wenn kein Dirigent vorhanden ist.

[fünfter und sechster Absatz überarbeitet; vO, 16. Juli]

[letzter Absatz erweitert; vO, 20. Juli]

 

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