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Rund um den Gipfel

von virOblationis

Im „Rückblick auf den hiesigen Maoismus in seinem Zusammenhang (4)“ heißt es: „Der spätere Marcuse schlägt den Bogen zu früheren Veröffentlichungen, indem er am Schluß des „Eindimensionalen Menschen“ behauptet, das Lumpenproletariat, auf das er seine Hoffnung setzte, sei in der Lage, eine nicht repressive Gesellschaft ohne Triebunterdrückung zu errichten. Oben [in Teil 3] wurde bereits die bis 1969 bestehende West-Berliner Kommune 1 erwähnt. In ihrer Nachfolge entstanden nicht nur solche Einrichtungen wie die abartigen AAO*-Kommunen während der siebziger und auch noch der achtziger Jahre, die Familie sowie Privateigentum abschaffen wollten und deren Gründer schließlich u.a. wegen Kindesmißbrauchs 1991 verurteilt wurde.** Andere gründeten Landkommunen und suchten, eine alternative Landwirtschaft zu betreiben. Auch dabei steht Bakunin*** im Hintergrund, der nicht auf die sukzessive Erringung politischer Macht setzte, sondern auf die Bildung von Zusammenschlüssen, Assoziationen, im Proletariat, das dazu angeleitet werden sollte durch [intellektuelle] Angehörige eines Geheimbundes von Revolutionären; schließlich sollte durch eine Revolution nur noch die äußere Hülle abgesprengt werden, so daß der Staat beseitigt werde und die zuvor gebildeten neuen gesellschaftlichen Strukturen hervortreten wie der Schmetterling aus der Verpuppung.“ Wenn der Staat zerstört ist samt den bisherigen Formen gesellschaftlichen Lebens, dann existieren nur noch die zuvor als Alternativen entwickelten Assoziationen, in denen es keine Autorität und keinerlei Hierarchie gibt; der Kommunismus ist verwirklicht.

* Aktionsanalytische Organisation

** Gemeint ist Otto Muehl; geb. 1925, gest. 2013 – Als Kunstschaffender wurde nach seiner Haftentlassung gleichwohl öffentlich mit Ausstellungen geehrt.

*** Michail Bakunin; geb. 1814, gest. 1876

Die anarchistische Theorie ist recht schlicht; rhetorisches Pathos entspricht ihr, nicht gedankliche Schärfe. Die anarchistische Theorie bleibt kümmerlich; die Praxis zählt für sie, die Tat, die Aktion. Diese weist zwei Aspekte auf, einerseits den der Erschaffung neuer Formen des Zusammenlebens innerhalb der Gesellschaft, und andererseits den der Zerstörung der überkommenen samt dem Staat.* Dies wiederum manifestiert sich in zwei Flügeln der anarchistischen Bewegung, einem konstruktiven und einem destruktiven. Der eine schafft rechtsfreie Räume und lebt darin seine anti-autoritären Phantasien aus, und der andere verbreitet Terror. Daher spricht die anarchistische Bewegung ebenso gutmenschlich verblendete Idealisten an wie Gewohnheitsverbrecher mit verwerflichsten Neigungen.**

* „Wir müssen uns also auf Grund des Gesetzes der Notwendigkeit und strengen Gerechtigkeit ganz der beständigen, unaufhaltsamen, unablässigen Zerstörung weihen, die so lange crescendo wachsen muß, bis nichts von den bestehenden sozialen Formen zu zerstören bleibt“, heißt es beispielsweise in Bakunins etwa 1871 verfaßter, aber erst posthum erschienenen Abhandlung „Sozialismus und Freiheit (1953)“.

** Letztere gab es unter den leninistischen Berufsrevolutionären ebenfalls – man denke nur an Stalins Werdegang – doch hatten sie sich der Parteiführung bedingungslos zu unterwerfen. Der anarchistische Terror wäre dazu nie bereit, vermag also nur dezentral zu wirken, was hinsichtlich seiner Effektivität eine Schwäche bedeutet, doch andererseits auch eine Stärke, da es kein Führungszentrum gibt, das der Gegner mit einem gezielten Schlag ausschalten könnte.

Wenn Vertreter der SPD wie Scholz und Schulz angesichts der Zerstörungen rund um den G20-Gipfel in Hamburg nun erklären, das seinen „skrupellose Gewaltakte von Kriminellen“* gewesen, und die Gewalttäter seien „bescheuert, aber nicht links“**, dann ist ist nicht unbedingt vollkommen falsch, doch es isoliert einen einzelnen Aspekt, nämlich den kriminellen; der gehört aber in einen bestimmten Zusammenhang, den der anarchistischen Bewegung, deren Programm die Zerstörung ist, und auch wenn sie von gewalttätigen Kriminellen betrieben wird, ist sie in den Augen des Anarchisten unverzichtbarer Bestandteil des Kampfes um den Kommunismus.

* so Hamburgs Bürgermeister

** so der SPD-Vorsitzende

Der kreative und der militante Flügel des Anarchismus ergänzen und benötigen einander. Es macht also wenig Sinn, wenn man nur den letzteren wegen dessen Gewalttätigkeit kritisiert. Wer der anarchistischen Gewalttätigkeit Einhalt gebieten wollte, der müßte deren soziale Zerstörungswut ebenso unterbinden, rechtsfreie Räume aufheben und alles von anti-autoritärer Gesinnung Kontaminierte säubern, bis eine der überlieferten Form des Zusammenlebens entsprechende Gesellschaft wiederhergestellt ist. – Doch eben dazu ist der globale Monopolkapitalismus, dessen Vertreter – einschließlich einiger Wackelkandidaten – sich in Hamburg zum G20-Gipfel versammelt hatten, hierzulande nicht bereit. Man geht nur gegen allzu offensichtliche Auswüchse vor und beruhigt die aufgebrachten Bürger durch die Ankündigung von Entschädigungszahlungen, die wiederum aus den von denselben Bürgern erhobenen Steuern und Abgaben aufzubringen sein werden. Ansonsten läßt man die Militanten  als AntiFa auch weiterhin agieren, so lange diese als Knüppelgarde im Alltag jeden terrorisiert, der das herrschende System in Frage stellt, wodurch die polit-korrekte Ausgrenzung mit anderen Mitteln fortgesetzt wird. Gleichzeitig verweist man auf die Menge der friedlichen Demonstranten, die den globalen Monopolkapitalismus nicht grundsätzlich in Frage stellen, sondern – bewußt oder unbewußt – für die Interessen der Sozialindustrie innerhalb des Systems eintreten; zugleich sind die friedlichen „Globalisierungskritiker“ insofern zum kreativen Teil des Anarchismus zu rechnen, als sie darauf aus sind, eine bunte, multikulturelle Form des Zusammenlebens an die Stelle der traditionellen zu setzen, und zwar mit Hilfe eines Zustroms kulturfremder Massen, wobei jene dem Globalkapitalismus wiederum bei der Beseitigung des Nationalstaates dienlich sind.

[11. Juli: „beispielsweise“ in erster Anm. zum zweiten Absatz eingefügt]

[11. Juli: statt „mit ihrer Befürwortung des Zustroms kulturfremder Massen die traditionelle Form des Zusammenlebens zu zerstören, wobei jene dem Globalkapitalismus wiederum bei der Beseitigung des Nationalstaates dienlich sind.“ nun „eine bunte, multikulturelle Form des Zusammenlebens an die Stelle der traditionellen zu setzen, und zwar mit Hilfe eines Zustroms kulturfremder Massen“]

[11. Juli: letztem Absatz am Schluß einen Relativsatz angefügt]

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