Inhaltsverzeichnis

Rückblick auf den hiesigen Maoismus in seinem Zusammenhang (14)

In Richtung Bad Godesberg wies 1954 bereits die sozialdemokratische Forderung nach „Steigerung des Lebensstandards“, der „dem ganzen Volk zugute kommen“ soll, so daß das „Sozialprodukt…gerechter verteilt wird.“* Dies klang sehr fürsorglich, und es ahnten wohl die wenigsten, daß sich mittels solcher Umverteilung in bezug auf den Konsum eine Gleichstellung der nicht werktätigen Teile des Volkes mit den Lohnempfängern betrieben ließ. Man setzte stillschweigend voraus, daß doch alle arbeiten wollten und nur manche daran durch widrige Umstände gehindert seien; die aber dürften doch deshalb nicht gegenüber den anderen benachteiligt werden. In den fünfziger Jahren mochte es tatsächlich noch so scheinen, als würden alle Menschen von sich aus das Bedürfnis zu arbeiten verspüren, doch dies war der besonderen Situation geschuldet, daß man den Hungerjahren, der damals sog. „schlechten Zeit“, entkommen war und einigen Wohlstand zu erlangen hoffte; außerdem war die Unterstützung für Erwerbslose karg.

* West-Berliner Aktionsprogramm (1954), Einkommensverteilung

Marx hatte in seiner „Kritik des Gothaer Programms (1891 [verfaßt 1875])“ der – damals noch nicht vom Kommunismus geschiedenen – Sozialdemokratie geschrieben: „In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre* Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“** – Wenn die Sozialdemokratie ein Dreivierteljahrhundert später nun voraussetzte, daß doch jeder Deutsche arbeiten wolle, daß die Arbeit ihm – zumindest fast – das erste Lebensbedürfnis sei, dann konnte sie die Parole ausgeben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen! Sie nahm damit den Kommunismus vorweg, ohne Veränderung der Produktionsverhältnisse, durch einen möglichst hohem Konsum für alle nach deren Belieben. Statt einer Steigerung der Produktivität „ist jetzt die Erhöhung der Konsumrate anzustreben.“***

* Textvariante: die

** kursiv von mir, vO

*** West-Berliner Aktionsprogramm (1954), Einkommensverteilung

Dieses allzu positive Menschenverständnis geht davon aus, daß doch alle arbeitswillig seien; sind sie faul, dann muß die Gesellschaft daran schuld sein, die einen negativen Einfluß ausgeübt hat, der zu einer scheinbaren Abneigung gegen Arbeit führt; dies ließe sich gewiß therapieren, und solchen Entwicklungen vorbeugen wird eine angemessene Pädagogik. Wie jeder Erwachsene grundsätzlich leistungswillig ist, so jeder Schüler wißbegierig. Daher ist das Lernen in der Schule so zu gestalten, daß es Spaß macht. Es ist doch eine reaktionäre Mär, wenn von unabdingbarer Selbstüberwindung, Mühe und Verzicht fabuliert wird. – [Weil doch alle arbeitswillig seien], beruht die jetzige Verteilung des Konsums eher auf bloßen Zufällen und Ungerechtigkeiten: „Die heutige Verteilung des Volkseinkommens und des Volksvermögens ist (jedoch) nicht in erster Linie das Ergebnis von Fleiß und Tüchtigkeit, sondern sehr weitgehend ein Resultat blinder Zufälle, politischer Gewalt, massenhafter Vermögensvernichtung und ökonomischer Ausbeutung.“* Dem wird der möglichst hohe Konsum für alle entgegengesetzt. – Freilich will man weiter für die Interessen der Arbeitnehmer eintreten, für deren angemessene Entlohnung, doch zugleich sollen alle übrigen annähernd ebenso viel erhalten. – Es verhält sich so, wie im Märchen von Ali Baba: Wenn man denselben Zinken, der ein bestimmtes Haus markieren soll, anschließend an allen übrigen in der Umgebung anbringt, hebt man seine Bedeutung auf.

* West-Berliner Aktionsprogramm (1954), Einkommensverteilung

Die Konsequenzen der Forderung nach möglichst hohem Konsum für alle verschleiernd wird im West-Berliner Aktionsprogramm (1954) unter dem Punkt „Einkommensverteilung“ zugleich davon gesprochen, daß höherer Leistung ein höheres Einkommen entsprechen solle; doch dies wird ja dadurch beständig aufgehoben, daß die übrigen allesamt nachfolgend dem wieder angelichen werden. – Die Folgen sind verheerend: Nicht nur das Prinzip von Leistung und Lohn wird zerstört, sondern ganz allgemein wird die Entsprechung von Tun und Ergehen praktisch geleugnet; Ursache und Wirkung werden entkoppelt, was das gesamte Dasein erschüttert. Wie auch immer man in den Wald hineinruft, es soll immer gleich herausschallen.

Kommentieren