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Aktuelle Notiz (6. Okt. 2016)

Wenn eine Partei das Amt eines Generalsekretärs unter einem Vorsitzenden aufweist, dann besteht zwischen diesen beiden ein besonders enges Verhältnis. Sie können nicht etwa zwei verschiedene Strömungen innerhalb der Partei repräsentierend gedeihlich zusammenwirken, wie das Ausscheiden Heiner Geißlers* aus dem Amt des Generalsekretärs 1989 gezeigt hat; Geißler hatte das Amt zwölf Jahre lang inne, sah sich aber schließlich in einem programmatischen Gegensatz zum Vorsitzenden und suchte diesen Widerspruch durch einen Sturz Helmut Kohls** aufzuheben; stattdessen stürzte Geißler im September 1989 selbst und wurde durch Volker Rühe*** ersetzt. – Es läßt sich also sagen, daß Vorsitzender und Generalsekretär um des Wohles der Partei willen miteinander harmonieren sollen, wobei sie einander nicht gleichgestellt sind, sondern der letztere setzt um, was der erstere vorgibt; ja, man kann wohl behaupten, daß der Generalsekretär in gewisser Weise den Vorsitzenden repräsentiert.

* geb. 1930

** geb. 1930

*** geb. 1942 [Die Geburtsdaten sind angegeben, da ich mich frage, ob ein Generalsekretär denkbar ist, der wesentlich früher geboren wurde als der Parteivorsitzender.]

Vor diesem Hintergrund betrachtet erscheinen die jüngsten Ereignisse um Merkels* CDU-Generalsekretär Peter Tauber** nicht allein diesen selbst zu betreffen, sondern darüber hinaus auch Merkel, die Vorsitzende der größten der Regierungsparteien. – Die Geschichte scheint am 2. Juni 2016 begonnen zu haben; an diesem Tage stimmte die 1962 in München geborene und nunmehrige Leipziger CDU-Abgeordnete Bettina Kudla als einzige gegen die Armenien-Resolution des Bundestages; insofern schien sie ganz der Linie der Regierung zu folgen, deren Spitze zur Abstimmung abgetaucht war. Am 9. Setember bestätigte Kudla nicht nur eine turkophile Haltung, sondern signalisierte ihre Zustimmung zu Erdogans AKP-Staat, indem sie beim Twittern den Namen eines kritischen türkischen Journalisten, der Waffenlieferungen nach Syrien publik gemacht hatte, in beleidigender Form entstellte.

* geb. 1954

** geb. 1974

Um so erstaunlicher schien die Meldung, daß Kudla wiederum Aufsehen mittels Twitter erregte, nun aber in ganz anderer Weise, da sie am 24. September schrieb: „BK #Merkel streitet es ab, #Tauber träumt. Die #Umvolkung #Deutschlands hat längst begonnen. Handlungsbedarf besteht!“ Dies ließ sich nun gar nicht mehr mit der Linie der Regierungspartei CDU in Einklang bringen, und so wurde Kudla offensichtlich genötigt, die betreffenden Zeilen zu löschen, was auch geschah, wie am 26. September gemeldet wurde.

Es ist klar, daß eine Umvolkungs-Diskussion innerhalb der CDU der Parteiführung höchst unerwünscht sein mußte; insofern erscheint das Löschen der anstößigen Äußerung folgerichtig, und ein nachfolgender Anschlag auf Kudlas Leipziger Bureau (Nacht zw. 3. u. 4. Okt.) setzt gewissermaßen noch das Ausrufungszeichen der AntiFa dahinter. – Doch damit nicht genug. Offenbar wollte der CDU-Generalsekretär an Stelle der Umvolkungs-Diskussion der Partei eine ganz andere aufnötigen, um sie vor unerwünschten Äußerungen zu bewahren. Am 24. twitterte er „Die Einlassungen von @kudlaleipzig sind in Inhalt und Ton völlig inakzeptabel. Das steht nicht für die @CDU.“ Wofür die CDU stehen sollte, machte Tauber am nächsten Tag deutlich, da er eine Sexismus-Debatte in Gang zu bringen suchte: Er verbreitete die Nachricht, daß der Berliner Parteivorsitzende, dessen CDU eine Woche zuvor mit 17,6% gerade ein denkbar schlechtes Ergebnis bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus erzielt hatte, sich ungebührlich gegenüber einem weiblichen Parteimitglied geäußert habe. Noch bevor der Berliner Parteivorsitzende sich dazu öffentlich äußere, beteuerte Tauber: „Geschichten wie diese bekomme ich immer wieder geschildert.“ Und er fuhr fort: „Umso wichtiger, dass es nun diese [von mir erwünschte Sexismus-]Debatte gibt.“

Selten hat wohl ein Politiker eine so glatte Bauchlandung hingelegt wie Tauber, denn sogleich nach seiner Eröffnung der Debatte über das Verhalten gegenüber weiblichen Parteimitgliedern wurde ein vertrauliches Dokument mit dem Titel „Pflegehinweise für das Kaninchen“ bekannt. Darin geht es um ein Maßnahmen zum Mobbing, gerichtet gegen die CDU-Geschäftsführerin eines Kreisverbandes, dessen Vorsitzender Tauber seiner Zeit war; bald mußte er einräumen, die „Pflegehinweise“ zumindest gekannt zu haben. So endete Taubers Sexismus-Debatte noch im Monat September.

Hinzu kamen die Meldung, Tauber habe im November 2015 Kritiker der von Merkel in der Refugee-Frage vorgegebenen Parteilinie in unflätiger Weise beschimpft. Dies sowohl wie die Nachricht über die Kaninchenjagd ist anscheinend aus den Reihen der Partei heraus publik gemacht worden, um dem Generalsekretär in die Parade zu fahren. Wenn sich demnach Teile der Partei gegen den Generalsekretär wenden, ihn bei der Umsetzung der Vorgaben der Parteivorsitzenden hindern, dann wenden sie sich damit auch gegen die Parteivorsitzende selbst. – Bezeichnender Weise geschieht dies nicht in öffentlicher Diskussion um Sachfragen, sondern durch Indiskretionen.

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