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Rückblick auf den hiesigen Maoismus in seinem Zusammenhang (12)

Zwar wurde Schumachers Vorwort zum Dortmunder Aktionsprogramm mit seiner Erwähnung der sozialen Gerechtigkeit vom West-Berliner Aktionsprogramm 1954 noch übernommen, doch abgesehen davon beschritt man einen Weg, der von der Arbeiterpartei weg und zum Godesberger Programm (1959) der Volkspartei SPD hin führte; damit wird klar, daß die 1959 dann deutlich sichtbar gewordene Wende nicht etwa eine kurzfristige Reaktion auf die Niederlage in der Bundestagswahl von 1957 darstellte, bei der die CDU die absolute Mehrheit errang.

Das bis 1959 noch offiziell gültige Heidelberger Programm von 1925 weist auf den nationalen Monopolkapitalismus hin: „Die ökonomische Entwicklung hat mit innerer Gesetzmäßigkeit zum Erstarken des kapitalistischen Großbetriebes geführt, der in Industrie, Handel und Verkehr immer mehr den Kleinbetrieb zurückdrängt und seine soziale Bedeutung verringert.“ Damit zeichnet sich ein Zusammenwirken von kleineren Unternehmern und Werktätigen ab. Dies prägt auch noch Schuhmachers Denken, der eine – von ihm angesichts der NS-Kontaminierung des Begriffes natürlich so nicht genannte – Volksgemeinschaft anstrebt, die alle Patrioten abseits der „Macht des Großbesitzes und seiner Anhänger“ umfaßt. Daß es sich dabei um eine strikt nationale Gemeinschaft handelt, wird angesichts der folgenden Sätze deutlich: „Sie (sc. die SPD unter Schumacher) wird jeden Versuch abwehren, die Verschmelzung von Teilen Deutschlands mit anderen Völkern d(ies)er deutschen Einheit vorzuziehen. Wir wollen die Gemeinschaft. Jede Gemeinschaft beginnt für uns aber mit der Gemeinschaft mit der Bevölkerung der [von der Westzonen-BRD abgetrennten] sowjetischen Besatzungszone und des [ebenfalls nicht angeschlossenen] Saargebietes.“ Die Gegenpartei solcher nationalen Gemeinschaft besteht in der „Macht des Großbesitzes und seiner Anhänger“; sie entsprechen dem „kapitalistischen Großbetriebe(s)“ des Heidelberger Programms. 1925 ist die Rede von der vergleichbaren Lage der „Proletarier(n)“ und der „Mittelschichten“ als der „ganze[n] Gesellschaft“; sie befinde sich „in…ökonomische[r] Abhängigkeit“, und ihr gegenüber steht die „Monopolisierung der Produktionsmittel“.

„Das kapitalistische Monopolstreben führt zur Zusammenfassung von Industriezweigen, zur Verbindung aufeinanderfolgender Produktionsstufen und zur Organisierung der Wirtschaft in Kartelle und Trusts. Dieser Prozeß vereinigt Industriekapital, Handelskapital und Bankkapital zum Finanzkapital.“ Letzteres bringt auch die Staatsmacht unter seine Kontrolle. [Wenn man multinationale Konzerne und internationales Finanzkapital an die Stelle nationaler „Kartelle und Trusts“ setzt, wirkt das Heidelberger Programm wieder recht aktuell.]

1925 heißt es in der dem damaligen Aktionsprogramm vorangestellten Einleitung noch: „Die Sozialdemokratische Partei kämpft nicht für neue Klassenprivilegien und Vorrechte, sondern für die Abschaffung der Klassenherrschaft und der Klassen selbst, für gleiche Rechte und Pflichten aller, ohne Unterschied des Geschlechts und der Abstammung.“ (kursiv von mir, vO) Offenbar soll die Klassenherrschaft verschwinden, wenn alle Bürger die „gleiche[n] Rechte und Pflichten“ haben. Hinzu kommt die „Umwandlung der kapitalistischen Produktion in sozialistische für und durch die Gesellschaft betriebenene Produktion…“ in „freier Selbstverwaltung“. – Es ist klar, worauf man abzielt: Es geht darum, die Großbetriebe gesellschaftlicher Kontrolle zu unterwerfen, damit sie den Staat nicht mehr beherrschen. Dann heißt es im Aktionsprogramm von 1925: „Ziel der sozialdemokratischen Verwaltungspolitik ist die Ersetzung der aus dem Obrigkeitsstaat übernommenen polizeistaatlichen Exekutive durch eine Verwaltungsorganisation, die das Volk auf Grundlage der demokratischen Selbstverwaltung zum Träger der Verwaltung macht.“ So soll schließlich die Möglichkeit geschaffen werden, daß für alle Bürger gleiche Rechte und Pflichten gelten.

Bemerkenswerter Weise erscheint der Bereich des Ökonomischen mehr als Mittel zum Zweck; man gesteht ihm nicht mehr die grundlegende Bedeutung zu, die Marx ihm beimaß. Staat und Gesellschaft, Rechte und Pflichten bilden die offenbar eigentliche Thematik, und die den eigenen Vorstellungen in dieser Hinsicht entgegenstehenden nationalen Monopole sollen dazu unter Kontrolle gebracht werden.

Das faschistische Italien suchte die Wirtschaft der Politik unterzuordnen ebenso wie das nationalsozialistische Deutschland,* das den Faschismus in ideologischer Hinsicht mit dem Antisemitismus kombinierte. An die Stelle berufsständischer Organisationen im faschistischen Korporativstaat, dessen fehlende geistliche Dimension die – ihn abgesehen davon durchaus wohlwollend beurteilende – Enzyklika „Quadragesimo anno (1931)“ moniert, tritt die „freie Selbstverwaltung“ [der Volksgemeinschaft] des demokratischen Sozialismus, wobei man kritisch fragen muß, ob dabei nicht dem Menschen zu viel zugemutet wird, weil man ihn zu positiv einschätzt; theologisch gesprochen: Man übersieht seine Beeinträchtigung durch den Fall und überschätzt die Möglichkeiten der menschlichen Natur. – Während der Faschismus das Wirtschaftsleben mittels Zusammenschluß von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in berufsständischen Korporationen zu ordnen versuchte, setzte die Sozialdemokratie auf freie Selbstverwaltung, doch hinsichtlich des Bestrebens, den Staatsapparat unter ihre Kontrolle zu bringen und die Großindustrie dem Politischen unterzuordnen, unterschieden sich beide Ideologien während der Zwischenkriegszeit also nicht grundsätzlich. So wird verständlicher, warum der Stalinismus die Sozialdemokratie als Sozialfaschismus schmähen konnte. Diese erteilte dem nationalsozialisten Racismus 1925 ebenso eine Absage wie dem stalinistischen Bolschewismus mit seiner Luiquidation ganzer Bevölkerungsgruppen, die damals allerdings kaum ansatzweise bekannt war; so heißt es im Heidelberger Programm von 1925: Von der „Abschaffung der Klassenherrschaft und der Klassen selbst…ausgehend, bekämpft sie (sc. die Sozialdemokratie) nicht bloß die Ausbeutung und Unterdrückung der Lohnarbeiter, sondern jede Art der Ausbeutung und Unterdrückung, richte sie sich gegen ein Volk, eine Klasse, eine Partei, ein Geschlecht oder eine Rasse.“

* In einem totalitären Staat darf kein gesellschaftlicher Bereich ein Eigenleben führen, so daß er auch die Wirtschaft eines Landes kontrollieren muß, es sei denn, es handele sich um eine Diktatur bestimmter Kreise der Wirtschaft selbst. – Der Totalitarismus verschiedener Staatswesen weist Ähnlichkeiten auf, doch nicht jeder Totalitarismus dient denselben Interessen; daher reicht es nicht, vom Totalitarismus eines Staates zu sprechen, um ihn zu charakterisieren.

Pius XI. suchte einen weder dem Totalitarismus, noch einer zu optimistischen Sicht des Menschen verfallenden Weg vorzuzeichnen. Wenn Kontrolle aller Lebensbereiche anhebt, dann regen sich Befürchtungen, daß der Staat, „cui satis esse deberet ut necessarium et sufficiens auxilium praestaret, liberae activitati se substituat“, dem es genügen(d sein) müßte, daß er notwendige und ausreichende Hilfe leistet, sich an die Stelle der freien Betätigung [des Bürgers] setzt. – Alles Irdische ist nur Mittel zur Erreichung des Zwecks, Gott, und dem entsprechend sind die Lebensverhältnisse zu ordnen. So sollen die [durch die Moderne] als Wurzel so vieler Übel, „tot malorum radicem“, verworrenen Zustände, durch [ihre] falsche Art von Freiheit sowie andere Irrtümer, „falsae libertatis specie aliisque erroribus”, [die ihren Ausdruck finden in] Liberalismus und Sozialismus, überwunden werden durch eine [wieder]herzustellende und zu vollendende soziale Ordnung, „sociali ordine instaurando et perficiendo“, wie in der vor-modernen Zeit, wo die soziale Ordnung, so weit dies unter den gegebenen Umständen möglich war, der Vernunft einigermaßen entsprach, „rationi quadantenus congruebat”.

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